Preisgestaltung im Retail

"An kundenindividuellen Paketkomponenten führt kein Weg vorbei" - Fragen an Nikolas Beutin und Holger Junghanns

Dr. Nikolas Beutin, Partner, PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

In vielen Lebensbereichen ist die Gratiskultur bereits vorbei. Es gibt jedoch immer noch Nachwirkungen - und die bekommen auch Banken zu spüren. Ein Ausweg ist nach Einschätzung von Nikolas Beutin und Holger Junghanns ein modularisiertes Produktangebot, bei dem Kunden Leistungen individuell nach ihren Bedürfnissen buchen. Auf die Frage nach der Vergütung von Beratungsleistungen im Mengengeschäft haben die Autoren noch keine schlüssige Antwort. Vielleicht bleibt hier doch nur die Reduzierung des Beratungsangebots. Red.

Der Kostendruck der Kreditwirtschaft steigt immer weiter. Wie können Banken darauf in ihrer Preisgestaltung reagieren?

Nikolas Beutin: Grundsätzlich gilt die Maxime, dass ein "Kreditinstitut Gewinn machen sollte und daher Kosten an die Kunden in Form von Preise, Gebühren, Konditionen et cetera weitergeben sollte". Zunächst einmal ist es wichtig, zu erkennen, welche Kunden die Hauptkosten verursachen. Dies sollte heute über Datamining und Analytics über alle Kostentreiber geschehen. In der Praxis beobachten wir allerdings, dass immer noch nicht alle Kreditinstitute entstehende Kosten in der Filiale, im Callcenter, im Internet, in Social Media und/oder gegebenenfalls bei Hausbesuchen verursachungsgerecht den Kunden zuordnen. Wenn die Kosten pro Kunde klar sind, gilt es, die Potenziale dagegen zu stellen. Erst dann kann man schauen, ob Preise und Konditionen, die diesen entgegenstehen, im Einklang sind. Wichtig ist hierbei nicht von einer Cost-to-Serve- sondern von einer am Kundenbedürfnis orientierten Sichtweise zu starten.

Holger Junghanns: Banken sollten ihr Produktportfolio noch stärker am individuellen Kundennutzen ausrichten. Bisher galt eher das Prinzip: Alle Produkte für alle Kunden zu gleichen Preisen und Konditionen. Wir sehen zukünftig eine stärkere Modularisierung von Produkt- und Services besonders im Online-Kanal. So bietet eine ungarische Bank bereits seit längerer Zeit ein modulares Kontomodell an, bei dem die Basis für den Kunden kostenfrei ist. Je nach Bedürfnissen kann der Kunde gegen Gebühr bestimmte Zusatzservices "abonnieren" wie zum Beispiel einen kostenlosen Überziehungskredit bis zu einer bestimmten Höhe, diverse Benachrichtigungsdienste, Versand der Kostenauszüge.

Zusatzservices müssen sich auch nicht zwangsläufig auf Bankdienstleistungen beschränken. Eine polnische Bank zum Beispiel offeriert in Kooperation mit Retailern und unter Berücksichtigung des individuellen Kaufverhaltens kundenspezifische Rabatte und Kickbacks. Die Voraussetzung für solche Angebote ist ein klares Verständnis der Banken zur jeweiligen Zahlungsbereitschaft der Kunden für solche Zusatzmodule.

Im vergangenen Jahr hat eine Reihe von Volksbanken und Sparkassen die Konditionen für die Kontoführung angepasst. Ist das ein Indiz für einen Trend weg von der Gratiskultur? Oder welche Trends beobachten Sie bei der Preisgestaltung?

Nikolas Beutin: Die "Gratiskultur" ist in fast allen Bereichen des täglichen Lebens vorbei, man muss nur an die Monetarisierung im Zeitschriften- und Zeitungsbereich im Internet denken, wo früher der gesamte Content kostenlos war. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass sich praktisch alle Banken ein neues Preis- und Konditionensystem erarbeiten müssen. Vor dem Hintergrund beispielsweise von MIF bedeutet dies ganz konkret neue Konditionen für fast alle Kartenprodukte.

Holger Junghanns: Besonders Banken mit einer Flächenpräsenz versuchen ihre - im Vergleich zu Direktbanken - oftmals teureren Produkte als Teil eines größeren Leistungsversprechens zu positionieren (zum Beispiel Filiale in der Nähe, individuelle Betreuung) und möchten den daraus entstehenden Mehrwert für die Kunden stärker transparent machen.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Erwartungen der Kunden greift diese Strategie jedoch nur eingeschränkt. Ein großer Teil der Kunden lässt sich mit generellen Aussagen zu Serviceversprechen nicht überzeugen. Die eben angesprochene Modularisierung des Produktangebots analog einem Fahrzeug-Konfigurators ist hier ein Ausweg.

Die Kontoführungsgebühr ist einer GfK-Studie im Auftrag der ING-Diba zufolge das unbeliebteste Bankenentgelt in Deutschland. Wie steht es generell um die Zahlungsbereitschaft für Bankprodukte?

Nikolas Beutin: Grundsätzlich beobachten wir ja immer noch die Nachwirkungen der "Gratiskultur" und der "Geiz ist geil"-Mentalität. Somit wird es noch einige Zeit dauern, bis die Konsumenten wieder verstehen, dass Leistung - wie auch für ein Bankkonto - auch bezahlt werden muss. Wenn einem Kunden allerdings die echten Kosten einer Kontoführung im Vergleich der Institute bewusst gemacht werden, sieht er in der Regel auch, dass bei jeder Form der Kontoführung Gebühren anfallen. Generell ist im internationalen Vergleich die Zahlungsbereitschaft für Bankprodukte niedrig - ähnlich verhält es sich ja auch bei Lebensmitteln, wo der deutsche Konsument die niedrigsten Preise in Europa hat und immer noch viele Produkte als "zu teuer" empfindet und weniger Qualitätsprodukte kauft. Dabei stehen Banken und Institute natürlich vermehrt im Wettbewerb zu Kartenanbietern und alternativen Zahlungsdienstleistern.

Holger Junghanns: Die Zahlungsbereitschaft für Bankprodukte in Deutschland lässt sich auch an der breit diskutierten Honorarberatung festmachen. Mehrere Studien zeigten, dass die Akzeptanz für eine kostenpflichtige Bankberatung tendenziell niedrig ist beziehungsweise nur geringe Entgelte für Bankberatung als akzeptabel erachtet werden.

Ein wichtiger Grund dafür ist unter anderem, dass der Mehrwert gegenüber einer provisionsbasierten Beratung nicht wirklich gesehen wird.

Bei "Plain-Vanilla"-Produkten wie dem Konto erkennt der Kunde oft ebenfalls nicht seinen Zusatznutzen eines kostenpflichtigen Modells im Vergleich zum kostenlosen Wettbewerbsprodukt. Die negative Reaktion des Kunden beim Anblick der Gebührenabbuchung ist verständlich!

Zwei Strategien können helfen: Zum einen der Einsatz der oben angesprochenen kundenindividuellen Mehrwerte. Zum anderen aber die einfache Befolgung des Ausspruchs "Tue Gutes und spricht darüber". So startete eine Bank vor kurzem einen kundenspezifischen "Leistungsreport", bei welchem dem Kunden in regelmäßigen Abständen die Vorteile seiner Produkte auch im Vergleich zum Wettbewerb ins Bewusstsein zurückgerufen werden. Hier fließen auch Testurteile unabhängiger Dritter mit ein.

Sehen Sie in Kontopaketen einen adäquaten Weg, im Privatkundengeschäft Preise im Zahlungsverkehr durchzusetzen? Oder welche Alternativen sehen Sie?

Nikolas Beutin: Pakete sind natürlich grundsätzlich eine Möglichkeit, unterschiedlichen Kunden differenziert nach ihren Wünschen ein Angebot zu machen. Wichtig ist dabei jedoch, den Kundenwunsch stets im Blick zu haben und dann auch ein maßgeschneidertes Produkt anzubieten.

Holger Junghanns: Auch in Deutschland gibt es einige Banken und Sparkassen, die bereits heute mit Kontopaketen aufwarten. Die Flexibilität der Paketgestaltung ist jedoch teilweise eingeschränkt, sodass Kunden eventuell auch nicht benötigte Leistungskomponenten erwerben. Aus unserer Sicht führt an kundenindividuellen Paketkomponenten kein Weg vorbei. Die Bank kann zum Beispiel durch die Auswertung von Kauf- und Transaktionsdaten sowie unter Einbezug der oftmals bereits zahlreich verfügbaren Kundenstammdaten individuelle Komponenten mit einem deutlichen Kundenmehrwert "vorschlagen".

Nikolas Beutin: Sinnvoller als fertige Kontopakete sind also Konten- und Kartenkonfiguratoren, bei denen sich die Kunden ihr Bankprodukt ganz individuell zusammenstellen können und dann auch ihrem Risiko-adjustierten Customer-Lifetime-Value gemäß Preise und Konditionen auf Basis eines dynamischen Pricings bekommen. Hierzu sollten auch Mobile Wallets gehören, die natürlich nur dann funktionieren, wenn sie über das Bezahlen hinaus den Kunden einen Mehrwert bieten.

Kann sich der Zahlungsverkehr überhaupt noch für sich genommen rechnen, wenn auch noch die Interchange-Regulierung für Karten kommt?

Nikolas Beutin: Die Senkung der Interchange Fees führt zu einer deutlichen Entlastung der Händler. Dies kann in letzter Konsequenz auch die Reduzierung der Verbraucherpreise zur Folge haben und führt zur deutlichen Steigerung der Kartenumsätze zulasten des Bargeldes. Durch die Regulierung wird dabei eine Erhöhung des Wettbewerbs im kartengestützten Zahlungsverkehr erwartet.

Die Interchange-Regulierung wird daher wahrscheinlich letztlich zu einer signifikanten Erhöhung der Kartenentgelte beim Verbraucher führen müssen, wie dies ja auch die MIF-Regulierung in Spanien und den USA gezeigt haben. Somit werden vermutlich die Gebühren des Zahlungsverkehrs angepasst werden müssen, bis dieser sich "wieder rechnet".

Holger Junghanns: Die Reduktion der Transaktionsentgelte bei unter die Interchange-Regulierung fallenden Kartenanbietern wird zu einer höheren Kartenakzeptanz auf Händlerseite führen.

Über diesen Mengeneffekt können die kartenausgebenden Institute etwas vom verlorenen Ertrag zurückgewinnen. Allerdings erwarte ich, dass Institute zum einen verstärkt auf alternative Kartenanbieter ausweichen werden, da diese (zunächst) nicht von der Regulierung betroffen sind. Zum anderen zeigt sich, dass viele Institute Anpassungen bei einzelnen Ertragspositionen wie zum Beispiel bei Jahresgebühr, Zinsen oder bei Einsatzgebühr einführen werden.

Wird es künftig generell eine stärkere Preisdifferenzierung beispielsweise nach Kanalnutzung oder nach Intensität der Kundenbeziehung geben, etwa indem Mehrproduktnutzern ein Konditionenvorteil eingeräumt wird?

Nikolas Beutin: Eine derartige Differenzierung ist ja bereits heute bei einigen Instituten der Fall. Grundsätzlich ist eine "Pay per Use" Denkweise - wie sie in anderen Branchen üblich ist - auch im Bankenbereich sinnvoll. Dies steht dann auch im Einklang mit einem dynamischen Pricing und Produktkonfiguratoren.

Holger Junghanns: Eine kanalbezogene Preisdifferenzierung wird von einigen Banken in Deutschland bereits gelebt. So erhalte ich zum Beispiel beim "Self-Service"-Abschluss eines Konsumkredits im Onlinekanal der Bank teilweise deutlich bessere Konditionen als beim Abschluss in der Filiale beziehungsweise über einen Berater.

Diese Strategie provoziert jedoch oft deutliche Widerstände seitens der Kunden und auch der Mitarbeiter in den Filialen, mit der Folge einer möglichen Kannibalisierung der Kanäle anstatt eines koordinierten Omnikanal-Miteinanders. Deutlich wichtiger werden jedoch Preisdifferenzierungen, welche den Kundenwert, die (Mehr-)Produktnutzung aber auch die individuellen Preisbereitschaften mit berücksichtigen.

In einzelnen Produktbereichen wie Tagesgeld oder Konsumentenkredite spielen Vergleichsportale und Plattformen eine wichtige Rolle. Welcher Spielraum bleibt Banken da noch bei den Konditionen? Oder bleibt im Zweifelsfall nur der Verzicht auf die Kooperation mit Vermittlerplattformen?

Nikolas Beutin: Die Erfahrungen aus anderen regulierten Branchen zeigen, dass es gerade im Privatkundensegment einige Kundengruppen gibt, die nicht auf Vergleichsportalen oder Plattformen aktiv sind. Zudem sehen wir generell einen Trend, bei lokalen oder auch regionalen Unternehmen Kunden zu werden, auch wenn diese teurer sind. Hier gilt es natürlich für jede Bank auszuloten, wie hoch die Zahlungsbereitschaft der Kunden(segmente) für die "regionale Verbundenheit" ist.

Holger Junghanns: Gerade für neu in den Markt eingetretene Banken sind Vergleichsportale ein sehr wichtiger Vertriebskanal. Die Platzierung bei solchen Portalen hängt jedoch nicht nur von dem Zinssatz ab.

Eine gute Tagesgeld-Platzierung beispielsweise ist zudem abhängig von der Zinszahlung (monatlich, quartalsweise, jährlich), einem Staffelzins (Anpassung des Zinssatzes ab einem bestimmten Betrag), der Unterscheidung zwischen Neukunden- und Bestandskundenzins, Bonuszinsen und weiteren Merkmalen. Je nachdem, welche Beträge und Laufzeiten der Kunde vergleicht, ändert sich, abhängig von den genannten Konditionen, die Platzierung einer Bank teilweise erheblich.

Schließlich beeinflusst bei einigen Portalen auch die Produktbewertung die Platzierung. Hierbei werden die Produktkonditionen, eventuell auch Service Merkmale (zum Beispiel Hotlinezeiten, Bearbeitungszeiten) durch das Portal bewertet.

Generell sollten sich Institute jedoch frühzeitig Gedanken über alternative beziehungsweise zusätzliche Vertriebswege machen, um die Abhängigkeit von diesen (recht kostspieligen) Vermittlern im Rahmen zu halten. Obwohl wenige Vergleichsplattformen klar dominieren, bietet es sich zudem für Banken an, mehrere Portale anzubinden.

Welche Trends sehen Sie bei der Vergütung des Beratungsangebots?

Nikolas Beutin: Vergütung für Beratung ist in Deutschland ein schwieriges Thema. Grundsätzlich gibt es ja eine Zahlungsbereitschaft für etwas, das man als nützlich und wertvoll empfindet. Dies ist bei der Beratung aus Sicht der Kunden jedoch nicht immer der Fall. Banken und Institute sollten hierbei proaktiv und ruhig etwas offensiver vorgehen. Die Konsequenz ist dann natürlich eine Diskussion über die Qualität der Beratung. Dies sollten Banken und Institute unterstützen, da dies ja letztlich zu einem Differenzierungsmerkmal werden kann.

Holger Junghanns: Auf den ersten Blick scheint die Regulierung einen großen Einfluss auf die Vergütung der Bankberatung zu haben. Denn MiFID II zwingt zum Beispiel die Banken, zwischen "unabhängiger" und "nicht-unabhängiger" Beratung zu wählen. Derzeit sehen wir jedoch keinen Trend hin zu einer unabhängigen Beratung, bei der der Kunde direkt die Beratungsleistungen vergütet (zum Beispiel durch ein Beratungshonorar, Transaktionsentgelte, Pauschalen). Zwei Trends nehmen wir jedoch war:

- Zum einen erwarten wir deutlich mehr volumens- oder performancebasierte Gebührenmodelle - insbesondere bei der Beratung vermögender Privatkunden.

- Im klassischen Retail-Segment hingegen wird es dagegen noch stärker zu einer Differenzierung des Beratungsumfangs anhand des Kundenpotenzials kommen.

Müssen Kunden mit geringerem Ertragspotenzial eher mit einer stark vereinfachten Beratung oder mit einer "Online-Selbstberatung" im Online-Kanal der Bank vorlieb nehmen, werden sich Banken bei gehobenen Segmenten auch noch in Zukunft eine umfassende, das heißt ganzheitliche Bedarfsanalyse und Beratung "leisten" wollen.

Wie unterscheidet sich die Preispolitik im Firmenkundengeschäft mit Gewerbetreibenden oder Mittelständlern vom Privatkundengeschäft? Gibt es dort überhaupt Standardpreise, oder wird hier individuell differenziert? Und welche Erfahrungen aus dem Firmenkundengeschäft lassen sich auf das Privatkundengeschäft übertragen?

Nikolas Beutin: Grundsätzlich sind die Preise und Konditionen im Firmenkundengeschäft schon immer etwas stärker individualisiert gewesen. Was man hier sicherlich lernen kann, ist, dass Flexibilität und Geschwindigkeit eine wesentliche Rolle spielen. Wenn wie bei großen Internetplattformen oder auch bei amerikanischen Banken die Prüfung der Kreditwürdigkeit per Predictive Analytics praktisch sofort erfolgt und der Kunde in Echtzeit individualisierte Preise und Konditionen bekommt, dann wäre dies sicherlich ein Wettbewerbsvorteil.

Holger Junghanns: Bei vielen Instituten existieren zwar auch im Firmenkundengeschäft Standardkonditionen, diese werden jedoch in den meisten Fällen durch kundenindividuelle Sonderkonditionen, vereinbart zwischen Berater und seinem Kunden, ersetzt. Durch die zunehmende Digitalisierung insbesondere mit Blick auf die sich enorm verbesserten Möglichkeiten von "Customer Analytics" sehe ich auch im Privatkundengeschäft eine deutliche Flexibilisierung von kundenindividuellen und situativen Preisen und Gebühren.

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