Bankmanagement-Glossar

Behavioral Pricing

Lange Zeit ging die Preistheorie von der Vorstellung des rational agierenden Kunden und dem Vorliegen vollkommener Informationen über Preise und Präferenzen aus. Inzwischen hat längst ein Paradigmenwechsel stattgefunden hin zu einer stärker verhaltenswissenschaftlichen und psychologisch orientierten Fundierung des preisbezogenen Nachfrageverhaltens. Dies zeigt sich auch in der Entstehung eines eigenen Forschungsgebietes. Das Behavioral Pricing beschäftigt sich mit der Frage, wie Kunden Preise aufnehmen, verarbeiten, auf Preisangebote reagieren und wie sie Preisinformationen nutzen. Die Aktualität dieses Themenfeldes zeigt sich bei den täglichen "Preisschlachten", die sich Unternehmen liefern. Der Preis als Entscheidungskriterium für Kunden gewinnt zweifellos weiter an Bedeutung und wechselt sich - abhängig von Produkten, Branchen und Kundentypen - mit der Qualität und Marke bei der Wichtigkeit der Kaufentscheidungskriterien ab. Der Ansatz des Behavioral Pricing beschäftigt sich mit dem, was im Kunden in Bezug auf die Verarbeitung von Preisinformationen vorgeht. Behavioral Pricing kann für Unternehmen zur Beantwortung folgender Fragen beitragen: Wie soll man Preise kommunizieren? Wie stellt man den eigenen Preis im Verhältnis zu Konkurrenzpreisen dar? Soll man ein- oder mehrdimensionale Preisstrukturen anwenden? Wie gestaltet man die zeitliche Struktur von Preisen? Wie sind Pauschalpreise oder Flatrates zu beurteilen? Um diese Fragen richtig beantworten zu können, bedarf es einer systematischen Analyse folgender drei Phasen: Preisinformationsaufnahme (Preisinteresse und -suche), Preisinformationsbeurteilung (absolute/relative Preisschwellen, Preissensitivität, Referenzpreise, akzeptierte Preisspannweite, Preisgünstigkeitsurteil, Beziehung zwischen Preis und wahrgenommener Qualität, wahrgenommene Preisfairness) und Preisinformationsspeicherung (Preiskenntnis und Preiswissen). Preiswissen von Kunden überschätzt Eine von Roland Berger durchgeführte Preis- und Marken-Studie für den deutschen Markt ergab, dass die Bedeutung des Preises als dominierendes Kaufkriterium steigt und der Preiskampf besonders stark beim Flugverkehr, Kaffee, Banken und der Telekommunikation ausgeprägt ist. Eine andere Studie zeigt allerdings auch, dass Kunden trotz des zunehmenden Preisbewusstseins aufgrund der Vielzahl von Angeboten überfordert sind und relativ wenig über Preise wissen. Empirische Befunde zum Preiswissen von Kunden belegen, dass lediglich 20 bis 50 Prozent der Kunden die Preise von Produkten innerhalb eines Schwankungsintervalls von 25 Prozent kennen. Die Verkaufspreise werden von Konsumenten in 75 Prozent der Fälle überschätzt. Lediglich bei bestimmten Markenprodukten ist nahezu perfekte Preiskenntnis gegeben. Kunden orientieren sich zudem bei ihren Entscheidungen nicht nur am absoluten Preis eines Produktes, sondern am Kundennutzen und an Referenzpreisen. Selbst wenn der Preis als klassisch "hartes Faktum" der Kaufentscheidung angesehen werden könnte, ist er es viel weniger als man denkt. Viele psychologische Aspekte spielen eine vergleichsweise wichtigere Rolle. Die Preiswahrnehmung und -beurteilung durch Kunden hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen motivationale Faktoren wie das Interesse an der Kaufentscheidung, kognitive Faktoren (wie das Preiswissen, Referenzpreise, die Konsum- und Einkaufserfahrung) und situative Faktoren wie Zeitdruck, Konkurrenzangebote und-preise und der Verwendungszweck des Produktes (zum Beispiel als Geschenk oder für den Eigengebrauch) sowie die finanzielle Situation des Kunden. Neue weitergehende Konzepte des Behavioral Pricing untersuchen die Aufteilung des Gesamtpreises in einzelne Preise (zum Beispiel Partitioned Pricing), den Einfluss von Zahlungsmitteln und das zeitliche Auseinanderfallen von Zahlung und Konsum. Die Relevanz dieses Themas im Bereich Finanzdienstleistungen wird durch das aktuell erschienene Werk "Preismanagement im Privatkundengeschäft von Banken: Eine empirische Analyse des Passiv- und Dienstleistungsgeschäftes unter besonderer Beachtung von Behavioral Pricing" von Marc Oliver Blahusch (Springer Gabler Verlag, Wiesbaden 2012) unterstrichen. Er verbindet systematisch die Ansatzpunkte aus der Behavioral-Pricing-Forschung (Kundensicht) mit den Gestaltungsmöglichkeiten von Banken im Preismanagement. Dabei werden kunden- und bankseitige Aspekte analysiert und der Status quo in der Branche empirisch erhoben und untersucht. Die Ergebnisse zeigen, welche Maßnahmen zur Kundengewinnung, -bindung, Ertragssteigerung und Einlagengewinnung genutzt werden können und welche Aktivitäten kritisch zu hinterfragen sind. Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger @wu.ac.at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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