Bankmanagement-Glossar

Two-sided Markets

Zweiseitige Märkte (Two-sided Markets) gab es in der Wirtschaft zwar schon immer, in der Literatur gibt es sie jedoch erst seit kurzer Zeit. Der Terminus "zweiseitige Märkte" wurde erstmals im Jahr 2003 von Jean-Charles Rochet und Jean Tirole verwendet. Der Begriff ist stark mit dem Terminus "Netzwerk" verbunden. Als solche werden allgemein Systeme bezeichnet, deren Struktur sich mathematisch als Graph modellieren lässt und die über Mechanismen zu ihrer Organisation verfügen. Der Graph besteht aus einer Menge von Objektkomponenten (Knoten), die mittels Netzkomponenten (Kanten) miteinander verbunden sind.

Netzprodukte unterscheiden sich von anderen Gütern durch steigenden Nutzen bei steigender Nutzerzahl. Würde ein Konsument ein Telefon anschaffen, wenn es nur wenige andere gibt, die auch ein Telefon haben? Würde ein Verbraucher eine Spielkonsole kaufen, wenn es nur wenige Spiele auf dem Markt gibt; würde ein Spielentwickler ein Spiel auf den Markt bringen, wenn es nur wenige Spielkonsolen gibt? Eher nein. Beim Kauf von Schokolade steigt hingegen der Nutzen nicht, wenn noch jemand diese Schokolade kauft.

Da jeder Knoten in einem Netz mit vielen anderen Knoten verbunden ist, erhöht jeder neu hinzugekommene Knoten den Wert der Netzverwendung für alle Knoten. Diese positiven Netzwerkeffekte lassen sich als direkt oder indirekt differenzieren. Bei direkten Netzeffekten entsteht die Nutzensteigerung unmittelbar durch physische Netzverbindungen zwischen zwei Teilnehmern. Sie kommen in einseitigen Märkten vor, wo sich die Netzwerkeffekte durch Aktionen einer Kundengruppe ergeben. Als exemplarisches Beispiel können Social Networks gesehen werden. Je mehr Personen bei einem Social Network sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für jeden Teilnehmer, dass dort auch seine "Freunde" aktiv sind, wodurch mit zunehmender Teilnehmerzahl die Attraktivität für alle steigt.

Indirekte Netzwerkeffekte bei Innovationen

Indirekte Effekte, wie sie in zweiseitigen Netzwerken vorkommen, bestehen, wenn die Nutzensteigerung bei zunehmender Teilnehmerzahl nicht durch unmittelbare Beziehungen zwischen den Akteuren entsteht. Dieser Effekt ist insbesondere im Hinblick auf Innovationen von Bedeutung, da deren Nutzen für einen potenziellen Teilnehmer vorerst beschränkt ist und erst mit zunehmender Verbreitung der Innovation interessanter wird. In zweiseitigen Märkten besteht ein Netzwerk zwischen zwei Kundengruppen, wobei die Interaktionen - meist "Transaktionen" - zwischen den Akteuren auf "Plattformen" stattfinden, welche diese zulassen und ermöglichen. Je mehr Besucher beispielsweise eine Messe hat, desto attraktiver ist sie für die Aussteller und je mehr Aussteller eine Messe hat, desto attraktiver ist sie für die Besucher - mit zunehmender Teilnehmerzahl aus der einen Kundengruppe steigt die Attraktivität für die andere Kundengruppe und umgekehrt.

Wesentlich bei zweiseitigen Märkten ist, dass die Inanspruchnahme der "Plattform" durch beide Kundengruppen erfolgt. Um eine "Plattform" für einen zweiseitigen Markt mit indirekten Netzwerkeffekten zu kreieren, müssen beide Kundengruppen parallel entwickelt werden - vor allem dann, wenn beide einen Preis für ihre Leistung zahlen müssen. Dabei gilt es, seitens der "Plattform" eine Lösung für den Start des Netzwerks zu finden, um das Henne-Ei-Problem zu lösen: Ohne Teilnehmer von der einen Kundengruppe wird es keine Teilnehmer von der anderen Kundengruppe geben. Das erfolgt in der Regel durch eine Sukzessivpolitik, wobei versucht wird, die beiden Kundengruppen Schritt für Schritt - die First Mover an der Spitze - hochzufahren. Zudem muss für eine langfristige Expansion des Netzwerks geschäftspolitisch ein Gleichgewicht zwischen den Beiträgen der Kundengruppen hergestellt werden, um mit beiden längerfristig eine gute Geschäftsbeziehung zu haben.

Im Bankgeschäft gibt eine Reihe von zweiseitigen Märkten, von denen der Geldautomaten- und der PoS-Markt die bedeutendsten sind. Beim Bargeldbezug an Geldautomaten erbringt die Standortbank die Dienstleistung "Bargeldauszahlung" und verrechnet sie typischerweise über eine "Plattform" mit der kartenausgebenden Bank. Die Transaktion ist zumeist eine nationale, kann aber auch eine grenzüberschreitende sein. Der indirekte Netzwerkeffekt trifft in diesem Fall voll zu: Je mehr Karten ausgegeben werden und je mehr Geldausgabeautomaten es gibt, desto mehr Bargeldbezüge werden gemacht werden. Ähnliches gilt für die Kartenzahlung am Point of Sale: Je mehr Karten von der kartenausgebenden Bank ausgegeben werden und je mehr Händler von den Acquirern für die Kartenakzeptanz angeworben werden, desto mehr Kartentransaktionen wird es am PoS geben.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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