Ertragsstrategien

Null-Interchange: Folgen für die Praxis

In der offenen Frage um die Zukunft der Interchange-Gebühren im Debit- und Kreditkartengeschäft ist spätestens seit der Entscheidung der Europäischen Kommission vom Dezember 2007 im "Mastercard Case" viel geschrieben und noch mehr gesagt worden. Dabei mischen sich oft ganz unterschiedliche Ebenen der Diskussion. Diese Vielschichtigkeit macht es für die Praxis schwierig, eine verlässliche Folgenabschätzung zu betreiben und mögliche Handlungsoptionen herauszuarbeiten.

Die Spannbreite der möglichen Zukunftsentwicklungen wird deutlich, wenn man kurz auf einen anderen (wenn auch etwas unterschiedlich gelagerten) Fall bezüglich "Multilateral Interchange Fees" zurückblickt. So haben die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) am 4. September 2008 in einer Pressemeldung1) zum Status der Einführung des Sepa-Lastschriftverfahrens ausgeführt, "dass sie bereit wären, Verrechnungsgebühren in Form multilateraler Interbankenentgelte für grenzüberschreitende Lastschriften im Rahmen des Sepa-Systems zu befürworten, sofern diese Entgelte objektiv gerechtfertigt sind und nur während eines Übergangszeitraums erhoben werden."

Pragmatische Lösungen möglich?

Interchange ist also für die EU-Kommission keineswegs eine unannehmbare Lösung, wenn sogar bei Lastschriften, bei denen die meisten Länder in Europa national gar keine Interchanges kennen, solche MIF - hier auch Multilateral Balancing Payment (MBP) genannt - unter Umständen akzeptabel sein könnten.

Diese Aussage von Europäischer Kommission und EZB lässt hoffen, dass prinzipiell auch für die Interchange bei Debit- und Kreditkarten pragmatische Lösungen gefunden werden können. Natürlich muss eine solche Lösung - wie auch immer diese konkret aussehen könnte - valide begründet sein, um Akzeptanz bei der Europäischen Kommission finden zu können.

Widerspruch zwischen Theorie und Praxis

Gerade die Konkretisierung ist aber keineswegs trivial. Zum einen klafft eine Lücke zwischen akademischer Theorie und ökonomischer Praxis. Eine vergleichende Studie aus dem Jahr 20062) für Australien, England und die USA kommt zu zwei Folgerungen: Es gibt viele theoretische Arbeiten speziell aus den letzten Jahren über "Interchanges", aber natur gemäß müssen diese abstrahieren und Annahmen wählen, um die Komplexität der Realität in einem Modell greifbar zu machen.

Daher sind die jeweils entwickelten Modelle - wie alle ökonomischen Theorien - vereinfachend. Und da letztlich die historisch gewachsenen - Bedingungen in jedem Land sehr unterschiedlich sind, lassen diese sich durch keines der vorgeschlagenen Modelle3) vollständig fassen. Der zweite Hauptgrund sind die schon angesprochenen unterschiedlichen Ebenen der Betrachtung. Ein volkswirtschaftlicher Ansatz wird zumeist eine rationale Handlungsweise aller Beteiligten einschließlich der Endkunden unterstellen ("homo oeconomicus") und ein makroökonomisches Optimum suchen - unabhängig davon, dass das eine Fiktion ist und das andere einen idealen Zustand impliziert. So sind beispielsweise die gerne im Zusammenhang mit den Interchanges genannten Kosten des Bargelds zwar gesamtwirtschaftlich aufsummierbar, aber fallen zu einem Teil bei den Endkunden durch ausgefallene Verzinsung an. Dies nimmt aber der Endkunde oft gar nicht auf sich bezogen wahr.

Nationale Wettbewerbsbehörden auf dem Sprung

Wie eine aktuelle Studie4) vom April 2008 über weltweite wettbewerbsrechtliche Untersuchung zeigt, besteht in vielen Ländern von Seiten der Finanzaufsichts- beziehungsweise Wettbewerbsbehörden die Tendenz, Multilateral Interchange Fees als Wettbewerbshindernis anzusehen.

Man darf nicht vergessen, dass die Vor schriften über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken (Artikel 81 EG-Vertrag), welche der Entscheidung im Mastercard Case zugrunde liegen, auch prinzipiell national Gültigkeit haben - und von nationalen Kartellämtern aufgegriffen werden können.

Auch das Verbot des "Surcharging", also eines Aufschlags auf den Endpreis des Händlers je nach Zahlungsmethode, wird als Hindernis für effiziente Zahlungsinstrumente beschrieben, wie die Kommission in einem Report5) an das europäische Par lament vom Februar 2008 wiederholt hat.

Konsequenzen für die Verbraucher: das Beispiel Australien

Ohne dass aus einem belegten Einzelbeispiel nun eine verallgemeinernde Aussage abgeleitet werden soll, so zeigt doch das Beispiel von Australien die möglichen Konsequenzen für die Verbraucher.6)

In einem Bericht zu den Folgen der regulatorischen Eingriffe in die australischen Interchanges und deren Senkung hat selbst die Reserve Bank of Australia festgestellt, dass zumindest im Falle der Kreditkarten die gesenkten Interchanges zu höheren jährlichen Kartengebühren für die Kunden geführt hatten. Zusätzlich hat ein Teil der Händler den Wegfall des Verbots von Surcharging genutzt, entsprechende Aufschläge von den Kunden bei Kartenzahlungen zu fordern. Und über eine entsprechende Preissenkung im Handel konnte dagegen bisher nichts berichtet werden. Im Ergebnis sind wahrscheinlich weder der "war on cash" noch die Interessen der Konsumenten befördert worden.

Daraus kann man nun im Umkehrschluss einen klaren Aufruf an die Banken verstehen, selbst neue kreative Modelle mit einem Nutzen für die Beteiligten (und inklusive der Banken selbst) vorzulegen und nicht auf regulatorische Eingriffe zu war ten.

Konstuktive Dialogbereitschaft der Kommission

Die jüngsten Äußerungen der Europäischen Kommission und der EZB lassen prinzipiell deren konstruktive Dialogbereitschaft erkennen. Auch wenn zum einen Mastercard nach der sechsmonatigen Übergangsfrist entschieden hat, seit dem 21. Juni 2008 die grenzüberschreitenden MIF zumindest vorläufig auszusetzen, und zum anderen auch ein Verfahren der Europäischen Kommission gegen Visa in dieser Sache angestrengt wurde, so ist aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht zu erwarten, dass die Interchange grenzüberschreitend und auch national schlagartig auf Null fallen wird.

So darf man "Interchange" - auch in einem Europa der Single Euro Payments Area (Sepa) - eben nicht 1:1 mit der Gebührenpolitik von Mastercard und Visa gleichsetzen. Speziell die EZB hat hier seit Längerem wiederholt eine weitere europäische Alternative zu den beiden internationalen Debitkarten-Schemes von Mastercard und Visa angemahnt. Dies hat auch Gertrude Tumpel-Gugerell in ihrem Vortrag "Sepa for cards" in London am 2. Juli 2008 noch einmal zum Ausdruck gebracht: "Additional European card scheme(s) needed to foster a competitive, cost-efficient cards market." Oder wie es Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bei der Eröffnung des "House of Finance" der Goethe-Universität Frankfurt am 30. Mai 2008 formulierte, so dürfe man die Definitionshoheit auf dem Gebiet der Finanzmärkte nicht einfach an angloamerikanische Player abtreten.

Verschiedene Ansätze für Handlungsoptionen

Dennoch lässt sich die zukünftige Entwicklung (noch) nicht vollständig vorher sehen und nicht alle Fragen heute schon verlässlich beantworten. Daher wurden beispielsweise im genossenschaftlichen Finanzverbund schon seit Längerem ver schiedene Ansätze verfolgt, um sich hier Handlungsoptionen offenzuhalten und auch die Kunden angemessen beraten zu können. Diese Ansätze sind unter anderem:

realistische Preispolitik bei Debit- und Kreditkarten;

Produkt- und Funktionsdifferenzierung im Debitkartenbereich mit unterschiedlichen Preisen, um gerade auf die ganz unterschiedlichen Nutzungsgewohnheiten der Kunden eingehen zu können und kein Pauschalangebot machen zu müssen;

Herausgabe der ersten V-Pay-Karten in Deutschland durch Volksbanken Raiffeisenbanken mittels Lizenz der DZ Bank schon im Dezember 2007. Damit wurde erstmals eine umfassende Alternative zu Maestro geschaffen, was auf der entsprechenden Vereinbarung zwischen der DZ Bank, der WGZ Bank, dem BVR und Visa Europe von Ende 2006 basiert - welche ein echter "First Mover" weltweit war;

aktive Kundenberatung zur Wahl der jeweils passenden Produkte für Debit- und Kreditkarten im Sinne eines Ankerprodukts;

aktive Teilnahme an der Initiative von großen deutschen und französischen Banken zum Aufbau einer "New European Card Solution" mit einem fairen Modell mit "adäquater Kompensation" für erbrachte Services.

Gefangenendilemma bei der Preispolitik vermeiden

Im genossenschaftlichen Finanzverbund war man immer bemüht, eine realistische Preispolitik bei Debit- und Kreditkarten zu betreiben und trotz intensiven Wettbewerbs Quersubventionen beziehungsweise teure Bonusprogramme zu vermeiden, welche in der Regel aus der Interchange gespeist werden.

Viele Banken in Deutschland haben sich im Gegensatz dazu in der Preispolitik in ein "Gefangenendilemma" hinein manövriert. Obwohl subventionierte "Null-Euro-Angebote" schnell kopierbar sind, findet sich oft eine Tendenz zugunsten einer recht kurzfristigen Preispolitik, welche letztlich aber alle Beteiligten in eine Abwärtsspirale hineinführt.

Die Produkt- und Funktionsdifferenzierung im Debitkartenbereich des genossenschaftlichen Finanzverbunds ermöglicht es den Volksbanken Raiffeisenbanken, ihr Kartenangebot der strategischen Ausrichtung und Kundenstruktur der jeweiligen Bank entsprechend anzupassen. Dementsprechend werden den Banken unter schiedliche Karten-Produkte angeboten: von der VR-Servicecard als kostengüns tige Magnetstreifenkarte für Kunden, welche nur die Selbstbedienungsinfrastruktur des eigenen Instituts nutzen wollen, bis zur VR-Bankcard Maestro als multifunk tionale Chipkarte. Ergänzt werden diese Debitkartenprodukte durch die entsprechenden Kreditkarten.

V-Pay als Alternative

Mit der Vereinbarung mit Visa Europe und der Herausgabe der ersten V-Pay-Karte in Deutschland durch die DZ Bank unter stützt der genossenschaftliche Finanzver bund einen stärkeren Wettbewerb im Debitkartenmarkt. Zum einen ermöglicht V-Pay mit Chip und PIN als zukunftsfähiges Kartenprodukt einen sehr hohen Sicherheitsstandard. Und zum anderen wurde damit zum ersten Mal in Deutschland eine Alternative zur Debitkarte mit Maestro-Logo für den internationalen Einsatz geschaffen, sodass für die Banken eine echte Wahlmöglichkeit in der Kartenausstattung besteht.

Die Produkt- und Funktionsdifferenzierung im Debitkartenbereich sowie die durch V-Pay mögliche alternative Ausstattung ist aber nur in Kombination mit einer aktiven Kundenberatung zur Wahl der jeweils passenden Produkte durch die Banken des genossenschaftlichen Finanzverbunds zu sehen. Gerade mit dem Einsatz von Debit- und Kreditkarten verbinden die Kunden konkrete Vorstellungen, ob es sich um den Einsatz von Karten im Auslandsurlaub handelt, ob das richtige Zahlungsmittel für einen Geschäftsreisenden gesucht wird, oder ob es nur um die kostengünstige Nutzung der Selbstbedienungsinfrastruktur des eigenen Instituts geht. Denn Karten sind keineswegs nur ein "Beiprodukt", sondern heute im Gegenteil ein wirkliches Ankerprodukt.

Eine "New European Card Solution"

Während die vorgenannten vier Ansätze insbesondere die Handlungsoptionen für den genossenschaftlichen Finanzverbund offenhalten, so ist der fünfte Ansatz ein Vorstoß zur Gestaltung der zukünftigen Kartenlandschaft in Europa. Dieser Ansatz nimmt aktiv den schon angesprochenen "Aufruf an die Banken für ein kreatives Modell" auf, um eine Lösung mit Nutzen für alle Beteiligten zu schaffen.

Daher haben sich neben der DZ Bank viele große Banken aus Deutschland und Frankreich in einer Initiative zusammengefunden, um eine New European Card Solution zu schaffen. Damit greift diese Initiative durchaus die Anregungen der EZB für eine dritte Sepa-konforme Karten-Lösung für Europa auf.

Für alle europäischen Banken offen

Kern dieser Initiative ist dabei, nicht vom Status quo der doch sehr unterschiedlichen heutigen Systeme in Europa auszugehen und quasi einen "kleinsten gemeinsamen Nenner" durch eine Kopplung von existierenden Systemen zu versuchen, sondern eine neue und kreative Lösung aus der europäischen Perspektive zu schaffen.

Auch wenn im Augenblick "nur" Banken aus Deutschland und Frankreich aktiv daran beteiligt sind, so ist diese Initiative offen für alle Banken aus Europa. Daher sind Banken aus weiteren west- und osteuropäischen Ländern mehr als nur interessiert, zukünftig an dieser Initiative teilzunehmen.

Ein Ausweg aus der Interchange-Falle

Neben der Schaffung einer Alternative zu Maestro und V-Pay als Sepa-konforme europäischen Debitkartenlösung kann nur eine echte "New European Card Solution" auch den gordischen Knoten der Inter -change-Diskussion lösen.

Die von den beteiligten deutschen und französischen Banken aktuell konzipierte "New European Card Solution" ist ein konstruktiver Vorstoß, ein neues Konzept zu etablieren, welches nicht nur alten Wein in neuen Schläuchen liefert, sondern ein kreatives Modell als Ausweg aus der "Interchange-Falle" entwickelt.

Dieses neue Modell greift den auch von der Europäischen Kommission durchaus positiv betrachteten Denkansatz des "Balancing"7) auf. Es legt für alle Beteiligten eine faire adäquate Kompensation für erbrachte Serviceleistungen zugrunde. Da aber schon aus Gründen der Praktikabilität diese adäquate Kompensation nicht jeweils bilateral zwischen allen beteiligten europäischen Banken vereinbart werden kann, muss es auch hier eine "multilaterale" Vereinbarung geben. Um auch eine Ausnahmeregelung gemäß Artikel 81(3) erlangen zu können, wird die "New European Card Solution" klar aufzeigen,

warum es - schon aus Gründen der Praktikabilität - eine multilaterale adäquate Kompensation für erbrachte Services geben muss,

wie diese adäquate Kompensation nachvollziehbar und transparent im Einzelnen ausgestaltet ist

und wie durch dieses Modell für alle Beteiligten - Kunden, Händler und Banken - konkrete Vorteile erzielt werden.

Hier bietet sich ein klarer Ausweg aus der Gefahr der "Null-Interchanges". Dieser Ausweg erfordert aber auch eine gemeinsame Anstrengung von europäischen Banken, am gleichen Strang zu ziehen und nicht zurückzublicken, sondern auch Mut zu konstruktiv neuen Wegen zu beweisen.

Fußnoten:

1 Europäische Kommission, IP/08/1290 vom 4. September 2008; vergleiche dazu unter anderem auch: Irmfried Schwimann, DG Competition "Speech on SEPA and competition", 3. September 2008, und Gertrude Tumpel-Gugerell, ECB "Sepa calls for an additional European card scheme", 9. September 2008.

2 F. Hayashi und S. E. Wiener "Interchange fees in Australia, the UK, and the United States : matching theory and practice", Federal Reserve Bank of Kansas City, Economic Review 3Q2006: "Not surprisingly, the models examined [...] are limited in their applicability and predictive power. This reflects the fact that country-specific factors are typically very impor tant."

3 Ob man nun weltweit die Märkte vergleicht oder nur in Europa, so finden sich überall unterschiedliche viele konkur rierende Schemes bei Kreditkarten, manchmal gibt es mehrere Debitkartenschemes und manchmal nur ein einziges pro Land, es gibt 3-Parteien-Schemes, 31/2-Parteien-Schemes und 4-Parteien-Schemes, und auch "Exoten" wie das australische EFTPOS-Debitkartenscheme mit einem Interchange-Fluß von Issuer zum Acquirer.

4 T. Bradford und F. Hayashi "Developments in Interchange Fees in the United States and Abroad", payments system research briefing, Federal Reserve Bank of Kansas City, April 2008.

5 Accompanying document to the "Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the application of Regulation (EC) No 2560/2001 on cross-border payments in euro", Annex to the Report [COM(2008) 64 final], 11. Februar 2008.

6 Reserve Bank of Australia "Reform of Australia's Payments System, Preliminary Conclusions of the 2007/08 Review", vom April 2008 - unter anderem mit folgenden Feststellungen: "In particular, the relative prices that consumers face for credit and debit transactions more closely reflect relative costs than was the case prior to the reforms. [...] Lower interchange fees ... resulted in a reduction in the value of reward points and higher annual fees, increasing the effective price of credit card transactions facing many consumers. [...] Surcharging has also led to a significant rise in the effective price of some credit card transactions."

7 Wie unter anderem Frau I. Schwimann von der Europäischen Kommission auf der Eurofi2008 Konferenz in Nizza am 11. September 2008 ausführte: "there is a logic of balancing".

Gregor Roth , Bereichsleiter Transaction Management, , DZ Bank AG, Frankfurt am Main
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