Elektronische Kreditvergabe

"In erster Linie ist es eine Zeitfrage" Interview mit Florian Glatzner

Florian Glatzner, Referent, Team Digitales und Medien, Geschäftsbereich Verbraucherpolitik, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V, Berlin

Die Datenschutzgrundverordnung wird vom bisherigen Datenschutzniveau in Verbindung mit dem Scoring nicht viel übrig lassen, fürchtet Florian Glatzner. Denn da sie viel allgemeiner gefasst ist als das deutsche Bundesdatenschutzgesetz, fallen speziell auf das Scoring zugeschnittene Vorschriften weg. Die wichtigsten Vorgaben ließen sich nach Einschätzung der Verbraucherschützer dennoch retten - durch Öffnungsklauseln in der Verordnung oder durch die Übertragung in andere Rechtsbereiche. Dabei steht Deutschland wegen der Bundestagswahl 2017 jedoch besonders unter Zeitdruck, so Glatzner. Was bis zum Frühjahr 2017 nicht beschlossen ist, hat wohl kaum eine Chance, vor Inkrafttreten der Verordnung noch verabschiedet zu werden. Red.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat im Kontext mit der Datenschutzgrundverordnung vor Veränderungen beim Scoring gewarnt. Was genau ändert sich die Verordnung beim Scoring?

Die Datenschutzgrundverordnung wird unser bisheriges nationales Datenschutzrecht ablösen. Es ist davon auszugehen, dass im privatwirtschaftlichen Bereich von unseren bisherigen Regelungen beispielsweise im Bundesdatenschutzgesetz nicht viel übrig bleiben wird.

Bisher gab es im Bundesdatenschutzgesetz recht spezifische Vorgaben für das Scoring beziehungsweise die Voraussetzungen, wann Daten an Auskunfteien ausgeliefert werden dürfen. Solche spezifischen Vorgaben gibt es in der Verordnung künftig nicht mehr. Denn die Verordnung ist sehr weit gehalten und lange nicht so konkret wie unsere bisherigen Regelungen.

Was heißt das genau? Welche Regelungen fehlen?

Bisher war es nach § 28 a BDSG verboten, beispielsweise bestrittene Forderungen an Auskunfteien zu übermitteln. Damit sollte verhindert werden, dass Unternehmen Druck auf Verbraucher ausüben, auch solche Forderungen zu akzeptieren, die sie eigentlich bestreiten, weil sie durch das Bestreiten mit den Folgen eines negativen Schufaeintrags konfrontiert werden würden. So eine Regelung würde es in Zukunft nicht mehr geben, wenn man lediglich die Datenschutzgrundverordnung heranziehen würde.

Ein anderes Beispiel ist § 28 b BDSG, der das Scoring allein auf Basis von Anschriftendaten verbietet. Ohne ein solches Verbot könnten ganze Straßenzüge als nicht kreditwürdig abgestempelt werden. Auch so eine Regelung gibt es durch die Datenschutzgrundverordnung künftig nicht mehr.

Was für Möglichkeiten gibt es, um das bisherige Verbraucherschutzniveau zu erhalten?

Zum einen sieht die Verordnung sogenannte Öffnungsklauseln vor. Das sind Spielräume für die Mitgliedsstaaten, die sie ausfüllen können und in deren Rahmen sie Regelungen spezifizieren können. Da sehen wir beispielsweise die Möglichkeit, die Regelungen des § 28 a zu der Frage, wann Daten an Auskunfteien übermittelt werden dürfen, beizubehalten. Artikel 6 Punkt 4 der Datenschutzgrundverordnung beinhaltet die Regelungen, wann Daten für andere Zwecke als die, für die sie eigentlich gesammelt wurden, verwendet werden dürfen. Gleichzeitig gibt es in Artikel 23.1 der Verordnung die Möglichkeit, nationalstaatliche Regelungen zu erlassen, wenn es notwendig ist, um die Ziele einer demokratischen Gesellschaft beizubehalten und die Interessen von Personen zu schützen.

Das Kredit-Scoring ist notwendig, damit Banken Kredite vergeben können, und es ist auch für den Verbraucher sinnvoll, damit er auf Rechnung kaufen kann und vor Überschuldung geschützt wird. Da es sich bei der Übermittlung der Daten an Auskunfteien üblicherweise um eine Zweckänderung handelt, sehen wir die Möglichkeit, über die genannten Öffnungsklauseln die Regelungen des § 28 a beizubehalten.

Anders sieht es beim § 2 b zum Scoring allein auf Basis der Anaschrift aus. Hier ist die Frage, ob es sich dabei um eine Datenschutz- oder eine Verbraucherschutzvorschrift handelt. Deshalb ließe sich hier überlegen, diese Vorschrift aus dem Datenschutzrecht herauszunehmen und in andere Rechtsbereiche zu übertragen.

Eine wirklich europaweit einheitliche Rechtsgrundlage erreicht man damit aber erneut nicht ...

Das ist richtig. Sinn der Verordnung war es, eine Vollharmonisierung zu erreichen. Deshalb sind die Öffnungsklauseln ein kritisches Instrument, dessen Konsequenzen noch nicht in allen Punkten klar sind. Eine Datenschutzverordnung auf einem hohen Niveau und dafür ohne Öffnungsklauseln wäre sicher die bessere Wahl gewesen.

Wie viel Zeit bleibt noch für die Erarbeitung der von Ihnen angesprochenen Regelungen?

Die Datenschutzgrundverordnung wird im Mai 2018 in Kraft treten. So lange haben die Mitgliedsstaaten Zeit, um die Regelungen der Verordnung umzunehmen und anzupassen.

In Deutschland ist die Situation jedoch ein wenig anders, weil wir ja 2017 die Bundestagswahl haben. Dadurch muss der Zeitplan ein ganz anderer sein. Denn was im Frühjahr 2017 nicht beschlossen ist, wird kaum eine Chance haben, vor der Bundestagswahl noch verabschiedet zu werden. Insofern ist es jetzt wichtig, dass die Bundesregierung den Handlungsbedarf erkennt und Regelungen im Sinne der Verbraucher einfügt. Ansonsten verlieren wir den bisherigen hohen Detailgrad.

Hat die Politik diesen Handlungsbedarf erkannt?

Die genannten Regelungen sind 2009 im Rahmen der letzten Bundesdatenschutznovelle eingeführt worden. Insofern denke ich, dass die Bundesregierung für unsere Vorschläge offen sein könnte, weil es um Regelungen geht, die sowohl den Verbraucher schützen als auch der Kreditwirtschaft nutzen. Was die Übertragung in andere Rechtsgebiete und insbesondere die Dringlichkeit angeht, weiß ich jedoch noch nicht, ob das angekommen ist.

Deshalb besteht die große Gefahr, dass jetzt aus Zeitgründen nur die Dinge getan werden, die unbedingt sein müssen, weil es den Mitgliedstaaten in der Verordnung vorgegeben ist, bestimmte Öffnungsklauseln auszufüllen.

Aber auch die Kann-Vorschrift dürfen nicht auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Denn ich gehe nicht davon aus, dass es nach der Bundestagswahl möglich ist, noch bis Mai 2018 entsprechende Regelungen zu erlassen.

Wie real ist die Gefahr, dass es - wenn die Politik nicht handelt - wirklich zu einem Scoring allein aufgrund der Anschrift kommt? Dass ein solches Scoring nur sehr begrenzte Aussagekraft hätte, versteht sich doch von selbst ...

Allein aufgrund der Tatsache, dass die Vorschrift nicht ohne Grund eingefügt wurde, würde ich sagen, die Gefahr besteht durchaus. Häufig verfügen gerade kleinere Scoringunternehmen gar nicht über so große Datensätze wie beispielsweise die Schufa und deshalb auf Basis solcher Angaben einen Scorewert bilden.

Was ist mit den Auskunftsrechten für die Verbraucher?

Die bisherigen deutschen Regelungen zu den Auskunftsrechten waren ganz konkret auf das Scoring und Auskunfteien gemünzt. Das wird durch die Verordnung vermutlich abgeschwächt. Hier sehen wir noch nicht, wie das aufgefangen werden kann.

Ziehen die Auskunfteien mit dem Verbraucherschutz an einem Strang?

Momentan sehe ich die großen Auskunfteien als Verbündete, die in eine ähnliche Richtung zielen wie der Verbraucherschutz. Auch sie wollen das bisherige Niveau erhalten: aus Imagegründen und weil sie die Gefahr sehen, dass ansonsten Anbieter aus dem Ausland mit ganz anderen Geschäftsmodellen wie zum Beispiel Social-Media-Scoring auf den Markt drängen.

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