Immobilienwirtschaft 4.0

Kooperation statt Disruption: Der Weg in die digitale Welt

Martin Rodeck, Innovationsbeauftragter, ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Berlin und Vorsitzender der Geschäftsführung, OVG Real Estate GmbH, Berlin

Die Immobilienwirtschaft gilt nicht gerade als Vorreiterbranche im Bereich der Digitalisierung. Etwas Schwung in den Prozess haben in den vergangenen Jahren nicht zuletzt junge Start-ups beziehungsweise Proptechs gebracht, die mit innovativen Ideen in verschiedenste Geschäftsfelder vorgestoßen sind. Wie sollen etablierte Immobilienunternehmen mit den jungen "Wilden" umgehen? Müssen sie unter Umständen gar um ihre Geschäftsmodelle fürchten? Der Autor gibt Entwarnung: In aller Regel seien die neuen Technologien nicht verdrängender Natur, im Gegenteil - in vielen Fällen könnten diese sogar einen echten Mehrwert für die "Alteingesessenen" bieten. Eine pauschal abwehrende Haltung gegenüber Proptechs erscheint vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll. Deshalb schlägt der Autor auch einen alternativen Ansatz vor: Die Akteure sollten lieber miteinander statt gegeneinander arbeiten. Red.

Intelligente Technologien sind zu unseren ständigen, selbstverständlichen Begleitern geworden. Der Alltag ist ohne sie kaum mehr denkbar, ob bei der Internet-Suche, Online-Bestellungen oder in Navigationssystemen. Meist unbemerkt schreitet ihre Entwicklung täglich voran. Doch digitale Lösungen prägen nicht nur unser Privatleben. Sie erfassen auch sämtliche Wirtschaftszweige - mit unterschiedlichem Tempo und in verschiedener Intensität. So konnten Immobilienunternehmen ihren traditionellen Geschäftsmodellen vergleichsweise lange treu bleiben, während moderne Technologien andere Branchen teilweise bereits stark verändert haben.

Zwar steckt die Digitalisierung der Immobilienwirtschaft vielfach noch in den Kinderschuhen. Gleichzeitig geht es aber auch mit großen Schritten voran. Immer mehr etablierte Immobilienunternehmen entdecken die Vorzüge intelligenter Prozesse und neuer Technologien für sich. Zudem werden nahezu täglich Start-ups gegründet, die oftmals das Potenzial haben, die gesamte Branche zu verändern. Die neuen Möglichkeiten werden gemeinhin unter dem Begriff "Proptech" erfasst.

Proptech - mehr als ein Modewort

Der Terminus Proptech steht nicht nur für im Immobiliensegment zu verortende Start-ups. Er bezeichnet vielmehr eine eigene Branche, in der Immobiliendienstleistungen durch technische Lösungen angereichert und/oder verändert werden. Häufig, aber nicht immer handelt es sich bei Proptechs um Start-ups. Ihre Geschäftsmodelle können sowohl Unternehmen (B2B) als auch Endverbraucher (B2C) in den Fokus rücken. Sie zielen neben effizienzsteigernden Maßnahmen für bestehende Prozesse auch auf die Einführung neuer Technologien und Geschäftsmodelle ab, die ältere ablösen könnten. Nicht wenige etablierte Marktteilnehmer nehmen aber gerade dieses Veränderungspotenzial als Bedrohung wahr.

Tatsächlich sind auf Digitalisierung basierende Geschäftsmodelle und Unternehmen in der Lage, Berufsbilder zu revolutionieren und etablierte Prozesse in den Schatten zu stellen. Sie fördern zudem die kritische Auseinandersetzung mit bewährten Denkweisen. Seit Jahrzehnten praktizierte Abläufe, etwa im Asset Management und in der Vermarktung, befinden sich im Wandel. Und auch die Entwicklung und Vermietung von Wirtschafts-und Wohnimmobilien funktioniert nicht mehr so, wie es vor zehn Jahren noch üblich war. Dies ist jedoch keineswegs ein einseitiger Prozess: Mit der neuen Technik ändern sich auch die Ansprüche der Immobilienwirtschaft und ihrer Nutzer. Daraus wiederum erwachsen neue Strategien und Potenziale.

Unterschiedliche Beurteilung der "Newcomer"

In einer Analyse hat der ZIA zusammen mit EY Real Estate die Immobilienwirtschaft - sowohl etablierte Marktteilnehmer als auch neu gegründete Unternehmen - zu ihren digitalen Strategien befragt. Die Antworten sprechen eine deutliche Sprache: Alle Befragten engagieren sich in diesem Bereich. Dieses Engagement ist zwar noch unterschiedlich stark ausgeprägt, jedoch haben die meisten Unternehmen der Immobilienwirtschaft inzwischen erkannt, wie wichtig eine geeignete Analyse bestehender und neuer Technologien und deren Einbindung für das eigene Geschäftsfeld und die Entwicklung des Unternehmens ist.

Der Weg führt dabei oftmals über eine Zusammenarbeit junger und erfahrener Unternehmen, um Synergieeffekte zu erzielen. Allerdings ist zu beobachten, dass insbesondere die "alteingesessenen" Marktteilnehmer beim Thema Kooperation noch Entwicklungspotenzial haben. Einige Unternehmen erkennen den Mehrwert nicht an, den Proptechs für ihr Geschäftsfeld generieren können. Andere Unternehmen betrachten die jungen Player sogar als geschäftsschädigend und verweigern deshalb jegliche Kooperation. Durch diese Abwehrhaltung drohen die entsprechenden Unternehmen jedoch, den Anschluss zu verpassen. Denn wie so oft schläft die Konkurrenz auch bei Innovationen nicht.

Mit Vorurteilen aufräumen

Um das Potenzial der Digitalisierung nutzen zu können, muss die Immobilienwirtschaft verstehen, dass ein Großteil der Proptechs nicht auf disruptive, also verdrängende Technologien setzt. Innovationen wie "Big Data" oder auch "Building Information Modeling" (BIM) stellen keine Gefahr für das eigene Geschäftsmodell dar - sie sind vielmehr ein Mehrwert: Die Planungssicherheit steigt, das Kostenrisiko wird reduziert, Fehler lassen sich vermeiden. Zudem erhöht sich die Transparenz für Planer, Entwickler, Vermieter, Nutzer und Investoren, und zwar über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Intelligente Gebäude und Smart Technologies erleichtern die Arbeit von Immobilienexperten schon heute. Die Branche sollte daher miteinander statt gegeneinander arbeiten und die Digitalisierung gemeinsam vorantreiben.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Die aktuell gute Lage der Immobilienwirtschaft hierzulande sorgt für ein florierendes Geschäft. Dadurch wird der Innovationswille zwar naturgemäß etwas ausgebremst. Gleichzeitig bieten der Markt und die wirtschaftliche Situation der Marktteilnehmer ein optimales Umfeld, um neue Technologien und Ansätze zu analysieren und zu erproben. Es gibt genug Raum, um Ideen zwischen Startups und "Grown-ups", also etablierten Marktteilnehmern, auszutauschen und sie gemeinsam voranzutreiben. Denn fest steht: Start-ups sind auf das Feedback der erfahrenen Branchenteilnehmer angewiesen, um ihr eigenes Geschäft besser aufstellen zu können. Andererseits ist der frische Wind, den die zumeist Quereinsteiger in die Branche bringen, eine Chance für die Immobilienwirtschaft.

Neue Ideen - individuelle Lösungen

Für die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit bieten sich verschiedene Modelle an. Das "Outsourcing" an Startups etwa dient dazu, externes Know-how einzukaufen und so das eigene Geschäftsmodell zu verbessern. Dies bietet sich für jene Unternehmen an, die das Thema Digitalisierung noch nicht selbstständig abdecken können. Ein Budget für die Kooperation mit Proptech-Start-ups bereitzustellen, ist hingegen für viele Unternehmen denk- und leistbar. Im Gegenzug können die Etablierten von den Ideen und Gestaltungsspielräumen der Unternehmensgründer profitieren. Aktuell befinden sich mehrere Technologien noch in der Erprobungsphase. Sie sind auf die Erfahrungswerte der Nutzer in der Praxis angewiesen. Für etablierte Marktteilnehmer ergeben sich damit praktikable und vor allem individuelle Lösungen - je nach Status der jeweiligen Technologie des Start-ups.

Einige "Grown-ups" sind unterdessen bereits als Venture-Capital-Geber für Start-ups tätig und unterstützen innovative Ideen sowohl finanziell als auch strategisch. Sie selbst profitieren vom Know-how-Transfer und können die entwickelten Technologien in ihr eigenes Geschäftsmodell einfließen lassen. Kooperationen schließen jedoch nicht aus, das Thema Digitalisierung auch fest im eigenen Unternehmen zu verankern. Vor allem große, finanzstarke Unternehmen stoßen vermehrt eigene Projekte an oder ergänzen interne Ressourcen durch Ideen von außen.

Grundsätzliche Einigkeit bei relevanten Zukunftsthemen

Die Schnittmengen für die Zusammenarbeit sind weit größer, als die oftmals abwehrende Haltung vermuten lässt. So sehen die etablierten Vertreter und die jungen Technologieunternehmen der Immobilienwirtschaft laut ZIA-Untersuchung erstaunlich ähnliche Trends. Beide Gruppen halten Big Data und Datenstrukturierung allgemein für wichtige Zukunftsthemen. Datenstrukturierung benennen dabei beachtliche 95 Prozent der Befragten in beiden Gruppen, beim Thema Big Data sind es kaum weniger. Ziel dieser Ansätze ist es, Rückschlüsse auf das Verhalten der jeweiligen Kunden zu ziehen.

Es gibt aber auch Innovationen, bei denen sich die alten und neuen Player weniger einig sind, allen voran bei dem Thema künstliche Intelligenz. Während klassische Unternehmen dieser neuen Technologie skeptisch gegenüberstehen, ist sie für Proptechs von großer Bedeutung. Schon heute kommt sie bei fast jedem zweiten Proptech zum Einsatz (45 Prozent), in fünf Jahren werden es 75 Prozent sein.

Digitale Anwendungen entlang der Wertschöpfungskette

Der Blick über den Tellerrand gibt den jungen Unternehmen recht: Amazon, Google, Facebook, IBM und Microsoft etwa haben mit "Partnership on AI" eine Plattform für künstliche Intelligenz gegründet, die der Durchführung von Forschungsprojekten dienen soll - ein Schlaglicht auf das Potenzial dieser Technologie.

Während künstliche Intelligenz im Verborgenen arbeitet und daher weniger greifbar scheint, wird der Einsatz neuer Technologien in anderen Bereichen bereits konkreter:

- Building Information Modeling (BIM) etwa ist schon heute ein konkretes Anwendungsfeld. Es voranzutreiben ist wesentlich, da sich die Digitalisierung der Immobilienwirtschaft in allen Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes widerspiegeln wird. Digitale Gebäudeprototypen ermöglichen die Verkürzung der Gebäudeanlaufphase und gewährleisten durch digitale Vernetzung einen Dialog auf Augenhöhe aller beteiligten Akteure. In den Niederlanden ist BIM bereits bei Baugenehmigungsverfahren vorgeschrieben.

- Augmented Reality verändert die Immobilienvermittlung. Kauf- und Mietinteressenten müssen für Besichtigungen nicht mehr vor Ort sein. Das stellt auch neue Anforderungen an Makler und verändert deren berufliche Praxis.

- Smart Home Technology verändert, wie wir wohnen, wie wir arbeiten. Die Systeme kennen unser Verhalten und unsere Wohnbedürfnisse und können etwa Heizung und Strom intelligent steuern. So werden auch die Nebenkosten eines Gebäudes und der energetische Zustand/die Energieeffizienz einer Immobilie optimiert.

Die Vielzahl von neuen digitalen Möglichkeiten in der Immobilienwirtschaft war noch nie so groß wie heute. Und sie nimmt weiter zu. Unternehmen, deren Anspruch es ist, nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren, sollten auf die Zeichen der Zeit hören und sich intensiv mit dem Einsatz neuer Technologien und Kooperationen mit Proptechs beschäftigen.

Wer sich solchen Möglichkeiten verweigert, droht den Anschluss zu verlieren. Das gilt nicht nur für die mittel- und langfristige Wettbewerbs fähigkeit von Unternehmen, sondern die der deutschen Immobilienwirtschaft im internationalen Umfeld insgesamt.

Viele Prozesse haben ihr Gesicht schon verändert. Doch nach wie vor steht die Immobilienbranche am Anfang. Die künftige Entwicklung gemeinsam zu gestalten, sollte der Anspruch aller Marktteilnehmer sein. Das Wirkungsfeld könnte spannender nicht sein: Die Digitalisierung verändert Konsumbedürfnisse, Kundenbeziehungen, urbane Prozesse von Versorgung über Arbeit bis Energie und letztendlich auch ganze Dienstleistungs- und Industriebranchen.

Der Autor Martin Rodeck Innovationsbeauftragter, ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V., Berlin und Vorsitzender der Geschäftsführung, OVG Real Estate GmbH, Berlin
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