Wohnraumfinanzierung

Quartiersentwicklung: Eine unterschätzte Investmentchance

Edward T. Martens, Mitglied des Vorstands , AVW Immobilien AG, Hamburg

Quelle: AVW

Es sind keine einfachen Zeiten für institutionelle Immobilienanleger in Deutschland. Liegenschaften, die ihren konservativen Investmentstandards Rechnung tragen und gleichzeitig eine auskömmliche Rendite erwirtschaften, sind längst Mangelware. Die ausgetretenen Pfade der deutschen Großstädte zu verlassen, ist da eine ebenso naheliegende wie unpopuläre Maßnahme. Unpopulär deshalb, weil Immobilieninvestments in B- und C-Standorte bekanntlich mit erhöhtem Steuerungsaufwand einhergehen. Basierend auf ihren Erfahrungen in einstmals tristen Stadtquartieren Hamburgs argumentieren die beiden Autoren, dass institutionelle Investoren einen solchen Strategiewechsel nicht unbedingt ergreifen müssen. Ihre Devise: Wer genau hinsieht, der identifiziert selbst in den Topstädten der Bundesrepublik noch ungehobene Potenziale. Red.

Deutschland ist bei institutionellen Immobilienanlegern nach wie vor der beliebteste Investitionsstandort. Laut einer aktuellen Umfrage von Universal-Investment wollen insgesamt rund 47 Prozent der befragten Anleger weiterhin in der Bundesrepublik investieren. Dies entspricht einer Steigerung von knapp zwei Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.

Im Fokus stehen besonders Objekte in guten bis sehr guten und möglichst innenstadtnahen Lagen in den deutschen Top-7-Städten. Inzwischen ist dort allerdings ein Preisniveau erreicht, mit dem sich - bis auf wenige Ausnahmen im Luxussegment - kaum noch auskömmliche Renditen erwirtschaften lassen. Bereits im Frühjahr 2017 warnte der Rat der Immobilienweisen vor massiven Preisübertreibungen.

Großstädte differenzierter betrachten

Während Privatanleger versuchen, dieser Preisrally zu entgehen, in dem sie auf B- und C-Städte ausweichen, zögern institutionelle Player noch, sich in der Peripherie nach risikoadäquateren Investments umzusehen. Denn für sie ist die Verwaltung und Bewirtschaftung solcher Objekte logistisch und organisatorisch deutlich aufwendiger als von Projekten an Topstandorten. Der Blick über den Tellerrand muss jedoch gar nicht so weit hinausgehen. Oft reicht es schon, die Großstädte selbst differenzierter zu betrachten, um vielversprechende Investmentalternativen zu identifizieren.

So werden etwa Wohnimmobilien abseits der begehrtesten Hamburger Viertel eher zum 20- bis 25-Fachen gehandelt, während in den stark nachgefragten Gebieten Angebote zum 30-Fachen plus X keine Seltenheit mehr sind. Für institutionelle Investoren sind solche Transaktionen kaum noch realisierbar, da sie aufgrund des hohen Preisniveaus ihre Investitionskriterien oft nicht mehr erfüllen können. Grundsätzlich sollten Objekte mindestens drei Prozent Rendite bringen, ein Wert, der in Toplagen immer schwieriger zu erwirtschaften ist.

Zwar sind die Umgebungsfaktoren in Mikrolagen außerhalb der Szeneviertel oft noch verbesserungswürdig. Im aktuellen Marktumfeld ist jedoch genau dieser augenscheinliche Nachteil mehr Chance als Risiko. Denn was viele Investoren bei der Standortselektion nicht bedenken: Die Gegebenheiten in einem Quartier sind nicht in Stein gemeißelt, sondern können von der Immobilienbranche aktiv beeinflusst werden.

Bei der Bewertung einer Mikrolage ist deshalb auch nicht der Status quo entscheidend, sondern die realistische Einschätzung des Entwicklungspotenzials. So kann ein gut durchdachtes, nachfrageorientiertes Projekt die Initialzündung für einen Stadtteil sein. Am schnellsten auf positive Impulse am Standort reagiert dabei erfahrungsgemäß das Wohnsegment, denn aufgrund des Preisdrucks in A-Lagen sind viele Anwohner aktiv auf der Suche nach Wohnraum in günstigeren, aber trotzdem ansprechenden Stadtteilen.

Einzelhandel und Gastronomie ziehen dann etwas langsamer nach, werten das Quartier aber langfristig auf und bieten damit weitere Zuzugsanreize. Im Idealfall wird so eine positive Aufwärtsspirale in Gang gesetzt - und mit der Qualität des Standortes steigt auch der Wert der Immobilie. Sorgfältig ausgewählte mittlere Lagen von A-Städten bieten Investoren demnach deutlich mehr Spielraum für Wert- und Preissteigerungen ihrer Objekte.

Hamburg-Rothenburgsort im Wandel

Ein gutes Beispiel für ein unterschätztes Quartier ist der Hamburger Stadtteil Rothenburgsort. Das ehemalige Hafenarbeiterviertel war in der Vergangenheit für eine hohe Arbeitslosenquote und die geringen Einkommen seiner Anwohner bekannt, gilt heute aber als einer der Stadtteile mit dem größten Entwicklungspotenzial. Wichtigste Standortfaktoren: die Nähe zum Hamburger Stadtzentrum und Hafen sowie mit 770 Hektar eines der größten Industriegebiete Norddeutschlands. Senat und Behörden haben den Hamburger Osten bereits im Blick. Im Rahmen einer Initiative zur Stadtentwicklung soll das Gewerbegebiet modernisiert und die Neuansiedlung wertschöpfungsstarker, arbeitsplatzintensiver Unternehmen gefördert werden.

Den Neuanfang für Rothenburgsort als Wohnquartier markierte dagegen das von der AVW neuentwickelte und 2011 fertiggestellte Stadtzentrum, der Rothenburgsorter Marktplatz. Der moderne Gebäudekomplex ist heute das Herzstück des Viertels und setzt mit einer ausgewogenen Kombination aus Einzelhandel und Mietwohnungen positive Wachstumsimpulse. Bis zu dieser erfolgreichen Revitalisierung hat es jedoch mehr als ein Jahrzehnt gedauert, da sich kein Investor fand, dessen Konzept überzeugen konnte. Viele Investoren zogen es zudem vor, sich auf Projekte in der nahe gelegenen und prestigeträchtigeren Hamburger Hafen-City zu konzentrieren.

Preissteigerung von über 150 Prozent

Die AVW hatte sich 2010 jedoch sehr bewusst für ein Projekt an diesem B-Standort entschieden. Die durchwachsende Reputation des Stadtteils spielte bei der Standortanalyse nur eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebende Argumente bei der Entscheidung für Rothenburgsort waren dagegen die verkehrsgünstige Lage, positive Standortfaktoren für Unternehmen sowie die geplanten Investitionen. Dieses Zusammenspiel aus Investitionen in Wohnen und Handel auf der einen und die Förderung des Stadtteils als Industriestandort auf der anderen Seite hat in den letzten Jahren zu einer langsamen, aber stetigen positiven Entwicklung der sozioökonomischen Faktoren in Rothenburgsort beigetragen. Im Zeitraum von 2010 bis 2016 erhöhte sich etwa die Quote sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zwischen 15 und 65 Jahren von 44,5 auf 53,1 Prozent. Auch die Immobilienpreise zogen an: Kostete der Quadratmeter einer Eigentumswohnung laut Statistikamt Nord 2010 noch 1 213 Euro, waren es 2016 bereits 3 125 Euro. Dies entspricht einer Steigerung von knapp 158 Prozent. Zum Vergleich: Die Steigerungen der durchschnittlichen Preise für ganz Hamburg betrug rund 66 Prozent.

Immobilien sind nach wie vor ein "People Business", das wird indirekt auch am Beispiel Rothenburgsort deutlich. Das Entwicklungspotenzial eines Standortes kann nämlich nur realistisch einschätzen, wer frühzeitig Zugang zu verlässlichen Informationen bezüglich öffentlichen und privaten Investitionen oder geplanten städtebaulichen Maßnahmen hat. Kleinere, lokal agierende Entwickler und Investoren haben hier einen Wettbewerbsvorteil gegenüber bundesweit oder sogar international tätigen Unternehmen, denn sie verfügen meist über ein über die Jahre gewachsenes, regionales Netzwerk von Akteuren aus Immobilienwirtschaft, Politik und Behörden.

Kooperation und Kommunikation

Da der Erfolg eines Wohninvestments zudem stark von der Akzeptanz in der Bevölkerung abhängt, ist es wichtig, während der Planungs- und Realisierungsphase eines Bauvorhabens aktiv den Dialog mit allen beteiligten Interessengruppen zu suchen, zum Beispiel in Form von Informationsveranstaltungen, der öffentlichen Vorstellung von Architektenentwürfen oder Gesprächen mit lokalen Politikern. Auch hier profitieren lokale Entwickler von ihrem Netzwerk, denn sie wissen, welche Themen gerade auf der ortspolitischen Agenda stehen oder welche kritischen Fragen die Bürger stellen. In Rothenburgsort etwa konnten so nach einiger Zeit die Sorgen der Bürger bezüglich einer befürchteten Gentrifizierung des Stadtteils zerstreut werden.

Ein weiterer aufstrebender Hamburger Stadtteil ist das südlich der Elbe gelegene Harburg. Die Pläne der Stadt sind ehrgeizig: Das ehemals klassisch industriell geprägte Arbeiterviertel mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenquote soll sich in den kommenden Jahren zu einem modernen Technologiestandort wandeln. Die positive Trendwende ist bereits eingeleitet: Der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter hat sich in den vergangenen sechs Jahren von 43,9 auf 47,4 Prozent erhöht. Maßgebliche Impulse für eine weitere Verbesserung wird das geplante Innovations- und Technologiezentrum setzen: Der "Hamburg Innovation Port" schafft auf einem 20 000 Quadratmeter großen Areal am Harburger Binnenhafen Büroflächen für neugegründete und etablierte Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen, wodurch voraussichtlich mindestens 3 000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Während in den Harburger Hafen als Unternehmensstandort investiert wird, wird direkt in der Innenstadt, am traditionellen Marktplatz "Sand", das Wohn- und Innenstadtquartier weiter entwickelt. Der "Sand" ist das Herz des Stadtteils, wurde in den letzten Jahren jedoch städteplanerisch und architektonisch vernachlässigt. Die AVW wird dort ab 2018 einen Teil der alten Gebäude aus den sechziger Jahren abreißen und ein modernes Wohngebäude mit Mischnutzung in Form von Einzelhandel und Gastronomie realisieren. Das Projekt schafft nicht nur dringend benötigten Wohnraum, sondern setzt einen revitalisierenden Impuls für das Gewerbe im Quartier, das in den letzten zehn Jahren durch das nahegelegene Shoppingcenter unter Druck geraten war.

Raus aus der Komfortzone

Auch bei diesem Projekt wurde von Anfang an eng mit Behörden und Politik zusammengearbeitet, um gemeinsam eine nachhaltige Weiterentwicklung des Viertels voranzutreiben. Eine Besonderheit des Objektes ist dabei die flexible Architektur. Da zurzeit eine starke Nachfrage nach barrierefreiem Wohnraum besteht, sind die Wohnungen zwar erst einmal auf Senioren ausgelegt. Zurzeit ist jedoch zu beobachten, dass sich der Stadtteil - auch aufgrund der ansässigen Technischen Universität - langsam wieder verjüngt. Die 30 bis 60 Quadratmeter großen Wohnungen können deshalb ohne viel Aufwand zu größeren Einheiten zusammengefasst werden, sollte sich die Bevölkerungsstruktur und Nachfragesituation verändern.

Damit ist das Objekt auch für langfristig orientierte Investoren geeignet. Die Wertentwicklungen im Stadtteil deuten bereits eine positive Entwicklung an: Die Quadratmeterpreise von Eigentumswohnungen sind nach Zahlen des Statistikamts Nord von 2010 bis 2016 um etwas mehr als 100 Prozent gestiegen. Investitionen an deutschen Topstandorten sind im aktuellen Marktumfeld kein Erfolgsrezept mehr. Professionelle Anleger haben jetzt zwei Optionen: Entweder sie passen ihre Renditeerwartungen nach unten an oder sie wagen sich aus ihren Komfortzonen - sprich A-Lagen - hinaus. Zu vernünftigen Preisen erworbene Objekte, die zur nachhaltigen Entwicklung sorgfältig ausgewählter Quartiere beitragen, bieten Investoren die Chance, von langfristig positiven Wachstumstrends der Standorte zu profitieren.

Die Autoren Edward T. Martens Mitglied des Vorstands , Michael Mertmann Mitglied des Vorstands, beide AVW Immobilien AG, Hamburg

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