Immobilienwirtschaft 4.0

Digitalisierung - neue Branchen und das Ende alter Jobs

Prof. Dr. Tobias Just, Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie, Eltville

Aus wissenschaftlicher Sicht nähert sich der Autor disruptiven Entwicklungen in der Immobilienbranche, indem er zunächst einmal versucht, dem Begriff Disruption seinen Schrecken zu nehmen. Nicht jeder Digitalisierungsschritt führe automatisch zum Aus von Bestehendem. Das radikal Umwälzende entstehe in dieser Branche aber dadurch, dass zu lange zu wenig geschehen sei und neue Entwicklungen nun teils mit großer Wucht stattfänden. Dabei hätten Forscher und Politiker vor allem aus den USA bereits in den neunziger Jahren die Dimension der Entwicklung erkannt. Heute werde auf Immobilienveranstaltungen zwar immer massiv die Digitalisierung beschworen - eine Umfrage zeige jedoch, dass innerhalb der Unternehmen diese Entwicklung immer noch keinen allzu hohen Stellenwert besitze, was der Verfasser sehr bedauert. Besondere Vorsicht sollten Immobilienunternehmen jedoch auf jeden Fall bei dem Umgang mit ihren Daten beispielsweise in Buchungsplattformen oder sonstigen Internet-Datenverwertern walten lassen, denn diese könnten die Wertpotenziale häufig besser ausnutzen als die Unternehmen selbst. Red.

In den vergangenen Monaten kam keine Immobilienkonferenz ohne wenigstens einen Vortrag zum Thema Digitalisierung aus. Sehr häufig wurden hierbei die Begriffe Digitalisierung, Innovation und Disruption als Quasi-Synonyme verwandt. Natürlich können Innovationen zu Verwerfungen für bestehende Geschäftsfelder führen. Insofern können sie disruptiv wirken, und natürlich bietet die Digitalisierung in einer eher haptischen und menschbezogenen Branche wie der Immobilienwirtschaft vielfältige Ansatzpunkte für Erneuerungen, aber das macht die Begriffe keineswegs austauschbar. Erstens sind die allermeisten Innovationen nicht disruptiv und dennoch sinnvoll. Zweitens gibt es sehr viele Innovationen jenseits der Digitalisierung und schließlich führt nicht jeder Digitalisierungsschritt gleich zum Aus von Bestehendem. Aber eins nach dem anderen.

Zunächst einmal, damit die Begriffe nicht willkürlich durcheinander wirbeln: In der Innovationsforschung spricht man dann von einer disruptiven Innovation, wenn diese zunächst (aus guten Gründen) von den Etablierten unterschätzt wurde und erst mit der Zeit ihre volle Wirkung entfaltet und bestehende Geschäftsfelder ersetzt. Manchmal wird auch der Begriff einer radikalen Innovation verwendet. Damit bezeichnet man eine Entwicklung mit großer Wirkung, sie muss aber nicht in der Frühphase rational unterschätzt worden sein und führt nicht zwingend zum Niedergang bestehender Geschäftsfelder. Radikale Innovationen sind insofern nicht deckungsgleich mit disruptiven Innovationen, auch wenn die Begriffe ähneln. Der Gegensatz zu radikalen Innovationen stellen inkrementelle Innovationen dar. Das sind die vielen kleinen Alltagsveränderungen, die für mehr Effizienz sorgen, aber nicht etwas Bestehendes infrage stellen.

Trend sehr lange unterschätzt

Viele Akteure der Immobilienwirtschaft sehen nun in der Digitalisierung eine Revolution, etwas Radikales, das viele Felder der Branche massiv verändern wird. Das ist möglich, allerdings entsteht das Revolutionäre für die Immobilienwirtschaft wohl vor allem dadurch, weil die Immobilienwirtschaft den Digitalisierungstrend sehr lange unterschätzt hat. Bereits 1990 erkannte der Ökonom Leo Nefiodow die Informations- und Kommunikationstechnologie als die Schlüsseltechnologie der fünften Kondratjew-Welle. Als Kondratjew-Welle beschreiben Ökonomen langanhaltende Strukturbewegungen, die dadurch entstehen, dass eine Leitbranche den Takt der Gesamtwirtschaft vorgibt. Ähnlich hat Bill Clintons Arbeitsminister Robert Reich Mitte der neunziger Jahre prognostiziert, dass die Computerisierung ermöglicht, dass zahlreiche symbol analytische Tätigkeiten durch Computer besser und schneller erbracht werden können. Symbolanalysten sind zum Beispiel Ökonomen, Bewerter, Wirtschaftsprüfer, aber auch Rechtsanwälte. Bemerkenswerterweise erkannte Paul Krugman bereits 1994, dass dies aber nicht zwingend dazu führt, dass die Jobs der Symbolanalysten dadurch dauerhaft immer besser bezahlt werden müssen, doch dazu später. Sogar die Redewendung "Daten sind das neue Öl", mit der der britische Mathematiker Clive Humby zum Ausdruck bringen wollte, dass Daten der wichtigste Rohstoff einer modernen, auf Dienstleistungen basierten Wirtschaft, sind, feierte im letzten Jahr seinen zehnjährigen Geburtstag.

Die Digitalisierung der Wirtschaft kommt also weder überraschend noch über Nacht. Daraus zu schließen, dass alle weiteren Entwicklungen für die Immobilienwirtschaft ebenfalls eher gemütlich abliefen, wäre indes fahrlässig, denn die Gefahr disruptiver Prozesse liegt ja eben darin, dass man die Dynamik neuer Technologien und Branchen zu lange unterschätzt. Dass die Immobilienwirtschaft hierbei nicht zu den Zugpferden der Digitalisierung gehört, zeigte sich eindrucksvoll in einer Umfrage, die wir 2015 im Auftrag von Deloitte und des ZIA durchgeführt haben. Auf die Frage, welche Trends die Immobilienwirtschaft in den nächsten Jahren prägen würden, erkannte knapp ein Drittel der Teilnehmer in keinem der recht üblichen vorgegebenen Trends (Klimawandel, Digitalisierung), dass keiner dieser Trends umfangreiche Chancen oder Risiken bergen würde. Weil wir den Fragebogen als Online-Fragebogen gestaltet haben und weil die Umfrageteilnehmer wahrscheinlich überwiegend entweder aus den Netzwerken der IREBS, des ZIA oder von der weltweit agierenden Beratungsfirma Deloitte stammten, ist sogar zu befürchten, dass die Teilnehmer eher zu den agilen, offenen Branchenvertretern gehörten als zu den verschlafenen Traditionalisten (siehe Grafik).

Immerhin scheint die Branche (nicht erst) seit dieser Umfrage etwas aufzuwachen, und weil Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur meistens evolutionär ablaufen, ist es mit Sicherheit noch nicht zu spät, Innovations- und konkret Digitalisierungsstrategien für Unternehmen zu entwickeln. Für diesen Beitrag sind hierbei vier Aspekte wichtig:

Erstens, disruptive Technologien lassen sich nicht jahrelang im Voraus erahnen - sonst hätten sie nicht solche Sprengkraft. Es ist auch keineswegs so, dass alles, was heute als potenziell disruptiv gehandelt wird, diese Kraft entwickeln wird. Disruptive Technologien sind dennoch nicht die häufig beschrieenen Schwarzen Schwäne, jene überhaupt nicht vorhersehbaren Ereignisse, die bei ihrem Eintreten gewaltige Implikationen entfalten. Sie sind sicherlich auch keine blütenweißen Schwäne wie die Dämmerung am Tagesende. Das bedeutet, Management ist wichtig. Welche Elemente weist gutes Management auf? Unternehmen müssen ihre Anpassungsflexibilität stärken, damit sie schneller auf neue Informationen und Entwicklungen reagieren können. Unternehmen müssen ihre Offenheit erhöhen, sowohl intern als auch extern. Impulse dürfen auch außerhalb der üblichen Immobilientagungen aufgesogen werden. Weil sich Offenheit und Flexibilität nicht einfach befehlen lässt, tun sich kleine und junge Unternehmen ohne ein für alte Branchen eingeschwungene, erfolgreiche Kultur leichter, auf die Herausforderungen solch dynamischer Märkte zu reagieren. Daher empfehlen Innovationsforscher wie Clayton Christensen (1997) etablierten Unternehmen neue Märkte nicht innerhalb der bestehenden Strukturen, sondern mit neuen Ausgründungen zu begegnen, damit die für neue Märkte benötigte Dynamik nicht an alten Strukturen scheitert.

Kleine Innovationen nicht vergessen

Zweitens, auch wenn auf Konferenzen die Kraft der Disruption gerne in den Mittelpunkt gestellt wird, sollten die kleinen inkrementellen Produkt- und Prozessinnovationen nicht vergessen werden. Sie fallen weniger auf, sichern aber in der Summe das tägliche Überleben eines Unternehmens. Während disruptive Innovationen häufig von neuen Marktteilnehmern ausgehen und Etablierte sich mit der Anpassung schwertun, können Etablierte mit Blick auf die vielen kleinen Änderungen ihre Innovationsfähigkeit deutlich erhöhen. Was ist hierbei besonders wichtig? Drei Dinge können Unternehmen relativ schnell umsetzen:

1) Sie können einen Innovationsmanager mit direkter Berichtslinie zum CEO einrichten. Damit wird die Bedeutung für alle Mitarbeiter deutlich. Die direkte Berichtslinie macht ihn weniger angreifbar und unabhängiger.

2) Die Kommunikation sollte von oben nach unten und gleichzeitig von unten nach oben im Unternehmen fließen können, um so das Potenzial für neue Ideen zu erhöhen. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter (etwas) Freiraum für das Verfolgen von neuen Ideen erhalten.

3) Neues entsteht nicht im Hamsterrad. Neues entsteht häufig erst dann, wenn wir in der Lage sind, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen. Viele Menschen tun dies aber nicht eigenmotiviert. Dann sollte es Reibungspunkte geben, die für kognitive Dissonanzen sorgen. Dies könnten in Meetings institutionalisierte Opponenten sein, deren Rolle für alle sichtbar darin besteht, die dominante Meinung zu kritisieren. Mitunter reichen auch Anreize, dass man nicht immer mit denselben Kollegen zum Mittagessen geht. Für Konferenzen könnte die Regel eingeführt werden, dass man nie mit eigenen Kollegen redet und mindestens zur Hälfte der Zeit mit neuen Personen.

Anpassungsdruck in der Branche unterschiedlich

Drittens, nicht alle Branchen der Immobilienwirtschaft stehen in gleichem Maße unter dem Anpassungsdruck neuer digitaler Geschäftsmodelle. Letztlich sind digitale Prozesse dafür gemacht, Informationen in sehr kurzer Zeit zu analysieren und daraus standardisierte Empfehlungen abzuleiten. Das heißt, überall dort, wo die Technik heute Transparenz in Märkte bringt, die vorher durch Intransparenz gekennzeichnet waren, überall dort, wo die Informationsanalyse bisher sehr teuer war und überall dort, wo es standardisierte Auswertungen gibt, sind digitale Geschäftsmodelle besonders profitabel, weil sie zum einen skalierbar werden und zum anderen hohe "Renten der Intransparenz" reduzieren. Dies ist also nicht allein auf den Maklerberuf beschränkt, auch Aktien- und Portfolioanalysten können betroffen sein, sogar standardisierte Vertrags- und Marktanalysen. Daher vermutete Paul Krugman, dass die Symbolanalysten nicht dauerhaft vor Effizienzgewinnen der Digitalisierung geschützt sein würden. Je besser die Rechner und je teurer die Symbolanalysten, umso eher lohnt die Investition in neue Programme, die helfen, diese Arbeiten zu automatisieren, so Krugmans Argument.

Viertens, die Digitalisierung wird also nicht nur die Berufswelt und damit die Nachfrage nach Gewerbefläche verändern, sie wird auch die Jobs in der Immobilienwirtschaft selbst massiv verändern. Es wäre naiv anzunehmen, dass dieser Prozess nur Gewinner produzierte. Es dürften Hunderttausende Jobs verändert werden oder sogar ganz verschwinden. Gleichzeitig entstehen zahlreiche datenaffine neue Tätigkeiten in der Immobilienwirtschaft. Jenseits der Programmierung dürfte es auf die nächsten Jahre schwer sein, die folgenden menschlichen Fertigkeiten zu digitalisieren: 1) Kreativität außerhalb der Verknüpfung von bestehenden Informationen, 2) Kommunikation jenseits der Informationsvermittlung also sie soziale Interaktion inklusive dem Aufbau von Vertrauen, 3) Managementaufgaben und hier insbesondere das Übernehmen von Verantwortung sowie die Motivation von Mitarbeitern und schließlich 4) der wachsende Bereich des Entertainment. Für diese Funktionen werden digitale Prozesse zur Unterstützung. Digitalisierung ist dann erfolgreich, wenn sie Tätigkeit automatisieren kann, die bisher fehleranfällige Menschen gemacht haben und so die Mitarbeiter dabei unterstützt, diese vier Kernfähigkeiten noch besser auszuüben. Die Digitalisierung wird also zu einer schleichenden Neuausrichtung der Tätigkeiten zwischen Menschen und Maschinen sorgen. Wichtig hierbei ist aber auch, dass überall dort eine Grenze erreicht ist, sobald die die fortschreitenden Digitalisierung die Kernfähigkeiten schwächt. Wenn die Technik unsere Kreativität mindert oder unsere Interaktion begrenzt oder zur Verantwortungslosigkeit führt, dann wird die Technisierung für Unternehmen langfristig mehr Risiken als Chancen produzieren.

Viele Segmente nur am Rand betroffen

Abschließend sind noch zwei wichtige Anmerkungen offen: Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass die Digitalisierung zur disruptiven Technologie für die Immobilienwirtschaft wird. Dafür ist die Immobilienwirtschaft zu groß und zu heterogen. Es werden viele Segmente nur am Rande betroffen sein. Zum anderen eröffnet die digitale Technik perfekte Skalierbarkeit; wenn Daten wertvoll sind und gleichzeitig zu Grenzkosten nahe Null generiert werden können, dann bergen diese Daten gigantische Gewinnpotenziale. Dies gilt vor allem für jene, die es schaffen, eine Plattform zu errichten, die Dritte für ihre Daten verwenden. Hier dürfen Immobilienunternehmen nicht schlafen und diese Datenplattformen einfach anderen Unternehmen überlassen, denn für Plattformen gibt es starke Netzwerkeffekte und daraus resultieren Vorteile für die ersten am Markt. Immobiliennutzer und -eigentümer sollten daher in Zukunft dringend darauf achten, dass sie die Wertpotenziale ihrer Daten nicht einfach aus Unwissenheit aus der Hand geben wie dies die Hotelbetriebe in den letzten Jahrzehnten an die Buchungsplattformen getan hatten. Diese Plattformen kennen unterdessen den Hotelgast besser als die Hotels selber und wer die Kunden/Gäste/Nutzer kennt, der kann passgenaue Produkte zusteuern. In dieser Passgenauigkeit liegt letztlich der Wert der Daten.

Weiterführende Literatur:

Christensen, C. M. (1997) The Innovator's Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. (Management of Innovation and Change) Harvard Business Review Press, New York.

Franz, M., Just, T., Maurin, M., Müller, M., Wörner, H.C. (2015). IREBS Innovation Monitor 2.0. Innovationsmanagement in der Immobilienwirtschaft - eine empirische Untersuchung. IREBS Beiträge zur Immobilienwirtschaft 11. Regensburg.

Krugman, P. (1994). Technology's revenge. The Wilson Quarterly Autumn 1994. S. 56-64.

Nefiodow, L.A. (1990). Der fünfte Kondratieff: Strategien zum Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt am Main

Der Autor Prof. Dr. Tobias Just Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie, Eltville
Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg

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