Customer Journey

"Viele Wege führen nach Rom" - diese Aussage gilt im übertragenen Sinne auch für die Reise der Kunden zu einem Finanzdienstleister. Die Customer Journey beschreibt den Weg und die zentralen Touchpoints die von Kunden beschritten werden, um von der ersten Suche nach Information zum tatsächlichen Abschluss zu gelangen. Jeder Anbieter muss sich für jeden Kunden und jedes seiner Leistungsangebote die Frage stellen, wie die Customer Journey verläuft, welche typischen Wege beschritten werden, was etwaige Stolpersteine sind und was den Abschluss fördert. Bildhaft kann die Customer Journey als großer Trichter dargestellt werden, in den oben alle potenziellen Kunden hineinfallen und unten die tatsächliche Kunden, im besten Fall loyale Kunden herausfallen.

Fundament für das CRM

Aus Marketingsicht entscheidend ist dabei die systematische Analyse der Reise durch den Trichter und wenn möglich die Messung dessen, was im Trichter genau passiert. Die möglichst lückenlose Abbildung der Customer Journey stellt das konzeptionelle Fundament für die Ausgestaltung von CRM-Systemen dar.

In den letzten Jahren hat sich die Customer Journey stark verändert. Wurde früher zunächst ein Anbieter ausgewählt, um sich anschließend über Produkte zu informieren und einen Kauf zu tätigen, hat sich der klassische Kaufprozess dahingehend verändert, dass zunächst Produkte ausgewählt, entsprechende Informationen gesammelt und Vergleiche vorgenommen werden. Erst in der nächsten Phase sucht sich der Kunde einen geeigneten Anbieter aus und schließt den Kaufvertrag ab. Zu beachten ist, dass heute Informationen zu den Produkten im Internet in viel größerem Umfang vorhanden sind.

Phasen der Kundenreise

Entlang der Kundenreise gibt es vielfältige Berührungspunkte, an denen (potenzielle) Kunden mit einer Marke, einem Produkt, einer Dienstleistung oder einem Unternehmen in Berührung kommen. Bei der genauen Untersuchung der Customer Journey können verschiedene Phasen unterschieden werden, aus denen sich die unternehmerischen Ziele ableiten.

Das erste wichtige Ziel zu Beginn der Customer Journey liegt darin, Awareness zu schaffen, das heißt mit der eigenen Marke, den eigenen Produkten oder Dienstleistungen oder ganz allgemein dem eigenen Unternehmen sichtbar zu werden. Dabei sind verschiedene Ansatzpunkte möglich, die miteinander kombiniert werden können. Neben den klassischen Werbemedien und der Sichtbarkeit in Suchmaschinen (vor allem Google) spielt vor allem die Präsenz in sozialen Medien und sozialen Netzwerken (wie Facebook, Twitter und Google+) eine immer größer werdende Rolle.

Ist ein Unternehmen für den Kunden sichtbar und präsent, geht es in der nächsten Phase darum, in der Menge der potenziellen Kunden Interessenten für sein Angebot zu finden. Die Menge der Interessenten ist zumeist bereits deutlich kleiner als die Gesamtmenge der potenziellen Kunden. Interessenten unterscheiden sich von der übergeordneten Menge aller potenziellen Kunden dadurch, dass bei Interessenten ein Bedarf geweckt werden kann. Gelingt es, einen Bedarf zu wecken, ist eine wichtige Hürde genommen. Hat man Interessenten gefunden, ist eine weitergehende Information der Interessenten durch ansprechendes und geeignetes Informationsmaterial erforderlich. Der eigenen Webseite beziehungsweise den Vertriebsmitarbeitern kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Hat es ein Unternehmen geschafft, Interessenten zu finden und diese durch sinnvolle und hilfreiche Informationen vom eigenen Leistungsangebot zu überzeugen, kommt es im Idealfall zum erstmaligen Kauf, das heißt einer geschäftlichen Interaktion oder Transaktion.

Die Gewinnung von Erstkäufern ist ein wichtiges Erfolgserlebnis, aber die Kundenreise im Trichter ist damit noch nicht abgeschlossen. Das letzte erfolgskritische Ziel liegt in der Kundenbindung. In dieser letzten Phase geht es darum, das erste Erlebnis des Kunden in dessen Wahrnehmung so positiv wie möglich zu gestalten. Ist dies der Fall, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein erstmaliger Kunde zu einem dauerhaften Kunden eines Unternehmens wird, was viel Aufwand und Geld erspart.

Phasenbezogene Touchpoints sind "Momente der Wahrheit"

Bei den phasenbezogenen "Touchpoints" können von den (potenziellen) Kunden unterschiedliche Informationskanäle/-quellen genutzt werden, die vom persönlichen Kontakt (zum Beispiel Bankberater, Makler) über einen telefonischen Kontakt zu einem persönlichen Berater oder einer Hotline (Callcenter) bis zu Suchmaschinen im Internet wie Google, Homepages von Anbietern, Vergleichsrechnern und -portalen, allgemeinen Informationsseiten oder Erfahrungsberichte (Foren, Blogs) bis hin zum Kontakt per E-Mail, schriftlichem Kontakt, dem eigenen Umfeld (Freunde, Bekannte, Verwandte), Zeitschriften und Zeitungen oder Berichten im Radio oder TV reichen können.

Jeder dieser Berührungspunkte kann als "Moment der Wahrheit" betrachtet werden und an jedem Berührungspunkt kann es zu positiven und zu negativen Erlebnissen kommen. Solche Erlebnisse stärken oder schwächen eine Kundenbeziehung. Mitunter sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die zu besonders positiven oder negativen Kundenreaktionen führen.

Um die Ziele der Akquisition und Kundenbindung zu erreichen, müssen die möglichen Berührungspunkte der (potenziellen) Kunden mit der eigenen Marke, den eigenen Produkten oder Dienstleistungen oder dem Unternehmen systematisch erfasst, verstanden und nach den Kundenwünschen gestaltet werden.

Verschmelzung von Online- und Offline-Berührungspunkten

Erfolgskritisch ist eine durchgängige und bewusste Verschmelzung von Online- und Offline-Berührungspunkten. Eine Fokussierung auf nur eine "Welt" (also online oder offline) reicht heute in den meisten Fällen nicht mehr aus, wenn die gesamte Kundenreise begleitet und gesteuert werden soll. Die Verquickung der realen und virtuellen Welt hat längst stattgefunden und Kunden erleben Unternehmen mit allen ihren digitalen und nicht digitalen Berührungspunkten.

Die Herausforderung für Finanzdienstleister liegt in der systematischen Analyse, Begleitung und Steuerung der Customer Journey mit Unterstützung geeigneter CRM-Systeme. Jede einzelne Phasen der Reise muss optimiert und der Fokus auf die Kundenschnittstellen gelegt werden, um die Kunden-Bank-Interaktion über alle bestehenden und neuen Kanäle hinweg integral zu gestalten und die angebotenen Finanzdienstleistungen dort verfügbar zu machen, wo sie Kunden erwarten. Dabei müssen die traditionellen Kanäle, wie der persönliche Kundenberater mit den Möglichkeiten der neuen Kanäle optimal kombiniert werden, mit dem Ziel, ein ganzheitliches positives Kundenerlebnis zu erzielen.

Online-Medien stellen keine Alternative zur persönlichen Beratung dar, sind aber als wichtige Ergänzung nicht mehr aus dem Informations- und Vertriebsprozess von Bank- und Versicherungsprodukten wegzudenken und werden in Zukunft sicher noch stärker an Bedeutung gewinnen.

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien; ewald.judt[at]wu.ac[dot]at; Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien; claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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