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"Wir müssen aus Einlegern Anleger machen" / Interview mit Reiner Brüggestrat

Dr. Reiner Brüggestrat, Sprecher des Vorstands, Hamburger Volksbank eG, Hamburg

Quelle: Oliver Nimz

Seit Februar 2017 berechnet die Hamburger Volksbank für Firmen- und Privatkunden mit Einlagen ab 500 000 Euro auf Tagesgeldkonten Negativzinsen. Die Grenze nach unten zu verschieben, ist aber nicht geplant. Mit der Einführung von Negativzinsen und vor allem mit der aktiven Kommunikation zum Thema will die Bank einen Sinneswandel erreichen und die Kunden zu mehr Wertpapieranlagen bewegen. Zu beobachten sind allerdings bislang vielfach Ausweichreaktionen im Sinne eines Umbuchens auf das laufende Konto. Red.

Welche Rolle spielen Negativzinsen bei der Hamburger Volksbank?

Wie alle Banker-Kollegen haben wir die Entwicklung in den letzten 12 Monaten sehr aufmerksam beobachtet. Dabei war zu erkennen, dass in vielen Banken bereits unter der Hand Negativzinsen, "Verwahrentgelte" oder Strafzinsen Verwendung gefunden haben.

Wir entschieden, einen offensiveren Schritt zu wagen. Im Dezember letzten Jahres haben wir offensiv kommuniziert, dass wir ab Februar 2017 für Firmenkunden, aber auch für Privatkunden Tagesgeldkonten mit Beträgen oberhalb von 500 000 Euro mit einem Negativzins von 0,2 Prozent belegen. Wir sind damit ganz bewusst an die Öffentlichkeit gegangen, um eine Diskussion anzustoßen und auch, um die Berater zu entlasten. Denn nachdem der Schritt an die Öffentlichkeit vollzogen wurde, konnte der Berater auf diese Botschaft aufsetzen.

Die Maßnahme betraf zu diesem Zeitpunkt rund 150 Kunden der Hamburger Volksbank, 75 Privatkunden und 75 Firmenkunden. Mit diesen Kunden wurde danach intensiv gesprochen, und zwar nicht mit der Intention, Negativzinsen einzunehmen, sondern die Kunden dazu zu bringen, anstelle des nicht mehr zeitgemäßen Produkts Tagesgeld andere Anlageformen mit besserer Rendite, also wertpapiernahe Anlageformen zu wählen.

Inwieweit war dieser Ansatz von Erfolg gekrönt?

Die Maßnahme hat nicht zu erhöhten Einnahmen geführt. Aber diesen Erfolg wollten wir auch gar nicht haben. Wenn es unsere Intention gewesen wäre, Negativzinsen zu vereinnahmen, dann wäre das ein absoluter Misserfolg. Denn die Einnahmen beliefen sich im Februar und März jeweils auf sehr überschaubare rund 1 500 Euro.

Ein Erfolg ist die Tatsache, dass es gelungen ist, mit den Kunden in einen Dialog zu treten. Die Ausweichreaktionen, die wir bei den Kunden feststellen konnten, befriedigten allerdings noch nicht. Denn diese bestanden in allererster Linie darin, dass die Kunden in Termingeldeinlagen mit einer Laufzeit von mehr als 30 Tagen gegangen sind oder das Guthaben schlicht auf das laufende Konto umgebucht haben. Wir sind also noch nicht so weit gekommen, dass aus diesen Guthaben eine alternative Anlage im Sinne einer Wertpapieranlage geworden ist.

Auch andere Institute nutzen das Instrument der Negativzinsen, um mit den Kunden in Dialog zu kommen ...

Das ist richtig. Was wir jedoch für uns in Anspruch nehmen ist, dass wir das Thema offensiv kommuniziert haben und zweitens nach ganz klaren Regeln aufgesetzt haben, um für die Kunden als berechenbarer Gesprächspartner da zu sein. Wir wollten damit einmal in anderer Form die Botschaft verpacken, dass es keinen risikolosen Zins mehr gibt, der das Kapital erhalten kann. Wir brauchen das klare Signal, dass derjenige, der in dem heutigen geldpolitischen Umfeld eine positive Rendite haben will, ins Risiko gehen muss. Dazu gehört auch, sich mit Schwankungen nach oben und nach unten abzufinden. Dafür wollten wir das Eis brechen.

Hatten Sie auch die Intention, mit Negativzinsen Kunden anderer Banken davon abzuhalten, bei Ihnen große Geldbeträge zu parken?

Nein, das hatte damit nichts zu tun. Es gibt tatsächlich seit 12 bis 18 Monaten größere institutionelle Einleger, die vagabundierend im Markt unterwegs sind und versuchen, einen möglichst niedrigen negativen Zins zu erhalten. Das merken wir schon. Unsere Maßnahme richtete sich aber an eine andere Zielgruppe. Hier ging es nicht um institutionelle Anleger, sondern um Unternehmen und Personen, die über freie Liquidität verfügen, um ihnen den Hinweis zu geben, dass es dafür andere Anlageformen gibt. Es war also keine Abwehrkondition, sondern sollte eine Signalfunktion für unsere Bestandskunden haben.

Im Dezember 2016 haben Sie die Intention verkündet, aus Sparern Anleger machen zu wollen. Wie sehen Sie das ein halbes Jahr später?

Wir sehen es als immer noch absolut notwendige Aktivität, müssen aber in diesem Zuge lernen, dass es wohl noch ein weiter Weg ist und dass ein derartiges Zinssignal allein nicht reichen wird. Wir müssen weiter sehr intensiv den Dialog mit den Anlegern finden. Und wir müssen aus diesen Einlegern dadurch Anleger machen, dass wir sie überzeugen, dass wir gemeinsam ziemlich hart arbeiten müssen.

Bis vor einigen Jahren konnte man sein Geld, wenn man das mit dem Berater sauber strukturiert und über Fristen gesprochen hatte, hinlegen und wusste, dass es zu einer Vermehrung kommt. Im Idealfall musste man sich fünf, sechs oder vielleicht auch zehn Jahre um das angelegte Kapital nicht mehr kümmern. Diese Zeiten sind vorbei.

Das Geld muss "zur Arbeit geschickt" werden. Und es muss in diesem Zusammenhang immer neu entschieden werden, was man damit tut. Die Zeit eines komfortablen Einlegens ist vorbei, es ist harte Arbeit, in Zusammenarbeit mit dem Berater immer wieder neu die richtige Allokation seines Kapitals zu finden. Das müssen wir in Beratungsgesprächen immer wieder betonen.

Das im Moment probateste Mittel, in diese Richtung voranzukommen, ist es Einleger dazu zu bringen, mindestens mit einem überschaubaren Betrag monatlich Kapitalanlage zu betreiben. Das Produkt, das hierbei momentan am meisten gefragt ist, sind Immobilienfonds.

Sind Sie hier mit Union Investment zufrieden?

Für uns ist die Zusammenarbeit mit Union ganz existenziell. Wir sind mit der Arbeit der Union sehr zufrieden. Im Neugeschäft ist sie mittlerweile die größte deutsche Kapitalanlagegesellschaft. Sie ist dazu in der Lage, unterschiedlichste Möglichkeiten anzubieten - seien es Sparpläne, Einmalanlagen und auch im Bereich der nachhaltigen Anlagen. Letzteres ist ein Bereich, in dem uns die Union in den letzten Jahren sehr effizient begleitet hat.

Brauchen Sie beziehungsweise Ihre Kunden ETF-Sparverträge?

Ich kann mir eine Kundengruppe vorstellen, die damit selbstverantwortlich umgeht. Auch die Union hat in Abstimmung mit uns einen Robo Advice eingezogen, um für geeignete Kundengruppen geeignete Anlageformen mit im Portfolio zu haben. Wir wären töricht, wenn wir nicht erproben würden, was große Teile unserer Kundschaft für zukunftsorientiert halten.

Die Union Investment hat 4,2 Millionen Fondskunden, aber 30 Millionen potenzielle Kunden in der Genossenschaftsorganisation. Hans Joachim Reinke ist aber nicht so optimistisch und schätzt das Potenzial der Kunden, die sich noch gewinnen lassen, auf etwa 10 000 ein. Wie bewerten Sie das?

Ich habe schon noch die Hoffnung, dass auch in Deutschland mit seiner risikoscheuen Anlegermentalität der stete Tropfen den Stein höhlen wird, sodass man erkennt, dass für eine mittel- und langfristige Vorsorge ein Wertpapiersparen die einzige noch zukunftsorientierte Anlageform sein wird. Denn selbst wenn ich unterstelle, dass 2018/2019 die Negativzinsphase zu Ende gehen könnte, muss man wohl davon ausgehen, dass die nominell erzielbaren Renditen nicht mehr auf das Niveau kommen werden, auf dem sie einmal waren.

Damit ist es für ein privat finanziertes Vorsorgesystem unabdingbar, auch in Wertpapieranlagen zu investieren. In diesem Kontext gibt es auch noch die leise Hoffnung, dass mittelfristig vielleicht auch der Staat in diesem Bereich fördernd tätig sein wird. Wir hatten viele Jahrzehnte ein vermögenswirksames Sparen. Warum sollte es nicht in absehbarer Zeit ein staatlich gefördertes Aktiensparen geben? Ich denke beispielsweise an den Einbezug der betrieblichen Altersvorsorge. An dieser Stelle bin ich tatsächlich etwas optimistischer als Herr Reinke.

Gibt es von politischer Ebene solche Tendenzen?

Nein. Bisher gibt es dafür keine Signale. Wir hatten allerdings vor einigen Wochen in Hamburg einen "Hamburger Bankengipfel". Dort waren unisono alle Kollegen der Auffassung, es solle eine Aufforderung an die Politik geben, in diesem Sinne aktiv zu sein. Unterschiedliche Meinungen gab es lediglich darüber, ob man eine solche Initiative noch vor der Bundestagswahl oder erst danach starten solle.

Weshalb haben Sie die Grenze für Negativzinsen mit 500 000 Euro so hoch angesetzt und nicht niedriger? War das eine Frage der Beratungskapazität?

Das hatte zwei Gründe. Erstens wollten wir aus einer gewissen "Verdruckstheit" heraus, die wir im Jahr 2016 mit Blick auf die Negativzinsen wahrgenommen haben. Zweitens wollten wir mit den Kunden darüber sprechen. Wie kommt so etwas an? Wie sieht die geeignete Kommunikation dazu aus? Es ging also auch darum zu erproben, wie die Mentalität unserer Einleger aussieht und wie man auf der Beraterebene damit umgehen kann.

500 000 Euro waren insofern eine Größenordnung, die sich dazu eignet, die Kommunikationsfähigkeit der Bank zu erproben - sehr wohl wissend, dass wir nicht ausschließen können, dass diese Grenze von 500 000 Euro noch nach unten gedrückt werden muss, falls Herr Draghi über einen noch wesentlich längeren Zeitraum mit diesen Negativzinsen im Markt wäre.

Am liebsten wäre es mir in jedem Fall, wenn Banken gar keine Negativzinsen bräuchten, schon gar nicht in noch weiteren Anlegerschichten. Ich kann mir in keinem Fall vorstellen, Beträge unter 100 000 Euro mit Negativzinsen zu belegen.

Ist die offensive Argumentationslinie zum Thema Negativzinsen dennoch auch eine Basis, um mit breiteren Kundenschichten ins Gespräch zu kommen?

Ja, das ist sie. Hierzu eine andere Zahl, die mich überrascht hat: Mit den 150 Kunden, mit denen wir gesprochen haben, musste die Bank eine neue Vereinbarung treffen. Sie braucht eine Unterschrift mit der der Kunde bestätigt, zur Kenntnis genommen zu haben, dass die Bank für einen bestimmten Betrag negative Zinsen in Anspruch nehmen kann.

Von den betroffenen 150 Kunden haben 70 Prozent diese Unterschrift geleistet. Das heißt sie haben eine grundsätzliche Akzeptanz für die Argumentation der Bank gezeigt. Allerdings haben wir ganz bewusst einen Zins von 0,2 und nicht 0,4 Prozent gewählt und damit zum Ausdruck gebracht, dass wir einen Teil dieses negativen Effekts selbst abpuffern. Das hat wahrscheinlich zu der relativ hohen Akzeptanz geführt.

Die Unterschrift ist allerdings das eine, die Ausweichreaktion das andere. Der letzte Schritt fehlt noch: Die Ausweichbeträge, die in andere Einlagen geflossen sind, würde ich lieber im Anlagenbereich sehen. Das wird uns weiter sehr beschäftigen. Und wir werden auch in Beratungsgesprächen nicht locker lassen, dieses Thema immer wieder neu zu akzentuieren.

Inwieweit gibt es beim Thema Negativzinsen Rechtssicherheit?

Die Juristen des BVR geben die klare Empfehlung, Negativzinsen zwei Monate im Voraus anzukündigen und die Unterschrift der Kunden einzuholen. Dann ist es nach der jetzt herrschenden Meinung juristisch abgesichert. In der Bankenrechtsprechung weiß man jedoch häufig erst nach zehn oder 20 Jahren, was einen "Ewigkeitswert" hat.

Sehen Sie andere Möglichkeiten, wie man den Mentalitätswechsel der Kunden erreichen kann - beispielsweise Tages- oder Festgeldkonten gar nicht mehr anzubieten?

Ich bin eher ein Freund konstruktiver anderer Lösungen. Die eine Ebene ist die des Empfehlens und Beratens in Form von kontinuierlichem Sparen. Die zweite wäre eine staatliche Förderung der Aktienkultur. Das wären zwei konstruktive Ideen im Bereich der Wertpapieranlage.

Fällt die Beratung in Richtung Wertpapiersparen bei Ihren Kunden auf fruchtbaren Boden?

Ja. Die Anzahl der Wertpapiersparpläne steigt jetzt im zweiten Jahr. Das betrifft vor allem die Immobilienfonds, wo das Wachstum signifikant ist. Es gilt aber mittlerweile auch für Aktiensparverträge. Dieser Bereich ist zwar noch ein zartes Pflänzchen, aber es wächst.

Wie haben Sie die Diskussion um die (verdeckten) Kontoführungsgebühren empfunden?

Als eine Mischung aus Ungeschicklichkeit einerseits und Scheinheiligkeit andererseits. Wer versucht, seinen Kunden Entgelte unterzujubeln, handelt nicht fair und nicht kundenwürdigend. Konditionen müssen klar und deutlich kommuniziert werden.

Es kann aber auch argumentiert werden, dass die Zeit der preisfreien Kontoführung zu Ende geht. Die scheinheilige Ebene - und das richtet sich auch ein wenig an die Medien - ist so zu tun, als gäbe es eine Art Menschenrecht auf Bankdienstleistungen, die keinen Preis haben dürfen. Vieles davon hat sich die Branche freilich selbst eingebrockt.

Es gibt auch eine Reihe von Banken, deren Geschäftspolitik ich nicht verstehe. Denn ich kann nicht nachvollziehen, dass nicht nur das Konto gebührenfrei angeboten wird, sondern auch noch Begrüßungsgelder gezahlt werden. Ich bin aber sehr optimistisch, dass eine derartige Vorgehensweise in absehbarer Zeit am Markt nicht mehr erfolgreich sein wird.

War die Hamburger Volksbank auch in Sachen Kontoführungsgebühr ähnlich offensiv unterwegs wie bei den Negativzinsen?

Wir haben unsere Kontoführungsgebühren vor zwei Jahren überarbeitet und neue Kontomodelle eingeführt. Seitdem wurden sie konstant gehalten. Und dabei gibt es keine versteckten Entgelte. Wahlspruch der Bank ist: "Man kennt sich". Das heißt auch, dass die Kunden uns sowie unsere Angebote und Preise kennen sollten - genau wie wir die Kunden kennen wollen.

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