Genossenschaftliches Wohnen

Wie zukunftsfähig sind Wohnungsgenossenschaften?

Hans Maier, Verbandsdirektor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Verband bayerischer Wohnungsunternehmen e.V., München

Wohnungsgenossenschaften übernehmen eine gesellschaftliche und soziale Verantwortung, betont der Autor. Allerdings sei eine strategische Auseinandersetzung nötig, um am Puls der Zeit zu bleiben. So sei es nötig, weiter sinkenden Marktanteilen zu begegnen - beispielsweise durch die gezielte Unterstützung der öffentlichen Hand. Darüber hinaus sei eine langfristige Bedarfs- und Finanzplanung notwendig. Professionelle und vorausschauende Rekrutierungsprozesse müssten dafür sorgen, dass auch noch in Zukunft qualifiziertes Personal zu finden sei. Das genossenschaftliche Bewusstsein müsse von der Unternehmensführung vorgelebt und aktiv bei den Mitarbeitern gefördert werden. Eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit sei darüber hinaus nötig, um Genossenschaften als Wohn- und Lebensform wieder im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. Auch die Branche müsse sich entsprechend gegenüber der Politik für fördernde Rahmenbedingungen einsetzen. Zum Schluss weist der Verfasser noch auf die Erfolge der vergangenen Jahre in Bayern hin. Red.

Die Genossenschaftsidee ist ein immaterielles Kulturerbe der Menschheit. Diese Entscheidung hat das Internationale Komitee zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes der Unego am 30. November 2016 bekannt gegeben. Weltweit sind rund 800 Millionen Menschen in Genossenschaften organisiert. In Deutschland vereinen die fast 8 000 Genossenschaften mehr als 22 Millionen Mitglieder. Seit mehr als 160 Jahren sind Genossenschaften im Finanzwesen, in der Landwirtschaft, in Handel und Gewerbe oder im Wohnungsbau erfolgreich.

Die Grundwerte der Genossenschaften Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Selbstverwaltung gelten auch heute noch bei den rund 2 000 bestehenden Wohnungsgenossenschaften in Deutschland mit zirka 2,2 Millionen Mitgliedern. Wohnungsgenossenschaften begründen durch die kollektive Eigentümerschaft einen dritten Weg zwischen Miete und Eigentum.

Seit ihrem Entstehen übernehmen Wohnungsgenossenschaften gesellschaftliche und soziale Verantwortung. Diese wird durch die Miteigentümerschaft sowie institutionelle Vorkehrungen dauerhaft sichergestellt. Wohnungsgenossenschaften eignen sich damit als idealer Partner der öffentlichen Hand.

Dauerhafter Entzug aus der Spekulation

Die Miteigentümerschaft der Mieter zieht einen hohen Verantwortungsgrad der Unternehmensführung von Wohnungsgenossenschaften nach sich. Hierdurch sind Veräußerungen von Immobilien der Ausnahmefall. Vielmehr werden Immobilien, die sich im Besitz von Wohnungsgenossenschaften befinden, dauerhaft der Spekulation entzogen.

Insgesamt erbringen Wohnungsgenossenschaften weitreichende positive volkswirtschaftliche Effekte. Hinter den genannten Nachhaltigkeitsaspekten in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht verbergen sich gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Beiträge wie bezahlbarer Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten, eine Vorbeugung von der Umverteilung von Vermögen, eine höhere soziale Durchmischung verschiedener Bevölkerungs- beziehungsweise Einkommensschichten und hierdurch ein Entgegenwirken der Segregation sowie die Förderung von Nachbarschaft und damit Aspekten des Engagements und der Gemeinsamkeit. Weiterhin können Wohnungsgenossenschaften als Innovator für Lebensqualität und Attraktivität für Städte gesehen werden.

Wohnungsgenossenschaften unterliegen allerdings auch sich ständig ändernden Anforderungen und Herausforderungen. Zur dauerhaften Aufrechterhaltung ihrer Charakteristika bedürfen gerade die etablierten, "Alt-Genossenschaften" einer strategischen Auseinandersetzung mit den nachfolgend dargelegten Themen.

1. Zu beobachten ist ein sinkender Marktanteil von Wohnungsgenossenschaften. Damit geht ein Bedeutungsverlust von Wohnungsgenossenschaften, insbesondere auch in der öffentlichen Wahrnehmung, einher. Gerade in Zeiten angespannter Wohnungsmärkte besteht die Chance, durch die Schaffung bezahlbaren Wohnraums die Bedeutung der Branche zu stärken. Hierzu ist zunächst ein entsprechendes Bewusstsein zur Steigerung der Motivation und zur Akzeptanz von gesellschaftlicher Verantwortung in den Genossenschaften erforderlich. Dieses Bewusstsein muss durch die Unternehmensführung auch gegenüber den Mitgliedern kommuniziert werden, um Rückhalt und Akzeptanz sicherzustellen. Daneben ist die gezielte Unterstützung durch die öffentliche Hand notwendig, wie sie beispielsweise in München bereits erfolgt.

Vor Jahrzehnten aus der Not heraus geboren

2. Ein Großteil der Wohnungsgenossenschaften in Bayern besteht bereits deutlich länger als 50 Jahre. Die Phasen größter Bauaktivität fallen in Zeiten akuter Wohnungsnot, wie der Industrialisierung im 19. Jahrhundert oder nach dem Ersten beziehungsweise Zweiten Weltkrieg. Der Bestand entspricht in vielen Fällen nicht den Standards und Bedürfnissen der heutigen Zeit. Die Folge ist eine mangelnde Akzeptanz bei den Mitgliedern beziehungsweise ausbleibende aktive Neumitglieder, die sich für die Genossenschaft engagieren. Die Anpassung an heutige Standards setzt eine strategische Portfolioplanung sowie eine langfristige Bedarfs- und Finanzplanung voraus.

3. Aufgrund zunehmender Regelungsdichte steigen die Anforderungen an die Unternehmensführung massiv an. Das sich hieraus ergebende Risiko ist eine Nichtbeschäftigung mit diesen Neuerungen mit der Folge einer Reduktion der Tätigkeiten auf das Notwendige: die Verwaltung des Bestands. Eine zentrale Aufgabe ist allerdings auch die Professionalisierung der Unternehmungsführung und der Mitarbeiter. Dies schließt auch die Einbindung fachkompetenter Mitglieder beziehungsweise Ehrenamtlicher ein. Durch professionelle und vorausschauende Rekrutierungsprozesse muss sichergestellt werden, dass die Wohnungsgenossenschaft auch in Zukunft über ausreichend kompetentes Personal verfügt. Insbesondere für kleinere Wohnungsgenossenschaften bieten sich hier auch Kooperationen in unterschiedlichsten Ausprägungen an, um möglichst arbeitsteilige Geschäftsprozesse mit einem hohen Spezialisierungsgrad erreichen zu können.

Aktive Einbindung der Mitglieder nötig

4. Die notwendige Professionalisierung darf nicht missverstanden werden als Überstülpen von einer Standardmanagementpraxis beliebiger Immobilienfirmen. Hierdurch würde die eingangs beschriebene Genossenschaftliche Identität verloren gehen. Es bedarf der Wahrung der Kernwerte, der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeitsaspekte. Dieses genossenschaftliche Bewusstsein (Mitwirkung, Solidarität, Gemeinschaft) muss von der Unternehmensführung vorgelebt und aktiv bei den Mitgliedern und den Mitarbeitern gefördert werden.

5. Ohne die aktive Einbindung der Mitglieder und der aktiven Förderung eines genossenschaftlichen Bewusstseins bei den Mitgliedern besteht die Gefahr eines weiter sinkenden genossenschaftlichen Engagements bei den Mitgliedern. Dieser erodierende genossenschaftliche Teilhabeprozess ist nicht alternativlos: Gerade Genossenschaften sind von ihrer institutionellen Einrichtung her auf die Mitwirkung der Mitglieder ausgerichtet; diese muss gezielt durch die Unternehmensführung gefordert und gefördert werden mit dem Ziel der Bewahrung der genossenschaftlichen Identität. Die Gewinnung aktiver und engagierter Mitglieder ist dabei auch abhängig von der strategischen Aufstellung des Wohnungsbestands einer Genossenschaft.

6. Die bisherigen Ausführungen zur Rolle und zum Selbstverständnis von Wohnungsgenossenschaften werden in dieser Form nur in sehr geringem Umfang von der Öffentlichkeit geteilt. Stattdessen bestehen häufig Unkenntnis oder Vorurteile gegenüber Wohnungsgenossenschaften. Die zahlreichen positiven Effekte hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit werden dabei übersehen. Aufgabe der einzelnen Wohnungsgenossenschaften sowie der weiteren Organisationen ist eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit, um Genossenschaften als Wohn- und Lebensform wieder im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern.

7. Dass der Bestand von Wohnungsgenossenschaften vielfach nicht aktuellen Standards und Bedürfnissen entspricht, hat mit den steigenden Anforderungen sowie dem Fehlen einer rechtsformorientierten Wohnraumförderung zu tun. Die bestehenden Förderprogramme sehen nur in Ausnahmen spezielle Konditionen für Genossenschaften vor, sodass Wohnungsgenossenschaften im Ergebnis zu häufig keine Förderungen annehmen. Bei der aktuellen Marktlage, insbesondere in Schwarmstädten, lässt sich ohne Förderung kein bezahlbarer Wohnraum realisieren. Die Branche muss sich entsprechend gegenüber der Politik für fördernde Rahmenbedingungen einsetzen. Notwendig sind vor allem Förderwege zur Aufbringung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung sowie geeigneter Baugrundstücke.

Vorteile besser öffentlich vertreten

8. Wohnungsgenossenschaften verfolgen insbesondere wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsaspekte. Hierdurch nehmen sie häufig eine Vorreiterrolle ein und sind Innovationstreiber. Wohnungsgenossenschaften sind damit prädestiniert, positive Impulse für die Stadtentwicklung zu geben, um nachhaltige Wohn- und Lebensqualität zu sichern. Die bereits vielfältig vorhandenen Erfolge müssen auch gegenüber der Öffentlichkeit wirksamer vertreten werden.

9. Allein im Zeitraum von 1970 bis 2015 ist der Quadratmeterverbrauch pro Person von durchschnittlich 25 auf 46 Quadratmeter angestiegen. Hierfür gibt es vielfältige Ursachen. Wohnungsgenossenschaften sollten sich daher viel stärker als Wohn- und Lebensform positionieren. Durch die Entwicklung und Bereitstellung von gemeinschaftlichen Wohnkonzepten kann diesem Trend wirksam entgegengewirkt werden. Darüber hinaus können gemeinschaftliche Wohnkonzepte auch als Lebensformen für alle Lebensphasen, beispielsweise in Mehrgenerationenwohnprojekten entwickelt werden.

Die Beschäftigung mit diesen Themen leistet einen Beitrag zur langfristigen Fortführung des genossenschaftlichen Erfolgsmodells. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell diskutierten Thematik der Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum bietet sich die Gelegenheit für Wohnungsgenossenschaften, diese Herausforderungen aktiv anzugehen und sich wieder tiefer im gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein zu verankern.

Mehr Gründungen in Bayern

Zur langfristigen Fortführung des Erfolgsmodells Genossenschaften tragen auch die zahlreichen Neugründungen der letzten Jahre bei. Dieser Gründungsboom ist sicher auch eine Folge der angespannten Lage auf den Wohnungsmärkten. Immer mehr engagierte Genossenschaftsgründer möchten das Ruder selbst in die Hand nehmen und planen Projekte für sicheres, dauerhaftes und bezahlbares Wohnen.

Seit 2012 wurden zwölf neue Genossenschaften Mitglied beim VdW Bayern und auch 2017 zeichnen sich weitere Neugründungen ab. Im Bundesgebiet gab es im Vergleichszeitraum 27 Neugründungen. Vor allem die Landeshauptstadt München engagiert sich für die Rechtsform Genossenschaft. Die Landeshauptstadt vergibt bis zu 40 Prozent der städtischen Grundstücke an Wohnungsgenossenschaften und Baugemeinschaften.

Einen besonderen Weg geht München auch bei der Vergabe städtischer Grundstücke. Nach einer Pilotphase wurde der konzeptionelle Mietwohnungsbau (KMB) mit dem wohnungspolitischen Handlungsprogramm "Wohnen in München VI" dauerhaft eingeführt. Das bedeutet, städtische Grundstücke werden nicht nach dem höchsten Preis, sondern nach dem besten Konzept vergeben. Von dieser Maßnahme profitieren vor allem auch die Wohnungsgenossenschaften.

Der Autor Hans Maier Verbandsdirektor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Verband bayerischer Wohnungsunternehmen e.V., München
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