Im Blickfeld

Weniger Marketing, mehr Mathematik

Eine der entscheidenden Veränderungen am deutschen Immobilienmarkt ist in seinen Auswirkungen bislang kaum diskutiert worden: Wir erleben derzeit einen grundlegenden Wechsel der Marktakteure. Während Offene und Geschlossene Fonds, die ihr Geld bei Privatanlegern eingesammelt haben, auf der Verkäuferseite stehen, spielen sie auf der Käuferseite kaum noch eine Rolle. Dies wird belegt durch eine aktuelle Umfrage von Ernst & Young Real Estate bei 120 Marktteilnehmern. Auf die Frage, wer die aktivsten Verkäufergruppen seien, antworteten 90 Prozent der Befragten, dies seien die Offenen Immobilienfonds und 83 Prozent nannten Geschlossene Immobilienfonds. Umgekehrt nannten auf die Frage, wer in Deutschland zu den aktivsten Käufergruppen zähle, nur noch 14 Prozent die Geschlossenen und 15 Prozent die Offenen Fonds.

Das bedeutet eine erhebliche Veränderung des Marktes, denn traditionell waren die Offenen und Geschlossenen Fonds die aktivsten Käufergruppen am deutschen Markt. Heute bestimmen andere Käufergruppen den Markt als dies vor fünf oder zehn Jahren der Fall war. In der genannten Umfrage erklärten 93 Prozent der Teilnehmer, die aktivsten Käufergruppen am deutschen

Markt seien private Investoren und Family Offices und 92 Prozent nannten Versicherungen und Pensionsfonds. Was bedeutet dieser Wechsel der Käufergruppen? Offene und Geschlossene Immobilienfonds wurden überwiegend an Kleinanleger verkauft, und die Fondsmanager mussten naturgemäß auf deren Vorlieben und Interessen besondere Rücksicht nehmen. Die Kriterien für den Erwerb einer Immobilie durch einen Fonds, der an Kleinanleger vertrieben wird, unterscheiden sich oftmals erheblich von den Kriterien, die Familiy Offices oder institutionelle Investoren formulieren. Kleinanleger sind nun einmal in der Regel keine Immobilienexperten.

Attraktive Immobilien mit bekannten Mietern und eine gute "Verkaufsstory" standen in der Regel im Vordergrund. Übertrieben gesagt: Was auf dem Titelblatt eines Fondsprospektes gut aussah, ließ sich leichter vermitteln und wurde daher auch bevorzugt eingekauft. Immobilien, die in Top-Metropolen liegen, lassen sich beispielsweise an ein Retailpublikum leichter verkaufen als solche in B-Städten, obwohl letztere keineswegs immer unattraktiver sein müssen. Bei manchen Geschlossenen Fonds stand zu sehr die Frage im Vordergrund, ob eine bestimmte Ausschüttungshöhe prognostiziert werden kann, während die Frage nach der Drittverwendungsfähigkeit und der langfristigen Werthaltigkeit der Immobilie manchmal zu sehr vernachlässigt wurde.

Natürlich spielen im einen oder anderen Fall solche Gesichtspunkte auch bei Family Offices oder institutionellen Investoren eine Rolle, doch dominieren hier sehr viel stärker professionelle Gesichtspunkte der Immobilienbewertung den Einkauf, weil es eben keine Notwendigkeit gibt, die Immobilie später attraktiv für Kleinanleger zu verpacken. Nicht wenige Probleme, die es heute im Bereich der Offenen und Geschlossenen Publikumsfonds gibt, haben ihre Ursache darin, dass die Kriterien beim Einkauf der Immobilien zu stark vom Marketing getrieben waren. Attraktive Investitionsgelegenheiten konnten teilweise nur deshalb nicht wahrgenommen werden, weil beispielsweise Kriterien wie "Top-Lage in einer Top-Metropole" oder "lang laufender Mietvertrag mit bonitätsstarkem Mieter" nicht gegeben waren. Umgekehrt wurden teilweise Immobilien erworben, die diesen Kriterien zwar genügten, die aber ein professioneller Investor durchaus kritischer gesehen hätte. Die Verschiebung der Käufergruppen tut daher dem deutschen Immobilienmarkt gut, weil sie die Professionalisierung der Branche weiter befördern wird.

Stefan Klingsöhr, Geschäftsführer, Klingsöhr Projektentwicklung GmbH, Berlin

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