Die Fortführung von Factoring in der (vorläufigen) Insolvenz

Chancen und Risiken abwägen

Stefan Krüger

Dr. Stefan Krüger - Die Fortführung und Implementierung von Factoring in (vorläufigen) Insolvenzverfahren hat in der Praxis erheblich an Bedeutung gewonnen. Die hiermit zusammenhängenden Risiken und Chancen erläutert der Autor in diesem Beitrag.

Vor einigen Jahren noch verhielten sich Factoring und Insolvenz gewissermaßen wie "Feuer und Wasser". Spätestens wenn der Factor von der Stellung eines Insolvenzantrages erfuhr, erfolgte die fristlose Kündigung. Anschließend ging es regelmäßig allein um die Abwicklung des Factoring-Engagements.

Hintergrund waren nicht zuletzt die zum Teil völlige Verweigerung von Kooperation durch einige (vorläufige) Insolvenzverwalter und damit einhergehende heftige Auseinandersetzungen zwischen Factoring-Gesellschaften und Insolvenzverwaltern, zumal wenn vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter gezielt dem Factor zustehende Forderungen am Factor vorbei eingezogen wurden.

Dies hat sich im Laufe der Jahre geändert. Das gegenseitige Verständnis von Factoring-Gesellschaften und Insolvenzverwaltern ist gestiegen. Factoring wird zum Teil fast schon regelmäßig als Baustein einer Restrukturierung eingesetzt. Dies gilt nicht erst in Zeiten des ESUG,1) sondern galt auch schon davor. Vereinzelt kommt es in der (vorläufigen) Insolvenz nicht nur zur Fortführung von Factoring, sondern teils sogar zu "Neu-Factoring".

Kündigung

Ungeachtet des Vorstehenden ist der Mechanismus, dass auch weiterhin bei Kenntnis des Factors von einem Insolvenzantrag die fristlose Kündigung durch den Factor erfolgt. Umgekehrt gilt: Dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder Sachwalter steht kein vertragliches Kündigungsrecht zu.

Derartige Kündigungen durch den Factor sind auch wirksam. Dies scheint im Hinblick auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), Nr. 19 AGB-Banken und Nr. 26 AGB-Sparkassen, allgemeine Meinung zu sein.2) Das muss erst recht beim Factoring gelten, wenn zukünftig Forderungen angekauft und bevorschusst werden sollen und es nicht (lediglich) um die Weitergewährung eines bereits ausgezahlten Darlehens geht, sondern um "Neugeschäft" beim Forderungskauf, also "Fresh Money". Es ist einem Factor nicht zuzumuten, weiter Forderungen ankaufen und bevorschussen zu müssen, weil er (mutmaßlich) nicht kündigen kann, und sehenden Auges das bereits realisierte Insolvenzrisiko im Hinblick auf Neuforderungen noch zu vergrößern.

Schließlich wird in der Praxis häufig an insolvenzunabhängige Kündigungsgründe wie Verzug oder sonstige Vertragsverletzung sowie wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage angeknüpft, wenn überhaupt eine Begründung erfolgt. Hierzu kann auch nur grundsätzlich geraten werden.

Verfahrenskonstellation

Soll das Factoring fortgeführt werden, erfolgt dies regelmäßig auf der Grundlage eines Neuvertrages oder einer "Fortführungsvereinbarung". Insoweit gibt es zwar keine Standards, aber Vorgaben der jeweiligen Factoring-Gesellschaften. Hierüber sollten sich die Beteiligten möglichst zeitig abstimmen, auch im Hinblick auf die grundsätzlich erfolgende Kündigung mit allen damit einhergehenden Rechtsfolgen.

Die juristische Ausgestaltung ist im Übrigen auch von der Verfahrenssituation abhängig. Dies betrifft bereits die Frage, wer Vertragspartner des Factors ist. Insoweit sind folgende drei Konstellationen der Regelinsolvenz zu unterscheiden:

- Vorläufiger Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO);

- Vorläufiger "starker" Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO);

- Vorläufiger "halbstarker" Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO).

Bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird die Vereinbarung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter geschlossen. Insoweit ist jedenfalls eine Einzelermächtigung durch das Gericht erforderlich. Zudem wird in der Praxis regelmäßig die "Einbeziehung" der Geschäftsführer/Vorstände durch den Factor gefordert, zumal wenn diese für den Geschäftsbetrieb auch weiterhin verantwortlich sind.

Wird ein vorläufiger "starker" Insolvenzverwalter bestellt, erfolgt die Vereinbarung ebenfalls mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Da dieser Masseverbindlichkeiten per Gesetz begründen kann, bedarf es allerdings keiner Einzelermächtigung. Auch hier werden Geschäftsführer/Vorstände regelmäßig einbezogen.

Bei der Bestellung eines vorläufigen "halbstarken" Insolvenzverwalters erfolgt die Vereinbarung ebenfalls mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Es bedarf auch hier einer Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten. Ferner werden auch in dieser Fallgestaltung Geschäftsführer/Vorstände mit einbezogen.

Eigenverwaltung "Schutzschirm"

Problematisch ist die Situation bei der Eigenverwaltung, denn umstritten ist, ob und durch wen bei der Eigenverwaltung Masseverbindlichkeiten begründet werden. Dabei werden von den Gerichten unterschiedliche Positionen vertreten:

- Genereller Ausschluss der Begründung von Masseverbindlichkeiten bei Eigenverwaltung.3)

- (Einzel-)Ermächtigung nur zugunsten des Schuldners (nicht des vorläufigen Sachverwalters) möglich.4)

- Ermächtigung nur zugunsten des vorläufigen Sachverwalters (nicht des Schuldners) möglich.5)

- Ermächtigung nur zugunsten des Schuldners (nicht des vorläufigen Sachverwalters) möglich, jedoch nur zur Begründung einzelner, im Voraus festgelegter Verbindlichkeiten zulasten der späteren Insolvenzmasse.6)

- Schuldner kann Masseverbindlichkeiten auch ohne gerichtliche Ermächtigung begründen.7)

Die Frage ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) sich mit der Thematik mittelbar befasst. Es ging dort jedoch allein um eine formelle Entscheidung über die Beschlussanfechtung mit sofortiger Beschwerde.8)

Im Ergebnis ist für die Praxis anzuraten, dass bei Eigenverwaltung keine Fortführung von Factoring ohne Beschluss über die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch das Insolvenzgericht erfolgt. Wer Vertragspartner ist, richtet sich nach dem jeweiligen Beschluss des Insolvenzgerichts. Aber auch hier gilt es, die weiteren Beteiligten, also (vorläufiger) Sachverwalter beziehungsweise die Geschäftsführung/Vorstand, regelmäßig mit einzubeziehen.

Im "Schutzschirm-Verfahren" ist der Vertragspartner grundsätzlich der Schuldner. Erforderlich ist auch hier ein Beschluss über die Begründung von Masseverbindlichkeiten, wobei § 270 b Abs. 3 Insolvenzordnung (InsO) insoweit keine Begrenzung enthält. Auch hier kommt es in der Praxis häufig zur "Einbeziehung" des (vorläufigen) Sachverwalters.

Typische Vertragsinhalte

Vertragsinhalte sind neben den "üblichen" Regelungen eines Factoring-Vertrages (exemplarisch):

- Regelungen zum Forderungseinzug: Hier ist der geordnete und erfolgreiche Forderungseinzug gemeinsames Ziel. Insoweit sind gemeinsame Debitorenrundschreiben von Factor und vorläufigem Insolvenzverwalter/Sachwalter zu empfehlen.9) Auch sollte der weitere außergerichtliche und gerichtliche Debitoreneinzug (einschließlich Kostenregelungen) festgelegt werden. Gleiches gilt für die Unterstützung beim Debitoreneinzug durch Unterlagenübermittlung und Erteilung von Informationen, Datenaufbereitung et cetera.

- Regelungen zur Verität der (zukünftig) gefactorten Forderungen sowie Veritätsgarantie: Hiervon wird ein Factor nicht abweichen. Wenn insoweit Bedenken seitens des (vorläufigen) Insolvenzverwalters/Sachwalters bestehen, kommt als Gestaltungsvariante in Betracht, dass Debitoren die zu factornden Forderungen schriftlich bestätigen, bevor der Factor diese dann abgetreten und verkauft bekommt und den Kaufpreis an den (vorläufigen) Insolvenzverwalter/Sachwalter zahlt. Allerdings sollten sich die Beteiligten des hiermit einhergehenden Aufwandes bewusst sein.

- Regelungen zu Sicherungsrechten wie Kaufpreiseinbehalten und sicherungsabgetretenen Forderungen,

- teils Regelungen zu "neuem" Buchungskreis (Alt- und Neuforderungen),

- Reportingpflichten (auch im Hinblick auf die erhöhte Risikosituation),

- Sonder-Kündigungsrechte/Beendigung,

- höhere Konditionen wegen Risikoerhöhung,

-- Bindung des Insolvenzverwalters.

Im Hinblick auf die "Bindung" des Insolvenzverwalters gilt es Folgendes zu beachten: Der Insolvenzverwalter kann grundsätzlich auch Rechtshandlungen anfechten, die er als vorläufiger Insolvenzverwalter vorgenommen hat.10)

Eine wesentliche Ausnahme ist, dass der Factor in die Rechtsbeständigkeit des Verhaltens des vorläufigen Insolvenzverwalters Vertrauen durfte und insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen existiert.11) Ein derartiges schutzwürdiges Vertrauen besteht im Hinblick auf die erheblichen Vermögensdispositionen des Factors - ebenso des vorläufigen Insolvenzverwalters beziehungsweise Sachwalters - bei der Fortführung von Factoring im (vorläufigen) Insolvenzverfahren, zumal auch der Geschäftsbetrieb beim Factoring-Kunden (= Insolvenzschuldner) hiervon maßgeblich beeinflusst wird und hiervon auch die Insolvenzmasse erheblich profitiert.

Das Vertrauen wird dann durch die Unterschrift unter der "Fortführungsvereinbarung" dokumentiert. Dies gilt umso mehr, wenn ein (vorläufiger) Gläubigerausschuss dem Abschluss einer "Fortführungsvereinbarung" zustimmt.

Dessen ungeachtet sollte zur Meidung etwaiger Diskussionen über Vertrauensschutz in je dem Fall dafür Sorge getragen werden, auch anderweitige von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmefälle zusätzlich zu erfüllen. Dies gilt namentlich im Hinblick auf Vertrauensschutz beim "starken" Insolvenzverwalter und bei der Einzelermächtigung.12) Im Übrigen ist eine Anfechtung jedenfalls in diesen beiden Fällen ausgeschlossen, da insoweit kein Nachteil für die Insolvenzgläubiger entsteht.

Schließlich ist zu beachten: Mit dem Abschluss des vorläufigen Insolvenzverfahrens und bei Insolvenzeröffnung endet der Factoring-Vertrag beziehungsweise die "Fortführungsvereinbarung". Sie stellt regelmäßig einen Geschäftsversorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1 BGB dar, der gemäß §§ 115, 116 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt.13) Derartige Vereinbarungen können kurz gehalten werden, so durch die Verwendung von bereits bekannten Anlagen, auf die dann Bezug genommen wird. Die Beteiligten sind im Regelfall die gleichen, nur dass der vorläufige Insolvenzverwalter/Sachverwalter nunmehr nicht mehr "vorläufig" ist. Man sollte diesen Punkt aber nicht vergessen.

Chancen und Risiken

Als Fazit kann festgehalten werden: Die Fortführung von Factoring und Insolvenz kann für alle Beteiligten große Vorteile mit sich bringen. Dabei müssen die Chancen und Risiken jedoch jeweils erst einmal geprüft und eingewertet werden. Letztendlich ist vieles auch eine Frage des gegenseitigen Vertrauens der handelnden Personen. Insoweit bleibt zu hoffen, dass es bei der positiven Grundtendenz verbleibt und die allseitigen Vorteile nicht durch "Aussetzer" gefährdet werden. Aber die Chancen hierfür stehen gut.

1) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG).

2) Vgl. Jacoby, ZIP 2014, 649/656 f.; Knof, DB 2013, 1769/1772; Krüger/Ehl, Leasing in Krise und Insolvenz des Leasingnehmers, Rz. 90 f.; Obermüller, ZInsO 2013, 476

3) AG Fulda, ZIP 2012, 1471; AG Bonn, Entscheidung vom 29.4.2013 - 96 IN 53/13 (n.v.); LG Fulda BeckRS 2012, 04327.

4) AG Köln, Beschluss vom 26.3.2012, 73 IN 125/12; AG München, Beschluss vom 27.6.2012 - 1506 IN 1851 (n.v. wobei die Ermächtigung an die Zustimmung des vorläufigen Sachverwalters geknüpft werden kann).

5) AG Hamburg, ZIP 2012, 787; ähnlich: AG Duisburg, Beschluss vom 6.11.2012 - 62 IN 178/12 (n.v.).

6) LG Duisburg, ZIP 2012, 2453.

7) AG Montabaur, ZIP 2013, 899; AG Hannover, ZInsO 2015, 1112.

8) BGH, ZIP 2013, 525.

9) Vgl. Achsnick/Krüger, Factoring in Krise und Insolvenz, 2. Auflage (2011), Rz. 166.

10) Vgl. Achsnick/Krüger, Factoring in Krise und Insolvenz, Rz. 191 ff.

11) Vgl. BGH, ZIP 2006, 431 (für den vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter); OLG Dresden, NZI 2005,38 (für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter).

12) Vgl. hierzu jüngst BGH, NZI 2014, 321.

13) Vgl. hierzu Achsnick/Krüger, Factoring in Krise und Insolvenz, Rz. 200 ff.

DER AUTOR: Rechtsanwalt Dr. Stefan Krüger, Düsseldorf, ist Partner bei der Mütze Korsch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Sanierungsberatung, Insolvenz-, Gesellschafts- und Finanzierungsrecht, insbesondere Factoring und Leasing.E-Mail: krueger[at]mkrg[dot]com
Dr. Stefan Krüger , Rechtsanwalt und Partner , Mütze Korsch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
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