Weniger ist mehr

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sb - Die ganzheitliche Finanzplanung ist in Deutschland, aber auch in anderen Märkten Europas, aus der Mode gekommen, beklagt Rolf Tilmes in diesem Heft. Stattdessen sind "Themenpläne" auf dem Vormarsch, die naturgemäß immer nur einen Teilaspekt abdecken und damit wesentliche Aspekte der finanziellen Bedürfnisse eines Kunden außer Acht lassen können. Damit steigt naturgemäß das Risiko vermeintlicher Fehlberatungen. Denn um wirklich beurteilen zu können, was zum Kunden passt, braucht ein Berater möglichst umfassende Informationen. Und nur mit einem solchen umfassenden Ansatz lässt sich Beratungsqualität wirklich unter Beweis stellen. Dass es dazu offenbar immer seltener kommt, ist freilich nicht nur die Schuld der Anbieterseite, die aus Effizienzgründen eine abgespeckte, produktorientierte Beratung forciert, wie es Verbraucherschützer gern unterstellen. Sondern die Beratungsangebote stoßen vermutlich häufig auch bei der Kundschaft an die Akzeptanzgrenze. Wer etwa einen bestimmten Betrag anlegen möchte, der will oftmals gar nicht zeitgleich auch über Versicherungs- und Vorsorgethemen sprechen. Mancher Kunde scheut vielleicht den Aufwand, der mit einem ganzheitlichen Ansatz verbunden ist. Andere wollen ihre bisher getroffenen Entscheidungen nicht diskutieren und damit möglicherweise infrage stellen lassen. Und wieder andere verweigern sich, weil sie in dem Ansinnen, ihre gesamten Finanzen unter die Lupe zu nehmen, nur den Versuch sehen, ihnen weitere Produkte zu verkaufen beziehungsweise sie aus Produkten des Wettbewerbs hinaus und in die eigenen hinein zu beraten.

Wer es als Berater mit einem solchen Kunden zu tun bekommt, muss Obacht walten lassen. Natürlich gilt es, den Kunden darauf aufmerksam zu machen, dass bei einer nur ausschnitthaften Beratung womöglich nicht das in der Gesamtsicht optimale Ergebnis zu erwarten ist. Dieser Hinweis sollte auch ordentlich dokumentiert werden. Allzu hartnäckig darauf herumreiten darf man darauf aber auch nicht, will man den Kunden nicht gründlich verärgern. Von der Idee, die finanzielle Situation privater Kunden standardmäßig sorgfältig zu durchleuchten, werden sich Banken und Sparkassen deshalb wohl verabschieden müssen.

Umso wichtiger ist es, dort zu überzeugen, wo es zu Beratungsgesprächen (gleich in welchem Medium) kommt. Das kann eine Beratung zur Nutzung digitaler Kanäle für das Banking sein, wie sie die Sparda-Bank West eingeführt hat, um Online-Banking-Skeptiker von den digitalen Zugangswegen zu überzeugen. Es kann aber auch eine punktuelle Anlageberatung oder die Auswahl eines Vorsorgeprodukts sein. Denn nur, wer den Kunden bei diesen Kontakten zufriedenstellt, dem wird vermutlich die Chance gegeben, sich zu einem anderen Zeitpunkt erneut zu beweisen. Es muss auch nicht immer ein Zyklus mit jährlichen Beratungsgesprächen sein. Vertrauen schaffen lässt sich auch, indem man sich zwar nach einem eventuellen Beratungswunsch des Kunden erkundigt, gleichzeitig aber beispielsweise darauf hinweist, dass der Berater aktuell keinen Bedarf sieht, die bestehenden Geldanlagen oder sonstigen Verträge erneut anzufassen. Weniger kann hier manchmal durchaus mehr sein und Vertrauen schaffen. Das bedeutet nicht, sich von dem Gedanken eines abgestimmten Gesamtkonzepts gänzlich zu verabschieden. Denn dieses kann - hat man den Kunden erst einmal überzeugt - durchaus auch schrittweise erreicht werden.

Das freilich setzt zwingend einerseits einen strukturierten Beratungsprozess voraus, in dem einzelne Bausteine auch schrittweise abgearbeitet werden können. Und es bedingt einen auch in den Hintergrundsystemen integrierten kanalübergreifenden Ansatz, der auch die digitalen Kanäle voll mit einbindet und beiden Seiten (dem Kunden selbst, wie auch dem Berater) die Gesamtsicht ermöglicht, am besten sogar mit multibankfähigen Lösungen. Das freilich ist für viele Berater bislang noch ein Traum.

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