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Kundendatenanalyse mit Überraschungen und Potenzial

Manfred Rheiner, Mitglied des Vorstands, Sparkasse Starkenburg

Die Sparkasse Starkenburg hat durch eine detaillierte Analyse ihrer Kundendaten Überraschendes herausgefunden. Rund jeder zweite Euro, den ihre Kunden für Finanzdienstleistungen ausgeben, fließt an Anbieter außerhalb der S-Finanzgruppe. Bei knapp 43 Prozent der Kunden ist bei gezielter Ansprache theoretisch ein Vertriebserfolg möglich. Dass dies keine bloße Theorie ist, zeigen erste Vertriebsaktionen, die auf den neuen Erkenntnissen aufgesetzt wurden. So konnte beispielsweise der Absatz von Konsumentenkrediten erheblich verbessert werden. Red.

Wie zahlreiche andere regionale Finanzinstitute auch hat die Sparkasse Starkenburg über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg Geschäftsentscheidungen aufgrund von Erfahrungswerten ihrer Kundenberater und durchaus auch auf das Bauchgefühl basierend getroffen. Schlecht stand sie damit nicht da. Mit stillen Reserven, die doppelt so hoch sind wie der Durchschnittswert der hessischen Sparkassen, nimmt sie eine Poleposition ein - und setzt bei der Cost Income Ratio eine Benchmark von 51,1 Prozent. Für jeden Euro Gewinn investiert das Institut nur gut 51 Cent. Die vorgegebene Zielgröße des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) für das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag liegt bei 70 Prozent.

Dennoch müsste das noch besser gehen, so die Überzeugung. Denn das Haus verfügte zwar über quantitativ und qualitativ hochwertige und damit wertvolle Daten, nutzte diese aber nicht im Sinne eines Wettbewerbsvorteils. Damit blieben Chancen ungenutzt. Nur eine tiefe Analyse konnte die richtigen Argumente für unternehmerische Entscheidungen wie beispielsweise zur Optimierung des Filialnetzes, zur Kundensegmentierung und effizienteren Kundenansprache sowie zu den damit verbundenen Umsatz- und Kapazitätsfragen liefern. Von einer derartigen Analyse abgehalten hatte die Sparkasse jahrelang die Tatsache, dass dafür bis dato ein enormer Zusatzaufwand sowie Personal und Zeit erforderlich gewesen wäre. Daten zu sammeln ist einfach, daraus sinnvolle Ergebnisse abzuleiten hingegen eine Herausforderung.

Mit der eigens entwickelten Analysesoftware iQ;Analyze von Diebold hat die Sparkasse im Jahr 2016 erstmals eine detaillierte Analyse ihrer Kundendaten mit dem Fokus auf Vertriebspotenziale durchgeführt. Dafür musste das Institut keine Extrazeit in das Sammeln von Daten investieren: 150 000 Datensätze von Kunden waren vorhanden und bildeten die Grundlage der Auswertung. Innerhalb von Sekunden wurde der komplette Datenbestand in das Analysetool eingelesen und bereits während des Gesprächs mit Diebold Nixdorf wurden Analysen und Simulationen "gefahren". Die Daten wurden nicht nur analysiert, sondern gleichzeitig auch fachlich bewertet. So wurde binnen Minuten klar, wo Ansatzpunkte für Verbesserungen liegen.

Suche nach der richtigen Marktbearbeitungsstrategie

Zu Beginn des Verfahrens stellte sich die Sparkasse viele Fragen: Was passiert eigentlich in welcher Filiale? Wer besucht die Filialen? Zu welchen Anlässen kommt der Kunde zu seinem Berater? Wer besucht den SB-Bereich? Welcher Kunde beschäftigt bloß die Mitarbeiter, verursacht also Kosten? Und welcher bringt der Sparkasse tatsächlich Gewinn? Wer hat sein Depot bei der Sparkasse? Wer macht andernorts Depotumsätze und zieht dafür Geld vom Sparkassenkonto ab? Die Zielstellung war also, Potenziale und Ansätze zu identifizieren, anhand derer eine belastbare und nachhaltige Ertragsprognose erstellt werden kann.

Der Kundenbestand wurde daraufhin zunächst einmal nach der zielführenden Marktbearbeitungsstrategie untersucht. So sollte die effizienteste Vorgehensweise herausgefunden werden, um die Kundenbedürfnisse durch geeignete Prozesse zu unterstützen.

Mit nur wenigen Klicks identifizierte die Analysesoftware Kunden mit Potenzial. Wer jeden Monat nur knapp finanziell über die Runden kommt, der kann keine Anlage-, Vorsorge- oder Versicherungsprodukte kaufen. Aber dass bei rund 43 Prozent der Kunden mit gezielten Kundengesprächen theoretisch Vertriebserfolge erzielt werden können, war doch eine überraschend hohe Anzahl.

Jeder zweite Euro floss aus dem Verbund ab

Doch bei dem reinen Vertriebspotenzial blieb die Analyse nicht stecken. Mit dem Analysetool konnte das Potenzial in einzelnen Themenfeldern ermittelt werden. Hier ging es beispielsweise um

- die Rückgewinnung der Hauptbankverbindung,

- das Upgrade all derjenigen Kunden, welche nur ein oder zwei Produkte bei gutem bis sehr gutem Einkommen haben,

- oder die Rückeroberung von verlorenen Marktanteilen.

Denn dank der bis auf den einzelnen Datensatz hinuntergehenden Auswertung stand nun schwarz auf weiß fest: Jeder zweite Euro (55 Prozent), den die Kunden der Sparkasse Starkenburg für Finanzdienstleistungen ausgegeben haben, blieb nicht im Sparkassen-Verbund. Stattdessen floss das Geld ab für Produkte fremder Banken, Versicherungen oder anderer Marktteilnehmer.

Zusätzlich zur Identifizierung adäquater Produkte und Themen zur Adressierung in dieser Kundengruppe, wurde die Erfolgswahrscheinlichkeit unter Beachtung der Vertriebsressourcen in einen möglichen Ertragswert übersetzt. Im Sommer 2016 erfolgte die Pilotierung in einem Teilmarkt der Bank - mit überzeugendem Ergebnis: Ab 2017 werden nun flächendeckend die konkreten Vertriebsaktivitäten umgesetzt.

45 Prozent mehr Konsumentenkredite

In einer ersten Vertriebsaktion bei Privatkunden wurden im Januar 2017 rund 2 700 Potenzialkunden zum Thema Konsumentenkredite angeschrieben. Wie die Analyseergebnisse prognostizierten, ließ der Vertriebserfolg nicht lange auf sich warten: Bereits Ende Januar konnte das Absatzvolumen von Konsumentenkrediten um 500 000 Euro gesteigert werden - 45 Prozent mehr als im Vorjahr.

Im gewerblichen Bereich wurden die Analyseergebnisse zunächst in zwei Vertriebsaktionen übersetzt: Auf Basis der Produktnutzung wurde bei mehr als 300 Gewerbekunden Potenzial im Versicherungsbereich erkannt. Diese werden nun im Laufe des Jahres über mehrere Wellen sukzessive auf Versicherungsprodukte angesprochen. Angesprochen werden seit Februar zudem etwa 400 Firmenkunden, bei denen die Analyse aufgezeigt hat, dass Bedarf an Wertpapieranlagen besteht oder bestehen könnte.

Neben dieser klaren Wachstumsstrategie galt es, ebenso ausführlich die Kundengruppe zu untersuchen, welche in der Regel nicht so sehr im Fokus bisheriger Analysen standen. Dazu zählen beispielsweise Kunden ohne Girokonto, was bei der Sparkasse Starkenburg immerhin knapp jeder dritte Kunde (30 Prozent) war. Auch umsatzschwache Kunden, die beispielsweise Sparprodukte mit geringen Umsätzen (weitere 12,5 Prozent) nutzen, wurden ausgefiltert.

Wird bei diesen beiden Kundengruppen der Jugendmarkt extrahiert, dann bleibt immerhin eine Kundengruppe von 34 Prozent übrig. Für dieses gute Drittel aller Sparkassen-Kunden gilt es nun, Prozesse zu verschlanken und zu automatisieren.

Ob dazu kurzfristig das digitale Angebot die Lösung sein kann, ist fraglich, denn gemessen an allen produktnutzenden Kunden beziffert sich der Anteil der Online-Banking-Nutzer nur auf ein Fünftel. Gerade hier liegen jedoch die Herausforderungen - Kunden auf effiziente Weise und egal in welchem Kanal zurück zu gewinnen.

Auch die Mitarbeiter profitieren von den Analyseergebnissen: Für den Berater ist es sehr motivierend, denn durch die Vorselektion steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit seiner vertrieblichen Aktivitäten. Zudem wird die traditionelle Kundensegmentierung nach "Alter-Einkommen-Vermögen" aufgelöst und in eine Potenzial-Ertrags-Segmentierung überführt. Gezielt können Potenzialkunden zu Ertragskunden entwickelt werden - auch das schafft Erfolgserlebnisse für den Berater.

Produktivität durch Automatisierung erhöhen

Gezielt kann die Sparkasse Starkenburg nun bei all denjenigen Kunden verstärkt auf Automation setzen, bei denen aktuell kein Potenzial identifiziert wurde. Denn Automation erhöht die Produktivität. Um dies zielgerichtet zu erreichen, wird das bestehende Filialnetz mit Blick auf die Potenzialanalyse überprüft. Unrentable, traditionelle Standorte stehen auf dem Prüfstand und schließen oder werden von einer Mitarbeiter-Filiale in eine SB-Filiale umgewandelt. So sinken die Stückkosten des manuellen Services. Dafür werden an Standorten mit mehr Vertriebspotenzial mehr oder andere Mitarbeiter eingesetzt.

Eine Neuaufstellung der Filialstandorte muss nicht zwangsläufig mit einer Reduzierung ihrer Anzahl einhergehen. Zudem wird die Ausstattung und Gestaltung der Filialen den neuen Bedürfnissen und Erkenntnissen angepasst. Denn: Die eine, für alle Standorte passende, Filiale gibt es nicht.

Datenanalyse mit Prognosen

Eine neue Technologie ermöglicht all diese Erkenntnisse, die sogenannte In-Memory-Technik. Sie nutzt den Arbeitsspeicher eines Computers als Datenspeicher. Dies garantiert um ein Vielfaches schnellere Berechnungen, weil nicht mehr auf die im Vergleich langsamen Festplattenlaufwerke zugegriffen wird. Auf dieser Basis hat Diebold Nixdorf das Analysetool "iQ;Analyze" entwickelt. Es ist Teil der iQ;BankingSuite und verfügt damit über Schnittstellen zu weiteren prozessual notwendigen Softwaremodulen und dem Kernbanksystem. Innerhalb wird rund eine Million und mehr Kundendaten ausgewertet.

Der Clou dieser Analyseleistung ist, dass sie nicht nur detaillierte Bestandsaufnahmen, sondern auch Prognosen ermöglicht. Bisher dauerte es oft monatelang, bis ausreichend Daten und damit Argumente für unternehmerische Entscheidungen zusammengetragen waren. Im Wesentlichen verließen sich Bankmanager da auf Erfahrungswerte, denn sie wollten oder konnten nicht so lange warten. Kaum jemand spielte mit den echten Kundendaten seines Instituts alle Varianten durch, die geschehen können, wenn ... denn nach der ersten Simulation dauerte es wieder lange Zeit, bis die Ergebnisse einer Alternativsimulation vorlagen. Mit der neuen Technik können innerhalb von kürzester Zeit Antworten gefunden und auf ihnen basierende Varianten-Analysen gefahren werden - und schon während des Beratungsgesprächs sind die Ergebnisse verfügbar, auf denen direkt weitere Analysen und Simulationen aufgesetzt werden.

Oftmals treten dabei ungeahnte Wechselwirkungen zutage, beispielsweise im Falle einer Standortschließung: Was passiert, wenn Filiale X geschlossen wird? Wie viele Kunden gehen dann zu Filiale Y? Wie viele und welche werden nur noch Online-Banking betreiben und künftig keine enge Beraterbeziehung mehr haben? Wie viele Kunden brechen die Geschäftsbeziehungen ab? Werden weniger Produkte gekauft? Und wenn ja, welche Produktsegmente leiden am meisten?

Neben diesen Gedankenspielen rund um Standortentscheidungen kann die Vertriebseffizienz ebenso untersucht werden wie die Verbesserung der Relation von Kosten und Erlösen und vieles mehr. Das Analysetool simuliert das künftige Verhalten der Kunden und findet heraus, wie sich eine Entscheidung auf die Ertragslage der Bank auswirken wird. Sequenzielle Frage-Antwort-Prozesse könnten dies nicht beantworten. Für eine valide Prognose müssten die enormen Abhängigkeiten und unbewussten Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren berücksichtigt werden.

Basis all dieser Analysen, Simulationen und datenbasierten Gedankenspiele ist eine valide Datenbasis. Und genau damit hapert es in der Praxis oft, wie auch die Sparkasse Starkenburg fest stellen musste.

Konsequenter alle Kontakte in die Datenbank eintragen

Es hatten sich im Laufe der Zeit Gewohnheiten bei der Pflege der Datenbank eingeschlichen. Kundenberater pflegten beispielsweise jahrelang nicht alle Kontakte mit Kunden ein, sondern nur diejenigen Kontaktaufnahmen, die zu einem Vertriebserfolg führten. Gespräche ergaben, dass Filialmitarbeiter dazu tendierten, immer wieder die gleichen Kunden anzusprechen, bei denen sie bereits Vertriebserfolge erzielt hatten.

Doch aufgrund fehlender Datengrundlage ließ sich nur mutmaßen, wie viele Kunden gar nicht angesprochen worden waren. Seit dem Einsatz des neuen Analysetool werden noch konsequenter wirklich alle Kundenkontakte in die Datenbank eingepflegt - egal ob erfolgreich oder nicht.

Gleichzeitiger Fokus auf Kostensenkung und Vertriebseffizienz

Aus all diesen Aspekten lässt sich vor allem eines ableiten: Eine systematische Ertragsanalyse ist eine Basis-Voraussetzung, um realistische Optimierungsziele trotz Niedrigzinsphase und Regulatorik zu entwickeln. Die damit häufig verbundene fast automatische Exkulpation für eine vertriebliche Nullnummer kann aufgehoben werden. Denn die Analyse arbeitet die Potenziale der einzelnen Kundensegmente für die wesentlichen Produktgruppen heraus. So können die dispositiven Ressourcen bei IT und Personal an die Stellen des Marktes gelenkt werden, an denen tatsächlich noch Geld verdient wird.

Durch ihren gleichzeitigen Fokus auf Kostensenkung und Vertriebseffizienz wird die Sparkasse Starkenburg künftig ihre Gewinnziele erreichen und die Poleposition in Hessen behalten.

Zu den Autoren Manfred Rheiner, Mitglied des Vorstands, Sparkasse Starkenburg, Heppenheim, Thomas Liebke, Principal Business Consultant, Diebold Nixdorf International GmbH, Berlin
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