Bankmanagement-Glossar

Sinus-Milieus

In der Marketingforschung und -praxis hat sich in den letzten Jahren die Überzeugung durchgesetzt, dass rein quantitative Segmentierungsmerkmale wie die demografischen Kriterien (Schulbildung, Beruf oder Einkommen) zur Beschreibung von Zielgruppen meist nicht mehr ausreichen. Die Herausforderung, die fragmentierten Zielgruppen zu erreichen, verlangt nach neuen Formen der Zielgruppenanalyse.

Empirische Ergebnisse zeigen, dass Unterschiede von Lebensstilen für die Beschreibung der Alltagswirklichkeit oft bedeutsamer sind als die Unterschiedlichkeit sozioökonomischer Lebensbedingungen. Soziale Zugehörigkeit ist heute deutlich weniger von alters- und schichtspezifischen Merkmalen geprägt als von Gemeinsamkeiten im Lebensstil und deren Wahrnehmung. Werthaltungen überdauern auch situative Änderungen sowie kurzfristige Trends. Durch die zeitliche Stabilität haben sie hohe prognostische Aussagekraft und sind für den Einsatz der längerfristigen Planung wesentlich besser geeignet als einfache Segmentierungsansätze.

Vom Heidelberger Sinus-Institut für Marktund Sozialforschung wurde ein Methodenansatz entwickelt, der Lebenswelten und Lebensstile der Verbraucher einbezieht. Die Sinus-Milieus fassen Menschen zusammen, die sich in Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. Es handelt sich um eine ganzheitliche Milieu-Typologie. Im Wesentlichen werden in diesem Modell folgende vier Lebenswelt-Segmente und zehn Sinus-Milieus unterschieden:

Die gehobenen Milieus umfassen Etablierte (leistungsbewusst mit starker traditioneller Erdung), Postmaterielle (weltoffene Gesellschaftskritiker) und Performer (flexible und global orientierte Leistungselite).

Die traditionellen Milieus umfassen Konservative und Traditionelle (auf Sicherheit und Stabilität Wert legend).

Die neue Mitte umfasst die bürgerliche Mitte (leistungsorientiert und anpassungsbereit) und die Adaptiv-Pragma tischen.

Die vierte Lebenswelt umfasst die Hedonisten (momentbezogen und erlebnishungrig) und die konsumorientierte Basis.

Grundlegende Wertorientierungen gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen zu Arbeit, Familie, Freizeit und Konsum. Sie werden laufend weiterentwickelt und inzwischen in den meisten europäischen Ländern, Nordamerika und China angewandt. Aufgrund des unterschiedlichen kulturellen und geschichtlichen Hintergrundes werden für jedes Land spezifische Sinus-Typologien definiert. Das grundsätzliche zweidimensionale Ordnungssystem mit der Schichtachse "Soziale Lage" und der Wertachse "Grundorientierung" gilt als Grundraster und ermöglicht dadurch einen länderübergreifenden Vergleich. Bei den Sinus-Milieus handelt es sich also um einen Segmentierungsansatz, der auf psychografische Kriterien zurückgreift. Das Besondere ist die Tatsache, dass der Ansatz sowohl die Dimension der sozialen Lage als auch die der Wertorientierungen, Lebensstile und ästhetischen Präferenzen berücksichtigt.

Zielgruppenanalysen auf Basis der Sinus-Milieus werden von Markenartikel-Herstellern und Dienstleistungsunternehmen ebenso genutzt wie von Parteien und öffentlichen Auftraggebern. Auch Werbe-, Media- und PR-Agenturen arbeiten mit diesem Konzept. Die Einsatzgebiete reichen von der Positionierung von Marken und Produkten über das frühzeitige Aufspüren von gesellschaftlichen Entwicklungen und Markttrends bis hin zu Markenführung und Markenpflege.

Aufgrund des länderübergreifenden Einsatzes unterstützen Sinus-Milieus auch international tätige Unternehmen bei der Adaption ihrer Marketingstrategien auf verschiedene Länder, und sie können als relevante Mess- und Vergleichsgröße eingesetzt werden. Sinus-Milieus werden zwar grundsätzlich für jedes Land einzeln entwickelt und validiert. Als Basis-Zielgruppen für inter nationales Marketing hat das Sinus-Institut jedoch zusätzlich die Sinus-Meta-Milieus entwickelt, die im Ländervergleich kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede spiegeln.

Die Finanzdienstleistungsbranche steht vor großen Herausforderungen, da die traditionellen Milieus kontinuierlich abnehmen. Die nachfolgende Generation hat andere Wertvorstellungen, die sich in anderen Zugängen zu Finanzdienstleistungen und anderen Anforderungen niederschlagen. Aufgrund der Praxistauglichkeit und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten im nationalen und internationalen Marketingkontext kann das Sinus-Milieu-Modell für Finanzdienstleister eine wesentliche Grundlage und Unterstützung für Zielgruppenfestlegung und -bearbeitung im Zusammenhang mit der Positionierung von Marken, zielgruppengerechter Kommunikation und Mediaplanung sowie Vertriebsoptimierung darstellen.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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