Digitalisierung

Schalterromantik zum digitalen Bankberater

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Im digitalen Zeitalter ist die Filiale nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt der Kundenbeziehung, sondern nur ein Vertriebskanal im Vertriebswegemix, stellt Peter Hanker nüchtern fest. Auch weiterhin ist es für die Volksbank Mittelhessen zwar wichtig, im gesamten Geschäftsgebiet mit Filialen präsent zu bleiben. Im Fokus steht aber die Vernetzung aller Vertriebskanäle, damit der Kunde ein echtes Multi-Kanal-Erlebnis haben kann. Nähe macht die Bank unter anderem mit ihrer "Tournee" von 40 Mitgliederversammlungen im Jahr erlebbar. Red.

Erinnern Sie sich noch an diese besondere Atmosphäre der Schalterhalle? Geschäftiges Treiben zwischen dunklen Holztresen, dutzende Kunden, die in Schlangen anstehen, flinke Kassiererhände zählen Banknoten und Münzen, "Schalterbeamte" nehmen Überweisungen und Schecks entgegen und über allem liegt dieser etwas muffige Geruch nach alten Akten und Dokumenten vermischt mit etwas Tabakrauch.

Noch vor zwanzig Jahren war dies tägliche Realität in mehr als 70 000 Bankfilialen in Deutschland. Heute gibt es gerade mal noch die Hälfte. Und was die Geschäftigkeit angeht, so ist wohl kaum eine Filiale so frequentiert, wie sie es noch in den achtziger oder neunziger Jahren war. Ob Überweisung oder Kreditwunsch, Dreh- und Angelpunkt der Kundenbeziehung war damals ausschließlich die physische Präsenz der Bank vor Ort. Alternative Vertriebswege steckten in den Kinderschuhen.

Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Ganz leise, aber stetig haben sich Verhalten und Bedürfnisse der Kunden im Laufe der Jahre verändert. Die Banken allerdings hinken säulenübergreifend diesen Entwicklungen hinterher. Wie lange ignorierten auch im genossenschaftlichen Sektor Vorstände und Marktverantwortliche den Eintritt neuer Wettbewerber und vor allem die wachsende Bedeutung digitaler Technologien. Die Quittung in Form sinkender Kundenloyalität ließ nicht lange auf sich warten.

Kreditwirtschaft steht am Scheideweg

Online-basierte Dienstleistungen sind für die meisten Kunden jeden Tag gelebte Normalität. Der Trend zur Digitalisierung macht vor keiner Branche halt, auch nicht vor der Kreditbranche. Heute stehen wir erneut vor einem Scheideweg. Denn die etablierten Anbieter von Finanzdienstleistungen sehen sich existenziellen Herausforderungen gegenüber.

- Immer umfangreichere regulatorische Anforderungen lähmen die Innovationsfreude und das extreme Zinsniveau setzt die Margen zunehmend unter Druck.

- Gleichzeitig sehen sich Banken, Volksbanken und Sparkassen mit immer mehr spezialisierten und erfolgreichen Wettbewerbern konfrontiert, die an der klassischen Regulierung vorbei mit webbasierten Lösungen für Kredit, Geldanlage oder Zahlungsverkehr den etablierten Anbietern die Butter vom Brot nehmen.

- Die technische Entwicklung scheint immer schneller voranzuschreiten, während einige Banken noch in der Welt von 1995 verhaftet und (wenn überhaupt) mit Web 1.0 beschäftigt sind.

Frustration macht sich breit

Vielleicht sind diese zahlreichen Großbaustellen auch der Grund, weshalb sich bei einigen führenden Bankmanagern in Deutschland eine gewisse Frustration breit zu machen scheint. So ist in der Presse täglich von weiteren Einschnitten im Privatkundengeschäft, insbesondere der Großbanken zu lesen.

Selbst die Bundesbank äußerte sich jüngst verständnisvoll angesichts radikaler Filialschließungsabsichten. So wies Vorstandsmitglied Andreas Dombret deutlich auf die bestehenden Überkapazitäten am deutschen Bankenmarkt hin. Dieser sei weiterhin dicht besetzt und biete fraglos Raum für weitere Konsolidierung, auch wenn die Zahl der Bankfilialen schon seit einiger Zeit rückläufig sei. Die deutschen Banken und Sparkassen sollen nach Ansicht des Bundesbankers ihre im europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Profitabilität steigern.

Im Raum steht die düstere Vision des Commerzbank-Chefs Blessing, der davon ausgeht, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Drittel der noch übrigen 35 000 Bankfilialen geschlossen wird. Ins gleiche Horn blasen Manager der Deutschen Bank, die bis Ende 2017 200 ihrer 750 Standorte abbauen wird. Die Hypovereinsbank reduziert ihr Netz von 575 auf 341 Filialen.

Regionalbanken und Großbanken nicht in der gleichen Liga

Unbestritten die Aussage von Herrn Dombret, dass die deutschen Banken angesichts der marktseitigen Herausforderungen an ihrer Profitabilität arbeiten müssen. Doch stellt sich die Frage, ob denn Großbanken, Sparkassen und Volksbanken in Sachen Profitabilität überhaupt in der gleichen Liga spielen müssen beziehungsweise können.

Diese Frage ist aus Sicht eines Genossenschaftsbankers nur mit nein zu beantworten. Zwar zieht der Regulierer die Daumenschrauben bei Banken jedweder Couleur an, doch bereits beim Thema Zinsen und Provision sind die Rahmenbedingungen nicht mehr vergleichbar. Und auch auf der Kostenseite sind Großbanken relativ frei und, wie gerade zu erleben, teils radikal in ihren Entscheidungen. Für eine regionale Volksbank ein nicht vorstellbares und auch kaum wünschenswertes Szenario.

Genossenschaftliche Ideale als Instrument zur Kundenbindung

Welche Möglichkeiten hat also eine genossenschaftliche Bank wie die Volksbank Mittelhessen, die von Herrn Dombret erwartete Profitabilität zu erreichen? An dieser Stelle offenbart sich ein entscheidender Unterschied zwischen dem strategischen Ansatz der Großbanken und dem der Volksbank. Denn im Zentrum all unserer Überlegungen stehen nicht etwa Aktienkurs und Shareholder Value, sondern alleine gesunde betriebswirtschaftliche Profitabilität und die Bedürfnisse des Mitgliedes und Kunden. Einem Renditediktat, von welcher Seite auch immer, wird eine klare Absage erteilt.

Bei genossenschaftlichen Kreditinstituten ist das Mitglied gleichzeitig Kunde und Miteigentümer der Bank. Das ist eine einzigartige Konstellation in der deutschen Bankenlandschaft, die gerade in Krisenzeiten unübersehbare Vorteile hat - und zwar für alle Beteiligten. Die Rechtsform der Genossenschaft ermöglicht dem Einzelnen auf der Grundlage ihrer Ideen der Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung die aktive Mitwirkung an einem gemeinsamen Unternehmen. Mit diesem Pfund müssen Volks- und Raiffeisenbanken noch stärker wuchern.

Attraktivität der Mitgliedschaft erschöpft sich nicht nur in der Dividende

Daher ist die Kommunikation und weitere Verankerung des genossenschaftlichen Leitbildes bei den Kunden der Region erklärtes Ziel. Ein treues Mitglied ist in der Regel auch ein treuer und guter Kunde. Kaufentscheidungen basieren beim Mitglied oft nicht auf dem letzten Viertelprozent, sondern auf der Überzeugung, bei der "eigenen Bank" am besten aufgehoben zu sein. Die Volksbank Mittelhessen hat sich zu einer der mitgliederstärksten Volksbanken in ganz Deutschland entwickelt. Dabei profitiert sie von einer gewissen Rückbesinnung der Menschen auf im besten Sinne konservative Werte, die im genossenschaftlichen Denkmodell fest verankert sind. Diese Ideale sind mit Leben zu füllen, um eine große Zahl von Mitgliedern dauerhaft für ihre Genossenschaft zu begeistern.

Dabei sind es gerade die Aspekte der Transparenz und der Integration in Entscheidungsprozesse, die die Mitgliedschaft so einzigartig machen. Die Volksbank Mittelhessen startet mit einer regelrechten Tournee in jedes neue Jahr:

- Im gesamten Geschäftsgebiet, das sich rund um die vier mittelhessischen Kreisstädte mit Filialen in 54 Kommunen in insgesamt acht Landkreisen erstreckt, werden vierzig Mitglieder- und eine Vertreterversammlung veranstaltet.

- Damit erreicht die Volksbank regelmäßig 20 000 ihrer Mitglieder. In Gießen, Wetzlar, Marburg und Friedberg sind es jedes Jahr mehrere Tausend Mitglieder, die zu den Versammlungen strömen.

Die Attraktivität der Mitgliedschaft erschöpft sich nicht in der Dividende! Auch wenn diese natürlich lukrativ sein kann. So zahlt die Volksbank Mittelhessen seit Jahren 7 Prozent auf die eingezahlten Anteile. Die Entscheidung für die Mitgliedschaft ist noch vielmehr ein persönliches Bekenntnis zu einer starken regionalen Gemeinschaft und deren genossenschaftlichen Leitideen. Gelebte Solidarität, Selbsthilfe und Selbstverwaltung - dies sind Werte, die an Aktualität in keiner Weise eingebüßt haben.

Gerade in Zeiten der Unsicherheit erleben diese grundsoliden Fundamente sinnvollen Wirtschaftens ihr fulminantes Comeback. Hier gilt es anzusetzen, um diese Werte glaubhaft und authentisch einer noch größeren Zahl von Kunden zu vermitteln. Volks- und Raiffeisenbanken haben eine realistische Chance, ihre Mitglieder und damit Kundenzahl massiv zu erhöhen, wenn es gelingt, noch mehr Menschen für die genossenschaftlichen Ideale zu begeistern. Gleichzeitig haben Genossenschaftsbanken die einzigartige Gelegenheit, überzeugte Mitglieder zu besonders loyalen Kunden zu machen.

Im gesamten Geschäftsgebiet mit Filialen sichtbar bleiben

Ein mindestens ebenso wichtiges, strategisches Betätigungsfeld ist die kundenzentrierte, optimale Organisation der Absatzkanäle. Aber auch hier gilt genauso der Grundsatz: Das Mitglied beziehungsweise der Kunde steht mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Kurzfristiges Renditetuning durch rigides Kostenmanagement überlassen wir aktienkursgetriebenen Finanzkonzernen.

Viele Kunden legen, gerade im sensiblen Geschäft mit dem Geld, sehr hohen Wert auf den direkten, persönlichen Kontakt. Für eine regional tätige Volksbank heißt das, den Spagat zwischen innovativer Onlinebeziehungsweise Multi-Kanal-Strategie und lokaler Präsenz schaffen zu müssen. Eines ist sicher: Die genossenschaftliche Filiale vor Ort ist nicht tot! Auch wenn dies manch ein Vertreter der übrigen Finanzbranche immer wieder kolportiert. Die Realität ist eine andere. Wie sonst sind die verständlicherweise hochemotionalen Reaktionen der Menschen zu interpretieren, wenn eine nicht ausreichend frequentierte Filiale aus betriebswirtschaftlichen Gründen doch aufgegeben werden muss.

Die persönliche Nähe, vor Ort für die Menschen da zu sein, sich der Region verbunden zu fühlen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen - diese Grundsätze sind im Selbstverständnis der Genossenschaftsbanken und in der Wahrnehmung der Kunden zu Recht tief ver wurzelt. Auch in Zeiten steigenden Wettbewerbs, sinkender Erträgen und zunehmender Digitalisierung muss dem Rechnung getragen werden.

Hierzu gehört es auch, im gesamten Geschäftsgebiet mit Filialen sichtbar zu sein und von Kunden als elementarer Bestandteil der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens wahrgenommen zu werden. In jeder Kommune ist die Volksbank Mittelhessen mit einer Filiale vor Ort. Ausstattung und Personal sind auf die lokalen Bedürfnisse und die konkrete Nachfrage abgestimmt. Spezialisten für Baufinanzierung und Vermögensmanagement stehen insbesondere in Filialen der größeren Ortschaften zur Verfügung, an kleineren Standorten dominieren vor allem Service- und anlagegeschäftsorientierte Filialen.

Filiale ist nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt

An einer konsequenten Multi-Kanal-Strategie führt natürlich kein Weg vorbei. Dabei ist die Filiale weiter ein wesentlicher Bestandteil. Doch sie ist nicht mehr der zentrale Dreh- und Angelpunkt der gesamten Kunde-Bank-Beziehung, sondern ein Vertriebsweg im orchestrierten Einsatz aller Kanäle.

Das Prinzip und die Vorteile der persönlichen Nähe in eine moderne Multi-Kanal-Strategie zu übertragen, ist dabei die Königsdisziplin. Eine sukzessive, aber sensible Weiterentwicklung der Volksbank hin zur echten kundenzentrierten Multi-Kanal-Bank ist die bessere, weil langfristig aussichtsreichere strategische Option.

Mit einer Bilanzsumme von 6,7 Milliarden Euro gehört die Volksbank Mittelhessen zu den größten Kreditgenossenschaften in ganz Deutschland. Getragen wird die Bank von 190 185 Mitgliedern. 1 400 Mitarbeiter betreuen in 95 Filialen 338 016 Kunden. Darüber hinaus stehen den Kunden im Geschäftsgebiet 51 Selbstbedienungsstandorte sowie 185 Geldautomaten zur Verfügung. Die Präsenz in der Fläche wird auch künftig wichtiger Teil der Kundenbeziehungen sein. Denn es bleibt festzuhalten, dass die Mehrheit der Kunden nach wie vor qualifizierte Beratung wünscht. Diese Beratung kann, muss aber nicht persönlich in der Filiale erfolgen, sondern wird über unterschiedliche Kanäle eingefordert!

Vernetzung aller Kanäle ist eine Mammutaufgabe

Daher hat sich die Volksbank Mittelhessen vor etwa drei Jahren dazu entschieden, die Vertriebsstrategie der Bank konsequent in Richtung Multi-Kanal weiterzuentwickeln. Kunden und Mitglieder sollen jeden Kanal ihrer Wahl nutzen können, in jedem Kanal erkannt werden, um Zugriff auf sämtliche wesentlichen Informationen zu erhalten, dabei über immer mehr Services und Produkte in der gesamten Breite der Vertriebswege verfügen können.

Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, entsteht für den Kunden ein echtes Multi-Kanal-Erlebnis. Der Kunde verschwendet bei der Wahl seines präferierten Kanals keinen Gedanken an denselben und dessen Möglichkeiten. Er wählt nicht bewusst, sondern trifft die Entscheidung aus dem Bauch heraus und aufgrund der in seiner individuellen Situation zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.

Die Volksbank Mittelhessen treibt derzeit den kulturellen und technischen Wandel im Zuge dieser neuen Ausrichtung weiter voran. Gerade die perfekte Vernetzung aller Kanäle ist eine Mammutaufgabe, die alle Bereiche der Bank tangiert. Doch genau hier liegt der Schlüssel nicht nur zur besseren Befriedigung der Kundenbedürfnisse, sondern genauso zum kostenoptimalen Einsatz der eigenen Vertriebskanäle. Gleichzeitig steigt die Zufriedenheit und Loyalität der Kunden.

So sind wir optimistisch, dass die Volksbank Mittelhessen bestens für die kommenden Herausforderungen gerüstet ist und ihre Marktposition dauerhaft behaupten kann.

Zum Autor Dr. Peter Hanker, Sprecher des Vorstands, Volksbank Mittelhessen eG, Gießen
Peter Hanker , Sprecher des Vorstands, Volksbank Mittelhessen eG, Gießen
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