Bankmanagement-Glossar

Kognitive Dissonanz

Gerade finanzielle Entscheidungssituationen sind geprägt durch vielfältige Informationen und komplexe Zusammenhänge, wodurch Unsicherheit beim Anleger entstehen kann. Die angebotenen Produkte werden in ihrer Ausgestaltung immer fantasievoller, was zu einem fast unüberblickbaren Angebot für den Verbraucher führt. Fast jeder kennt das Gefühl, vor, während oder nach dem Kauf in gewisse Zweifel zu verfallen, ob man vielleicht doch besser eine andere Entscheidung hätte treffen sollen, was in der Sozialpsychologie als Phänomen der kognitiven Dissonanz behandelt wird. Kognitive Dissonanz wird von Leon Festinger, dem Begründer der Theorie, als psychologisch unangenehmer Zustand beschrieben, der durch die Existenz von zwei nicht zusammenpassenden Verbindungen zwischen kognitiven Elementen entsteht. Es handelt sich dabei um ein interdisziplinär erforschtes Phänomen, wobei gerade in der Marketingforschung das Interesse im Rahmen der sogenannten Nachkaufdissonanz besonders groß ist. Damit meint man die nach einem Kauf auftretende Unsicherheit, die richtige Kaufentscheidung getroffen zu haben. Das Dissonanzpotenzial steht in enger Verbindung mit der Höhe der Anschaffungskosten, der Kauf- und Verwendungserfahrung (Erst- oder Wiederholungskauf), dem Produktwissen und dem Informationsstand über die angebotenen Produkte und der Komplexität des Angebots an Herstellermarken und Produktvarianten. Für die Entstehung von Nachkaufdissonanz haben sich in zahlreichen Untersuchungen folgende zentrale Gründe herauskristallisiert: Wahlentscheidung: Damit meint man die Problematik, die bei einer Entscheidung zwischen mehreren Alternativen entstehen kann. Diese Dissonanzart entspricht der Nachkaufsdissonanz. Erzwungene Handlungen ("forced" or "induced compliance") beziehungsweise längerfristige Verträge, aus denen nur schwer ausgestiegen werden kann. Aufnahme widersprüchlicher Informationen (zum Beispiel nach der Entscheidung für ein bestimmtes Geldanlagemodell): Dissonanz kann durch Informationen ausgelöst werden, die mit den persönlichen Denk- und Verhaltensmustern im Wider spruch stehen. Mögliche Quellen können Informationen über Konkurrenzprodukte seitens der Konkurrenz, von neutralen Institutionen oder durch private Kommunikation sein, die die getroffene Kaufentscheidung infrage stellen, aber auch Erwartungsenttäuschungen mit dem gewählten Produkt oder fehlende soziale Bestätigung von sozial wichtigen Bezugsgruppen. Diesen dissonanzinduzierenden Situationen lassen sich Dissonanzabbaustrategien gegenüberstellen. Als mögliche Abbaustrategien seitens der Konsumenten kann die sogenannte selektive Informationsaufnahme genannt werden beziehungsweise die (Informations-)Verdrängung, um die gesetzte Verhaltensweise zu rechtfertigen oder die Korrektur von Einstellungen und Verhaltensweisen, das heißt ein Rückgängigmachen der Kaufentscheidung, sofern dies möglich ist. Anbieterseitig muss also überlegt werden, inwieweit dem Konsumenten ein Rückgängigmachen der Kaufentscheidung ermöglicht wird beziehungsweise wie einer möglichen negativen Einstellung durch eine frühzeitige kundengerechte Beratung und Information vorgebaut werden kann. Dynamischer Prozess Ergänzend ist anzumerken, dass das Phänomen der Nachkaufdissonanz kein zeitpunktbezogener Konfliktzustand ist, sondern als dynamischer Prozess gesehen werden muss und sich Ursachen, Verlauf und Abbau von Dissonanzen von Käufer zu Käufer unterscheiden können. Das Konstrukt der Kognitiven Dissonanz ist in der Praxis bei weitem nicht so bekannt wie jenes der Konsumentenzufriedenheit. Gerade aber bei langfristigen und risikoreichen Kaufentscheidungen sollte es nicht unbeachtet bleiben. Unternehmen sollten daher den gesamten Entscheidungsprozess hinsichtlich dissonanzbeeinflussender Faktoren analysieren. Da Dissonanz während des gesamten Entscheidungsprozesses auftreten kann, sollte mit der Dissonanzreduktion bereits in der Vorkaufphase begonnen werden, um das Phänomen erst gar nicht entstehen zu lassen oder frühzeitig zu reagieren, falls es doch auftreten sollte. Dabei liegt sowohl in der Kommunikationspolitik als auch im Bereich der Produkt-, Preis- und Vertriebspolitik großes Potenzial, und es sollte die gesamte operative Gestaltung überdacht werden. Vor allem der Trend zu Onlineberatungen und -Abwicklung birgt große Gefahren in Richtung Dissonanz, aber gleichzeitig auch die Chance, sich beim Konsumenten durch Service und gute persönliche Beratung positiv abzuheben. Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer der PayLife Bank GmbH; ewald. judt[at]paylife[dot]at/www.paylife.at. Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu-wien.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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