Ein wunder Punkt

Swantje Benkelberg

sb - Deutschland schöpft erst zehn Prozent seines digitalen Kapitals aus. Das geht aus einer McKinsey-Studie mit dem Titel "Das digitale Wirtschaftswunder - Wunsch oder Wirklichkeit" hervor. Diesen Schuh müssen sich Banken und Sparkassen nicht anziehen, könnte man meinen, schließlich ist die Digitalisierung eines derjenigen Themen, die die Branche in den letzten Jahren am stärksten beschäftigen und in die viel Geld investiert wird. Insgesamt sortiert die Studie die Banken deshalb im vorderen Drittel der untersuchten Branchen ein. Teile des Bankensektors zählt sie jedoch zu den "rückständigen Sektoren", bei denen die Politik unterstützende Maßnahmen ergreifen müsse. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deshalb sogar eine Anfrage an die deutsche Kreditwirtschaft gestellt und um Aufklärung gebeten. Das ist der Branche sauer aufgestoßen.

Für das zwiespältige Bild gibt es unterschiedliche Gründe. Eine der Ursachen ist das Kundenverhalten. Denn die "Rückständigkeit" macht McKinsey primär an einer Zahl fest: an der Quote der Online-Banking-Nutzer, die in Deutschland im Jahr 2016 bei 48 Prozent lag und damit deutlich hinter den digitalen Vorreitern Finnland (93 Prozent) und den Niederlanden (91 Prozent) zurückblieb. Ebenso gut könnte man den deutschen Einzelhandel als vorsintflutlich bezeichnen, weil 2016 nach EHI-Angaben immer noch 77,9 Prozent aller Bezahlvorgänge in bar abgewickelt wurden. Das Problem an dieser Stelle sind die Kundenpräferenzen, die sich sich in der Regel nur langsam ändern, in Deutschland zumal, weil hier im Vergleich zu anderen Ländern besonders hohe Bedenken in Sachen Sicherheit und Datenschutz hinzukommen. Natürlich lässt sich ein hoher Digitalisierungsgrad erzwingen, etwa indem die Notenbank die Bargeldproduktion einstellt oder die Kreditwirtschaft beleghafte Überweisungen gar nicht mehr abwickelt. Doch dann wäre der öffentliche Aufschrei groß. Also bleibt den Banken und Sparkassen nur, möglichst attraktive und sichere digitale Angebote bereitzustellen und mit sanftem Druck auf deren Nutzung hinzuwirken, etwa, indem solche Kontomodelle höher bepreist werden, bei denen auch Papierüberweisungen noch inbegriffen sind - dies wohlgemerkt immer unter der kritischen Beobachtung der Verbraucherschützer und der Medien.

Ein weiterer Grund für die Defizite in Sachen Digitalisierung lässt sich in der in Deutschland mitunter besonders strengen Regulierung suchen. Als Beispiel nennt die deutsche Kreditwirtschaft in ihrer Stellungnahme auf die Anfrage des Bundeswirtschaftsministeriums das Schriftformerfordernis bei Verbraucherkreditverträgen, das es in anderen Märkten schon längst nicht mehr gibt. Der Bankenverband fordert in einem Positionspapier zur Bundestagswahl und den Erwartungen an die künftige Bundesregierung deshalb auch eine Lockerung von "Digitalisierungsbremsen" sowie eine Gleichbehandlung von Fintechs und Kreditinstituten, wenn es um regulatorische Erleichterungen für die Einführen neuer Finanzdienstleistungen geht.

Ein Stück weit muss sich die Branche aber auch an die eigene Nase fassen. So spricht die Untersuchung auch davon, dass die Anpassung der Geschäftsmodelle in Deutschland langsamer voranschreitet als in anderen Ländern. Das ist der entscheidende wunde Punkt. Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn Anbieter, die eine persönliche Beratung bieten, Kunden auch gerne zum Beratungsgespräch in die Filiale holen wollen, um dort Kompetenz zu beweisen. Wer deshalb jedoch online keine Informationen oder Tools bereitstellt (von Abschlussmöglichkeiten ganz zu schweigen) und stattdessen nur einen Beratungstermin anbietet, der hat die Digitalisierung noch nicht verstanden und verschenkt beträchtliche Potenziale. Diese Verweigerungshaltung, die beispielsweise beim Themenbereich Altersvorsorge in starkem Maße zu beobachten ist, ist schlichtweg ein Fehler. Wer online sucht, der wird heute auch online fündig - wenn nicht bei einem der etablierten Anbieter, dann eben bei einem Fintech.

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