Kredithandel

Die EuGH-Entscheidung zur Umsatzsteuer beim Forderungsverkauf und ihre Folgen

Mit seinem von vielen sehnsüchtig erwarteten Urteil vom 27. Oktober 2011 (Aktenzeichen C-93/10) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) endlich die seit 2003 bestehenden umsatzsteuerlichen Risiken beim Kauf von zahlungsgestörten Forderungen (Non-Performing Loans, NPL) beseitigt.

In der genannten Entscheidung hat der EuGH entschieden, dass der Käufer beim Kauf von NPL zu einem unter ihrem Nennwert liegenden Kaufpreis keine umsatzsteuerpflichtige Leistung an den Verkäufer der Forderungen erbringt, wenn er diese realisiert. Um zu ermessen, welche Bedeutung diese sicherlich manchem Leser selbstverständlich erscheinende Feststellung insbesondere für die deutsche Kreditwirtschaft hat, muss man sich die bisherige Situation in Deutschland vergegenwärtigen.

Der Markt für NPL

Immer wieder sind Kreditgeber damit konfrontiert, dass ihre Darlehnsnehmer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Die Forderungen einzuziehen und durch Verwertung der üblicherweise gewährten Sicherheiten den Schaden durch den Ausfall der Forderungen zu reduzieren, bindet in erheblichem Maß personelle und auch finanzielle Ressourcen.

Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young gehen nach einer Meldung der Immobilien Zeitung vom 2. Dezember 2011 von einem potenziellen Marktvolumen von 250 Milliarden Euro aus. Das Volumen der zu verkaufenden Forderungen könnte auch noch erheblich größer werden, da viele Banken durch Basel III, Auflagen der Aufsichtsbehörden et cetera gezwungen sind, ihre Geschäftsfelder zu straffen und ihr Eigenkapital zu erhöhen.

Auch auf Investorenseite besteht ein erhebliches Interesse. Laut der Financial Times Deutschland vom 15. Mai 2011 gehören sogar Versicherungen dazu, die Generali soll danach zunächst 100 Millionen Euro für solche Investitionen bereitgestellt haben. Trotzdem gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland nur in überraschend geringem Umfang erfolgreich abgeschlossene Transaktionen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich dies im Hinblick auf das Urteil des EuGH ändern wird und in den nächsten Monaten verstärkte Aktivitäten auch im deutschen Markt zu beobachten sein werden.

Der Weg in das Dilemma

Ende 2003 ist in Deutschland und Österreich der bis dahin blühende Markt für NPL zum Erliegen gekommen. Schuld war eine Entscheidung des EuGH. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte mit Beschluss vom 17. Mai 2001 (Aktenzeichen V R 34/99) dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob ein Facto-ring-Unternehmen auch insoweit steuerpflichtige und damit zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze tätigt, als dieses Forderungen kauft und dann auf eigenes Risiko einzieht (sogenanntes echtes Factoring).

In dem zu entscheidenden Fall hatte das Factoring-Unternehmen die Einziehung und das Ausfallrisiko von Kundenforderungen von Automobilhändlern übernommen. Für seine Tätigkeit berechnete das Factoring-Unternehmen eine Gebühr von zwei Prozent für die Einziehung der Forderungen und eine Gebühr für das Ausfallrisiko von einem Prozent des Nennbetrags der Forderungen. Für die Forderungen zahlte es einen Betrag in Höhe des Nennbetrags abzüglich der Gebühren.

Vorsteuerabzug bei Factoring

Das Finanzamt ging davon aus, das Fac-toring-Unternehmen erbringe gegenüber den Händlern keine steuerpflichtigen Leistungen und verweigerte deshalb dem Factoring-Unternehmen den Abzug von Vorsteuern. Demgegenüber vertrat das Factoring-Unternehmen die Auffassung, dass es gegenüber den Händlern steuerpflichtige Leistungen erbringe und deshalb Anspruch auf Vorsteuerabzug habe. Das Finanzgericht gab dem Facto-ring-Unternehmen Recht.

Der BFH hatte Zweifel, ob die Auffassung des Finanzgerichts richtig war, sah sich aber mangels einschlägiger Entscheidungen zu den Vorschriften des europäischen Mehrwertsteuerrechts gezwungen, den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Zur Überraschung vieler folgte der EuGH in seinem Urteil vom 26. Juni 2003 (Aktenzeichen C-305/01) der Auffassung des Finanzgerichts und entschied, dass ein Factoring-Unternehmen steuerpflichtige Leistungen erbringt und dementsprechend auch zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, unabhängig davon, wer das Ausfallsrisiko trägt.

Dabei folgte der EuGH offenbar der recht formalistischen Betrachtung der vertraglichen Gestaltung, wonach das Factoring-Unternehmen den Forderungskäufern eine Gebühr für die Einziehung der Forderungen in Rechnung stellte. Die Tatsache, dass es sich nach dem Erwerb der Forderung um eine solche des Factoring-Unternehmens handelt und dieses die Forderung im Hinblick auf die Übernahme des Ausfallrisikos ausschließlich im eigenen Interesse einzieht, spielte für den EuGH offenbar keine Rolle. Dieser Auffassung musste der BFH mit seinem Urteil vom 4. September 2003 wohl oder übel folgen.

Übertragung des EuGH-Spruchs auf alle Forderungskäufe

Im Hinblick auf diese Urteile sahen sich auch die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder gezwungen, die umsatzsteuerliche Beurteilung von Forderungskäufen zu überdenken. War sie bis dahin davon ausgegangen, dass der Verkauf einer Forderung eine grundsätzlich steuerbefreite Leistung des Verkäufers an den Käufer darstellt und die Einziehung dieser Forderung durch den Käufer keine steuerbare Tätigkeit darstellt, wenn dieser auch das Ausfallrisiko übernommen hatte, vertrat sie nunmehr mit Erlass vom 3. Juni 2004 (Aktenzeichen IV B 7 - S7104 - 18/04) die Auffassung, dass der Forderungskäufer eine Leistung an den Verkäufer erbringe. Die Abtretung der Forderung sei als Beistellung umsatzsteuerlich ein Nullum.

Diese Grundsätze sollten nicht nur für ausdrücklich als Factoring bezeichnete Geschäfte gelten, sondern für alle Verkäufe von Forderungen, wenn der Käufer das Inkasso übernahm; nur wenn der Verkäufer weiter für die Einziehung der Forderung zuständig blieb, sollte keine Leistung des Käufers an den Verkäufer anzunehmen sein. Die Steuer sei grundsätzlich auf der Grundlage der Differenz zwischen dem Nominalwert der Forderung und dem Kaufpreis zu berechnen.

Hilfskonstrukt "wirtschaftlicher Nennwert"

Für den Verkauf von NPL durch Banken bedeutete dies ein Desaster: Geht man von einem Portfolio von nominal 100 Millionen Euro und einem Kaufpreis von 50 Millionen Euro brutto aus, hätte dies eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von fast acht Millionen Euro zur Folge. Da Banken grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, hätte diese Steuer entweder den möglichen Gewinn des Käufers vermindert oder durch eine entsprechende Minderung des Kaufpreises berücksichtigt werden müssen.

Für die Fälle des Verkaufs von NPL versuchte die Finanzverwaltung zwar zumindest hinsichtlich der Bemessungsgrundlage zu helfen. In diesen Fällen sollte von der Berechnungsgrundlage für die Umsatzsteuer der von den Parteien angenommene Anteil von Forderungsausfällen abgezogen werden ("wirtschaftlicher Nennwert"). Vereinbarten die Parteien ausdrücklich eine Abzinsung der angenommenen Zahlungseingänge auf den Zeitpunkt des Verkaufs, akzeptierte die Finanzverwaltung auch die Annahme einer steuerfreien Kreditgewährung des Verkäufers an den Käufer.

Rechtliche Unsicherheiten von "Hilfskonstrukten"

Und die Praxis versuchte mit Hilfe der von der Finanzverwaltung angebotenen Krücken durch entsprechende vertragliche Regelungen die tatsächliche Steuerlast zu reduzieren. Aber diese waren mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Denn Sicherheit dafür, dass die Finanzverwaltung einen im Vertrag für "voraussichtliche Forderungsausfälle" angesetzten Betrag akzeptiert, gab es nicht. Das Risiko, dass die Finanzverwaltung in einer Jahre späteren Betriebsprüfung diesen Punkt aufgreift, war natürlich umso höher, je geringer die tatsächlichen Forderungsausfälle waren.

Dieses Risiko ließ sich auch nicht durch die Einholung einer verbindlichen Auskunft vermeiden, da die Bewertung des Ausfallrisikos und damit des "wirtschaftlichen Nennwerts" keine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage ist; und zu Tatsachen kann das Finanzamt keine verbindliche Rechtsauskunft erteilen. Auch die Möglichkeit, den Forderungseinzug bei dem bisherigen Forderungsinhaber zu belassen, war häufig nicht möglich. Insbesondere Banken wollen häufig aus Imagegründen nicht mit der zwangsweisen Durchsetzung ihrer Forderungen assoziiert sein.

Verwunderlich ist, dass dieses Problem nur in Deutschland und - Deutschland folgend - Österreich bestand. In den anderen Mitgliedsstaaten behielt man die frühere Praxis bei. Offensichtlich ging man dort davon aus, dass sich die Entscheidung des EuGH nur auf den speziellen Sachverhalt bezog, aber keine Auswirkung auf die Beurteilung von NPL-Transaktionen hatte.

Nahende Rettung

Für die deutschen Banken war dies gerade in der Finanzkrise ein erhebliches Problem. Denn auf der einen Seite verfügten sie über ein immer größer werdendes Portfolio von NPL und einen enormen Bedarf an Liquidität, auf der anderen Seite konnten für die Forderungen wegen der steuerlichen Risiken keine vernünftigen Preise erzielt werden. Hinzu kam bei vielen Banken auch noch das Problem, dass sie in den letzten Jahren vor der Krise ihre Abteilungen für die Verwaltung von zahlungsgestörten Forderungen abgebaut hatten und daher nicht mehr über die Ressourcen für eine möglichst effektive Realisierung von Forderungen und Sicherheiten verfügten.

Diese Situation war für alle Beteiligten wie zum Beispiel Banken, Investoren, Finanzverwaltung und Gerichte äußerst unbefriedigend. Bereits im Jahr 2004 fand sich ein Mutiger, der bereit war, trotz der bestehenden Risiken, ein Portfolio von 70 NPL zu kaufen. In dem zugrunde liegenden Kaufvertrag vereinbarten die Parteien einen Abschlag für voraussichtliche Ausfälle sowie einen Betrag als Vergütung für eine Kreditgewährung. Die verbleibende Differenz zum Kaufvertrag behandelten sie als steuerpflichtige Gebühr für den Einzug der Forderung.

Gegen die auf die verbliebene Differenz festgesetzte Umsatzsteuer legte der Käufer Einspruch und anschließend Klage ein. Das Finanzgericht Düsseldorf gab der Klage mit Urteil vom 15. Februar 2008 (Aktenzeichen 1 K 3682/05) statt, ließ aber die Revision zum BFH zu. Nach Auffassung des Finanzgerichts galt die Entscheidung des EuGH nur für dauerhafte Factoring-Beziehungen, nicht aber für den einmaligen Kauf eines Portfolios von Forderungen.

Der BFH rang sich dazu durch, auch diesen Fall dem EuGH vorzulegen und diesem damit die Gelegenheit zu geben, seine Entscheidung aus dem Jahr 2003 noch einmal zu überdenken. Wie schwer dies dem Senat gefallen war, zeigt sich nicht nur in der Länge seiner Ausführungen zu den Zweifeln der Anwendbarkeit der damaligen Entscheidung auch auf NPL-Transaktionen, sondern auch darin, dass er nicht nur fragte, ob denn auch bei solchen Geschäften eine Leistung des Käufers an den Verkäufer vorliege, sondern auch, ob diese - wenn es sich denn um eine Leistung handelt auch steuerpflichtig ist und auf welcher Grundlage die Steuer dann zu berechnen sei.

Klarstellung bei NPL-Transaktionen

Der EuGH scheint die ganze Aufregung nicht nachvollziehen zu können. Für ihn ist vollkommen klar, dass im Fall des Kaufs von NPL der Käufer keine Leistung an den Verkäufer erbringt. Denn die Differenz zwischen Nominalwert der Forderung und dem Kaufpreis stelle keine Vergütung dar, mit der eine Leistung des Käufers an den Verkäufer abgegolten würde. Die Differenz spiegele lediglich den Wert der Forderung im Zeitpunkt des Erwerbs wider. Eine Einschränkung seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 hielt der EuGH nicht für erforderlich.

Mit dieser Entscheidung sollte das umsatzsteuerliche Dilemma im Zusammenhang mit NPL-Transaktionen jedenfalls insoweit beseitigt sein. Zwar muss noch abgewartet werden, dass die deutsche Finanzverwaltung ihre Verwaltungsanweisungen an die neue Situation anpasst, damit auch die Finanzämter entsprechend entscheiden können.

Aber ein großes Hindernis scheint nunmehr beseitigt. Für Factoring - ob unechtes oder echtes - wird es dagegen wohl bei der bisherigen Rechtslage bleiben, da der EuGH eine Einschränkung nicht für notwendig erachtete.

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