Immobilienwirtschaft 4.0

Wie aus "Big Data" "Small Data" werden kann

Dr. Thomas Beyerle Managing Director, Catella Property Valuation GmbH, Frankfurt am Main

Die Verheißungen digitaler Daten sind groß: Nicht wenige sprechen in ihrem Zusammenhang gar vom "neuen Öl", mithilfe dessen sich bislang verborgene Wissensschätze heben lassen könnten. Der Euphorie um die Thematik steht der Autor grundsätzlich skeptisch gegenüber. Zwar seien in der Tat jede Menge Daten verfügbar. Bei nüchterner Betrachtung zeige sich jedoch, dass daraus bislang häufig kaum ein Mehr an Informationen gewonnen werden konnte. Auch in der Immobilienwirtschaft sei eine klare digitale Strategie vielerorts noch nicht zu erkennen. Im folgenden Beitrag beschreibt er den Status quo beim Umgang mit digitalen Datensätzen in der Branche und geht dabei insbesondere auf die Bedeutung von Geodaten ein. Red.

Die Erwartungshaltung in der Wirtschaft rund um die "Digitalisierung" nimmt mittlerweile inflationäre Züge an. War "Big Data" bis vor wenigen Jahren nur einem kleinen Zirkel von IT-Spezialisten bekannt, sind in der Folge die positiven Sichtweisen geradezu explodiert. Kaum war der kleine Bruder "Data Mining" en vogue, jubelten Marktanalysten über die Aussage, dass "Daten der Rohstoff des 21. Jahrhunderts" seien - endlich fand ihr Mantra auch von außen Bestätigung.

Vorläufiger Höhepunkt in dieser Zukunftserwartung ist das Zauberwort "Predictive Analytics". Es geht hier um nicht weniger als die stabile Prognose der Zukunft. Wenn dann noch Bücher wie zum Beispiel "Super Forecasting" monatelang die Hitlisten der Wirtschaftsbücher anführen, bedarf es nur noch der "denkenden Maschinen" - also dem "Internet der Dinge", damit die Überzeugung vorherrscht, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Die Daten machen dies vermeintlich möglich. Und wenn Big Data das nicht hergibt, dann wird es "Small Data" aber sicherlich tun. Obwohl ein nüchterner Blick jenseits des Hypes zeigt, dass wir zwar jede Menge Daten haben, aber kaum ein Mehr an Informationen.

Wer kann nicht behaupten, dass er in den letzten beiden Jahren etliche Präsentationen, Aussagen oder gar Seminare zu Big Data erlebt hat? Und danach dynamisierter aber auch verwirrter rauskam als er hineingegangen war. Da war dann in bestem Sprech die Rede von Information als Rohstoff, Risikoreduktion, Prognosesicherheit, gezielter Kundenansprache, Individualität, Schwarmverhalten und zuletzt gar von der Weltrevolution durch Algorithmen.

Die ersten greifbaren Ergebnisse

Doch das Konkrete - sieht man von Startups der Prägung "-Tech" einmal ab - war irgendwie noch nicht greifbar. Zwar reden auch die allermeisten Immobilienunternehmen über die fantastischen Möglichkeiten, doch auch weiterhin lässt sich in der Tendenz ein kollektives Herumirren nach dem richtigen Weg in Zeiten der Digitalisierung diagnostizieren.

Interessanterweise scheint es aber eine Korrelation zu geben zwischen Immobilienunternehmen mit eigenen Researchbereichen und solchen ohne - gerade in Bezug auf das Verständnis von Daten(werten). Einfacher formuliert: Dort, wo bereits Daten anfallen und veredelt werden bei der Dienstleistungserstellung - vulgo Marktanalyse basierend auf Datenbanken - lässt sich eine hohe Bereitschaft erkennen, diese in den Produktionsprozess einzubeziehen und ökonomisch zu veredeln. Zu nennen sind dabei - sicherlich verallgemeinert - die großen Maklerunternehmen, Immobiliensachverständige beziehungsweise Wertermittler und - mit Abstrichen - international agierende Immobilieninvestoren. So vermeintlich differenziert dies auch auf den ersten Blick scheinen mag, so vielschichtig sind dann aber auch die Anwendungsebenen: Mietpreisprognosen, Preis- und Risikomodelle sind bisher die greifbaren Ergebnisse dessen, was aktuell als "state-of-the-art" zum Thema "Big Data" in Deutschland gelten darf.

Geodaten als Brücke

Die DNA der Immobilienwirtschaft ist das Produkt "Immobilie" und das hat eine eindeutige Position auf der Erdoberfläche. Weniger geografisch formuliert: Jede Immobilie hat mindestens zwei Ebenen, durch welche eine Wertzuweisung erfolgt - den Standort und die Lage. Während die Lage eine zumeist subjektive Wertzuweisung durch Marktkräfte ist ("gute Lagen korrelieren mit hohen Werten"), aber gleichzeitig einem nur mittelbaren Standardisierungsverfahren unterliegt, ist der Standort durch seine geografischen Koordinaten (Kugelkoordinaten, mit denen sich die Lage eines Punktes auf der Erde beschreiben lässt), von einer Einmaligkeit geprägt. Genau an dieser Stelle und durch diese Sichtweise setzt die Diskussion rund um Big und Small Data an. Geoinformationen stellen quasi per Definition den Rahmen aller daraus abgeleiteten Aussagen zur Immobilien dar.

Am Beispiel der Arbeit von Wertermittlern wird dies vereinfacht deutlich: Die Anwendung von Geoinformationen in der Immobilienbranche, besonders im Bereich der Immobilienbewertung, ist bereits heutzutage nicht mehr wegzudenken. Für die Bewertung ist der Standort einer Immobilie ein entscheidender Parameter für den Marktwert und die Nutzungsmöglichkeit des Objektes. Doch erst die Anzahl der zu bewertenden Immobilien an unterschiedlichen Standorten (Big oder Small) bringt eine signifikante Marktbewertung mit sich. Der Immobiliensachverständige muss beispielsweise aufgrund der großen Nachfrage immer mehr Immobilien in einem immer strafferen Zeitrahmen bewerten. Dieser Bewertungsprozess wird durch die Anwendung von georeferenzierten Marktdaten ("geografische Informationssysteme", GIS) erleichtert und beschleunigt, zeigt aber auch auf, dass in dynamischen Marktzeiten eine exaktere Marktbewertung erfolgen kann als in Zeiten von wenigen Nachfragern beziehungsweise Transaktionen.

Die heute bereits verfügbaren Geoinformationssysteme ermöglichen, dass immobilienspezifische Geodaten erfasst und bearbeitet, gespeichert und verwaltet, analysiert und recherchiert sowie visualisiert werden. Exakt das ist die Auffassung und Definition dessen, was als Big Data und Analytics in der Branche aktuell die Basis darstellt. Im Folgenden wird mithilfe zweier Beispiele erläutert, wie es um die Big-Data-Geodaten-Funktionalität in der deutschen Immobilienwirtschaft bestellt ist.

Das Beispiel Pokémon Go

(Geo)Daten bilden bei Pokémon Go der Rubrik "Augmented Reality" die Basis. Das vor allem bei Jugendlichen bekannte Spiel basiert auf zwei Pfeilern:

- Erstens auf Kartenmaterial vom Online-Kartenanbieter Google Maps, auf welchem die virtuelle Spielwelt aufgebaut wird.

- Zweitens auf einem eigenen Datenpool aus Geocaching-Daten, also auf Datenpunkten der realen Welt, welche Objekte und Orte verknüpfen.

Gesammelt wurden diese Datenpunkte durch das Spiel "Ingress", das als spielmechanischer Vorläufer von Pokémon Go angesehen werden kann. Ingress nutzte ebenfalls Google-Maps-Daten, um eine virtuelle Umgebung zu konstruieren. Ziel der Spieler war es, möglichst viele Punkte auf der Karte für ihr Team zu erobern, indem sie diese Orte real aufsuchten (erste Zusammenhänge zur Arbeit von Sachverständigen werden hier sichtbar). Diese Datenbank wird bei Pokémon Go zur Positionierung von "Pokéstops" - Orte, an denen Spieler wichtige Spielgegenstände sammeln können - sowie Arenen - Orte, an denen Spieler mit ihren Pokémon gegeneinander antreten können - genutzt. Der zentrale Punkt ist die gigantische Datenbank von nutzergenerierten Standortdaten.

An dieser Stelle kommt die immobilienspezifische Betrachtung ins Spiel: Wie können Immobilieneigentümer beziehungsweise Unternehmen dies für sich nutzen? Der nächste logische Schritt in dieser Entwicklung lässt die Einbindung gesponserter Orte in das Spiel vermuten. Unternehmen könnte die Möglichkeit angeboten werden, dafür zu bezahlen, eine reale Anlaufstation in der virtuellen Welt zu werden und dadurch einen Anreiz für Laufkundschaft zu schaffen. Bereits jetzt sind viele größere Gebäude und Sehenswürdigkeiten die oben beschriebenen Pokéstops oder Arenen. Das führt dazu, dass viele Ladenbetreiber aktuell ungewollt große Besucheranstürme überstehen müssen. Aus dem Big-Data-Ansatz wird auf der Objektbeziehungsweise Shopeebene eine Small-Data-Sichtweise.

Aus dieser Gemengelage lässt sich ein Businessmodell ableiten und Unternehmen wird die Chance gegeben, von den Monsterjägern zu profitieren. Bezahlt wird auf "Cost per Visit"-Basis - also für jeden Pokémon-Trainer, der aufgrund des Spiels das reale Geschäft betritt, zahlt der Shopbesitzer. Und auch die Abrechnung und Identifizierung der Spieler kann problemlos vonstattengehen, da Pokémon Go zum Spielen ein aktiviertes GPS-Signal benötigt. Damit kann jeder Nutzer und jedes Gerät klar lokalisiert werden. Ob die Nutzer wegen seltener Pokémon oder kostenloser Items in den Läden nach erfolgreicher Jagd auch einkaufen werden, wird sich erst nach dem Rollout zeigen.

Kaum standardisierte Daten

Aktuell lassen sich etliche Beispiele von Unternehmen aus Japan, Korea und den USA beobachten, bei denen diese Köder - ein virtuelles Objekt, das Pokémon an einen bestimmten Ort lockt - verwendet werden, um die Menschen zu ihren Verkaufsstellen zu ziehen und zu halten. Nach dem Auslegen eines Köders haben gerade gastronomische Betriebe aber auch "Standorte mit Ladestationen" im Schnitt 25 Prozent mehr Umsatz am Tag gemeldet.

Die Relevanz der georeferenzierten Daten auf der Big-Data-Ebene, sprich der Standortebene, verdeutlicht auch das ZIA-Leitprojekt "Geodaten - Geo Real Estate". Gemeinsam mit der im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie angesiedelten Kommission für Geoinformationswirtschaft wurde ein Leitprojekt initialisiert, dessen Kern die Daten der deutschen Gutachterausschüsse sind. Gleichwohl werden an dieser Stelle die Hürden deutlich, welche auf dem Weg von Big zu Small Data noch zurückzulegen sind: Noch sind die Daten kaum standardisiert. Darüber hinaus muss geklärt werden, wie der Datenaustausch verlaufen kann, welche Rolle der Datenschutz hat und welcher ökonomischer Wert (Preise beziehungsweise Lizenzen) den Daten zukommt.

Fokus erweitern auf die Software einer Immobilie

Aktuell kann zu Big Data versus Small Data jede Lösung gezählt werden, mit deren Hilfe sich aussagekräftige Muster und Abhängigkeiten in Datenbeständen identifizieren lassen und sich auf diese Weise mögliche zukünftige Ereignisse vorhersagen sowie potenzielle Handlungsmöglichkeiten bewerten lassen. In die Analyse können dabei auch sogenannte unstrukturierte Daten, etwa aus sozialen Netzwerken, einbezogen werden, wie es exemplarisch bei den "berühmten" Passantenfrequenzzählungen Anwendung findet.

Die Entstehung von Small-Data-Lösungen in der Immobilienwirtschaft wird in erster Linie auf das rasche Wachstum der Datenmengen in Unternehmen, den Objekten und durch das "Internet der Dinge" zurückzuführen sein. Von daher überrascht es nicht, dass die Finanz- und Konsumgütersektoren, die seit Langem mit großen Datenvolumen arbeiten, die ersten Ansätze schon vor mehr als 20 Jahren einführten. Die Immobilienwirtschaft ist von einem einheitlichen Standardisierungsgerüst allerdings noch weit weg.

Allerdings: Diese kurzfristige schnelle Entwicklung legt die Vermutung nahe, dass sich der Hype um Big Data und Small Data auch bald wieder legen kann. Doch die Technologien, vor allem aber die Fähigkeit gigantische Datenmengen zu verknüpfen, verdeutlicht dem Strategen und Weitsichtigen, dass sich durch die Verknüpfung der Elemente "Daten", "Raum/Immobilie" und der "Echtzeitdarstellung" erstmalig eine reale in der virtuellen Welt und umgekehrt abbilden lässt. Gleichwohl bedarf es eines völlig neuen Verständnisses von Datenerfassung, Datenqualität und der Ableitung von Algorithmen. Hier ist die Immobilienbranche per se sicher etwas zurückhaltend. Der Fokus von der Hardware der Gebäude muss zwingend eine Erweiterung finden auf die Software der Immobilien. Derjenige, der die Daten(Punkte) hat, bestimmt scheinbar die zukünftige Frequenz in Räumen, auf Plätzen und Immobilien und entscheidet damit über den (Markt) Wert von Raum und Objekt.

Der Autor Dr. Thomas Beyerle Managing Director, Catella Property Valuation GmbH, Frankfurt am Main
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