Projektentwicklung

Großprojekte in der Immobilienentwicklung - Kriterien und Erfolgsfaktoren

Gordon Gorski, Geschäftsführer, HOCHTIEF Projektentwicklung GmbH, Berlin

Großprojekte insbesondere in Deutschland haben einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, wie der Autor meint. Aber ab wann wird aus einem Vorhaben ein Großprojekt? Eine mögliche Definition liefere ausgerechnet das Bundesverkehrsministerium. Neben einem Investitionsvolumen von mindestens 100 Millionen Euro werde eine lange Realisierungsdauer, eine hohe Komplexität und eine hohe politische oder gesellschaftliche Bedeutung als Einordnungsmöglichkeit gegeben. Danach werden erfolgreiche Beispiele aus der Praxis aufgeführt, aber auch Probleme bei der Realisierung von Projekten - wie beispielsweise Altlasten im Boden - nicht verschwiegen. Knappe Flächen erschwerten zusätzlich die Inangriffnahme von Großprojekten. Chancen böten aber alte ungenutzte Areale, die umstrukturiert werden könnten. Red.

"Sind deutsche Großprojekte immer Murks?" titelte Spiegel Online vor einiger Zeit und legte noch einen oben drauf: "Großprojekte genießen keinen guten Ruf." Der Autor bezog sich auf eine Studie der Hertie School of Governance, die zwar 170 Großprojekte, aber nur solche der Infrastruktur und nur solche der öffentlichen Hand untersucht hatte. Auch die Welt Online fragte, "warum Großprojekte fast immer im Desaster enden" und fügte hinzu: "Großprojekte laufen meistens aus dem Ruder." Grundlage des Artikels war eine Untersuchung aus Oxford und Harvard, die 2 000 Großprojekte, darunter auch privat finanzierte, weltweit unter die Lupe genommen hatte.

Immer dann, wenn ein Projekt der öffentlichen Hand, infrastrukturell notwendig und im Erfolgsfall imageträchtig, finanziell den geplanten Rahmen sprengt oder zu optimistisch gesteckte Fertigstellungstermine ein ums andere Mal verschoben werden, lesen wir von Großprojekten, die zu scheitern drohen. Kein Wunder also, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Begriff Großprojekt häufig mit Bauverzögerungen und Kostenexplosionen bei öffentlichen Bauvorhaben in Verbindung gebracht wird. Gründe dafür sind schnell gefunden und werden gleich mitgeliefert: Der Baugrund barg Unvorhergesehenes, die Zuständigkeiten waren nicht eindeutig vertraglich geregelt, das Vorhaben stieß lange auf bürgerlichen Widerwillen, die (Einzel-)Auftragsvergabe zog sich hin, Preissteigerungen während der Bauphase waren nicht einkalkuliert, Teilbaugenehmigungen ließen auf sich warten/ verzögerten sich ...

Tatsächlich definiert sich ein Großprojekt aber nicht über die Größe oder Anzahl seiner Skandale, Mängel oder Defizite. Halten wir uns zunächst an den Duden, der "Großprojekt" schlicht als "Projekt von großen Ausmaßen" versteht. Nun liegt es von jeher im Auge des Betrachters, was er denn als "große Ausmaße" wahrnimmt, und er wird dafür eine Relation zu sich beziehungsweise seinen Möglichkeiten (und/oder Fähigkeiten) herstellen. So verhält es sich auch mit Projekten und ihren Entwicklern. Was für den einen "groß" erscheint, mag für den anderen Alltagsgeschäft bedeuten.

Verkehrsministerium gibt Handlungsempfehlungen

Dem schloss sich die "Reformkommission Bau von Großprojekten" prinzipiell an. Im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) widmete sie sich den Fehlentwicklungen bei Großprojekten der Öffentlichen Hand. Im Jahr 2015 legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor. Unter dem Motto "Komplexität beherrschen - kostengerecht, termintreu und effizient" enthält er auf etwa 100 Seiten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen für die Planung und Umsetzung zwar von Großprojekten der Öffentlichen Hand - die identifizierten Kriterien für ein Großprojekt lassen sich aber auch auf privat finanzierte Vorhaben übertragen: Neben einem Investitionsvolumen von mindestens 100 Millionen Euro zählt die Kommission "eine lange Realisierungsdauer, eine hohe Komplexität und eine hohe politische oder gesellschaftliche Bedeutung" als weitere Merkmale eines Großprojekts auf.

Der privatwirtschaftliche Immobilienentwickler fügt dem Aspekte hinzu, die auch dann ein Großprojekt determinieren können, wenn sich das eingestellte Investitionsvolumen unterhalb der 100-Millionen-Euro-Marke bewegt:

- Das Immobilienprojekt greift nachhaltig in die Stadt- oder Raumentwicklung ein - als Beispiel mag hier die kleine hessische Stadt Kelkheim dienen, die sich ein komplettes Zentrum verordnet hatte.

- Die geplante Projektgröße erfordert eine umfangreiche Fläche, für die gegebenenfalls Grundstücke unterschiedlicher Eigentümer zu einem Baugrund zusammengeführt werden müssen. In Aalen beispielsweise entstand das Innenstadtzentrum Mercatura erst nach dem Zusammenlegen mehrerer Grundstücke.

- Das einzukalkulierende Projektbudget kann eine kritische Größe erreichen, sodass bei einem ausbleibenden Projekterfolg ein irreparabler, wirtschaftlicher Schaden drohen könnte.

- Zudem muss sich der Projektentwickler bereits in der Planungsphase auf einen erhöhten Aufwand und anschließend auf eine verlängerte Projektlaufzeit einrichten. Dafür benötigt er langfristig umfassende Sachkenntnis, Erfahrung und Kompetenz sowie Mitarbeiter, die selbige besitzen.

Um das höhere Risiko zu kompensieren sowie die längere Kapital- und Ressourcenbindung zu relativieren, kann es angezeigt sein, diesen Bedarf durch die Zusammenarbeit mit mindestens einem weiteren Unternehmen zu decken - sei es durch die Gründung eines Joint Ventures, einer Projektgesellschaft mehrerer Partner oder durch die frühzeitige Einbindung von Endinvestoren.

Doch gleichgültig, ob sich ein Immobilienentwickler das Großprojekt solo vornimmt oder ob sich mehrere Partner gemeinsam engagieren - bei dazu geeigneten Vorhaben mag es sich empfehlen, ein solches in Teilprojekte oder Bauabschnitte aufzuteilen. Diese können sukzessive "abgearbeitet" oder auch gleichzeitig in Angriff genommen werden. In jedem Fall erfordert die Realisierung ein Projektteam mit eigener Organisationsstruktur und eindeutigen Entscheidungsebenen.

Beispiele aus der Praxis

Projektentwicklung greift in die Stadtentwicklung ein. So wird der Entwickler eines Großprojekts zum Teilnehmer an der Stadtplanung. Das kann nur in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen kommunalen Behörden funktionieren. Gefordert sind individuelle und maßgeschneiderte Konzepte, die dem lokalen Bedarf entsprechen und dazu geeignet sind, den Standort aufzuwerten und zu beleben.

Ein Beispiel für beide Kriterien ist sicher das Westend-Duo in Frankfurt. Der 96 Meter hohe Doppelturm kommt mit einem geringeren Flächenverbrauch als der Vorgängerbau aus und macht dadurch Platz für einen öffentlichen Park, der von Nutzern des Bürohochhauses und den Nachbarn ebenso gerne angenommen wird wie die Gastronomie im Erdgeschoss. Darüber hinaus steht das Westend-Duo für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt: Gemeinsam wurden die Rahmenbedingungen für den Neubau aufgestellt und anschließend die Änderungen und Ergänzungen der Ratsfraktionen eingearbeitet.

Neben solchen Leuchtturmprojekten können Großprojekte einen entscheidenden Beitrag zur Neuordnung bestehender Stadtquartiere leisten oder gar die Entwicklung von ganzen Quartieren in Gang setzen. Voraussetzung sind zusammenhängende Flächen, die sich für die Realisierung von Großprojekten eignen. Sie sind in unseren Metropolen und Ballungsräumen zur Rarität geworden.

In den Blickpunkt des Entwicklers geraten solche Areale, die zuvor meist gar nicht als städtischer Lebensraum wahrgenommen wurden. Dazu zählen neben vormals gewerblich oder industriell genutzten Grundstücken auch ehemalige Bahnhofs- und Hafenanlagen, Krankenhaus- oder Kasernenareale.

In München entstand zum Beispiel auf dem ehemaligen Bahngelände westlich des Münchener Hauptbahnhofs das "forum am Hirschgarten" als Teil der Quartierentwicklung "Am Hirschgarten". Mit seinem öffentlichen Platz, Geschäften und Gastronomie bildet es die Verbindung zwischen dem neu erbauten Wohnquartier auf der einen und dem wachsenden Businessquartier auf der anderen Seite.

Doch lassen sich solche Fundstücke meist nicht nahtlos einer neuen Nutzung zuführen. Oft ist dafür eine grundlegende, baurechtliche Neuordnung erforderlich, denn Baurecht und Erschließungsgenehmigung sind immer mit öffentlich-rechtlichen Verträgen verbunden, die die Schaffung der benötigten Infrastruktur regeln.

Altlasten im Boden als Problem

Ein Problem kann sich auch in Form von Altlasten im Boden verbergen, die die Aufbereitung solcher Areale erschweren, oft auch deutlich verteuern. Für den Bau des Unilever-Hauses, das erste Projekt am Strandkai in der aufstrebenden Hamburger Hafen-City, war eine technische Aufgabe zu meistern: Der Baugrund, die historische Kaianlage, setzt sich zum Teil aus organischen Stoffen zusammen. Die sich darin bildenden Gase werden heute gezielt am Gebäude vorbei nach außen abgeführt. Eine weitere Herausforderung lag darin, den öffentlichen mit dem privaten Raum zu verbinden. Und das in einem sehr frühen Stadium, als die konkrete Entwicklung des weiteren Umfelds noch nicht zu erkennen war.

Mit dem Architekten, dem Mieter, weiteren Nutzern, der Öffentlichkeit und der Genehmigungsbehörde wurde die Planung der öffentlichen Freiräume abgestimmt und auf eigenem Grund fortgeführt. Das Ergebnis: Heute verbindet eine öffentliche Passage durch das Erdgeschoss des Unilever-Hauses mit Geschäften und Dienstleistungen die Marco-Polo-Terrassen mit der alten Kaimauer.

Neues Wohnviertel in Düsseldorf

Städte unterliegen einer stetigen Entwicklung. Großprojekte können wesentlich dazu beitragen, dieser Entwicklung die gewünschte Richtung zu geben. In gewachsenen Strukturen können sich Gelegenheiten ergeben, wenn Großflächen, die zuvor gewerblich genutzt wurden, durch Umzug der Branchen freiwerden. Projektentwickler mit hoher Standortkompetenz erkennen frühzeitig die Möglichkeiten für eine gezielte Neuordnung und Weiterentwicklung.

In Zeiten knappen und teuren Wohnraums bot es sich zum Beispiel in Düsseldorf an, einen ehemaligen Güterbahnhof in ein neues Wohnviertel mit französischem Charme umzuwandeln. Das Projekt "le flair - das Viertel voller Leben" wurde im Jahr 2008 als Joint Venture initiiert. Zirka 800 Eigentums- und Mietwohnungen sowie Gewerbeflächen entstehen innerhalb der Gesamtentwicklung "Le Quartier Central" zwischen den Stadtteilen Pempelfort und Derendorf.

Um von Anfang an eine möglichst hohe Akzeptanz für das neue Quartier zu erwirken, wurden Öffentlichkeit und Nachbarn frühzeitig angesprochen und einbezogen. Alles begann mit einer Ideenwerkstatt, in deren Verlauf studentische Teams Konzepte für eine nachbarschaftliche Wohn- und Lebensgemeinschaft entwickelten. Solche Maßnahmen sind vielleicht kosten- und zeitintensiv, helfen aber dabei, ein neues Wohnviertel schon in der Bauphase zu integrieren.

Eine weitere interessante Alternative für die Realisierung eines Großprojekts in deutschen Innenstädten können Refurbishments einzelner Gebäude oder Revitalisierungen ganzer Standorte sein. Zum Beispiel in Köln: Hier wurden die frühere Lufthansa-Zentrale sowie das Direktionsgebäude der Königlichen Eisenbahn von Grund auf erneuert und für die heutigen Nutzeranforderungen hergerichtet. Welche Chancen und Risiken diese Variante der Entwicklung von Großprojekten birgt, ist in der Immobilien & Finanzierung, Ausgabe 19/2016 nachzulesen.

Der Autor Gordon Gorski Geschäftsführer, HOCHTIEF Projektentwicklung GmbH, Berlin
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