MIPIM-SPECIAL

DIE BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE UND IHR POTENZIAL FÜR DIE IMMOBILIENWIRTSCHAFT

ACHIM JEDELSKY Leiter Processes / IT, Daimler Real Estate GmbH, Berlin und Beirat, Real Estate Innovation Network
DR. THOMAS WIEGELMANN Geschäftsführer, BLUE Asset Management GmbH, München und Honorary Adjunct Professor, Bond University, Australien

Die Blockchain ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema in diversen Branchen. Vor allem in der Finanzindustrie wird der relativ jungen Technologie großes, mancherorts gar bahnbrechendes Potenzial zugesprochen. Namhafte internationale Großbanken und Börsenbetreiber loten deshalb aktuell im Rahmen von Kooperationen die möglichen Einsatzgebiete intensiv aus. In welchen Bereichen der Immobilienwirtschaft die Technologie einen Mehrwert bieten könnte und welche Konsequenzen damit einhergehen, erläutern die Autoren des folgenden Beitrags. Die Verheißungen klingen durchaus vielversprechend: Neben dem Abbau von Komplexität bei Immobilientransaktionen könnten etwa die bislang primär von Start-ups beanspruchten ICOs (Initial Coin Offerings) zu Veränderungen führen. Red.

Blockchain - die Technologie, die hinter der Kryptowährung Bitcoin steckt, ist neben künstlicher Intelligenz, 3D-Druck und virtueller Realität zurzeit sicherlich eine der am meist zitierten Entwicklungen, wenn es um die Digitalisierung - oder kurz um Zukunftstrends und -technologien geht. Während bereits in einer Umfrage anlässlich des Word Economic Forum 2015 rund 60 Prozent der Experten glaubten, dass im Jahr 2025 10 Prozent der weltweit verfügbaren Information in der Blockchain gespeichert werden1), zeigt es sich im World Economic Forum 2018, dass die Technologie die Beta-Phase - also die Experimentierphase - schon hinter sich hat.2)

Gerade durch die Assoziation mit Bitcoin geht das Verständnis meistens noch so weit, dass eine dramatische Veränderung für die Finanzbranche ansteht. Aber warum sollte diese Technologie Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft haben? Besonders wo doch eine anhaltend gute Konjunktur gerade diese Branche begünstigt - und die Tatsache, dass die Digitalisierung bisher nur schleppend vorangetrieben wurde den guten Ergebnissen nicht geschadet hat. Warum ausgerechnet diese Technologie Katalysator einiger tiefgreifender Veränderungen werden kann, möchten wir in diesem Beitrag aufzeigen.

Schaffung von Transparenz, Geschwindigkeit und Effizienz

Blockchains sind spezielle Datenbanken, die Transaktionsdaten ohne eine zentrale Kontrollinstanz, ohne die Notwendigkeit gegenseitigen Vertrauens der Parteien und mit vollkommener Transparenz verwalten können. Dabei geht es um die Schaffung von Transparenz, Geschwindigkeit und optimaler Effizienz. Die Blockchain wird gerne auch als "verteilte Datenbank" bezeichnet. Das trifft die Sache schon ganz gut - wenn man den Charakter der Blockchain noch etwas genauer beschreiben möchte, handelt es sich um ein verteiltes Register (englisch "ledger"), daher nutzt man auch gerne den englischen, etwas allgemeineren Begriff Distributed Ledger Technologie (DLT). Das Datenbanksystem kann öffentlich als "Public Blockchain" oder für eine definierte Gruppe "Private Blockchain" ausgestaltet sein.

Damit ergeben sich vereinfacht dargestellt drei besonders interessante Eigenschaften der Blockchain-Technologie:

1. Verteilt

2. Unveränderbar

3. Kein Mittelsmann notwendig

Verteilt ist daher von Interesse, weil eine verteilte Datenarchitektur den "single point of failure" also den Totalverlust der Daten vermeidet und das System extrem resistent macht. Sehr schön veranschaulicht wird das in dem grafischen Vergleich zentraler, dezentraler und verteilter Netzwerke von Paul Baran (1962, siehe Abbildung 1).

Sichere Datenverwahrung in der Kette

Unveränderbar ist eine Eigenschaft, die es bisher in der digitalen Welt nicht gab - egal wie sicher eine Datenbank ist, es gibt immer noch einen "Super-Admin", der einen Eintrag noch ändern oder sogar löschen kann. Bei Blockchain ist das nicht so. Alles was dort einmal abgelegt wurde, ist für immer dort hinterlegt. Damit können mittels einer Blockchain Informationen lückenlos zurückverfolgt und ihre Richtigkeit sichergestellt werden.

Technisch gesehen werden Daten in einzelnen "Blöcken" linear abgelegt. Zwischen den Blocks wird durch eine kryptografische Prüfsumme eine Verbindung (chain = Kette) geschaffen, die nicht mehr verändert werden kann, somit sind die Daten der Blocks in der Kette sicher verwahrt. Eine Einschränkung muss allerdings noch genannt werden. Wenn über 50 Prozent der Knotenpunkte des gesamten verteilten Netzwerks gleichzeitig übernommen werden, können theoretisch Änderungen an einer Blockchain vorgenommen werden. Denn wer die Mehrheit des Netzwerkes kontrolliert, kann darüber abstimmen welche Blocks validiert werden. Der Aufwand für diesen Vorgang ist allerdings so enorm und wird zusätzlich immer größer je länger die Blockchain wird, dass es als ausgeschlossen angesehen wird, dass dies geschehen kann.

Vermittelnde Instanz wird obsolet

Und diese beiden Charakteristiken - verteilt und unveränderbar - ermöglichen es, dass zum Beispiel für Transaktionen mit einer Blockchain kein Mittelsmann benötigt wird: Das System übernimmt die Verifizierung der Transaktion, bestätigt, dass die zu transferierenden Werte existieren und nicht doppelt verbucht werden und speichert diese in einem Block ab, womit die Transaktion abgeschlossen ist. Keine Institution muss als Vertrauen stiftender Partner zwischen misstrauischen Händlern vermitteln.

Die Chance und Herausforderung besteht nun darin, wie diese neuen technischen Möglichkeiten in einer komplexen Industrie wie der Immobilienbranche genutzt werden können - wohl wissend, dass zum Beispiel die Rolle des Mittelmannes durchaus ein erprobtes und bewährtes Berufsbild in der Branche ist - und das völlig ohne negativen Unterton. Aufgrund der Komplexität und der damit einhergehenden Intransparenz sind viele Immobilientransaktionen ohne hilfreiche Mittelsmänner nicht zu realisieren.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten in der Immobilienwirtschaft

Aber es gibt auch viele künstlich geschaffene Brüche, die es unnötig komplex und kompliziert machen, Immobilienprojekte effizient umzusetzen - das können zum Beispiel Immobiliendaten sein, die jeder Vertragspartner vor einer Transaktion für sich von neuen recherchiert, weil man den Informationen der anderen Partei schlicht nicht vertraut. Und genau hier kann die Blockchain-Technologie weiterhelfen. Diese erlaubt auf der Basis leistungsstarker kryptografischer Verfahren die Aufzeichnung der Transaktionshistorie und hat das Potenzial, somit Transaktionskosten deutlich zu senken und zu mehr Transparenz zu führen.

Durch das Schaffen von Transparenz und das Teilen von Daten, ohne dass man die Kontrolle oder die Rechte daran verliert, wird Komplexität abgebaut und der Fokus verstärkt auf die Schaffung und Hebung von Werten gerichtet. Betrachtet man den Gebäudelebenszyklus, so kann die Blockchain-Technologie grundsätzlich in allen Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie eingebunden werden und operative Prozesse sowie den Austausch von Daten verbessern. Abbildung 2 zeigt einige Bereiche auf, die durch den Einsatz von Blockchain-Technologien verändert werden können.

Steigende Komplexität, verschärfte regulatorische Anforderungen und die Vielzahl an Interdependenzen zwischen den Akteuren - die Hürden bei Immobilientransaktionen sind groß. Allein der Umfang an zu prüfenden Informationen, sei es aus abgeschlossenen oder geplanten Deals, ist enorm. Selbst unter Zuhilfenahme moderner Datenverarbeitungstechnologien ist damit ein erheblicher Zeit- und Kostenaufwand verbunden - der sich aber über die Blockchain-Technologie reduzieren ließe.

Praktischer Anwendungsfall "Crowdownership durch Tokenization"

Um das Potenzial zu verstehen, dass sich für die Immobilienwirtschaft hinter der Blockchain-Technologie verbirgt, lohnt es sich etwas genauer auf die Entwicklungen zu schauen, die sich im vergangenen Jahr rund um den Begriff "Crowdownership durch Tokenization" abgespielt haben. Nachdem Blockchain in den vergangenen Jahren immer bekannter wurde, wurde auch mehr und mehr die Frage nach einer "Killer-Anwendung" laut, die der Technologie nun endlich den Durchbruch in einem praktischen Anwendungsfall bringt.

2017 kristallisierte sich eine der grundlegenden Eigenschaften der Technologie als genau diese heraus: die Tokenization - also das Abbilden von digitalen Werten durch sogenannte "Tokens". Ausgehend von den erwähnten Kerneigenschaften einer Blockchain bedeutet das, dass man eine unveränderbare Anzahl an digitalen Tokens einem - mehr oder weniger - realen Gegenwert zuordnen kann und so in die Lage versetzt wird, diese Token frei zu handeln und somit mit Bruchteile des zugeordneten Wertes.

ICOs als Vorbild für die Immobilienfinanzierung?

Dieses Vorgehen wurde sehr intensiv von Start-ups genutzt, um für ihre Geschäftsideen direkt von der eigenen Community Geld einzusammeln (sogenannte ICOs - Initial Coin Offerings), welches dann für die Umsetzung der Firmenziele eingesetzt wird - eine Aufgabe, die vorher weitgehend über geregelte Kanäle wie Risikokapitalgeber (Venture Capital) oder Business Angels möglich war und dann auch nur gegen die Abgabe von substanziellen Firmenanteilen und Mitspracherechten.

Bei ICOs hingegen geht das Start-up in der Regel keinerlei Verpflichtungen gegenüber den Geldgebern ein und behält die volle Kontrolle über Firma und Kapital. Die Motivation der Geldgeber an einer ICO teilzunehmen basiert einzig und allein auf dem Vertrauen darauf, dass die ausgeschütteten Tokens schnell an Wert gewinnen und sich die Investition somit lohnt - Gewinne mit Faktor 20 waren hierbei keine Ausnahme. Welche Dimensionen diese Entwicklung in kürzester Zeit angenommen hat, sieht man in einer Statistik von EY, in der ICO-Investments mit Venture Capital (VC) Investments im Jahr 2017 verglichen werden (siehe Abbildung 3).

Nun ist es nicht weit hergeholt, wenn man in die Versuchung kommt, diese Herangehensweise auf die Immobilienwirtschaft zu übertragen - sei es um die Finanzierung neuer Immobilien zu vereinfachen, oder um den (statischen) Immobilienbestand zu kapitalisieren. Natürlich bewegen wir uns in der Immobilienwirtschaft in einer wesentlich stärker regulierten Industrie, in der gerade auch der private Anleger einen besseren Schutz genießt als ein ICO-Investor, der Token kauft - besonders dann, wenn dies als "Securities" nach US-amerikanischer Regulierung eingestuft werden.

Dennoch muss man davon ausgehen, dass in einem Land der Welt früher oder später durch ICO-freundliche Gesetzgebung die Möglichkeiten für dieses Vorgehen geschaffen werden. Welche Auswirkungen das haben wird, bleibt abzuwarten. Es ist geboten, dass die Immobilienwirtschaft, als auch Deutschland als Wirtschaftsstandort an dieser Entwicklung aktiv mitwirken.

Unserer Meinung nach werden Transaktionen oder Vermietungen komplexer Immobilien-(Portfolien) in den kommenden Jahren nicht von Softwarelösung und Blockchain-basierte Applikationen dominiert werden. Auch wird künstliche Intelligenz den Faktor Mensch nicht komplett ersetzen - es wird aber eine deutliche Aufgabenverlagerung geben, durch die viele Tätigkeiten, die heute als "operatives Muss" doch noch per Hand (und Excel) gemacht werden, immer mehr von Algorithmen übernommen werden. Die Aufgabe des Menschen muss es sein, einen Mehrwehrt zu diesen operativen Abläufen zu schaffen - durch Dienstleistungen, die Maschinen (noch) nicht erledigen können.

Aufruf zur aktiven Beschäftigung mit der Technologie

Blockchain-basierte Anwendungen stehen in der Immobilienwirtschaft heute noch deutlich am Anfang und sind in Form von konkreten Produkten noch wenig umgesetzt. Fest steht aber bereits heute, dass diese Technologie ein erhebliches Innovationspotenzial besitzt, welches in nahezu allen Bereichen der Immobilienwirtschaft und deren Wertschöpfungsprozessen neue Möglichkeiten eröffnet. Dies mag zum Beispiel perspektivisch dazu führen, dass sich die Modalitäten, wie sich Akteure in der Immobilienwirtschaft austauschen in vielen Bereichen deutlich verändern, ebenso kann es gänzlich innovieren wie Zahlungen durchgeführt und dokumentiert werden. Unser Aufruf richtet sich hierbei an alle Vertreter der Immobilienwirtschaft, sich dieser Entwicklung nicht zu verschließen, ihre weitreichenden Chancen rechtzeitig zu erkennen und zu nutzen - denn Blockchain, wie auch weitere Innovationen im Zusammenhang mit der Digitalisierung, werden in den Alltag unvermeidlich weiter Einzug nehmen.

Daher ist es wichtig, Prozesse von innen heraus zu innovieren und an dieser Entwicklung teilzunehmen. Ansonsten droht die Gefahr, dass dies von anderen Marktteilnehmern und Investoren übernommen wird - vornehmlich von US-amerikanischen Technologiekonzernen. Dies muss in Zukunft nicht der Fall sein, denn die Branche hat einen erheblichen Wissensvorsprung rund um die Immobilie und betriebliche Prozesse, und diesen gilt es nun "zu digitalisieren" und als Wettbewerbsvorteil zu entwickeln.

Fußnoten

1) www.coindesk.com

2) www.forbes.com

DER AUTOR ACHIM JEDELSKY Leiter Processes / IT, Daimler Real Estate GmbH, Berlin und Beirat, Real Estate Innovation Network
 
DER AUTOR DR. THOMAS WIEGELMANN Geschäftsführer, BLUE Asset Management GmbH, München und Honorary Adjunct Professor, Bond University, Australien
Dr. Thomas Wiegelmann , Geschäftsführer , Schroder Real Estate, München

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