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Hypothekenvollstreckung in Spanien: Kommt das amerikanische Modell?

Es dauerte keine sechs Wochen bis sich die Dritte Spruchkammer des Landgerichtes von Navarra diametral gegen die Rechtsausführungen der Entscheidung ihrer Zweiten Spruchkammer gestellt hatte und dieser in belehrender Form die Grundlagen des spanischen Hypothekenvollstreckungsrechtes aufzeigte. Zwar ist die Dritte Spruchkammer des Landgerichtes Navarra der Zweiten Spruchkammer keinesfalls übergeordnet, auch erging die Entscheidung in einer anderen Angelegenheit, jedoch lag beiden Kammern ein fast deckungsgleicher Sachverhalt zur Entscheidung vor. Was war passiert? Durch Beschluss vom 17. Dezember des vergangenen Jahres hatte die Zweite Spruchkammer des Landgerichtes Navarra entschieden, dass, wenn die das Hypothekenvollstreckungsverfahren betreibende Bank sich im Rahmen dieses Verfahrens die gesicherte Immobilie gemäß Artikel 670 der spanischen Zivilprozessordnung zu einem niedrigeren Wert als dem in der Hypothekenbestellungsurkunde angegebenen Versteigerungswert (valor de tasación) zuschlagen lasse, das noch ausstehende Restdarlehen damit als saldiert anzusehen und die Vollstreckung beendet sei. Ein weiteres Vorgehen gegen den Schuldner aufgrund seiner persönlichen Verpflichtung - dies obwohl die Haftung mit anderen Vermögenswerten des Schuldners ausdrücklich in der Hypothekenbestellungsurkunde vereinbart worden war - sei daher grundsätzlich ausgeschlossen. Ausgenommen von diesem Ausschluss waren allerdings die noch ausstehenden Zinsen und die Vollstreckungskosten. In Bezug auf diese Nebenforderungen durfte die Bank die Vollstreckung also weiter betreiben. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass es letztlich rechtsmissbräuchlich sei, wenn die Bank wegen des ausstehenden Restdarlehens weiter gegen den Schuldner vorgehe, obwohl dieser bereits die Immobilie, die mit dem Darlehen finanziert werden sollte, verloren habe. Schließlich sei es die Bank, die den Versteigerungswert in der Hypothekenbestellungsurkunde bestimme, sodass etwaige Wertverluste der Immobilie nicht nachträglich zulasten des Schuldners berücksichtigt werden können. Die Bank hätte vorausschauend einen anderen Versteigerungswert festlegen können. Artikel 3 des spanischen Codigo Civil wurde zur Begründung herangezogen da er den allgemeinen Rechtgrundsatz aufstelle, dass Verträge im Rahmen der sozialen Realität ihrer jeweiligen Zeit zu interpretieren seien. In der Sache ist es nicht verwunderlich, dass eine derartige Entscheidung nach ihrem Bekanntwerden erhebliche Polemik in der spanischen Tagespresse und in den Medien ausgelöst hat. Recht geben muss man der Zweiten Spruchkammer des Landgerichtes Navarra sicherlich darin, dass der Kreditnehmer in 99 Prozent aller Fälle nicht die Möglichkeit hat, auf den in der Hypothekenbestellungsurkunde festzustellenden Versteigerungswert Einfluss zu nehmen. Auch entspricht es der spanischen Bankenpraxis, diesen Versteigerungswert strategisch und meist vollständig losgelöst von dem Marktwert der Immobilie festzusetzen, um so möglichst sicherzustellen, dass die Darlehensforderung einschließlich Zinsen und Vollstreckungskosten in voller Höhe eingebracht werden kann, unbeschadet dessen, dass der Kreditnehmer Gefahr läuft, sein Eigenheim unter Marktwert übertragen zu müssen. Auf keinen Fall kann man der Zweiten Spruchkammer jedoch insoweit zustimmen, dass die Entscheidung letztlich eine Tilgung der Restschuld bedeutet. Artikel 140 des spanischen Hypothekengesetzes sieht eine Hypothek vor, bei der das Vorgehen der Bank auf das Sicherungsgut beschränkt bleibt; diese Form der Hypothek war jedoch in dem von der Zweiten Spruchkammer zu entscheidenden Sachverhalt unstreitig nicht gewählt worden. Die Entscheidung der Dritten Spruchkammer Auch in dem jetzt am 28. Januar 2011 von der Dritten Spruchkammer entschiedenen Fall ging es um ein Rechtsmittel, das gegen eine Entscheidung des Amtsgerichtes Nr. 2 von Estella eingelegt worden war. Dieses Amtsgericht hatte sowohl in dem vorstehend bereits erörterten Fall der Zweiten Spruchkammer als auch in dem der Dritten Spruchkammer vorliegenden Fall erstinstanzlich entschieden, dass die Bank nach dem Zuschlag der gesicherten Immobilie an sie wegen der Restdarlehensforderung nicht gegen das weitere Vermögen des Kreditnehmers vorgehen könne. Im Unterschied zu der vorstehend erläuterten Entscheidung der Zweiten Spruchkammer hebt die Dritte Spruchkammer jedoch das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich auf und erklärt das weitere Vorgehen der Bank gegen andere Vermögenswerte des Kreditnehmers im Rahmen des eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens für rechtmäßig. Sie begründet ihre Entscheidung sehr ausführlich und führt unter anderem an, dass in der Hypothekenbestellungsurkunde ausdrücklich die Haftung auch mit anderen Vermögenswerten des Schuldners vereinbart worden sei und nicht eine Hypothek entsprechend Artikel 140 des spanischen Hypothekengesetzes, in der die Haftung für die Rückzahlung des Darlehens auf die belastete Immobilie beschränkt werde, Gegenstand der Beurteilung war. Schließlich stellt die Dritte Spruchkammer des Landgerichtes Navarra fest, dass das erstinstanzliche Urteil schon deshalb nicht der Rechtssicherheit entspreche, da es die Vorschriften des spanischen Vollstreckungsrechtes missachte. Auch sei der in der Hypothekenbestellungsurkunde bestimmte Versteigerungswert nicht gleichzusetzen mit dem Marktwert, denn dieser, wie es im Übrigen auch für jeden Laien erkennbar sei, variiere im Laufe der Zeit, während der in der Urkunde festgestellte Wert unverändert bleibe. Grundsätzlich ist die Entscheidung der Dritten Spruchkammer vom 28. Januar 2011 zu begrüßen, allein schon deshalb, weil das gesamte Grundbuch- und Vollstreckungswesen auf dem Prinzip der Rechtssicherheit beruht und die Hypothekenfinanzierung - gerade in einem Land wie Spanien, wo die Eigentumsquote 85 Prozent beträgt - ohne Zweifel ein unverzichtbarer Bestandteil der Wohnungswirtschaft ist. Die Entscheidung der Dritten Spruchkammer vom 28. Januar wurde vom spanischen Finanzsektor praktisch ausnahmslos begrüßt. Die Befürchtung, dass sich amerikanische Zustände (in den USA wird durch Schlüsselübergabe an die finanzierende Bank die Restforderung als getilgt angesehen) auch in Spanien durchsetzen, ist damit zunächst gebannt. Auch ist nicht zu erwarten, dass der spanische Tribunal Supremo, dessen Spruch derzeit noch aussteht, völlig frei von gefestigten Rechtsgrundsätzen, und vorwiegend auf moralische Bedenken gestützt entscheidet. Bestimmung des Versteigerungswertes Auch deutsche Banken, die in Spanien finanzieren, müssen sich über die Festlegung des Versteigerungswertes im Rahmen der Hypothekenbestellung Gedanken machen. Die Festlegung eines möglichst hohen Versteigerungswertes, welcher der Bank selbst nach den im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens vorgesehenen Abschlägen in Höhe von 30 Prozent und weiteren 20 Prozent für den Zuschlag der Immobilie einen möglichst hohen Einzug ihrer Forderung garantieren soll, führt sicherlich dazu, dass in Krisenzeiten praktisch keine Bieter gefunden werden und somit die Bank sich die Immobilie in Höhe von 50 Prozent des seinerzeit festgelegten Versteigerungswertes zuschlagen kann. Liegt die ausstehende Darlehensforderung unter 50 Prozent des Versteigerungswerts, steht ihr alternativ das Recht zu, sich die Immobilie in Höhe der vollstreckten Summe einschließlich Zinsen und Kosten zuzuschlagen. Im erstgenannten Fall führt das für die Bank dazu, dass sie bei einem Versteigerungswert, der dem Marktwert der Immobilie nahe kommt, im Worst Case eines Zuschlags der Immobilie in Höhe von 50 Prozent wegen der ausstehenden Darlehensforderung abzüglich des zugeschlagenen Wertes weiter in das Vermögen des Schuldners vollstrecken kann. Zu beachten sind hierbei auch die gesetzlichen Pfändungsfreigrenzen, die mittels des kürzlich verabschiedeten Königlichen Gesetzesdekrets vom 13. April 2010 um rund zehn Prozent erhöht wurden. Pro Familienmitglied ohne Einkommen wird die Pfändungsfreigrenze um weiter 20 Prozent erhöht. Nichtigkeit der sogenannten Bodenklauseln Eine weitere Problematik, die den Verbraucherschutz bei der Abfassung spanischer Hypothekendarlehen betrifft, wurde durch Urteil des Handelsgerichtes Nr. 2 von Sevilla vom 30. September 2010 entschieden. Bei den sogenannten "clausulas de suelo" handelt es sich um Klauseln, die ein Abfallen der Zinsen unterhalb eines bestimmten Sockelzinssatzes verhindern sollen. Diese Problematik ist in Spanien schon deshalb von äußerster Relevanz, da rund 90 Prozent aller Hypothekenfinanzierungen unter Zugrundelegung variabler Zinsen abgeschlossen werden, während der Abschluss zu einem Festzinssatz eine absolute Ausnahme darstellt. Das Hypothekendarlehen unterliegt dem spanischen Handelsgesetzbuch, da dieses wegen der Beteiligung einer Bank die Besonderheiten eines handelsrechtlichen Darlehens erfüllt. Das Handelsgericht Nr. 2 von Sevilla stellt zunächst fest, dass, sofern ein Hypothekendarlehen lediglich eine "clausula de suelo" enthält, ohne gleichzeitig den Anstieg der Zinsen nach oben hin zu begrenzen, diese Klausel schon deswegen nichtig sei, weil in diesem Fall der Vertrag wegen der fehlenden Gegenseitigkeit nicht ausgewogen ist. Eine Nichtigkeit liege aber auch dann vor, wenn neben der "clausula de suelo" auch eine "clausula de techo" (Dachklausel) in den Vertrag aufgenommen werde und das Verhältnis dieser beiden Zinsbegrenzungen zueinander nicht ausgewogen sei. In der Sache ging es um verschiedene Hypothekendarlehen, bei denen die Dachklauseln aus der Sicht des Gerichtes im Vergleich zu den Bodenklauseln zu hoch angesetzt waren. Während die Bodenklauseln bereits bei 2,75 bis 3,5 Prozent einsetzten, lagen die Dachklauseln zwischen zwölf und 15 Prozent. Die Banken, die hier in einer Art Class Action, die laut spanischem Verbraucherschutzrecht möglich ist, in Anspruch genommen worden sind, haben bereits Revision beim spanischen Tribunal Supremo angekündigt. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die hier dargestellte aktuelle Rechtsprechung zum spanischen Hypothekenrecht auf die Auswirkungen der bereits seit Ende 2008 anhaltenden, hausgemachten spanischen Immobilienkrise zurückzuführen ist. Während es in den Jahren vor 2008 praktisch keine Hypothekenvollstreckungen in Spanien gab (Freiverkäufe unter voller Rückzahlung der Darlehensforderungen waren wegen der enormen Wertsteigerungen spanischer Wohnimmobilien vor 2008 problemlos möglich und wurden im Krisenfall seitens der Banken den Kreditnehmern nahegelegt), ist die Zahl der Vollstreckungen alleine während der ersten drei Monate des Jahres 2010 auf insgesamt 52000 angestiegen, was im Ergebnis eine Verzehnfachung im Vergleich zu dem Zeitraum vor Ausbruch der spanischen Immobilienkrise bedeutet. In diesem Zusammenhang spielt ebenfalls eine Rolle, dass der seit Ausbruch der Immobilienkrise in Spanien erfolgte Wertverfall im wohnungswirtschaftlichen Bereich nach Einschätzung der Banco de España derzeit noch nicht dem realen Marktwert der Immobilien entspricht. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Eigenheimbesitzer ihre Immobilie nicht unterhalb des finanzierten Betrages verkaufen wollen und die Banken während der Boomjahre vor 2008 bisweilen Finanzierungen von bis zu 90 Prozent des damaligen Immobilienwertes zugestimmt hatten.

Stefan Meyer , Rechtsanwalt und ­Gründungspartner , Monereo Meyer Abogados, Madrid
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