Innovatives Bezahlen

Mobile Payment in der Schweiz: Twint als gemeinsames System

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In Sachen Mobile Payment ist die Schweiz Deutschland ein gutes Stück voraus. Die Konsolidierung bei den ursprünglich zahlreichen Konzepten ist vollzogen. Nun haben sich auch die beiden großen Lösungen, Paymit von Six und Twint von der Postfinance in Verbindung mit Coop und Migros, zum Zusammengehen entschlossen. Ab Herbst 2016 soll damit ein gemeinsamer Mobile-Payment-Standard für die Schweiz entstehen, von dem alle Beteiligten profitieren sollen. Der Zusammenschluss ist eine Reaktion auf die internationale Konkurrenz. Mit der einen großen Mobile-Payment-Lösung, hinter der Banken, Einzelhandel und Telekommunikationsunternehmen stehen, will man Wettbewerbern wie Apple, Google oder Facebook die Stirn bieten. Red.

Ende Mai 2011 stellte Google an einer Pressekonferenz die Google Wallet vor. Der kostenlose Online-Dienst ist mit G-Mail verknüpft und ermöglicht das elektronische Senden und Empfangen von Geld zwischen stationären und mobilen Geräten.

Gut drei Jahre später kündigte Apple an, mit Apple Pay ebenfalls in den Mobile-Payment-Markt einsteigen zu wollen. Die Absichten der beiden Tech-Giganten machten eines klar: Das Smartphone und seine Anwendungen werden weiter an Bedeutung gewinnen und die Gewohnheiten der Verbraucher verändern.

Experten gehen heute davon aus, dass Mobile Payment das Potenzial hat, den Markt für Finanzdienstleistungen zu revolutionieren. Diese Prognose zieht am Finanzplatz Schweiz nicht spurlos vorbei. Eifrig entwickeln Banken möglichst praktische mobile Zahlungslösungen. Und nicht nur sie. Auch Kreditkarten- und Telekommunikationsfirmen, Detaillisten, Gerätehersteller und Technologieunternehmen versuchen sich mit ihren Apps im Schweizer Mobile-Payment-Markt zu etablieren.

Einige Apps schon wieder verschwunden

Obwohl es letztlich darum geht, Geld mit dem Smartphone zu überweisen oder zu empfangen, unterscheiden sich Funktionalität und Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen mobilen Bezahlsysteme teils markant.

- Mit gewissen Apps sind Geldtransaktionen ausschließlich von Person zu Person (Person-to-Person, kurz: P2P) möglich,

- während andere für das mobile Bezahlen an der Ladenkasse oder im Online-Shop konzipiert wurden.

- Hinzu kommt, dass die meisten der bisherigen Lösungen an einen Smartphone-Typ, eine Bank, einen Netzprovider oder eine Händlerkette gebunden sind und auf Kreditkarten basieren.

Diese Einschränkungen und das Fehlen von Mehrwerten gegenüber Bar- oder Plastikgeld führten dazu, dass einige Apps bereits wieder verschwunden oder kurz vor dem Auslaufen sind.

Im Juni des vergangenen Jahres riefen der Schweizer Börsenbetreiber Six, die Großbank UBS sowie die Zürcher Kantonalbank gemeinsam die Zahlungs-App Paymit ins Leben. Paymit ermöglicht ausschließlich mobile Zahlungen zwischen Personen. Im Moment laufen jedoch Bestrebungen, um die Funktonen auf Transaktionen zwischen Personen und Händlern (Person-to-Merchant, P2M) auszuweiten.

Paymit und Twint, die großen Schweizer Player

Je nach Anbieter der App erfolgt die Abrechnung über eine Kreditkarte, ein Konto oder geladenes Guthaben (Prepaid). Schon bevor die Werbetrommel gerührt wurde, konnte die Anwendung viele Downloads und das Interesse der Credit Suisse und Raiffeisen verbuchen.

Nur wenige Monate nach der Lancierung von Paymit wurde Twint auf den Schweizer Markt gebracht. Die Payment- und Shopping-App wurde mit dem Ziel ent wickelt, der Schweiz ein digitales Portemonnaie mit breitem Funktionsumfang und Mehrwerten zur Verfügung zu stellen.

Im Gegensatz zu Paymit vereint die Anwendung sowohl die P2P- als auch die P2M-Funktion. Das Unternehmen hinter Twint ist eine Tochtergesellschaft der Postfinance und profitiert dadurch von über 100 Jahren Erfahrung im Schweizer Zahlungsverkehr.

Twint setzt auf Bluetooth und nicht wie andere mobile Bezahlsysteme auf die NFC-Technologie (Near Field Communication). Das hat den Vorteil, dass die Anwendung auch auf i-Phones genutzt werden kann. Außerdem ist Twint ein offenes System mit erweiterten Funktionsmöglichkeiten wie das Hinterlegen von Kundenkarten.

Anreize für alle Beteiligten

Doch erfolgsrelevant ist nicht nur die Technologie, die dahintersteckt. So baut Twint konsequent auf ein Netzwerk aus Händlern, Privatkunden und Banken und setzt erfolgreich Anreize für alle diese teilnehmenden Parteien:

- Die Konditionen sind für Händler güns tiger als solche von kreditkartenbasierten Lösungen.

- Mit Funktionen wie individuelle Coupons mit exklusiven Angeboten, digitale Stempelkarten oder das Hinterlegen von Kundenkarten schafft Twint Mehrwerte, die anderen Zahlungsarten ihren Kunden nicht bieten können.

- Und für die Banken ist es wichtig, dass sie sichtbar bleiben und der Geldfluss über sie läuft.

Der Erfolg blieb nicht aus. Von Anfang an setzte der Handel auf Twint. Coop, die Nummer 2 im Schweizer Detailhandel, rüstete innerhalb kürzester Zeit das ganze Filialnetz mit Twint Beacons aus. Migros, die Nummer 1, wird bis Ende 2016 nachziehen. Auch Digitec Galaxus, brack.ch und coop@home - alles Schwergewichte im Schweizer E-Commerce - haben Twint implementiert.

Neuer Schweizer Standard im Mobile Payment

Die Schweiz als offene Volkswirtschaft ist auch bei Zahlungsdienstleistungen kein abgeschotteter Markt. Internationale Unternehmen wie Google oder Facebook werden früher oder später versuchen, auch in der Schweiz mit ihren mobilen Zahlungslösungen Fuß zu fassen. Apple Pay wird noch in diesem Sommer starten. Ob sie mit ihrem Verständnis von Datenschutz das Vertrauen der Schweizer gewinnen können, wird sich jedoch zeigen müssen.

Als Reaktion auf die internationale Konkurrenz haben sich Anfang Mai dieses Jahres die an Paymit beteiligten Unternehmen, die Postfinance und Twint, die Detailhändler Coop und Migros sowie das Telekommunikationsunternehmen Swisscom auf eine gemeinsame Lösung für ein mobiles Schweizer Bezahlsystem verständigt. Die Zustimmung der zuständigen Wettbewerbsbehörde (Weko) steht noch aus.

Das gemeinsame Mobile-Payment-System vereint die Vorteile von Paymit und Twint. Der Betrieb wird an ein eigenes Unternehmen namens Twint AG übertragen, an dem die genannten Banken und Six beteiligt sind. Außerdem wird weiterhin mit bestehenden strategischen Partnern, unter anderem der Swisscom für die Bankenintegration, zusammengearbeitet.

Das neue System tritt unter der Marke Twint auf. Es erfolgt ein umfassendes Re-Branding, das der gemeinsamen Schweizer Mobile-Payment-Plattform Rechnung trägt. Diese steht allen Konsumenten sowie sämtlichen Händlern offen - vom Großverteiler bis zur Espresso-Bar, Banken, Herausgebern von Zahlkarten (Issuer), Abrechnungsunternehmen (Acquirer) sowie allen weiteren in- und ausländischen Marktteilnehmern. Sie ist kanalübergreifend an der Ladenkasse, im E-Commerce, in Apps, an Automaten sowie bei Geldtransaktionen zwischen Personen einsetzbar.

Der neue mobile Zahlungsstandard soll allen Händlern und Endkunden im Laufe des Herbstes 2016 verfügbar sein. Bis zu diesem Zeitpunkt können Nutzer von Paymit und Twint unverändert die Dienste und Funktionen ihres Anbieters in Anspruch nehmen.

Weitreichende Funktionspalette

Jede Partnerbank kann wie bisher bei Paymit ihre eigene Applikation im Co-Branding herausgeben, und dem Handel steht die Option von Twint offen, eigene Kundenkarten ins System einzubinden.

Von der gemeinsamen Zahlungslösung profitieren insbesondere die Nutzer. Sie werden eine breite Akzeptanz im stationären Handel sowie bei Online- und App-Shops vorfinden, Rechnungen begleichen und an Automaten Lebensmittel, Parkscheine, Skipässe sowie weitere Güter und Dienstleistungen bezahlen können. Auch Überweisungen unter den Nutzern werden weiterhin möglich sein.

Zudem kann der Nutzer wählen, wie er seine mobile Zahlung begleichen will: Die neue Zahlungslösung akzeptiert sowohl die Anbindung eines Bankkontos als auch einer Kredit- oder Prepaidkarte sowie das Aufladen per Vorauszahlung.

Auch die Händler profitieren von der gemeinsamen Lösung: Mehrwertleistungen, wie die Integration von Kundenkarten, Stempelkarten oder Promotionsrabatten (Mobile-Couponing) stehen interessierten Händlern und Kunden zur Verfügung. Weitere Funktionen sind für 2017 geplant.

Dank des gemeinsamen Standards entfällt eine Mehrfachintegration verschiedener Zahlungsverkehrslösungen und spart damit Investitionskosten für die Händler. Die Lösung ist technologisch offen, um vorhandene und zukünftige Übermittlungstechnologien wie Bluetooth, QR-Code und NFC zu integrieren.

Konkurrenzprodukten aus dem Ausland die Stirn bieten

Insbesondere lassen sich neben den Twint-Beacons die ebenfalls vorhandenen Zahlterminals aller Anbieter in das System integrieren. Dies mit dem Ziel, eine möglichst rasche und weitreichende Marktdurchdringung zu erreichen. Auch Kleinsthändler oder Dienstleistungsunternehmen können sich ohne große Investitionen ans System anschließen.

Natürlich hat der Zusammenschluss von Paymit und Twint eine strategische Komponente. Mit der Fusion wird eine mobile Zahlungslösung bereitgestellt, die Konkurrenzprodukten aus dem Ausland die Stirn bietet. Den Nutzern wird eine Bezahl-App in die Hand gegeben, die aus der langjährigen Erfahrung und dem Know-how von bewährten Schweizer Finanzinstituten entsprungen ist.

Zum Autor Thierry Kneissler, CEO, TWINT AG, Bern

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