Bankmanagement- Glossar

Emotional Banking*)

Banken sind hinsichtlich ihrer angebotenen Produkte und der vom technischen Fortschritt bedingten Standardisierung der Prozesse austauschbar geworden. Kunden erhalten im Retailbanking überall mehr oder weniger den gleichen Service. Die geringe Differenzierung der Anbieter unterstützt den Trend und die Bereitschaft zum Wechsel, weshalb oftmals schon geringfügige Preisunterschiede im Anlage- oder Ausleihungsgeschäft für einen Wechsel ausreichen. Die beobachtbare Entwicklung wäre noch stärker, wenn es nicht die gerade im Bankgeschäft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen stärker ausgeprägte Trägheit der Kunden geben würde.

Um diese Wechselbereitschaft zu reduzieren und bestehende Kunden an die Bank zu binden sowie neue Kunden dauerhaft zu gewinnen, gilt es - wie seit Jahren immer wieder verlangt - das weit gehend rationale Bankgeschäft durch eine emo tionale Komponente zu bereichern. Mehr noch: Es gilt eine Durchdringung aller Bereiche, deren Tätigkeit eine Auswirkung für Kunden hat, mit Emotionen zu erreichen (frei nach dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler, der eine "Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie" wollte).

Homo Oeconomicus hat nie existiert

Die Bedeutung dieser emotionalen Anreicherung ist durch die Erkenntnisse der Neuroscience - der Wissenschaft, die mit Methoden der Hirnforschung aus der Zusammenarbeit einzelner Nervenzellen (Neuronen) des Gehirns auf die Verhaltenserzeugung schließt - massiv gestiegen. Die Erkenntnisse der Neuroscience lassen die Vermutung zu, dass der Homo Oeconomicus offenbar nie existiert hat, da das emotionelle Empfinden die menschliche Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit schon immer im hohen Ausmaß beeinflusst hat.

Die emotionalen Prozesse laufen unbewusst ab und werden vom Menschen nicht bemerkt: Sie sind schneller als das rationale Beurteilen. Es handelt sich dabei um einen komplexen Vorgang, der auf der Polarisierung von Informationen beruht. Ihr Ergebnis wird vom Menschen im Nachhinein rational bewertet und im Ausnahmefall korrigiert. Zusätzlich wird eine Differenzierung über Produkte und Preise aufgrund deren Konvergenz und der damit verbundenen Austauschbarkeit immer weniger möglich. Hinzu kommt, dass die Bankprodukte aufgrund ihrer Immaterialität und ihrer komplexen Struktur für aktuelle und potenzielle Kunden oftmals schwer verständlich sind.

Emotionalisierung an allen Kontaktpunkten möglich

Eine Emotionalisierung der Beziehung zwischen Bank und Kunden ist in allen Kontaktpunkten möglich. Sobald diese emotionalen Komponenten überall vorhanden sind, kann von einem Emotional Banking gesprochen werden. Die möglichen direkten (persönlichen) und indirekten (unpersönlichen) Bank-Kunde-Kontaktpunkte sind vielfältig: Sie beginnen beim automatisierten oder beim (immer seltener vorkommenden) persönlichen Service, dem E-Banking, den Prozessen, dem Beschwerdemanagement, der Beratung und dem Verkauf, den Filialen, den Produkten, den Entgelten, der Kommunikation und dem Branding und enden beim Image.

Routinegeschäftsfälle positiv aufladen

Den häufigsten Kontaktpunkt mit den Kunden stellt der automatisierte Service dar. Dieser Kontakt des Kunden mit seiner Bank im SB-Bereich oder via E-Banking kommt mittlerweile weit häufiger vor als der persönliche Service in der Filiale. Was den SB-Service und das E-Banking betrifft, so gilt hier primär, dass das, was der Kunde in dieser Art und Weise erledigen will/ muss, immer ordnungsgemäß funktioniert. Ein Nichtfunktionieren löst immer negative Emotionen aus, da der Kunde das, was er tun will/muss, nicht tun kann. Ein Help-Telefon kann beim Nicht-sofort-Erreichen beziehungsweise bei einer nichtfallabschließenden Lösung diese negativen Emotionen noch verstärken.

Es gilt zu vermeiden, dass der Kunde von den in den Augen der Bank Routinegeschäftsfällen auf die Fähigkeit der Bank bei anderen Geschäften schließt. Die Routinegeschäftsfälle gilt es zusätzlich zum Funktionieren mit positiven Emotionen aufzuladen, wozu einfache Systeme und Anwendungen sowie klare und "pfiffige" Erläuterungen beitragen können.

SB-Zone nicht als "Rumpelkammer" gestalten

Zu positiven Emotionen beim automatisierten Kontakt im SB-Bereich führt es, diesen räumlich so zu gestalten, dass er nicht wie eine Rumpelkammer ausschaut, wo rundum - für den Kunden planlos - ein Gerät neben dem anderen aufgestellt wurde. Es gibt dazu bereits architektonische Konzepte, die den Besuch in einem SB-Bereich für die Augen des Kunden zu einem Erlebnis werden lassen. Gleiches gilt für die Architektur des E-Banking. Was die SB- und E-Banking-Nutzung betrifft, so sollte diese - auch für ältere Menschen (Schriftgröße!) - einfach möglich sein. Aber auch die persönliche Abwicklung der Routinegeschäftsfälle sollte so gestaltet sein, dass keine negativen Emotionen entstehen (wie zum Beispiel bei Schlangen vor der/n Kasse/n, ähnlich denen in Supermärkten).

Die sich aus diesen SB-Tätigkeiten ergebenden Prozesse sollten so ablaufen, dass nachgelagert keine Kundenbeschwerden kommen. Sollte es dennoch deswegen oder bei SB- oder E-Banking-Nutzung zu Problemen kommen, kann ein emotional reagierendes Beschwerdemanagement einen Fehler nicht nur wieder gut machen, sondern darüber hinaus zum positiven Image beitragen.

Beratungsbereiche mit Wohlfühlambiente

Besonders stark kommen Emotionen - positiv, aber auch negativ - bei der Beratung und dem damit meist zusammenhängenden Produktverkauf zum Tragen. Hier gilt es nicht nur freundlich zu sein, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sondern dem Kunden zuzuhören und gegebenenfalls nachzufragen, auf sein Problem einzugehen, mögliche Problemlösungen zu erklären und gemeinsam das Problem fallabschließend zu lösen. Ganz wesentlich ist dabei, auf den spezifischen Kundentypus einzugehen - beispielsweise gebührt Frauen eine andere emotionale Behandlung als Männern (Gender Marketing) oder Kunden mit Migrationshintergrund eine auf ihre Herkunft und ihre Sprache abgestimmte Emotionalität (Ethno-Marketing).

Wesentlich ist dabei die Beeinflussung der Emotion durch das Raumumfeld. Beratungs- und Verkaufsgespräche sollten daher in einem Beratungsbereich mit Wohlfühlambiente stattfinden, wo auf die emotionale Komponente Rücksicht genommen wird, oder es soll der Kunde - so er es wünscht - in seinem privaten oder geschäftlichen Raumumfeld besucht werden.

Wenig Möglichkeiten bei Produkten

Was die Produkte und ihre Entgelte betrifft, so stellt deren Austauschbarkeit ein Problem für die Banken dar, das durch emotionale Komponenten nur marginal beeinflusst werden kann. Allerdings kann bei den Produkten schon eine einfache und klare Namensgebung und bei den Entgelten ein schlüssiger Hinweis, dass alles was einen Wert hat, auch einen Preis hat, ein wenig Emotionalität in die harten Fakten von Produkt- und Preispolitik bringen.

Obwohl die Differenzierung bei Produkten und ihren Entgelten schwierig ist, kann eine solche dennoch über die Marke erreicht werden. Neben der Unternehmens-PR und der Produktwerbung gilt es bei der Kommunikation die Marke zu einem wesentlichen Differenzierungsmerkmal gegenüber Mitbewerbern zu machen. Gerade hier ist es sinnvoll, den Kunden nicht rational, sondern emotional anzusprechen, und die Marke (und den Unternehmensclaim) mit Emotionalität aufzuladen. Erfolgreiche Beispiele aus anderen Wirtschaftsbereichen gibt es hier zur Genüge. Es sei beispielsweise nur an Apple, Red Bull oder Nespresso gedacht.

Die Zeit ist reif, auch im Banking Emotionalität quer durch alle Bereiche, die Auswirkungen auf den Kunden haben, zum Tragen zu bringen, denn es gibt keinen "Share of Wallet" ohne einen "Share of Heart".*) Gewidmet Frau Dr. Barbara Aigner, die von 2002 bis 2006

mit mir 50 Bankmanagement-Glossare geschrieben hat und heute als Geschäftsführerin von Emotion Banking, Baden bei Wien, tätig ist. Ewald Judt

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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