Immobilienwirtschaft 4.0

Blockchain - Disruption in der Immobilienbranche?

Hendrik Aholt, Senior Manager, Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

Quelle: Deloitte

Die Blockchain ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema in diversen Branchen. Vor allem in der Finanzindustrie, dem Energiemarkt und dem Gesundheitswesen wird der Technologie großes Zukunftspotenzial zugesprochen. In welchen Bereichen der Immobilienbranche die Blockchain theoretisch zum Einsatz kommen könnte und welche Konsequenzen damit einhergehen, erläutern die Autoren des folgenden Beitrags. Die Verheißungen klingen durchaus vielversprechend: Neben der Beseitigung von Informationsasymmetrien und Betrugsrisiken birgt die Blockchain die Chance, mithilfe von Smart Contracts den Transaktionsprozess einer Immobilie signifikant zu beschleunigen. Darüber hinaus werden drei konkrete, in Europa konzipierte Anwendungsbeispiele der Technologie mit Immobilienbezug vorgestellt. Red.

Wahrscheinlich steht derzeit branchenübergreifend keine Technologie so im Mittelpunkt der Diskussion wie die Blockchain und ihre Anwendungsfelder.

Die Immobilienbranche hat dem Thema bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Allerdings finden sich auch hier vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Eine konkrete Anwendungsmöglichkeit zur eingängigen Veranschaulichung vorab: Der Kauf und der Verkauf von Immobilien sind in der Regel mit hohen Zusatzkosten behaftet. Zudem verbleibt der Prozess ineffizient - nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung zahlreicher Dritter (Makler, Notar, Anwalt et cetera). Hier kann die Blockchain-Technologie, durch das Beschleunigen von Prozessen, die Reduzierung von Betrugsmöglichkeiten und der Schaffung von mehr Transparenz in der Abwicklung zu einem entscheidenden Vorteil für die gesamte Branche werden.

Zahlreichen Formen der Ausprägung

Zunächst jedoch die Antwort auf die Frage, was ist die Blockchain? Klar gesagt: Es gibt sie nicht die "eine" Blockchain. Vielmehr handelt es sich um eine neue Basistechnologie, die mittlerweile in zahlreichen Ausprägungen vorkommt, denen folgende Eigenschaften gemein sind:

- Zentrales Element jeder Blockchain ist ein unveränderliches Transaktionsregister.

- Die Transaktionen werden in einer dezentralen Datenbank gespeichert, die auf einer Anzahl von Rechnern (Nodes) im Netz redundant gehalten wird.

- Das Transaktionsregister ist strikt additiv - nichts kann rückwirkend verändert werden - das Register wächst also dadurch, dass fortwährend neue Transaktionen hinzugefügt werden.

- Bestimmte Verfahren stellen sicher, dass nur zulässige Transaktionen akzeptiert werden und die gespeicherten Versionen der Datenbank auf allen Nodes identisch sind.

- Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst (daher der Name). Sobald ein Block vollständig ist und von den Nodes als gültig akzeptiert wurde, tritt die oben erwähnte Unveränderbarkeit ein.

- Die zugrunde liegende Technologie ist Open Source.

In ihrem Kern ermöglicht die Blockchain-Technologie den weltweiten Austausch von Daten, ohne zentrale Instanzen, komplizierte Verifizierungsverfahren oder hohe Gebühren. So könnten Grunderwerbsnebenkosten für Notare und Grundbucheintragungen, technisch gesehen, komplett überflüssig werden. Genauer gesagt kann dies jegliche Leistung betreffen, die einen Wert oder einen Wertübergang dokumentiert oder verifiziert. Nun da eine Vorstellung vermittelt wurde, was sich hinter dem Begriff Blockchain verbirgt, die zentrale Frage: Welche Auswirkungen lassen sich dadurch für den Immobiliensektor erwarten?

Transparenz und Beseitigung von Betrugsrisiken

Informationsasymmetrien gehören bei Anwendung der Blockchain-Technologie der Vergangenheit an. Beim Beispiel Immobilienverkauf können alle Daten zentral und für alle Parteien zugänglich gespeichert werden, sodass den Marktteilnehmern alle relevanten Informationen zur Preisfindung zur Verfügung stehen. Die gesamte Transaktionshistorie aber auch die Vermietungshistorie einer Immobilie können so zukünftig mittels der Blockchain gespeichert, nachverfolgt und laufend aktualisiert werden. Auf diese Weise entfallen wesentliche Aufwandstreiber im Rahmen der Due Diligence und somit ein Großteil der Kosten für die aufwendige Überprüfung einer Immobilie.

Mit einer transparenten Historie der Besitzverhältnisse und der Nutzung einer Immobilie wird das Betrugsrisiko drastisch gesenkt. Länderabhängig besteht im Markt eine hohe Intransparenz bezüglich der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse. Dies führt auf dem Immobilienmarkt dazu, dass beim Kauf große Summen für die Überprüfung der Eigentumsrechte und Immobilienhistorie ausgegeben werden müssen. Diese können durch die Nutzung der neuen Technologie eingespart werden, da alle Informationen nicht nur sicher und für die Beteiligten einfach zugänglich zur Verfügung stehen, sondern auch vor Manipulation geschützt sind. Diese transparente Vorhaltung von Informationen über eine Immobilie würde daher das Betrugsrisiko entscheidend minimieren und hohe Kosten einsparen.

Beschleunigung des Transaktionsprozesses

Blockchain macht es möglich, sogenannte "Smart Contracts" zu programmieren. Hierbei handelt es sich weniger um Verträge im herkömmlichen Sinne als um Code, welcher zum exekutieren definierter Vertragsbedingungen genutzt werden kann. Durch die Verwendung solcher Verträge, kann der Vermögensaustausch größtenteils automatisiert erfolgen, wenn die entsprechenden, im Vorfeld definierten, Voraussetzungen eintreten (zum Beispiel das Eingehen der Zahlung). Der Smart Contract überprüft hierbei seine Bedingungen selbstständig und handelt automatisiert. Die Bedingungen sind dabei für die teilnehmenden Parteien vollkommen transparent.

Eigentumsübergänge könnten mittels dieser Technologie auf einer ähnlichen Weise abgewickelt werden, wie die Zahlungen zwischen Parteien mit digitalen Währungen wie Bitcoin. Jeder "Coin" stellt hierbei ein einzigartiges Haus oder ein Stück Land dar. Analog zu diesem Anwendungsfall kann auch die Vermietung von Flächen über die Blockchain erfolgen. Für aufkommende office sharing/"pay-per-use"-Konzepte im Gewerbeimmobilienmarkt werden so hohe Effizienzgewinne ermöglicht. Allen drei genannten Auswirkungen haben hohe Kosten- sowie Zeitersparnisse im Transaktionsprozess gemeinsam. Die skizzierten Einsatzmöglichkeiten sind heute längst kein theoretisches Gedankenkonstrukt mehr. Stattdessen finden sich bereits verschiedene Anwendungsbeispiele der Technologie in der Immobilienbranche.

Schweden: Das Grundbuch auf der Blockchain

Das schwedische Grundbuchamt testet die Modernisierung seines Registers mittels der Blockchain-Technologie. Die Zusammenarbeit erfolgt mit einem schwedischen Start-up und einem Telekommunikationsanbieter. In dem neuen System erstellen Käufer und Verkäufer einen gemeinsamen Smart Contract, den das Grundbuchamt einsehen kann. Jeder Arbeitsschritt wird hierbei auf der Blockchain gesichert.

In Zukunft soll beleuchtet werden in welcher Form auch Banken in dieses Netzwerk integriert werden können. Es verbleibt allerdings auch in Schweden noch eine Hürde für die vollumfängliche Umsetzung eines solchen Blockchain-Systems: Aus rechtlicher Sicht wird für den Vermögensübergang einer Immobilie eine physische Unterschrift verlangt. Sobald diese Hürde beseitigt wird, steht der vollumfänglichen Implementierung des Systems nichts mehr im Wege.

Anwendungen auch in den Niederlanden und Georgien

Die Stadt Rotterdam plant Mietverträge über die Blockchain abzuwickeln. Ein entsprechender Prototyp befindet sich bereits in der Umsetzung. In einem ersten Schritt werden hier Miet- und Pachtverträge dokumentiert, im zweiten Schritt werden dann zusätzlich noch die entsprechenden Zahlungen registriert und aufgezeichnet. Durch die Einführung dieses Blockchain-basierten Systems werden in Zukunft nicht nur die Dauer und die Kosten für den Kauf oder Verkauf einer Immobilie reduziert, sondern auch der Prozess und der Wert einer Immobilie transparenter.

Die georgische Regierung testet, zusammen mit einem Start-up, die Nutzung der Bitcoin-Blockchain, um den Eigentumsübergang von Immobilen abzusichern und zu validieren. Die hierfür entwickelte Software wurde bereits mit mehreren Grundbuchämtern erfolgreich getestet. Angetrieben von diesem Erfolg besteht in Georgien die Absicht, zusätzliche Services rund um den Kauf und Verkauf von Grundstücken, der Registrierung neuer Grundstücke, Hypotheken und Vermietungen sowie Notardienste anzubieten.

Die Einführung der Blockchain-Technologie für den Kauf und Verkauf von Immobilien könnte die gesamte Industrie verändern. Die Adaption solcher digitaler Geschäftsmodelle und Prozessoptimierungen erfordert jedoch ein Umdenken in der Industrie und stellenweise auch rechtliche Anpassungen. Offensichtlich ist jedoch, dass das Potenzial der Blockchain zu groß ist, um es zu ignorieren.

Die Autoren Hendrik Aholt Senior Manager, Jens Hermann Paulsen Senior Consultant, beide Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München

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