Onlineriese liebäugelt mit stationärem Geschäft

Jeff Bezos, CEO, Amazon.com

Quelle: Amazon.com

Amazon-Gründer Jeff Bezos ist ein wahrlich rastloser Geist, der selbst vor waghalsigen Abenteuern mit ungewissem Ausgang nicht zurückschreckt. Dies tut er mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Er glaubte beispielsweise an das E-Book, als viele noch zweifelten. Dass sich sein Instinkt als richtig erwies, kann heute niemand mehr ernsthaft leugnen. Auch die Bedeutung des Cloud Computing erkannte er frühzeitig, weshalb sich das Unternehmen in diesem finanziell lukra tiven Segment als Marktführer etablieren konnte. Dagegen erwiesen sich andere Projekte, wie das unternehmenseigene Smartphone, das dem I-Phone Konkurrenz machen sollte, als großer Flop. Ähnlich erging es dem inzwischen eingestellten Amazon Webstore, der meilenweit davon entfernt war, profitabel zu sein. Solche Rückschläge schrecken Bezos allerdings nicht ab. Er ist ein überzeugter Verfechter der "Trial & Error"-Philosophie.

Ein neues Experiment spielt sich seit kurzem in Deutschland ab. Seit Anfang Juni können - vorerst nur Prime-Mitglieder aus Berlin und Potsdam - frische Lebensmittel auf der Plattform ordern. Das Angebot von "Amazon Fresh" umfasst nach Angaben des Unternehmens mehr als 100 000 Artikel, zudem gibt es mehrere hundert Produkte von rund 25 Berliner Läden. Neben frischem Obst und Gemüse gehören auch Fleisch und Fisch zum Sortiment. Dass die deutsche Konkurrenz um Rewe, Kaufland und Co. den Online-Lebensmitteleinzelhandel bislang mit äußerst mäßigem Erfolg beackert - laut einer aktuellen Untersuchung von TLG Immobilien und Bulwiengesa lag der Anteil hierzulande im vergangenen Jahr bei gerade einmal 1,5 Prozent - beeindruckt Amazon dabei wenig. Dem Vernehmen nach soll bald auch schon München in den Genuss des Angebots kommen. Das Unternehmen vertraut offensichtlich darauf, seine bereits bei Prime angemeldeten Nutzer leichter für den neuen Service gewinnen zu können.

Auch unter logistischen Gesichtspunkten offenbart sich die Herkulesaufgabe, derer sich Amazon da annimmt. Grundsätzlich wird dem Unternehmen ein beachtliches logistisches Geschick nachgesagt und die zügige Auslieferung von Büchern und Elektrowaren ist bekanntlich eines seiner wichtigsten Markenkerne. Die Bereitstellung leicht verderblicher Waren ist jedoch um einiges anspruchsvoller. Neben der komplexen, energie- und kostenintensiven Kühlung der Waren (Stichwort "Frischelogistik") ist dabei vor allem die unmittelbare Nähe zu den Großstadtkunden Pflicht. Zwar besitzt Amazon mit neun großen Logistikzentren (weitere befinden sich um Aufbau) bereits heute ein ordentliches Netzwerk in Deutschland. Diese befinden sich jedoch typischerweise im Umland der einzelnen Metropolen (beispielsweise Brieselang bei Berlin oder Graben bei München) und sind somit für den Lebensmittelservice ungeeignet.

Kein Wunder also, dass Amazon fieberhaft am Vorstoß in die Großstädte arbeitet. Die im vergangenen Jahr vollzogenen Anmietungen innerstädtischer Logistikflächen in München ("Hopfenpost", einschließlich eines Kühllagers) und Berlin ("Ku´damm Karree") dürften für den Anfang reichen, im Münchner Stadtteil Daglfing hat Segro darüber hinaus kürzlich eine 15 000 Quadratmeter große Logistikhalle inklusive Kühlbereich an das Unternehmen aus Seattle übergeben. Soll das Konzept eines Tages aber wirklich im großen Stile praktiziert werden, wird noch einiges mehr an Kreativität und Willen gefragt sein. Denn die innerstädtisch zur Verfügung stehenden Logistikflächen sind rar, vielerorts genießt die Bereitstellung von Wohn- und Büroräumen Priorität.

Kreativität ist natürlich auch bei der anschließenden Warenzustellung gefragt. Um in den Städten einem durch Lkws verursachten Verkehrs- und Umweltkollaps vorzubeugen, werden Alternativen wie Fahrradkuriere künftig möglicherweise immer öfter in deutschen Stadtbildern zu sehen sein. Hartnäckig hält sich in diesem Zusammenhang das Gerücht, wonach Amazon über kurz oder lang den Versand selbst übernehmen könnte. Vorläufig allerdings verbündet sich der Onlineriese für den Lebensmitteldienst mit dem Paketdienst-Marktführer DHL.

Betont gelassen nahmen unterdessen die hiesigen Lebensmitteleinzelhändler den Launch von Amazon Fresh zur Kenntnis. Noch. Denn der jüngst vollzogene Erwerb der stationären Biosupermarktkette Whole Foods für schlappe 13,7 Milliarden US-Dollar durch Amazon bedeutet den Einstieg in das stationäre Geschäft mit Lebensmitteln. Vorläufig gilt dies nur in den USA. Denkt man aber an die steile Lernkurve des Unternehmens auf vielen anderen Gebieten, so ist ihm dieser gewaltige Schritt von der digitalen in die stationäre Welt auch in Deutschland und Europa durchaus zuzutrauen. Spätestens dann wird es auch mit der Gelassenheit der deutschen Wettbewerber vorbei sein. ph

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