Personalpolitik

Interview mit Christoph Meister "Kreditinstitute drohen ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu verlieren"

Christoph Meister, Mitglied im Bundesvorstand und Leiter des Fachbereichs 1 Finanzdienstleistungen und Jugend, ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Berlin

Nicht nur die Finanzkrise hat dazu geführt, dass das Arbeitgeberimage von Banken und Sparkassen Risse bekommen hat, so Christoph Meister. Auch Vertriebsdruck und häufige Umorganisationsprozesse führen zu Unzufriedenheit. Zudem belastet Regulierung, wo sie nicht Strukturen, sondern Berater ins Visier nimmt. Die Veränderungen durch die Digitalisierung dürfen aus Gewerkschaftssicht nicht automatisch einen Abbau von Arbeitsplätzen mit sich bringen. Und auch die Anpassungen der Arbeitsbedingungen sind mit Augenmaß zu betreiben: So muss nicht jede Leistung auch am Wochenende oder abends verfügbar sein. Das gilt etwa für die Beratung. Und auch die Arbeit in Callcentern hat Verdi besonders im Fokus. Red.

Sind Banken und Sparkassen heute aus Gewerkschaftssicht noch "gute Arbeitgeber"? Wo sehen Sie Plus- und Minuspunkte?

Lange Zeit standen Ausbildung und Arbeitsplatz bei einer Sparkasse oder Bank für eine gute Qualifizierung, eine vergleichsweise gute Bezahlung und einen sicheren Arbeitsplatz. Der Beruf des beziehungsweise der Bankangestellten stand für Kompetenz und Vertrauen. Es ist nicht nur die Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass dieses Bild Risse bekommen hat. Inzwischen führen der Vertriebsdruck, ständige Umorganisationsprozesse und eine oftmals kurzfristige Erfolgsorientierung dazu, dass eine gute Beratung von Kunden nur noch schwer möglich ist. Das führt natürlich zu Unzufriedenheit und Stress.

Zudem zeigen die Diskussionen rund um vermeintlich zu hohe Gehälter der Beschäftigten in der Branche durch Vorstandsmitglieder eine mangelnde Wertschätzung für die Arbeit der Beschäftigten. So zeigt beispielsweise die Diskussion rund um die Einführung neuer Eingruppierungsmerkmale bei den Sparkassen deutlich, dass der Arbeitgeberseite die Bezahlung der Sparkassenbeschäftigten deutlich zu hoch ist. Und das bei immer anspruchsvolleren Tätigkeiten und Verkaufs- beziehungsweise Mengenzielen auf der einen sowie einer anhaltend stabilen Entwicklung der Erträge im Sparkassenbereich auf der anderen Seite. Insgesamt müssen die Sparkassen und Banken aufpassen, dass sie ihre Attraktivität als Arbeitgeber nicht verlieren.

Regulierung und Digitalisierung tragen seit einigen Jahren dazu bei, das Arbeitsumfeld in Banken und Sparkassen deutlich zu verändern. Wo liegen dabei aus Gewerkschaftssicht die wichtigsten Herausforderungen? Und welche speziellen Themenschwerpunkte haben Sie für 2016 auf der Agenda?

Es ist wichtig und richtig, dass die Deregulierung der Finanzbranche rückgängig gemacht wird. Die Finanzkrise belegt, dass die angebliche Effizienz freier Finanzmärkte ein interessengeleiteter Mythos ist und zu erheblichen Problemen für die gesamte Wirtschaft führt. Bei der Entwicklung und Einführung von Regulationsmechanismen sehen wir im Moment ein systemisches Problem: Hinter vielen Regulierungsvorhaben steckt die Idee, dass man weiter alles machen darf, wenn es nur transparent und als Prozess dokumentiert ist. Das schafft keine Sicherheit, sondern nur Bürokratie, belastet das Verhältnis Kunde - Berater, und nimmt am Ende nicht die Strukturen, sondern die Berater ins Visier.

Das Beratungsprotokoll ist für Berater und Kunden mit viel Aufwand verbunden, es exkulpiert am Ende die Bank gegenüber dem Kunden, belässt das Risiko aber weiterhin beim Bankberater und stellt darüber hinaus eine ganze Berufsgruppe unter Generalverdacht. Unrealistische Zielvorgaben durch die Bank und entsprechender Verkaufsdruck durch das Management schaffen Situationen, bei denen die Wünsche und der Bedarf des Kunden hinter den Gewinninteressen der Bank zurückstehen. Zudem funktioniert eine wirksame Regulierung natürlich nur, wenn es keine regulierungsfreien Zonen gibt, sonst wandern unerwünschte Geschäfte in eine Grauzone ab. Dort können Schattenbanken, Zweckgesellschaften und Geldmarktfonds - bankähnliche Geschäfte ohne strikte Eigenkapitalvorschriften, Aufsicht und Kontrolle durchführen.

Auch hier gilt: Eine EU-weite Pflicht zur Registrierung solcher Institutionen und einige Meldepflichten sind keine wirksame Regulierung. Wir werden dieses Thema auch 2016 weiter kritisch begleiten. Darüber hinaus stehen bei uns natürlich die Tarifrunden bei den Sparkassen und Banken auf der Agenda. Und natürlich werden wir uns mit und für die Beschäftigten bei den Umbauprozessen in den verschiedenen Unternehmen einbringen, wie zum Beispiel bei der Deutschen Bank und der damit verbundenen Wiederausgliederung der Postbank. Hier haben wir bereits im letzten Jahr mit unserem Tarifvertrag vorbauen können, denn die Beschäftigten haben durch den Verdi-Tarifvertrag Kündigungsschutz bis zum 30. Juni 2017.

Was bedeuten Digitalisierung und Filialabbau von Kreditinstituten unter dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherheit?

Grundsätzlich führen die durch die Digitalisierung hervorgerufenen Veränderungen in der Branche zu veränderten Anforderungen an das Leistungs- und Serviceangebot. Einige Tätigkeiten werden ersatzlos entfallen, einige Tätigkeiten werden sich verändern.

Gerade an der direkten Schnittstelle zwischen Kunde und Bank kommt es auch zu einer Gefährdung von Arbeitsplätzen. Mir ist aber auch wichtig zu betonen: Es gibt keinen synchronen Automatismus zwischen zunehmender Digitalisierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Vielmehr kommt es darauf an, wie das Management der Banken auf die anstehenden Entwicklungen reagiert und das eigene Geschäftsund Servicemodell darauf ausrichtet.

Dabei scheint mir die Innovationsbereitschaft nicht überall hinreichend ausgeprägt zu sein. Ich nehme wahr, dass breite Bevölkerungsschichten nur über geringe Kenntnisse in Finanzangelegenheiten verfügen. Da ist es doch ein absolut werthaltiges Asset, in den Instituten gut ausgebildete, hoch kompetente Berater zu haben. Klar ist, dass erneut Veränderungen auf die Beschäftigten zukommen. Wir nehmen bei den Beschäftigten ein großes Maß an Veränderungsbereitschaft wahr.

Wie lässt sich der Umbau der Geschäftsmodelle für die Mitarbeiter verträglich gestalten?

Erfolgreiche Veränderungsprozesse beziehen die Beschäftigten mit ein und lassen Mitgestaltung zu. Verdi und in ihrer besonderen Rolle auch die bei uns organisierten Personal- und Betriebsräte schauen dabei natürlich auf die mittel- und langfristige Sicherheit und Qualität von Arbeitsplätzen. Klar ist aber auch: Veränderungsprozesse auf dem Rücken der Beschäftigten wird Verdi nicht akzeptieren.

Wenn Beratung oder überhaupt die Kommunikation mit der Bank immer häufiger über elektronische Kanäle läuft, verändern sich auch die Anforderungen der Kunden an die Erreichbarkeit - Stichwort "24/7". Wird damit auch mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten erforderlich? Und wie lässt sich das mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinbaren?

Hier muss man genau hinschauen, wie die Erwartungshaltung der Kunden ist und ob wirklich alles rund um die Uhr angeboten werden muss. Viele elektronische Kanäle sind ja in der Regel 24/7 erreichbar. Und wichtige Serviceleistungen werden ja auch heute schon entsprechend am Laufen gehalten, wie zum Beispiel die Geldausgabe durch die Geldausgabeautomaten oder auch die Nutzung von Sprachcomputern bei den Direktbanken.

Eine grundsätzliche Ausdehnung der Arbeitszeiten ist mit uns nicht zu machen. Dort, wo wirklich harte Erfordernisse zur Ausdehnung von Arbeitszeiten entstehen, müssen wir über eine tarifliche Ausgestaltung sprechen. Neben einer finanziellen und zeitlichen Kompensation müssen wir zudem über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen. Immer mehr Menschen ist ein selbstbestimmtes Leben wichtig. Verdi hat hier zahlreiche Erfahrungen aus anderen Branchen, wie so etwas gut geregelt werden kann. Das muss aus unserer Sicht aber die Ausnahme sein. Die pauschale Einführung der Samstagsarbeit hat Verdi zu Recht verhindert und tarifvertraglich abgewehrt, da bisherige Praxisbeispiele belegen, dass kein umfassender Beratungsbedarf besteht.

Wenn Kreditinstitute bei den Serviceerwartungen nicht mit den Erwartungen der Kunden Schritt halten, drohen Fintechs an ihre Stelle zu treten. Wie stellt sich denn die Fintech-Szene aus Gewerkschaftssicht dar?

Dynamisch, hochinteressant und zunehmend global. Das Bankgeschäft wird sich dramatisch verändern. Ich vermag nicht einzuschätzen, ob am Ende Fintech-Unternehmen oder eine Google-Bank marktführend sein werden oder aber bekannte Banken dafür sorgen, dass sie die Unternehmen selbst sowie deren Entwicklungen selbst integrieren. Wir nehmen aber auch in den Blick, dass sich die Geschäftsmodelle der Fintech-Unternehmen nicht der Regulierung entziehen und hier nicht qualitativ schlechtere Arbeitsplätze entstehen.

Angesichts des Kostendrucks ist das Outsourcing von Back-Office-Funktionen unverändert im Fokus. Was ist dabei Ihre Forderung?

Outsourcing ist allzu oft ein Negativbeispiel dafür, wie Umstrukturierungen auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Wir sehen allerdings einen spürbaren Rückgang, da die Risiken wie entstehende Abhängigkeiten, Know-how-Verlust und ein hoher Steuerungsaufwand immer mehr sichtbar werden. Wenn Banken und Sparkassen versuchen, einen eigenen Niedriglohnbereich aufzubauen, findet das unseren entschiedenen Widerstand. Wir haben in den letzten Jahren systematisch erfolgreich daran gearbeitet, die Arbeitsbedingungen in Haus- oder Anerkennungstarifverträgen zu gestalten und nehmen beispielsweise im Sparkassenlager auch eine zunehmende Bereitschaft zur Kooperation bei der Tarifierung wahr.

Haben Sie besondere Forderungen, die die Arbeit in Callcentern betreffen?

Es gibt aktuell erschreckende Erkenntnisse über das mittel- und langfristige gesundheitliche Gefährdungspotenzial dieser spezifischen Form der Beratung. Umso wichtiger ist es, die Arbeitsbedingungen auch hier tarifvertraglich auszugestalten. Beschäftigte in den Callcentern müssen von ihrer Arbeit gut leben können und dürfen nicht auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein. Durch die meist ausgedehnten Servicezeiten entstehen außerdem besondere Anforderungen an die Arbeitszeitgestaltung. Wichtig ist uns dabei beispielsweise, dass es langfristige Verlässlichkeit bei der Arbeitszeitgestaltung gibt, dass auch persönliche Belange berücksichtigt werden und es ein Mindestmaß an freien Wochenenden gibt.

Was kann die Gewerkschaft beitragen, um das Arbeitsumfeld in der Beratung zu verbessern - und die persönliche Beratung überhaupt zu erhalten?

Wir sind fest davon überzeugt, dass die qualifizierte, individuelle und persönliche Beratung ihre Bedeutung nicht verlieren wird - wenn die Institute hart daran arbeiten, dass sie (wieder) als fair und vertrauenswürdig angesehen werden. Menschen benötigen in einer immer komplexer werdenden Welt mit sehr individuellen Biografien mehr denn je gute Beratung in derart existenziellen Angelegenheiten. Vergleichbar programmierte Algorithmen von Standardprodukten können das nicht ersetzen.

Der Imageverlust macht sich - neben dem demografischen Wandel - auch bereits bei der Suche nach Nachwuchskräften bemerkbar. Wie können Kreditinstitute für Auszubildende und Studienabsolventen attraktiver werden?

Insgesamt müssen wir gemeinsam daran arbeiten, dass die Branche und die damit verbundenen Berufsbilder wieder mehr Vertrauen genießen. Dazu gehört auch, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie hier die Arbeitswelt in Zukunft aussehen wird. Gute Ausbildungs- und Studienbedingungen, die eine breite Qualifizierung sicherstellen und über eine gute Vergütung einen Einstieg in ein selbstständiges Leben ermöglichen, sind ein weiterer wichtiger Faktor. Darüber hinaus aber natürlich auch die Frage der Arbeitsbedingungen im weiteren Arbeitsleben und die Frage der Arbeitsplatzsicherheit. Zunehmend wichtiger werden auch die Fragen von Work-Life-Balance und natürlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als Tarifpartner können wir hier entscheidend mitgestalten.

Stichwort Demografie: Tun Banken und Sparkassen genug, um ältere Mitarbeiter in den digitalen Wandel mitzunehmen?

Eindeutig nein. Neue EDV ist häufig nicht intuitiv erlernbar und es braucht mehr Anstrengungen bei der Weiterbildung und in den Einführungsprozessen. Wird dies nicht berücksichtigt, führt die neue EDV nicht zu einer Arbeitserleichterung, sondern zu mehr Stress.

Aktuell diskutiert die Branche intensiv die Ergebnisse einer Studie von Professor Jasny von der Frankfurt University of Applied Sciences, wonach Sparkassenvorstände zu gut bezahlt werden. Wie sehen Sie das?

Die Bezahlung von Sparkassenvorständen ist bemerkenswert heterogen und in einigen Fällen erstaunlich hoch. Insbesondere bei den üblichen Pensionszusagen sehen wir strukturellen Veränderungsbedarf. Besonders hohe Gehälter stehen in keinem Verhältnis zu den Gehältern der Beschäftigten. Gerade wenn bei den betreffenden Vorständen die Auffassung vorherrscht, dass die Beschäftigten bei den Sparkassen zu viel verdienen und bei den Verhandlungen rund um die neue Eingruppierungsordnung aktuell versucht wird, die Gehälter strukturell abzusenken, muss man sich die Frage der Verhältnismäßigkeit stellen.

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