Aufstieg und Niedergang

Philipp Otto

Er läuft und läuft und läuft. Was sprichwörtlich für ein Symbol des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg, den VW Käfer, wurde, gilt seit einigen Jahren auch für den deutschen Konjunkturmotor.

2017 stand ein Wachstum des BIP um 2,2 Prozent zu Buche, das höchste der vergangenen sechs Jahre. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland übertraf 2017 alle Prognosen und legte preisbereinigt um 3 Prozent zu. Es war der vierte Anstieg in Folge und zugleich der stärkste seit 2011. Während die privaten Konsumausgaben im vergangenen Jahr preisbereinigt um 2,0 Prozent zulegten, wuchsen die staatlichen Konsumausgaben mit 1,4 Prozent unterdurchschnittlich. Die Bruttoinvestitionen insgesamt waren preisbereinigt um 3,6 Prozent höher als 2016, wobei vor allem Bruttoanlageinvestitionen im Vorjahresvergleich mit 3 Prozent überdurchschnittlich zulegten. In Ausrüstungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge wurden preisbereinigt 3,5 Prozent mehr investiert als im Vorjahr.

Allerdings ist das anhaltend hohe gesamtwirtschaftliche Wachstum vor allem konjunkturzyklischen Faktoren sowie der expansiven Finanzpolitik geschuldet. Der langfristige Wachstumstrend dagegen ist schon seit einiger Zeit nach unten gerichtet. Es gibt inzwischen im gesamten Euroraum nur noch drei Länder, die eine geringere Wachstumsdynamik vorweisen als Deutschland. Dies sind Belgien, Portugal und Italien. Alle anderen Staaten wachsen schneller, selbst die ehemaligen Sorgenkinder Griechenland, Spanien oder Irland. Auch Frankreich wird die Bundesrepublik in den kommenden Jahren gemessen am BIP-Wachstum überholen. Grund sind in erster Linie die - auch auf deutschen Druck hin - überall angestoßenen Reformen. Hierzulande herrscht dagegen Stillstand, was der Reformgehalt des ausgehandelten Koalitionsvertrages der neuen GroKo eindrucksvoll oder eher erschreckend belegt.

Genau damit hat sich der amerikanische Ökonom Mancur Olsen in seinem 1982 veröffentlichten Werk "Aufstieg und Niedergang von Nationen" beschäftigt. Seine These: Je länger eine Phase der Ruhe und der Stabilität andauert, desto mehr wächst ein Netz von kartellähnlichen Interessengruppen und Umverteilungskoalitionen. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb erlahmt, schließlich degeneriert die Gesellschaft zu einer unproduktiven "rentseeking society". "Ich bin der Überzeugung, dass eine kleine Rebellion hier und da etwas Gutes ist; sie ist in der Welt der Politik so notwendig wie Stürme in der physischen Welt", so Olsen. Rebellionen gibt es derzeit zwar einige innerhalb der Parteien, aber keineswegs mit Blick auf Reformen. Die Politik beschränkt sich weitgehend auf Wohltaten für die Wähler. Die letzten echten Umbrüche liegen mit der "Agenda 2010" von Gerhard Schröder lange, lange zurück. Nun droht Deutschland sowohl mit Blick auf das eigene Wachstum als auch das europäische Machtgefüge mehr und mehr zurückzufallen. Mit all den negativen Folgen sinkender Wachstumsraten, steigender Arbeitslosenzahlen, nachlassender Investitionen, weniger Innovationen und einer anderen Politik in Europa, die weniger auf Stabilität als vielmehr auf Umverteilung ausgerichtet sein wird. Aber Deutschland und den Deutschen geht es wohl immer noch zu gut.

Philipp Otto, Chefredakteur FLF, Frankfurt am Main

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