Stadtentwicklung

Vom Industrieareal zum modernen Wohnviertel: die Hamburger Holsten Quartiere

Mathias Düsterdick, CEO, Gerch Development GmbH, Düsseldorf

Alte brachliegende Industrieareale bieten neue Möglichkeiten. Der Autor beschreibt am Beispiel eines ehemaligen Brauereistandortes in Hamburg die Herausforderungen, die hinter solchen Projekten stecken. So müssten Planer und Entwickler den Spagat zwischen neu und alt sowie zwischen effizienter Verdichtung und Identitätswahrung schaffen. Auf der einen Seite gelte es, die wertvolle, innerstädtische Fläche im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung möglichst optimal zu nutzen. Auf der anderen Seite müsse gewährleistet sein, dass das neue Quartier mit dem gegebenen Umfeld harmoniert. Es habe 30 Kaufangebote von nationalen und internationalen Investoren gegeben. Nach einem mit der Stadt und dem Bezirk Altona abgestimmten Bieterverfahren habe man im Sommer 2016 den Zuschlag für das Gelände erhalten. Das Unternehmen möchte insgesamt 750 Millionen Euro in die Entwicklung der neuen Holsten Quartiere investieren. Red.

Auch wenn Deutschland schon seit Jahrzehnten in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen ist, sind auch heute noch viele Spuren der Industrieära in den Städten zu finden. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ging eine zunehmende Urbanisierung einher. Die Menschen kamen in die Städte, um in den Fabriken des produzierenden Gewerbes Arbeit zu finden. Eine ganze Reihe von Produktionsstätten ist noch heute am Platz ihrer Gründung angesiedelt. Ihr Umfeld hat sich jedoch signifikant geändert. Über die Jahre gewachsene Industriegelände befinden sich häufig in guter innerstädtischer Lage und nehmen dort große Flächen ein. Was früher Stadtrand war, ist heute oftmals beste Citylage geworden.

Allerdings kann der zentrale Produktionsstandort nicht nur für die Stadt und die Anwohner, sondern auch für das Unternehmen selbst von Nachteil sein. In zahlreichen Städten wandern Industrie betriebe daher wieder in die heutigen Randlagen ab. Der Wandel wird aktiv korrigiert. Für viele ist der angestammte Standort nicht mehr die ideale Lage. Und für angrenzende Wohnquartiere ist produzierendes Gewerbe nicht der ideale Nachbar. An- und Ablieferungen vom Gelände erzeugen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen. Unzählige Lkw belasten den ohnehin schon starken Stadtverkehr. Auch für die Betriebe bedeutet die innerstädtische Lage Einschränkungen. Eine 24-Stunden-Produktion, die heute aus Wettbewerbssicht oft erforderlich wäre, ist nicht umzusetzen. In der Stadt sind Lärmschutzvorschriften einzuhalten, die die Produktionszeiten begrenzen.

Oft passen die Produktionsstätten auch nicht mehr zum Bedarf des Unternehmens. Sind sie zu klein, ist eine Erweiterung nicht möglich, da die Flächen an dem Standort nicht ausgebaut werden können. In anderen Fällen sind die Anlagen über die Jahre gewachsen und zu groß für den aktuellen Bedarf geworden. Hinzu kommt, dass die Produktionsanlagen meist schlichtweg veraltet sind und keine effiziente Produktion mehr ermöglichen. In der Folge werden immer mehr innerstädtische Industrieareale stillgelegt.

Die Firmen geben die nicht mehr zeitgemäße Herstellung auf und bauen bei Bedarf neue, moderne Anlagen in dezentraleren Lagen mit guter Verkehrsanbindung. Dort können sie durch die effizienteren Herstellungsprozesse kostengünstiger produzieren. Der Lieferverkehr verzögert sich nicht durch lange Stauzeiten in der Innenstadt, und die Lärmschutzregeln sind weniger restriktiv.

Große Zukunft von Brownfield-Development

Zurück lassen die Unternehmen Brachflächen - zum Teil in bester Lage. Für die Stadtentwicklung bedeuten diese nicht mehr genutzten Flächen eine große Chance. Sie können revitalisiert werden und in eine neue Nutzung entsprechend dem Bedarf an dem jeweiligen Standort überführt werden. Gerade in großen Metropolen können lebendige, familienfreundliche Quartiere für Wohnen und Arbeiten geschaffen und so dem Mangel an urbanen Wohnraum entgegengewirkt werden. Die Städte können so durch Neubelebung von Brachflächen in sich wachsen und die Zersiedelung an den Stadträndern vermeiden.

Nicht nur in den neugeschaffenen Quartieren selbst kann eine hohe Lebensqualität erzeugt werden, sondern auch die Attraktivität der angrenzenden Gebiete gewinnt - wenn sorgfältig und vorausschauend geplant und entwickelt wird.

Die Revitalisierung ist aber auch nicht nur eine Chance, sondern auch eine Herausforderung. Die Planer und Entwickler müssen den Spagat zwischen neu und alt schaffen, den Spagat zwischen effizienter Verdichtung und Identitätswahrung. Einerseits gilt es, die wertvolle, innerstädtische Fläche im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung möglichst optimal zu nutzen. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass das neue Quartier mit dem gegebenen Umfeld harmoniert.

Andererseits ist anzustreben, die Tradition des ehemalig angesiedelten Gewerbes zu wahren. In zukunftsorientierten Konzepten darf die Vergangenheit nicht fehlen. Oft hat die jahrzehntelange industrielle Nutzung des Areals auch die umliegende Gegend nachhaltig geprägt.

Solche Identitäten gilt es zu erhalten. Das betrifft nicht nur denkmalgeschützte Objekte, sondern auch andere Zeugnisse der Vergangenheit, die identitätsstiftend wirken. Erhalten heißt hier aber auch oft verändern. Die historischen Immobilien sollten nicht nur der Erinnerung dienen, sondern können einer neuen Nutzung zugeführt werden und so dem Quartier einen einzigartigen Charakter verleihen, der gleichzeitig das Andenken an die Vergangenheit des Standorts bewahrt.

Verlagerung des Brau-Standortes

Ein aktuelles Beispiel für die Umnutzung eines innerstädtischen Industrieareals liefert die Hamburger Holsten-Brauerei, die seit 2004 zur dänischen Carlsberg-Gruppe gehört. Am Standort Altona sind die Kapazitäten zu umfangreich für die gesunkene Biernachfrage, technisch sind einige Anlagen nicht mehr auf dem neusten Stand - und die Herstellungskosten sind zu hoch, um im umkämpften Biermarkt mitzuhalten. Daher wird das Traditionsunternehmen seine Brauanlagen aus der zentralen Lage in den Hamburger Süden nach Hausbruch verlegen - ein Standortwechsel nach fast 140 Jahren. 1879 wurde die Holsten-Brauerei gegründet und hatte schon ein Jahr später in Altona den ersten Sud angesetzt. Damals war Altona noch eine eigenständige Stadt vor den Toren Hamburgs. Auf einer der zahlreichen Wiesen baute sich der Bierbrauer sein künftiges Zuhause.

Die weitläufigen Grünflächen des 19. Jahrhunderts sind schon lange der städtischen Bebauung gewichen. Altona ist heute ein trendiger, gefragter Stadtteil im Herzen der Hansestadt. Der Umzug der Holsten-Brauerei in die Peripherie eröffnet die Chance, seine Attraktivität weiter zu erhöhen und gleichzeitig dringend benötigten Wohnraum im begehrten innerstädtischen Bereich zur Verfügung zu stellen: 86 500 Quadratmeter Grundstücksfläche warten auf eine neue Nutzung.

Investoren hatten großes Interesse am Areal

Das Interesse an dem Areal war sehr hoch. Über 30 Kaufangebote von nationalen und internationalen Investoren wurden eingereicht. Nach einem mit der Stadt und dem Bezirk Altona abgestimmten Bieterverfahren haben wir im Sommer 2016 den Zuschlag für das Gelände erhalten.

Insgesamt sollen 750 Millionen Euro in die Entwicklung der neuen Holsten Quartiere investieret werden. Das Gebiet, unweit des S-Bahnhofs Holstenstraße, grenzt an die "Mitte Altona", ein aktuell im Bau befindliches Quartier auf dem ehemaligen Güterbahnhof. Ähnlich wie im Nachbarviertel ist auch bei den Holsten Quartieren das Ziel, ein gemischt genutztes Gebiet mit Schwerpunkt Wohnen zu entwickeln, das den Bedarf der künftigen Bewohner und die städtebaulichen Ansprüche der Stadt erfüllt.

Rund 80 bis 85 Prozent der Fläche sind dem Bereich Wohnen vorbehalten. Insgesamt sollen etwa 1 500 Wohnungen auf mehr als 135 000 Quadratmeter Geschossfläche entstehen. Gebaut wird fünf- bis siebengeschossig. Städtebauliche Vorgaben der Stadt müssen berücksichtigt werden. Etwa ein Drittel der Wohnfläche sollen Eigentumswohnungen ausmachen, ein weiteres Drittel ist für frei vermarktbare Mietwohnungen vorgesehen und das letzte Drittel für den geförderten Mietwohnungsbau.

Die Aufgabe des Projektentwicklers ist es, ein Quartier für alle zu bauen. Der Drittelmix soll die soziale Durchmischung des neuen Viertels gewährleisten. Zudem sollen die Wohnungen über eine Vielzahl von Grundrissen und Größen dem unterschiedlichen Bedarf an Wohnraum gerecht werden. Die Angebote richten sich an viele Nutzergruppen, von der Familie bis zum Single. Denn ein lebendiges Quartier lebt letztlich von der Vielfalt seiner Bewohner.

Ergänzt wird das Wohnungsangebot mit rund 25 000 Quadratmetern für gewerbliche Nutzungen, zum Beispiel Büros, Praxen, Geschäfte für die Nahversorgung, Gastronomie, Kitas und einem Hotel. Hinzu kommen Handwerkerhöfe und Flächen für den Gemeinbedarf wie eine Schulerweiterung oder andere soziale Einrichtungen. Ein gewerblicher Mieter steht bereits auf der Interessentenliste. Die Carlsberg-Gruppe verlagert ausschließlich die Produktion, die Verwaltung der Holsten-Brauerei mit rund 200 Mitarbeitern soll voraussichtlich neue Büroflächen am alten Standort beziehen.

Nicht nur dieser Mieter soll an die ehemalige Nutzung des Areals erinnern. Zur Wahrung der Identität sind auch ein Brauereimuseum und eine Mikrobrauerei geplant. Zudem soll ein Teil der historischen Bausubstanz erhalten bleiben. Das Sudhaus mit dem Holsten-Ritter, dem bekannten Wahrzeichen der Brauerei, auf seiner Spitze soll in das neue Bebauungskonzept integriert werden, ebenso wie der markante Juliusturm. Zudem könnte die Bronzeplastik "Daphne und Chloe" vor dem Eingangsbereich an der Holstenstraße weiterhin das Viertel schmücken.

So werden auch künftig Elemente, die das Gelände und die Umgebung seit über einem Jahrhundert geprägt haben, ein wichtiger Teil der Holsten Quartiere sein und ihnen einen unverwechselbaren Charakter verleihen. Abgerundet wird das Viertel durch Freiflächen mit hoher Aufenthaltsqualität, die den künftigen Bewohnern zur Erholung und als Treffpunkt zum sozialen Austausch dienen. Angedacht sind beispielsweise eine Parkanlage und ein Quartiersplatz.

Architektenbüros legen ihre Entwürfe vor

In diesem Monat werden elf Architektenbüros aus Deutschland, Dänemark und Norwegen ihre Entwürfe präsentieren. Nach einer Überarbeitungsphase der besten Entwürfe soll der Siegerentwurf dann im Juli gekürt werden.

Von Beginn an wurden die Altonaer Bürger über Informationsveranstaltungen und Workshops in die Planung einbezogen. Denn der Erfolg des Projekts hängt zu einem guten Teil davon ab, dass das neue Viertel im besten Einvernehmen mit der Politik, der Verwaltung und den Bürgern entsteht. Im ersten Quartal 2019 will Carlsberg die Produktion verlagern. Geplant ist, dass ab 2021 die Holsten Quartiere mehreren Tausend Menschen ein modernes Zuhause mit hoher Lebensqualität und einer traditionsreichen Identität bieten.

Die Verfügbarkeit innerstädtischer Flächen durch Brownfield-Development ermöglicht Projektentwicklern die Realisierung neuer moderner Quartiere in besten Lagen. Gerade im Hinblick auf mangelnde Flächenverfügbarkeiten bietet sich durch die Revitalisierung das Potenzial nachhaltige städtische Strukturen zu schaffen, die den Bedürfnissen von morgen gerecht werden.

Der Autor Mathias Düsterdick CEO, Gerch Development GmbH, Düsseldorf
Mathias Düsterdick , CEO , GerchGroup AG, Düsseldorf
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