Bewertungsfragen

Die Relevanz struktureller Entwicklungen für die Bewertung

Der Überblick über die Ursachen Not leidender Immobilienfinanzierungen der letzten zehn Jahre zeigt, dass strukturelle Entwicklungen an Teilmärkten der wesentliche Treiber sind. Alle Banken haben Erfahrungen mit langen Verwertungszeiten und hohen Verwertungsverlusten an Märkten, die nicht mehr vollständig funktionieren. Schon lange Zeit vor der Verwertung zeigen die Immobiliensicherheiten mehrheitlich abnehmende Erträge. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge, in denen sich ihre Erträge bilden, haben sich dauerhaft verändert.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage "Strukturelle Entwicklung und ihr Einfluss auf die Wertermittlung von Immobilien" im Juli/August 2007 beschreiben diese Zusammenhänge aufgrund ihrer Bewertungserfahrung. Ihre Antworten zeigen die Verteilung in Deutschland nach Regionen und Nutzungsarten 2007. Die Umfrageergebnisse können zur Weiterentwicklung der Bel-WertV und der Ratings beitragen, um die Risiken von Finanzierungen an Teilmärkten mit dauerhaft veränderten wirtschaftlichen Zusammenhängen frühzeitig zu erkennen und zu meiden.

Vorgeschlagen wird eine kurze Wirkungsanalyse, um die Kriterien der Nachhaltigkeit, Drittverwendungsfähigkeit und Verkäuflichkeit in der Sicherheitenbewertung an diesen Teilmärkten einhalten zu können. Diese Kriterien sind Voraussetzung für die Bewertungen nach § 16 PfandG in Verbindung mit der BelWertV, für die Risikotragfähigkeitsmessung nach MaRisk und für die Zuordnung zur Forderungsklasse "durch Immobilien besicherte Positionen". Die Umfrage ergibt: Dauerhafte Ertragsausfälle bei Immobilien nehmen zu und sie sind breiter verteilt, als bisher angenommen.

Übliche Leerstandsdefinitionen

Die häufigste Sichtweise von Leerständen ist, dass sich die Ertragsausfälle irgendwann wieder ausgleichen, spätestens im übernächsten Konjunkturzyklus. Marktbeobachter mit langjähriger Erfahrung gehen in strukturschwachen und gesättigten Teilmärkten nicht mehr davon aus. Sie unterscheiden zuerst nach den Ursachen der Leerstände.

- Anfangsleerstand kann nach Fertigstellung auftreten, wenn das Objekt für einen Zeitraum nicht voll vermietet werden kann. Dieser Leerstand kann vorübergehend oder dauerhaft sein. Er kann sich auch auf die Miethöhe auswirken.

- Mietausfallwagnis meint das "Wagnis einer Ertragsminderung, die durch uneinbringliche Mietrückstände oder Leerstehen von Raum, (...), entsteht. Es dient auch zur Deckung von Kosten einer Rechtsverfolgung auf Zahlung, Aufhebung eines Mietverhältnisses oder Räumung." (§ 18 Abs. 5 WertV)

- Friktioneller Leerstand kann beim Auszug von Mietern entstehen. Die Flächen stehen leer, bis neue Mieter gefunden werden, oder sie stehen leer, weil für Umbauten Zeit benötigt wird.

- Leerstand wegen Obsoleszenz tritt auf, wenn sich der Zustand des Gebäudes so verschlechtert hat, dass es nicht vermietet werden kann, und der Eigentümer nicht bereit ist, umzubauen oder auf dem Grundstück neu zu bauen.

- Konjunkturell bedingter Leerstand beschreibt eine vorübergehende Zeit mit Leerständen aufgrund einer konjunkturell verursachten Nachfrageschwäche. Die Sichtweise bei dieser Art von Leerstand ist, dass sich bei einem konjunkturellem Aufschwung die Flächen wieder vermieten lassen.

- Struktureller Leerstand ist die branchenübliche Bezeichnung für dauerhafte Ertragsausfälle von Immobilien, die weder durch konjunkturelle Entwicklung noch durch angebotsseitige Maßnahmen ausgeglichen werden können.

Die Unterscheidung nach den Ursachen ermöglicht noch keine Aussage darüber, ob die Ertragsausfälle vorübergehend oder dauerhaft sein werden. Bei dauerhaft veränderten wirtschaftlichen Zusammenhängen am Standort kann der Anfangsleerstand oder der friktionelle Leerstand dauerhaft werden. Der konjunkturelle Leerstand kann in strukturellen Leerstand übergehen.

Die aktuellen Definitionen der strukturell bedingten Ertragsausfälle

Im Laufe des bisherigen Strukturwandels haben die Immobiliengutachter umfangreiche Erfahrungen gewonnen. Sie spiegeln sich in ihren Antworten auf die

Frage "Welche Definition verwenden Sie für strukturell?" wider. Die Antworten aus den Interviews sind nach vier inhaltlichen Kriterien gegliedert.

1) Kriterium Markt, Angebot und Nachfrage (21 von 66 Angaben): "übersättigter Markt", "es wurde zu viel gebaut", "keine Absorption", "fehlende Nachfrage", "es gibt Immobilien, die rausfallen", "durch zyklische Schwankungen und natürlich vorhandene Nachfrage nicht vermietbare Flächen", "wenn die Nachfrage nicht da ist, also wenn Neubauten nachgefragt werden, aber nicht marktgerechte Bauten leer stehen", "schlechte Substanz in einer Lage, wo es keine Nachfrage gibt, und sich Investitionen nicht mehr amortisieren".

2) Kriterium Zeitdauer (16 von 66 Angaben): "das ist strukturell und bleibt", "Sockelleerstand, dauerhafter Leerstand", "den dauerhaft verfestigten Leerstand nenne ich strukturell", "sehr lang anhaltend, mindestens ein Jahr, und am Markt tut sich nichts".

3) Kriterium Immobilie (16 von 66 Angaben): "auf Dauer nicht vermietbar, trotz Investitionen und Vermietungsanstrengungen", "Gebäude nicht mehr angemessen", "vom Gebäudetyp abhängig und von der Lage", "veraltete Bestände werden nicht mehr nachgefragt".

4) Kriterium Strukturwandel (13 von 66 Angaben): "man sieht es an der Bevölkerungsentwicklung, an der Abwanderung, vorher zieht das Gewerbe ab, Industrie gibt es nicht mehr", "dort, wo Entlassungen sind, jetzt auch in der Dienstleistung", "Bevölkerungsentwicklung, Hartz IV", "die Menschen gehen dahin, wo Arbeit ist", "da macht die Wirtschaft einen großen Bogen herum".

Die Verteilung nach Regionen und Nutzungsarten

100 Immobiliengutachter haben im Juli und August 2007 an der Umfrage teilgenommen, jeweils zehn in zehn Postleitzahlregionen. Drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ein

Zertifikat von Hypzert. Die Zuordnung zu den Regionen erfolgt nach Postleitzahlregionen, die Benennung mit Städtenamen zur besseren Orientierung. Von den Teilnehmern geben 68 an, dass sie Immobilien mit struktureller Problematik bewerten. Die Abbildung zeigt, wie sich die Angaben auf die Regionen verteilen, und welche Nutzungsarten in den Regionen besonders betroffen sind.

Die bisherige Veränderung des wirtschaftlichen Zusammenhangs und ihre Spiegelung in den Ertragsverläufen der Immobilien ermöglicht eine Fülle von Erkenntnissen, die bei Bewertung, Wertfestsetzung und Zusage von Immobilienfinanzierungen umgesetzt werden können. Strukturbildende Variablen im wirtschaftlichen Zusammenhang bilden sich in einem langen Prozess und wirken weit in die Zukunft. Deshalb kann man durch Prüfung des Wirkungsgefüges am Standort zuverlässiger und frühzeitiger abschätzen, wie sich der Immobilienertrag entwickeln wird, als mit herkömmlichen Prognosen.

Angebotsseitige Maßnahmen wie Revitalisierung, Sanierung und Umbau können nicht (mehr) ausreichend Mietnachfrage wecken oder aus anderen Objekten umverteilen. Die Maßnahmen amortisieren sich nicht oder nicht vollständig. Im

fortgeschrittenen Stadium des strukturellen Prozesses sieht man gesättigte Teilmärkte mit dauerhaften Ertragsausfällen bei Immobilien im Altbaubestand und im Neubaubestand. Da im Laufe der Zeit die dauerhafte Veränderung des wirtschaftlichen Zusammenhangs alle Nutzungsarten erfasst, ist die Drittverwendungsmöglichkeit eingeschränkt oder nicht mehr gegeben. Dies wirkt sich am Standort auf die Mieterträge und die Bonität der ansässigen Kunden aus. Die Ertragsentwicklung der Immobilien und die Bonität dieser Kunden können korreliert sein. Lange Verwertungszeiten und hohe Verwertungsverluste sind ein Kennzeichen dieser Teilmärkte. Funktionierende lokale Märkte können nicht mehr unterstellt werden.

Wenn man feststellt, dass das Bewertungsobjekt dauerhafte Ertragsausfälle hat, hat das gravierende Auswirkungen auf die Anwendung von Bewertungsverfahren. Ein Teilnehmer der Umfrage beschreibt die Situation so: "Der Kapitalisierungszins geht von einer stetigen Aufwärtsbewegung aus, das haben wir im strukturellen Umfeld nicht mehr. An dauerhafte Abwärtsbewegungen sind wir nicht gewöhnt. In diesen Fällen gibt es keinen Kapitalisierungszins. Es gibt keinen Beleihungswert." Die Entscheidung darüber, ob sich der Ertrag des Bewertungsobjekts in einem strukturell veränderten wirtschaftlichen Zusammenhang bildet oder nicht, ist deshalb essenziell für Immobilienfinanzierungen.

Die Wirkungsanalyse als Prüfungsschritt

Die Teilnehmer der Umfrage nutzen mehrere Wege, um für ihre Bewertungen zu entscheiden, ob sie von zunehmenden oder abnehmenden Erträgen ausgehen müssen. Sie werfen einen Blick in die Chronologie der Immobilie, fragen sich, ob die Zeitdauer des Leerstands drei oder fünf Jahre sein wird, urteilen nach ihrer Marktkenntnis und ihrer Erfahrung, nach Gefühl und Intuition, fragen sich, ob am Standort noch Entwicklung möglich ist und erforschen die Zusammenhänge im Markt, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Die gewonnenen Erkenntnisse werden im Textteil der Bewertung genannt. Die Abbildung in den Bewertungsverfahren erfolgt dann durch Annahmen, Übereinkünfte oder Vorgaben des Auftraggebers. Eine übliche Übereinkunft ist, dass sich die Vollvermietung nach einer Underrent-Periode von drei oder fünf Jahren wieder einstellen wird. Genauso häufig ist selbst in gesättigten Teilmärkten anzunehmen, dass ein saniertes oder umgebautes Objekt wieder voll vermietet werden kann. Die Befragten geben mehrheitlich an, dass eine Vorgehensweise fehlt, mit der man entscheiden kann, ob die Ertragsausfälle vorübergehend oder dauerhaft sein werden.

Eine geeignete Vorgehensweise, um diese Entscheidung zu treffen, ist eine kurze Wirkungsanalyse. Sie setzt am wirtschaftlichen Zusammenhang des Standorts an, und erforscht das Muster der strukturbildenden Variablen, die für die Bildung des Immobilienertrags dominant sind. Das Muster dieser Variablen - ihre Struktur - zeigt, ob mit zunehmendem oder abnehmendem Ertrag zu rechnen ist. Eine Wirkungsanalyse ist ein operationales und transparentes Verfahren für das frühzeitige Erkennen der Situationen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage beschreiben, wenn sie sagen: "da kippt etwas".

- Schritt 1 - Relevante Variablen: Welche Variablen bestimmen bei diesem Objekt an diesem Standort den Ertrag?

- Schritt 2 - Beziehung der Variablen: Welche Eigenschaften haben sie und wie sind sie mit dem Ertrag verknüpft?

- Schritt 3 - Wirkungsgefüge: Welches Muster bilden die relevanten Variablen untereinander und in Bezug auf den Ertrag?

Die Chronologien von Not leidenden Immobilienfinanzierungen der vergangenen zehn Jahre zeigen, dass im Wirkungsgefüge zwischen den dominanten Variablen und dem Immobilienertrag "etwas kippt". Man erkennt es daran, dass die Nachfrage nicht mehr auf Mietsenkungen und Verbesserungen des Objektangebots reagiert. Oft kann die Leerstandsentwicklung für einige Jahre durch Angebotsmaßnahmen gebremst werden, aber mit der Zeit setzt sich die wirtschaftliche Entwicklung am Standort durch und spiegelt sich in der Ertragsentwicklung der Immobilien wieder.

Bauen und Finanzieren in strukturschwachen und gesättigten Märkten verstärkt noch die Leerstandsentwicklung. Mehrere Wissenschaften - darunter die Biologie, die Informatik und Kybernetik - sprechen vom Wechsel der negativen Rückkopplung zur positiven Rückkopplung. Wenn das an Teilmärkten der Immobilienfinanzierung geschieht, verliert der Mietpreis seine Steuerungsfunktion.

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