Bankmanagement-Glossar

Financial Literacy

Seit geraumer Zeit wird insbesondere von der "Wirtschaft", aber auch der "Politik" das mangelnde Wirtschaftswissen der Verbraucher beklagt. Dieser Mangel bezieht sich einerseits auf die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge wie absolute und relative (Staats-)Verschuldung, BIP oder Leistungsbilanz. Andererseits bezieht sich dieser Mangel auf das für den Einzelnen erforderliche Wirtschaftswissen wie Steuern, Sparen, Kredite, Inflation oder Kontoüberziehung versus Privatkredit versus Ratenzahlung. Marktforschungen zeigen darüber hinaus, dass viele Menschen keine finanzielle Planung haben, dass viele finanzielle Risiken auf sich nehmen, ohne das zu realisieren, dass viele zwar nicht ahnungslos, aber die Folgen nicht wirklich erkennend, sich immer mehr verschulden, und dass viele finanzielle Notsituationen - wie zum Beispiel nach einer Scheidung oder bei Arbeitslosigkeit - nur schwer in den Griff bekommen. Die Konsequenz dieses fehlenden Wissens über wirtschaftliche Tatbestände führt dazu, dass Wirtschaftsberichte in den Medien entweder kaum beachtet oder kaum richtig verstanden werden, was bewirkt, dass die Auswirkungen auf das Ganze und auf den Einzelnen nicht bedacht und das persönliche Verhalten meist keine oder gar falsche Reaktionen zur Folge hat. "Financial Literacy" (US-Englisch) beziehungsweise "Financial Capability" (GB-Englisch), am besten übersetzt als "Finanzielle Allgemeinbildung", versucht diesem Wissensmangel abzuhelfen. Der Begriff geht auf eine 2003 von der OECD gestartete Untersuchung zurück, die 2005 als Studie "Improving Financial Literacy" veröffentlicht wurde. Eine allgemein aner kannte Definition hat sich für Financial Literacy noch nicht durchgesetzt. Im weiteren Sinne umfasst die Definition sowohl das Verständnis über wirtschaftliche Zusammenhänge als auch die Fähigkeit, die eigenen finanziellen Angelegenheiten positiv managen zu können. Im engeren Sinn geht es um die optimale Handhabung der persönlichen Finanzsituation für die täglichen, die regelmäßig anfallenden und die nur selten notwendigen Entscheidungen. Kinder-Universität als denkbares Modell Zur Financial Literacy prädestiniert sind vorrangig die Schulen, wo aber "Wirtschaft" in der Regel nicht als eigenständiges Unterrichtsfach im Lehrplan vorgesehen ist, sondern meist nur ansatzweise von anderen Unterrichtsfächern berücksichtigt und mit behandelt wird. Eine Ausnahme stellen beispielsweise in Österreich die Handelsakademien dar, die in fünf Jahren nicht nur zur "Matura" (= zum Abitur) führen, sondern auch in einer Reihe von wirtschaftsbezogenen Unterrichtsfächern Wissen vermitteln. Dies zeigt, dass in Schulen aller Art durch entsprechende Fächer das Ziel einer finanziellen Allgemeinbildung am ehesten erreicht werden kann. Unterstützung kann auch von Universitäten kommen - eine "Kinderuniversität" in den Sommerferien, die sich nicht mit naturwissenschaftlichen Fragen, sondern mit Wirtschaftswissen auseinandersetzt, wäre ein denkbares Modell. Verdienstvollerweise widmen sich auch die Volkshochschulen als Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung dem Wirtschaftswissen wenngleich auf freiwilliger Basis. Auch Verbraucherschutzorganisationen tragen meist (in der Regel eingeschränkt auf den Kauf von Waren und Dienstleistungen) zur Verbesserung der wirtschaftlichen Allgemeinbildung bei. Nachdem die Medien, Fernsehen, Radio, Tageszeitungen und Zeitschriften eine der wesentlichsten Informationsquellen sind, kommt ihnen eine wichtige Funktion bei der Verbreitung von Wirtschaftswissen zu. Wenn man von ausgesprochenen Wirtschaftszeitschriften absieht, spielen wirtschaftliche Themen bei den Medien allerdings nur eine Nebenrolle. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, was die Kreditwirtschaft sowie die Notenbank zur Verbesserung des Wirtschaftswissens beitragen kann. Seitens der OECD sollte Financial Literacy Teil der "good governance" von Finanzinstitutionen sein. Der Beitrag dazu kann allgemein wie in diversen zielgruppenorientierten Aktivitäten Richtung Lehrer und Schüler sein. Dazu gehören zum Beispiel Lehrerseminare, die Zurverfügungstellung von Themenblätter zu speziellen Wirtschaftsthemen, DVDs und Web-Downloads für den Unterricht, Vorträge in Schulklassen aller Altersstufen, Aufsatzwettbewerbe zu Wirtschaftsthemen oder die Organisation von Wanderausstellungen über wirtschaftliche Tatbestände (zum Beispiel Geld). Fortschritte bei der wirtschaftlichen Allgemeinbildung werden auch Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer der PayLife Bank GmbH; ewald.judt[at]paylife[dot]at/www.paylife.at. Dr. Claudia Klaus egger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wuwien[dot]ac. at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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