Virtuelle Geldgeschäfte

Fintechs in der bAV - Transformation statt Disruption

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz bringt nicht nur Verbesserungen für klassische bAV-Produkte. Sondern die Einführung der reinen Beitragszusage macht auch automatisierte Anlage- und Beratungslösungen möglich. Damit kommen auch in der betrieblichen Altersvorsorge die Robo Advisors ins Geschäft. Sie haben vor allem den Vorteil, dass sie kosteneffiziente Produkte bieten können, so der Autor. Für die klassischen Anbieter ergibt sich daraus die Notwendigkeit, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und auf Kooperationen mit den Fintechs zu setzen. Red.

Wir leben in einer Zeit rasanter Veränderungen, in der viele liebgewonnene Gewissheiten infrage gestellt werden. Der Wirtschaft geht es gut, doch zugleich scheint die Zukunft so unsicher wie lange nicht mehr. Ein Blick in die Nachrichten genügt, um zu sehen, dass keine Branche und kein Lebensbereich vor dieser Dynamik gefeit ist. Und auch jeder, der sich beruflich oder privat mit Geldanlage und Vorsorge beschäftigt, weiß, dass die stete Veränderung längst zur Normalität geworden ist. Egal ob staatliche Rente, Sparprodukte oder Lebensversicherungen - ein Produkt nach dem anderen ist in den vergangenen Jahren in Schieflage geraten. In dieser Situation war die betriebliche Altersvorsorge (bAV) bislang ein Fels in der Brandung.

Über Jahre galt die bAV als beste Möglichkeit, um privat Geld für den Ruhestand zurückzulegen und die Rente aufzubessern. Aufgrund der steuerlichen Bevorzugung blieben die Produkte auch im Niedrigzinsumfeld attraktiv. Wer arbeitgeberseitig die Möglichkeit hatte, für den galt: Der Abschluss lohnt sich fast immer. Nicht zuletzt deshalb ist das Gesamtvolumen der betrieblichen Altersvorsorge seit der Jahrtausendwende stetig gestiegen.

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz als Aufforderung zum Wandel

Doch seit einigen Jahren hat die Dynamik nachgelassen. Das gilt insbesondere im Bereich der versicherungsrückgedeckten Durchführungswege in der bAV. In diesem Segment hat die bAV merklich an Attraktivität verloren. Die Gründe sind vielfältig, doch es ist klar, dass sich die Anbieter der betrieblichen Altersvorsorge Gedanken darüber machen müssen, wie sie die bAV fit für die Zukunft machen können.

Dabei haben die Anbieter das Glück, auf einen starken Verbündeten zählen zu können. Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz will die Bundesregierung die Stellung der bAV ab 2018 deutlich verbessern. Aktuell machen viele Anbieter daher auf die damit verbundenen Veränderungen aufmerksam.

Was dabei gerne übersehen wird: Das Gesetz bringt nicht nur zahlreiche Verbesserungen für klassische bAV-Produkte mit sich wie beispielsweise die Erhöhung des Förderbetrages von derzeit 4 Prozent auf künftig 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze. Es liefert auch sehr gute Argumente, sich noch einmal ganz neu mit der Dynamik der Veränderung auseinanderzusetzen, die derzeit im Bereich der Geldanlage zu beobachten ist.

Die Fintechs, die seit einigen Jahren auf den Markt drängen, machen sich zwei übergeordnete Trends zunutze.

- Einerseits bieten sie den Kunden Zugang zu effizienten, meist passiven Geldanlagelösungen, die auch im aktuellen Marktumfeld für attraktive Renditen sorgen können.

- Andererseits nutzen sie neue Formen der Kundenbeziehung, die durch die Digitalisierung möglich geworden sind. Das gilt insbesondere für das Segment der Robo Advisors. Der Anbieter Growney bietet beispielsweise individuell zugeschnittene und anpassbare ETF-Sparpläne über ein Cockpit an, das von der Anlageberatung bis zum Reporting alle Funktionen auf einer Website vereint.

Solche jungen Unternehmen stellen die traditionellen Vertriebswege auf den Kopf und werden nicht zuletzt deshalb als Bedrohung für die Anbieter klassischer Geldanlage- und Vorsorgelösungen wahrgenommen.

Doch diese Sicht ist zu einseitig. Ganz im Gegenteil können Fintechs einen entscheidenden Baustein für eine zukunftsfähige betriebliche Altersvorsorge liefern, von dem auch die etablierten Anbieter profitieren können. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz kann in diesem Sinne auch als eine Aufforderung zu diesem Wandel gelesen werden. Um zu verstehen warum, schauen wir uns die zwei entscheiden - den Neuerungen des Gesetzes genauer an.

Gesetzgeber macht kapitalmarktbasierte bAV-Lösungen attraktiver

Neben vielen Detailverbesserungen, etwa bei der steuerlichen Behandlung, bringt das Gesetz zwei wichtige Innovationen mit sich:

- Das Sozialpartnermodell, bei dem tariflich gebundene Arbeitgeber statt einer Leistungs- eine Beitragszusage abgeben können,

- und in allen Durchführungswegen den neuen Freibetrag, bis zu dem Leistungen aus der bAV nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden.

Mit diesen Neuerungen will der Gesetzgeber zwei negativen Trends entgegenwirken: Einerseits wird es auch für die bAV - insbesondere mit klassischen Versicherungsprodukten - im Niedrigzinsumfeld immer aufwendiger, einmal gegebene Leistungszusagen einzuhalten. Andererseits entscheiden sich gerade viele Geringverdiener, die im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind, gegen die bAV, weil bislang absehbar war, dass diese mit den Sozialleistungen verrechnet und Sparanstrengungen dadurch entwertet werden.

Betrachten wir zunächst die Implikationen des neuen Sozialpartnermodells. Mit dieser Regelung werden kapitalmarktorientierte Lösungen in der bAV weiter gestärkt. Denkt man vom festen Grundsatz einer Beitragszusage her, geht es bei der Altersvorsorge vor allem darum, langfristig möglichst hohe Vermögensgewinne zu erzielen und dabei in den Märkten der Zukunft, deren Entwicklung noch wenig absehbar ist, anpassungsfähig zu bleiben. Eine passende Anlagelösung muss ihren Kunden daher zugleich Flexibilität und Orientierung bieten. Robo Advisors passen genau in dieses Anforderungsprofil.

Robo Advisors holen Kunden dort ab, wo sie heute sind

Erstens ermöglichen Robo Advisors attraktive Renditen, während klassische Versicherungsprodukte durch das Niedrigzinsumfeld insgesamt in einer Krise stecken, die auch ihre Umsetzung im Rahmen der bAV nicht unberührt lässt. Andere Anlageformen - wie ein Engagement an den Kapitalmärkten - bieten bessere langfristige Renditen. Und je geringer die Renditen desto stärker schlagen die laufenden Kosten von Versicherungsprodukten zu Buche.

Zweitens bieten Robo Advisors ein hohes Maß an Transparenz und Kontrolle. Bei einer Versicherung geht der Kunde eine langfristige Bindung zu einem Anbieter ein und tritt an ihn die Kontrolle über das Sparvermögen ab, weil er ihm vertraut. Das Versprechen lautet: Der Kunde muss ein paar Jahrzehnte Beiträge zahlen und kann dann unbesorgt in den Lebensabend starten. Insbesondere die junge Generation glaubt dieses Versprechen nicht mehr, da die Produkte ihre gegebenen Zusagen zunehmend weniger einlösen, und empfindet den Kontrollverlust zudem als Entmündigung.

Viele Kunden sind aus anderen Lebensbereichen, wie dem Online-Shopping, der Auswahl des richtigen Stromanbieters oder dem Buchen von Urlaubsreisen heute ein hohes Maß an Transparenz und Kontrolle gewohnt. Dieselben Ansprüche stellen sie nun ebenfalls an Geldanlagen und werden beim Robo Advisor fündig.

Drittens bieten Robo Advisors eine neue, individuellere Form der Beratung. Automatisierte Beratungsprozesse bereiten die Komplexität der Finanzmärkte auf und geben den Kunden Orientierung, um eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Trotz eines höheren Maßes an Kontrolle lassen Robo Advisors die Kunden bei wichtigen Entscheidungen nicht alleine. Zwar nötigen sie ihren Kunden etwas mehr Eigeninitiative ab, doch immer weniger Kunden empfinden dies als Belastung - auch hier hat sich durch die Erfahrung in anderen Lebensbereichen die Erwartungshaltung verändert.

Beitragszusage ermöglicht automatisierte Lösungen

Mit der reinen Beitragszusage im Sozialpartnermodell können automatisierte Beratungs- und Anlagelösungen unter den bevorzugten regulatorischen Bedingungen der bAV angeboten werden.

Insbesondere für die junge Generation der Millennials, die heute ihre Karriere antritt und für die es jetzt an der Zeit wäre, eine bAV abzuschließen, wäre dies ein hochattraktives Angebot. Und in Zukunft wird es dies nicht nur für die Trendsetter, sondern auch für den dynamisch wachsenden Teil der "online-affinen" Bevölkerung sein.

Geringverdiener brauchen effiziente bAV-Lösungen

Die zweite wichtige Änderung im Rahmen des neuen Gesetzes macht es Geringverdienern leichter, ihre Altersvorsorge mithilfe der bAV zu verbessern. Vergegenwärtigen wir uns die Bedingungen, unter denen diese Arbeitnehmer ihre Anlageentscheidungen treffen müssen, wird klar, dass Robo Advisors eine interessante Option sind: Oft steht hier nur ein geringer monatlicher Beitrag zur Verfügung, der sich nicht selten auf die vermögenswirksamen Leistungen (VL) beschränkt.

Umso wichtiger ist für diese Arbeitnehmer ein intelligenter Anlageansatz mit geringer Kostenquote, der bereits mit kleinen Beiträgen attraktive Vermögenszugewinne ermöglicht. Können Mitarbeiter über die Entgeltumwandlung in ein Angebot wie das von Growney einzahlen, profitieren sie zusätzlich vom neuen Freibetrag und können im Alter Verbesserungen erzielen, die mit klassischen Versicherungsprodukten derzeit nicht möglich sind.

Klassische Anbieter müssen über den Tellerrand schauen

Im Lichte des neuen Gesetzes gewinnen Robo-Advisor-Angebote also auch in der bAV weiter an Attraktivität. Für die klassischen Anbieter Grund genug, über den Tellerrand zu schauen. Es geht hier um mehr als einen simplen Antagonismus zwischen Platzhirschen und Herausforderern. Robo Advisors müssen keineswegs eine Bedrohung für die klassischen Anbieter sein. Ganz im Gegenteil: Beide Seiten verfügen über etwas, was die jeweils andere Seite braucht.

Langfristig wird kein Weg daran vorbeigehen, Produkte anzubieten, die den veränderten Bedingungen an den Finanzmärkten und den sich wandelnden Erwartungen der Kunden Rechnung tragen - so wie es die Robo Advisors schon heute tun. Angesichts der aktuellen Bedingungen an den Finanzmärkten werden klassische Versicherungsmodelle auf absehbare Zeit weiter an Attraktivität verlieren. Wenn wir eines aus anderen Branchen gelernt haben, dann, dass es ein Fehler wäre, zu lange zu zögern: Wer hier den Anschluss verpasst, könnte mit seinem bAV-Angebot in absehbarer Zeit in Schwierigkeiten geraten.

Platzhirsche und Fintechs sind potenzielle Partner

Auf der anderen Seite spüren die Robo Advisors, dass das Wachstumspotenzial bei den innovativen Early Adoptern zwar groß ist - der nächste Schritt in den Massenmarkt fällt dagegen derzeit noch schwer. Das gilt insbesondere bei der bAV, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Entscheidung fürs Leben ist.

Um erfolgreich zu sein, benötigen Anbieter Vertriebsmacht und Vertrauenskapital durch etablierte Beziehungen zu den Unternehmen. Ferner ist eine genaue Kenntnis des regulatorischen Umfelds erforderlich, um ihre Anlageansätze in den passenden rechtlichen Rahmen zu kleiden. Und nicht zuletzt bedeutet es einen erheblichen personellen und finanziellen Ressourcenaufwand, die Produkte in der nötigen Breite zu vermarkten. All das sind Ressourcen, die ein Fintech nicht ohne Weiteres bieten kann. Robo Advisors haben das längst erkannt und suchen derzeit nach Partnern, die ihnen helfen, ihre Produkte in die Breite zu bringen. Eine Kooperation bedeutet dabei keineswegs, dass die großen Partner Kernkompetenzen wie ihre Beratungsphilosophie oder ihre Marke an die Robo Advisors abgeben müssen. Viele Fintechs sind äußerst pragmatisch und sehr zufrieden damit, als Anbieter von Technologien, Plattformen und digitalisierten Beratungsprozessen aufzutreten.

Es wird also Zeit, dass auch die klassischen Anbieter erkennen, dass sie in Bezug auf das Fintech-Segment mehr zu gewinnen als zu verlieren haben. Es kommt weniger darauf an, sich gegen die digitale Disruption zu verteidigen, als jetzt strategische Allianzen für eine Transformation einzugehen, von denen sowohl Anbieter, vor allem aber, die Kunden profitieren. Die Entwicklung ist eine Chance, das eigene bAV-Modell attraktiver zu machen. Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz hat der Gesetzgeber den Anbietern eine goldene Brücke gebaut. Sie sollten das Gesetz daher zum Anlass nehmen, sich für die neuen Ansätze zu öffnen - und damit als Vorreiter die bAV insgesamt für die Zukunft zu gestalten.

Zum Autor Christian Bosse, Geschäftsführer, gerichtlich zugelassener Rentenberater, hr consulting, Reimlingen
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