Big Data und Datensicherheit

"Bei Big Data müssen wir unsere Rolle noch suchen" Interview mit Heiko Frohnwieser

Heiko Frohnwieser, Vorstand, Raiffeisenbank Oldenburg eG, Oldenburg

Schon immer haben Banken beträchtliche Datenbestände über ihre Kunden. Dass diese im Rahmen des Customer Relationship Management bis heute nicht optimal genutzt werden, liegt nicht zuletzt an fehlenden Ressourcen, so Heiko Frohnwieser. Bei Big Data stellt sich Banken insofern nicht nur das Datenschutz- und Akzeptanzproblem, sondern es droht auch die Gefahr einer Überfrachtung mit Daten. Dem Thema verschließen darf sich die Branche dennoch nicht. Sonst öffnet sie damit ein Einfallstor für neue Wettbewerber. Red.

Was bedeutet Big Data aus Sicht einer Primärbank?

Banken sind schon immer Institutionen, die eine Menge über ihre Kunden wissen. Allein aus den Daten im Zahlungsverkehr lässt sich eine Menge herauslesen. Für die Branche war es immer schon ein Thema, wie sich der vorhandene Datenschatz vertrieblich nutzen lässt.

Insofern haben wir schon sehr lange Big Data-Datenbestände, wenn auch nicht in der heutigen Definition unter Hinzunahme unstrukturierter Daten. Im klassischen Bankgeschäft wurden Auswertungen jedoch immer nur in eng gestecktem Rahmen vorgenommen, und es gab keine Vernetzung zu anderen digitalen Daten. Big Data wäre für Genossenschaftsbanken die schnelle Auswertung großer Datenmengen und die Anreicherung der vorhandenen Daten um Daten aus anderen Quellen, sei es von unseren Verbundpartnern oder auch freie Daten, die im Netz generierbar sind.

Big Data wäre somit eine Erweiterung des klassischen Customer Relationship Management?

Ja. Schon bislang haben wir über unser Customer Relationship Management aus dem Datenbestand aus unseren Zahlungsverkehrsdaten, den anderen Geschäftsdaten und den Gesprächen mit Kunden schon eine ganze Menge über diese erfahren. Auch Projekte des BVR wie "Kundenfokus 2015", zielen darauf ab, über Ziele-Wünsche-Gespräche und ganzheitliche Beratung auch außerhalb von Big-Data-Auswertungen mehr vom Kunden zu erfahren.

Heute stellt sich die Frage, ob wir diesen Datenbestand mit Verfahren, wie man sie aus der Internetwelt kennt, noch weiter anreichern wollen, wie viel Geld wir dafür investieren wollen und wie viel zusätzlichen Nutzen wir davon hätten.

Wie grenzt man CRM von Big Data ab?

Der Big-Data-Ansatz geht über das hinaus, was heute schon praktiziert wird, und zwar deswegen, weil er noch stringenter Technologien einsetzt, um große Datenmengen zu analysieren und vor allem Informationen einbezieht, die nicht aus den Banksystemen kommen. Dazu zählen beispielsweise Informationen aus dem E-Mail-Verkehr oder auch Dinge, die der Kunde in sozialen Medien äußert. Vielleicht lassen sich auch Daten unserer Partnerunternehmen aus der genossenschaftlichen Finanzgruppe verwenden, die Banken heute gar nicht einsehen dürfen.

Ein Digitales Haushaltsbuch oder eine App zur Geldautomatensuche wäre demnach trotz der verwendeten Zahlungsverkehrsdaten und Standortinformationen noch kein Big Data?

In meinem Verständnis von Big Data nicht. Wenn die Bank jedoch auf die für den persönlichen Finanzmanager elektronisch aufbereiteten Daten, die der Kunde möglicherweise noch mit Zusatzinformationen anreichert, zugreifen könnte, um sich ein umfassenderes Bild über ihn zu machen, dann wird er zu Big Data.

Um Big Data handelt es sich jedoch vor allem dann, wenn wir aus anderen Informationsquellen wie öffentlich zugänglichen Einträgen in sozialen Netzwerken Informationen gewinnen, um daraus Vertriebs- oder Risikoimpulse zu ziehen. Ein Beispiel: Der Kunde schreibt in einem sozialen Netzwerk, dass er ein neues Auto braucht, die Bank wertet diese Information aus und bietet ihm einen Autokredit an.

Wie wichtig sind diese neuen Möglichkeiten aus Ihrer Sicht?

Big Data ist in jedem Fall ein Thema, das wir im Auge behalten müssen und bei dem wir unseren Weg in der Abgrenzung zum klassischen Bankgeschäft noch suchen. Hier müssen einige grundsätzliche Entscheidungen zur künftigen Datennutzung noch getroffen werden.

Natürlich sehen wir die Möglichkeiten von Big Data, insbesondere bei der Vernetzung mit unseren Verbundpartnern. Dabei stellt sich jedoch gleichzeitig die Frage, wie weit man dabei gehen will. Letztendlich verlassen Banken damit ein Stück weit das klassische Bankgeschäftsmodell und stellen sich der Funktionsweise, wie wir sie von Internetunternehmen kennen. Das kann man nicht tun, ohne dafür Geld in die Hand zu nehmen. Und damit stellt sich natürlich die Frage, ob wir die Potenziale, die wir heute schon haben, wirklich ausgeschöpft haben.

Sollten Banken sich also lieber mehr auf das CRM konzentrieren als auf Big Data?

Bei der Auswertung der bisherigen Datenbestände und dem klassischen Customer Relationship Management gibt es zweifellos noch eine ganze Menge Potenzial. Natürlich gibt es systematische Datenauswertungen für Vertriebsansätze: Beispielsweise lassen sich Fremdabbucher bei Kreditkarten, Hypothekendarlehen oder Bausparverträgen identifizieren, um die entsprechenden Kunden gezielt anzusprechen. Das wird auch gemacht. Aber auch dazu braucht man Personal. Dass der vorhandene Datenschatz bisher nicht optimal genutzt wird, liegt insofern nicht nur an der Vorsicht der Banken, sondern hat oftmals auch Ressourcengründe.

Dennoch glaube ich, dass eine Primärbank sich auch Big Data nicht verschließen sollte. Wenn wir das tun, müssen wir vermutlich damit leben, dass neue Wettbewerber auf den Markt kommen werden, die diese Verfahren nutzen und sich sicher einen Teil unseres Kuchens abschneiden, wie es im Zahlungsverkehr heute schon der Fall ist.

Insofern müssen Banken einen Spagat leisten: Sie wollen nicht die ewig Gestrigen sein und müssen sich den neuen Techniken stellen. Aber sie müssen ihren Einsatz auch betriebswirtschaftlich abwägen und prüfen, ob sie überhaupt die personellen Ressourcen haben, um eine erweiterte Datenfülle wirklich nutzen zu können.

Daneben spielen aber sicher auch datenschutzrechtliche Bedenken eine Rolle?

Das ist definitiv ein wichtiger Gesichtspunkt. Natürlich sind wir per Gesetz dem Datenschutz verpflichtet. Und auch der Kunde erwartet von Banken sehr viel mehr sorgfältigen und diskreten Umgang mit seinen Daten als von Internetunternehmen wie Facebook. Insofern müssen wir bei allem, was wir tun können, auch abwägen, ob wir es auch tun wollen.

Der Handlungsrahmen, der sich daraus ergibt, spannt sich auf zwischen folgenden Fragen:

- Was ist rechtlich überhaupt zulässig?

- Was erlaubt der Kunde und wo sieht er einen Mehrwert für sich?

- Und was meinen wir analysieren zu wollen und zu müssen?

Selbst seitens Juristen gibt es die These, dass Banken in Sachen Big Data übervorsichtig sind ...

Auf jeden Fall müssen wir die Möglichkeiten besser ausloten. Wenn man zu vorsichtig ist und Daten nur in einem sehr eng begrenzten Rahmen auswertet, erfährt man vielleicht zu wenig vom Kunden, obwohl wir immer versuchen, im persönlichen Gespräch Vertrauen aufzubauen und auf diesem Weg den Kunden besser kennenzulernen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich nicht auch für die Kunden ein Mehrwert ergibt, wenn Banken innerhalb des gesetzlichen Rahmens über das hinausgehen, was heute gemacht wird. Ziel muss es ja sein, dem Kunden die bestmögliche Lösung zu bieten. Und dafür müssen wir möglichst viel über ihn wissen.

In Studien äußern Kunden immer wieder den Wunsch, dass ihre Bank aktiver mit individuellen Angeboten auf sie zukommt. Ist den Kunden bewusst, dass die Bank dazu auch Daten auswerten muss?

Viele Kunden gehen davon aus, dass ihre Bank sich die Zahlungsverkehrsdaten anschaut und zur Kundenansprache nutzt, sie fühlen sich aber gleichzeitig damit nicht wohl. Deshalb versuchen wir, möglichst viele Informationen im persönlichen Gespräch zu sammeln. Denn nur so lässt sich der Ansatz, den wir aus dem Individualkundengeschäft schon lange kennen, auf das Mengengeschäft übertragen. Auch wenn man in diesem Segment sicher nie die absolut individuelle Lösung finden kann, versuchen wir, das bestmögliche Angebot zu finden. Hierfür würde eine systematische Anreicherung mit den vorhandenen Daten sicher ein besseres Bild vom Kunden liefern. Auf dieser Basis ließen sich dann auch passendere Angebote unterbreiten.

Wie lässt sich so etwas datenschutzrechtlich sauber abbilden?

In meinem laienhaften juristischen Verständnis wär es der richtige Weg, offen mit dem Kunden zu kommunizieren und ihn nach seinem Einverständnis zu fragen. Im Kleingedruckten wird das bei Banken wohl nicht gehen - obwohl es bei Internetunternehmen so praktiziert wird. Wir würden das vermutlich offensiver handhaben. Allerdings bin ich nicht sicher, wie viele Kunden tatsächlich zustimmen würden. Vermutlich wäre an dieser Stelle eine erhebliche Überzeugungsarbeit zu leisten, um den Kunden davon zu überzeugen, dass er davon durchaus einen Mehrwert hat. Wenn sich dieser Mehrwert für den Kunden nicht vermitteln lässt, wird es schwierig. Möglicherweise gibt es jedoch auch Zwischenschritte, bis zu denen man auch ohne explizite Erlaubnis des Kunden gehen kann.

Wie viele Kunden müssten denn zustimmen, damit sich der mit Big Data verbundene Aufwand überhaupt lohnt?

Das ist eine schwierige Frage. Im direkten Kundengespräch sind unsere Kunden sehr offen. Wie das bei Internetdaten aussieht, dazu sind mir keine Studien bekannt. Wenn nicht mindestens ein Drittel der Kunden zustimmt, wird sich Big Data vermutlich kaum lohnen. An dieser Stelle kommt man jedoch schon wieder zu den juristischen Details der Frage, welche freien Daten im Netz eine Bank möglicherweise auch ohne Einwilligung des Kunden nutzen darf.

Zu berücksichtigen ist zudem der Gegensatz zwischen dem, was die Kunden im Internet tolerieren, beispielsweise bei Facebook, und dem, was von einer Bank erwartet wird. Hier müssen Kreditinstitute aufpassen, dass sie einerseits nicht ihre Seriosität verlieren und andererseits der Zug nicht ohne sie abfährt. In diesem Spannungsfeld sind wir als Primärbank und als Gruppe noch dabei, unsere Rolle zu suchen.

Neben der vertrieblichen Seite, an die man bei Big Data zuerst denkt, gibt es von der Zielrichtung her allerdings noch einen anderen Aspekt, weshalb eine Bank noch größere Mengen an Kundendaten auswerten sollte: das Risikomanagement. Das wird sogar von der Aufsicht forciert. Denn die Aufsicht verlangt von den Kreditinstituten unter Risikogesichtspunkten immer bessere Datenanalysen über die Kunden. Spätestens an dieser Stelle bekommt Big Data eine ganz neue Dimension.

Könnten Banken künftig von der Aufsicht zur Nutzung von Big Data für das Risikomanagement verpflichtet werden?

So weit sind wir noch nicht. Es wäre jedoch ein logischer nächster Schritt. Das Kreditmeldewesen mit der Rückmeldung von Krediten bei anderen Banken geht ja auch schon ein wenig in diese Richtung.

Das Problem bei allen Daten bleibt jedoch, dass größere Datenmengen nicht zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führen. Denn die produzierten Datenmengen müssen in ihrer Komplexität natürlich auch noch überblickt werden können. Schließlich braucht man auch die richtigen Daten, um daraus Hinweise zu bekommen.

An dieser Stelle kommt dann das Rechenzentrum ins Spiel?

Keine Frage. Primärbanken werden technisch nicht ohne das Rechenzentrum weiterkommen. Wir würden Big-Data-Leistungen auch nicht von einem externen Dienstleister einkaufen. Die Methodik der Datenerhebung und die mathematischstatistischen Verfahren, um die Datenmengen nutzbringend zu analysieren, sollten schon vom genossenschaftlichen Rechenzentrum kommen. Dabei würde ich mir jedoch gewisse Administrationsmöglichkeiten im Rahmen der gelieferten Daten wünschen, beispielsweise zur Ausblendung gewisser Informationen um eine Informationsüberfrachtung zu vermeiden.

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