Anlagemarkt Österreich

"Die Regulierung wird zu Einheitsberatung führen" / Ewald Judt im Gespräch mit Otto Lucius

Prof. Otto Lucius, Vorsitzender des Vorstands, Österreichischer Verband Financial Planners, Wien

Quelle: Valerie Rosenburg

Für den Kunden ist ein ganzheitlicher Lebensplanungsansatz in der Finanzberatung am vorteilhaftesten. Den Aufwand für eine so umfassende Beratung lässt sich durch die Regulierung verringern. Dennoch werden von den Kunden vielfach Teilpläne zu einzelnen Beratungsthemen verlangt. Kritisch sieht Otto Lucius die Regulierung. Sie führe zu einer "Einheitsberatung", die nicht im Interesse der Kunden sein kann. Auch kann sich eine solche Beratung kaum noch vom Robo Advice differenzieren. Red.

In der privaten Geldanlage dominieren trotz der seit einiger Zeit vorhandenen Niedrigzinsphase die Spareinlagen. Was ist der Grund dafür, dass diese trotz realer Verluste von den Sparern weiter geschätzt werden?

Spareinlagen genießen in Österreich seit jeher große Beliebtheit und Bedeutung. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat das Sicherheits- und Liquiditätsbedürfnis vieler Anleger nochmals massiv zugenommen. Der überwiegende Teil der Österreicher setzt daher beim Thema Geldanlage nach wie vor ausschließlich auf das altbewährte Sparbuch.

Ist der Grund für die Dominanz der Spareinlagen der fixe Ertrag? Oder ist es die Sicherheit in Form der Garantie bis 100000 Euro?

Sicherheit und Liquidität halten sich hier wahrscheinlich die Waage. Der Ertrag ist ja im Endeffekt ein realer Verlust.

Trägt das Unwissen nicht auch gehörig dazu bei?

Ganz bestimmt. Viele Österreicher sparen sich arm, ohne es zu merken. Inflationsrate, Zinseszins oder Rendite sind für viele nicht mehr als Fremdwörter. Diese Unwissenheit beziehungsweise der geringe Grad an Finanzbildung im Land ist jedoch nicht oder nur zu einem kleinen Teil die Schuld der Bürger selbst, die Hauptschuld trägt das Bildungssystem. Hier wäre auch die Politik gefordert - schließlich ist Finanzbildung auch Konsumentenschutz.

Hat nicht auch die Kundenberatung durch Berater zu wenig bewirkt?

Keine Beratung gleicht eins zu eins der anderen. Somit ist es schwierig, hier eine allgemein gültige Einschätzung zu treffen. Ein guter Finanzberater wird seinem Kunden jedenfalls vermitteln, dass Sicherheit alleine auf lange Sicht keine sinnvolle Strategie darstellt, und ihn davon zu überzeugen versuchen, die Geldanlage auf den vier Grundsätzen Langfristigkeit, Streuung, Flexibilität und Expertise aufzubauen.

Ist die Beratung für andere Anlageprodukte als Spareinlagen für die Berater zu komplex oder zu wenig erfolgversprechend?

Selbstverständlich bedarf die Beratung zu komplexeren Anlageprodukten auch vermehrter Expertise auf Berater-Seite. Meiner Erfahrung nach ist der Großteil der Berater jedoch absolut gewillt, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in diesem Bereich zu absolvieren. Und die Banken sind auch bereit, in die Ausbildung ihrer Berater zu investieren. Der Spruch "man lernt nie aus" gilt generell und ganz besonders im Finanzbereich. In unserer dynamischen und schnelllebigen Branche ist es ein Muss, sich ständig weiterzubilden und Zusatzqualifikationen zu erwerben.

Fürchten die Anlageberater, dass sie bei Anlageprodukten, die underperformen können und dann tatsächlich underperformen, als schlechte Berater dastehen?

Das glaube ich nicht. Ein seriöser Berater wird seinem Kunden gleich zu Beginn erläutern, dass Chancen bei der Geldanlage auch immer mit Risiken verbunden sind. Außerdem wird ein Fachmann seinem Kunden auch stets zu einer breiten Streuung der Investitionen und Anlageprodukte raten, was das Risiko einer generellen Underperformance weiter vermindert.

Wann ist ein Berater nun ein guter Berater?

Das Wichtigste vorweg: "Gute" Finanzberater agieren ausschließlich im Interesse ihrer Kunden. Zudem verfügen gute Berater über eine allgemeine kaufmännische Ausbildung und eine möglichst umfassende Fachausbildung. Mehrjährige Berufserfahrung und Referenzen sind auch in der Finanzbranche von Vorteil. Darüber hinaus zeichnet sich ein guter Finanzberater dadurch aus, dass sie oder er bestrebt ist, Interessenskonflikte und Abhängigkeiten zu vermeiden oder zumindest offenzulegen.

Damit kommen die Provisionen und der Verdienst durch/für die Beratung ins Spiel.

Selbstverständlich müssen die Berater und die Finanzdienstleister auch Geld verdienen - Stichwort Provisionen. Wichtig ist jedoch, dem Kunden schon vor Beginn der Zusammenarbeit zu erkennen zu geben, woher man sein Einkommen bezieht. Dass gute Berater ihre Kunden nicht übereilt zu Anlagen drängen, sondern erst auf Basis einer umfassenden Analyse des Ist-Zustands und der Ziele des Kunden eine Empfehlung aussprechen, versteht sich von selbst.

Für die Berater ist es notwendig, gute Berater zu sein und für die Kunden ist es notwendig, einen guten Berater zu haben. Wie versucht dies der österreichische Financial-Planner-Verband zu erreichen?

Der Österreichische Verband Financial Planners hat sich gänzlich der Bereitstellung einer umfassenden Ausbildung von Finanzberatern und deren Zertifizierung zum CFP Certified Financial Planner, EFA European Financial Advisor oder Dipl.-Finanzberater verschrieben. Die Mitglieder des Verbands haben jedoch nicht nur eine umfassende Ausbildung absolviert, sondern auch kommissionelle Prüfungen abgelegt, sich auch einem strengen Ehrenkodex unterworfen und zu ständiger Weiterbildung verpflichtet. Mit Hilfe der vom Verband durchgeführten Zertifizierungen haben Konsumenten eine gute Entscheidungshilfe zur Hand, wenn sie sich auf die Suche nach einem neuen Berater machen, oder evaluieren wollen, ob ihr derzeitiger Berater ein wirklich seriöser Experte ist.

Wie schaut die vom ÖVFP angebotene Ausbildung aus?

Nehmen wir den CFP Certified Financial Planner, das höchste vom Verband verliehene "Gütesiegel". Der Weg zum CFP Certified Financial Planner ist zweistufig und besteht aus der Ausbildung zum Finanzberater und einer weiterführenden zum Finanzplaner.

Beide Ausbildungen können bei verschiedenen Ausbildungsträgern, die jeweils vom Verband akkreditiert wurden, absolviert werden. Wer die Abschlussprüfungen erfolgreich absolviert hat, alle weiteren Anforderungen - darunter etwa eine einschlägige und nachgewiesene mehrjährige Berufserfahrung oder den Nachweis der Unbescholtenheit und des finanziell guten Leumunds - erfüllt und sich der Einhaltung strikter ethischer Regeln verpflichtet, erhält die Zertifizierung zum CFP Certified Financial Planner für zwei Jahre.

Wir folgen hier internationalen Qualitätsstandards, auch bei der Akkreditierung einer Ausbildungsinstitution. Und diese Akkreditierung wird laufend überprüft und erneuert. Es liegt im ureigenen Interesse des Verbandes, auf höchste Ausbildungsstandards Wert zu legen.

Eine einmalige Ausbildung ist aufgrund der sich oft ändernden Wirtschafts- und Finanzlandschaft nicht der Weisheit letzter Schluss. Wie sichert der ÖFVP eine "State-of-the-Art"-Anlageberatung im Zeitablauf?

Alle Mitglieder des Österreichischen Verbands Financial Planners unterliegen einer umfassenden Weiterbildungsverpflichtung, um es neudeutsch zu sagen: Continuing Professional Development CPD. Wie bereits angesprochen, werden die Zertifizierungen des Verbandes jeweils nur für zwei Jahre vergeben. Für die danach anstehende Re-Zertifizierung ist der Nachweis von sogenannten CPD-Credits erforderlich, die im Rahmen von akkreditierten, beruflichen Weiterbildungsveranstaltungen erworben werden können.

Was kann der ÖVFP tun, damit das Vertrauen der Kunden in einen Berater nicht enttäuscht wird?

Die Tätigkeit des Verbandes, insbesondere die Zertifizierung von Finanzexperten, zielt darauf ab, die Beratungsstandards insgesamt signifikant weiter zu verbessern. Auf der Ebene des einzelnen Kunden bieten wir somit ein Gütesiegel, das bei der Auswahl und Bewertung eines Beraters als wichtige Entscheidungsgrundlage dienen sollte.

Wer eine Zertifizierung des Verbandes erwerben möchte, muss sich dessen Standesregeln unterwerfen. Diese gehen weit über die gesetzlichen Regelungen hinaus und beinhalten die Grundsätze ordnungsmäßiger Finanzplanung, strenge Ethikregeln und Praxisstandards für den Finanzplanungsprozess.

Welchen Beratungsansatz sehen Sie als den in Niedrigzinszeiten erfolgversprechendsten?

Meiner Meinung nach ist dem Kunden am meisten geholfen, wenn der Beratungsansatz eine ganzheitliche, holistische Sicht verfolgt. Kunden haben ja nicht nur Interesse an Geldveranlagungen, es geht ja auch um Finanzierungen, Risikoabsicherungen oder die Pensionsvorsorge. Hier greift die vorherrschende Fokussierung auf Investments definitiv zu kurz. Und auch eine noch so lange Niedrigzinsphase wird sich einmal dem Ende zuneigen. Berater müssen ihre Kunden jetzt und für die Zukunft gut aufstellen.

Ist ein ganzheitlicher Beratungsansatz für die meisten Geldanleger nicht zu aufwendig?

Es stimmt, dass der ganzheitliche Ansatz sehr kostenintensiv ist, wobei es vor allem um die Datenerfassung geht. Die fortschreitende Digitalisierung wird uns hier aber helfen, ganzheitliche Finanzplanung nicht nur vermögenden Kunden, sondern auch künftig Retailkunden, die sich hohe Honorare nicht leisten können, anzubieten.

Ist eine auf der Lebensplanung ansetzende Finanzplanung und deren Umsetzung angesichts der Ungewissheit der Zukunft nicht eine Anmaßung?

Ich denke, es war Mark Twain, der gesagt hat: Jede Prognose ist schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betrifft. Natürlich müssen Planungsannahmen, die heute getroffen werden, regelmäßig überprüft werden. Aber auch hier kann uns die rasant steigende Rechenleistung mit Simulationen helfen.

Ist für viele angesichts konkreter Bedürfnisse - wie zum Beispiel angesichts der kommenden Vorsorgelücke bei den Pensionssystemen - nicht eine auf das jeweilige Thema abgestellte Anlageberatung sinnvoller?

Da stimme ich zu: Es sind die Kunden, die Teilpläne verlangen. Nur wenige mit komplexen Vermögenssituationen und Erbschafts-/Nachfolgewünschen werden explizit einen umfassenden Finanzplan fordern.

Fördern nicht auch Regulierungen eine fokussierte Betrachtung von Teilaspekten?

Das sehe ich nicht so.

Aber die Regulierung wird - Stichwort MiFID II - zu einer quasi "Einheitsberatung" führen. Unter Governance- und Haftungsgesichtspunkten werden sowohl das Produktangebot als auch die Zahl der Berater drastisch eingeschränkt. Hier gilt: Überzogener Konsumentenschutz ist der ärgste Feind des Kunden. Das hat sich nur leider noch nicht bis zu den Konsumentenschützern und den Regulatoren herumgesprochen.

Sind nicht bei der Beratung kurzfristige Anlagetipps ein Widerspruch zum längerfristig angelegten Anlageplan oder noch besser einem umfassenden Finanzplan?

Beratung sollte grundsätzlich den "Tipp des Tages" vermeiden. In Zeiten des Hochfrequenzhandels sind kurzfristige Tipps ohnehin wenig erfolgversprechend. Ein seriöser Berater wird daher nur mittel- bis langfristige Empfehlungen abgeben.

Kann eine nur Teilaspekte berücksichtigenden Anlageplanung nicht der Einstieg zu einer alle Finanzfacetten beinhaltenden Anlageplanung sein?

Dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen. Wie die alten Römer sagten: A minori ad maiorem - vom Kleinen zum Größeren.

Wenn es mehrere auf Teilaspekten beruhende Anlageprodukte gibt, wie schwierig ist es, diese zu einer ganzheitlichen Finanzplanung zusammenzufügen?

Das ist es nur ein relativ kleiner Schritt: Die Daten der Kunden sind ja vorhanden, sie müssen nur zweckadäquat analysiert und ausgewertet werden. Und darauf aufbauend bedarf es der Entwicklung von Strategien, die dem Kunden finanziell ermöglichen, seine Lebensziele zu erreichen.

Zunehmend sind Beratungen vorgegebene strukturierte Prozesse. Besteht nicht die Gefahr, dass die Beratung hier gemäß dem Entscheidungspfad/-baum abgehandelt wird und auf die individuellen Bedürfnisse zu wenig eingegangen wird?

Volle Zustimmung! Genau das meinte ich vorhin mit Einheitsberatung. Das ist weder für den Kunden noch für die Industrie von Vorteil, denn es fördert die Austauschbarkeit. Von der Konkurrenz absetzen kann man sich nur durch Qualität und Individualität.

Führen derartige strukturierte Beratungsprozesse dazu, dass das ebenso strikt strukturierte Robo Advising zur unmittelbaren Konkurrenz der Berater wird?

Im eben beschrieben Prozess der "Einheitsberatung" ganz sicher. Aber Robo Advice kann auch positiv eingesetzt und genützt werden.

Wer wird Robo Advising künftig intensiv nutzen? Die Berater, die es als Beratungshilfe verwenden? Oder die Kunden, die sich so virtuell beraten lassen?

Ich denke, hier gibt es kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Berater können Robo Advice als Unterstützung einsetzen. Und Kunden - zumindest jene mit entsprechendem Finanzwissen - können Robo Advice als Hilfsmittel nutzen, selbst zu veranlagen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Beratung in zehn Jahren? Wird die Beratung - wie man es jetzt sehen kann - von vielen Anlegern ignoriert? Wird die Beratung durch qualifizierte Berater in Zukunft zunehmen? Wird Robo Advising bei Banken und Vermögensberatern massiv Einzug halten? Werden beratungsinteressierte Kunden selbst das Robo Advising nutzen, ohne Berater hinzuziehen?

Es wird hier zu einer Koexistenz kommen. Wir sehen heute schon, dass viele Kunden, auch jüngere sehr technikaffine, immer wieder ein Gesicht sehen wollen, eine Person, mit der sie sich beraten können. Der Algorithmus allein macht weder glücklich noch schafft er absolute Sicherheit. Vom Ende der Beratung zu sprechen finde ich übertrieben. Und vor allem hochqualifizierte Beratung wird immer nachgefragt werden. Das ist wie in medizinischen Dingen: Die Erstinformation erfolgt über das Internet, aber wenn es ernst wird, möchte man doch einen Arzt konsultieren.

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