Abschied von Visa Europe: der richtige Zeitpunkt

sb - Seit dem 2. November 2015 ist es offiziell. Visa Inc. wird Visa Europe für bis zu 21,2 Milliarden Euro übernehmen. Zunächst erhalten die Mitgliedsbanken von Visa Europe 11,5 Milliarden Euro in bar sowie Aktien im Wert von 5 Milliarden Euro, weitere bis zu 4,7 Milliarden Euro können am 4. Jahrestag des Closings fließen. Die Nachzahlungen basieren auf dem Erreichen von Ertragszielen in den ersten 16 Quartalen nach der Übernahme.

Mit der Re-Integration der europäischen Einheit endet der Alleingang der europäischen Banken. Die seit 2004 eigenständige Region Europa war 2008 vom Visa-Börsengang ausgenommen worden, um als eigenständige Region mit einer Lizenz von Visa Inc. weitergeführt zu werden. Die Mitgliedsbanken erhielten damals die Option, ihre Anteile an Visa Inc. verkaufen zu können. Von dieser Option haben die Europäer nun Gebrauch gemacht.

Willkommener Geldsegen

Der Zeitpunkt dafür kommt nicht von ungefähr - schließlich können die europäischen Banken angesichts der Ertragsausfälle im Kartengeschäft das Geld aus den USA sicher gut gebrauchen. Die britische Barclays Bank teilte mit, dass sie 2015 mit rund 400 Millionen Pfund rechnet. Finanzielle Begehrlichkeiten dürften zu der Entscheidung insofern sicher beigetragen haben - auch wenn der Geldsegen natürlich nur ein einmaliger Effekt ist.

Doch es gibt auch andere Aspekte: Nach dem Börsengang von Visa in den USA hatten die Europäer aus zweierlei Gründen Wert darauf gelegt, den Charakter einer europäischen Mitgliederorganisation beizubehalten.

Gründe für die Unabhängigkeit haben sich erledigt

- Zum einen ging es darum, die Gestaltungshoheit zu behalten und speziell auf den europäischen Markt zugeschnittene Produkte zu entwickeln. Das ist mit V-Pay gelungen, das als Debitprodukt speziell mit Blick auf die ehemaligen eurocheque-Länder entwickelt wurde, um Visa dort den Marktzugang im Debitbereich zu öffnen.

- Eine andere Hoffnung hat sich jedoch nicht erfüllt - nämlich die Erwartung, von den Regulatoren als europäisches Unternehmen und nicht als amerikanisches betrachtet zu werden und somit im Vergleich mit dem direkten Konkurrenten Mastercard mehr Wohlwollen zu erfahren. Auch V-Pay, das nun wirklich ein rein europäisches Produkt ist, unterliegt schließlich der Interchange-Regulierung.

Die wesentlichen Gründe, die 2008 für das Bewahren der Unabhängigkeit sprachen, haben sich damit in gewissem Sinne auf die eine oder andere Weise erledigt.

Antwort auf veränderte Wettbewerbsbedingungen

Und die Welt ist heute eine andere als vor sieben Jahren. Die Dynamik im Markt für Zahlungsverkehrsdienstleistungen ist derart gewachsen, dass es nicht mehr darum gehen kann, spezifische Lösungen für vergleichsweise kleine Marktsegmente zu entwickeln. Heute geht es nicht mehr um die Abgrenzung von Europa gegenüber dem Rest der Welt. Sondern es gilt, bei der Weiterentwicklung innovativer Angebote die Kräfte zu bündeln und auf Effizienz zu setzen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die neuen Wettbewerber, die sich verstärkt dem Zahlungsverkehr zuwenden, haben ihren Ursprung schließlich oft in den USA. Da hat es durchaus seine Berechtigung, dass auch von dort die Antworten auf neue Entwicklungen kommen, die irgendwann meist doch über den Atlantik schwappen.

Das heißt nicht, dass europäische Banken alle Produkte, die von der globalen Visa-Organisation entwickelt werden, übernehmen müssen. Sicher passt nicht alles für die europäischen Märkte gleichermaßen. Aber die Hoheit der einzelnen Emittenten, sich für die Produkte zu entscheiden, die sie für sich als passend erachten, bleibt von der Re-Integration Europas in Visa Inc. schließlich unberührt.

Natürlich werden die rund 3 000 europäischen Mitgliedsbanken in 38 Ländern, die insgesamt etwa 500 Visa-Karten am Markt haben und pro Jahr etwa 18 Milliarden Transaktionen mit einem Volumen von 1,5 Billionen Euro abwickeln, künftig nicht mehr Eigner, sondern lediglich Kunden des Dienstleistungsunternehmens Visa sein. Und auch als Aktionäre sind ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Doch damit haben sie in der Zusammenarbeit mit Mastercard längst zu leben gelernt. Bei der Entscheidung für die Emission des einen oder anderen Kartenprodukts war die Frage nach der Organisationsform - Mitgliederorganisation oder börsennotiertes Unternehmen - ohnehin in aller Regel nicht die entscheidende.

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