Stadtentwicklung

Wirtschaft als Motor der Stadttransformation?

Prof. Dr. Alain Thierstein, Lehrstuhl für Raumentwicklung, TU München

Ohne Zweifel: Der Transformationsprozess stellt die Städte vor immer neue Aufgaben. Informations- und Telekommunikations-Technologien bringen nach Einschätzung der Autoren neue Möglichkeiten der Entstehung, Nutzung und Kombination von wissenschaftlichem und erfahrungsgestütztem Wissen. Einige zentrale Trends prägten heute simultan die räumliche Entwicklung: In der Standortwahl von Unternehmen und privaten Haushalten zeige sich der Wunsch nach einer neuen räumlichen Nähe von Wohnen und Arbeiten - Anbindung mit öffentlichem Verkehr und gute Nahversorgung seien zentrale Entscheidungsgrundlagen. Der Frage, wie eine langfristige Transformation erfolgreich gelingen könne, widmen sich die Autoren ausführlich. Als mögliche Lösungen zeigen sie einen dreigliedrigen Ansatz zur Entwicklung auf. Red.

Städte entwickeln sich in Zyklen. In Europa begannen die meisten mittleren und großen Städte ab dem Jahre 2000 wieder an Bevölkerung zuzulegen. Suburbanisierung ging zwar weiter, doch die Vorteile von dichten, gut erschlossenen und vielfältigen Stadträumen wurden für unterschiedliche Bevölkerungsschichten neu entdeckt. Dazu kamen immer mehr hochwertige Dienstleistungsunternehmen aus dem beratenden und entwickelnden Sektor, welche Nähe zu Finanzdienstleistern, Hochschulen und der öffentlichen Verwaltung als Auftraggeber suchten. Die Bereitstellung von Wohnraum - stets ein Kernthema für jede wachsende Stadt - erhielt neue Bedeutung. Schulen, Kinderbetreuung, Nahversorgung, Freiräume, Erschliessung mit öffentlichem Verkehr wird heute im "Paket" nachgefragt. Viele Städte haben die Chance bislang nicht gesehen, ihren Stadtraum durch die Stärkung integrierter Stadtteilzentren vielfältiger und damit belastbarer zu machen. Parallel dazu zogen die letzten Reste produzierender Wirtschaft aus den Stadtkommunen weg oder behielten nur die Kernkompetenzen ihrer Wertschöpfungsprozesse vor Ort. Asien und Osteuropa waren die Ziele. Automatisierung und Roboterisierung vieler Elemente der Wertschöpfungskette eröffnen seit einigen Jahren neue Chancen für die Umnutzung brachgefallener Wirtschaftsflächen. Wir merken auch am Immobilienmarkt: neues Wirtschaften, neues Arbeiten und neues Wohnen kann, ja muss im gleichen städtischen Raum einhergehen.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet am 16. Januar 2016, dass es alleine in der Stadt München bis 2030 zusätzlich 284000 Erwerbstätige geben wird. Viele davon werden an bisherigen Standorten der Bildung, öffentlichen Verwaltung, medizinischen und der Einzelhandelsversorgung tätig sein. Wo aber, wie in München, Vollbeschäftigung herrscht, geht allzu leicht der Blick auf den grundlegenden wirtschaftlichen Strukturwandel verloren, indem sich ganz Europa befindet. Heute heißen die Entwicklungstreiber vernetzte Rechner, Cloud-Computing, Big Data, individualisierte Mikrotechnologien, 3-D-Drucker, Predictive Analytics, Roboter für persönliche, kommerzielle und industrielle Anwendungen, Augmented Reality oder Industrie 4.0. Die sogenannte Wissensökonomie setzt insgesamt neues Wissen zur Schaffung von noch mehr neuem Wissen ein, sodass die wertschöpfende Wirkung des Wissens auf das Wissen selbst eine wichtige Quelle der Produktivität darstellt. Die Wissensökonomie definieren wir also als eine Wirtschaft, die hoch spezialisiertes Wissen und Fähigkeiten aus verschiedenen Segmenten der Wertschöpfungskette strategisch miteinander kombiniert, um Innovation zu ermöglichen und Konkurrenzvorteile zu wahren.

Räumliche Nähe versus neue Technologien

Wissen spielt als strategischer Wettbewerbsfaktor eine entscheidende Rolle, der in der Fähigkeit zur Steuerung der oben angesprochenen, räumlich verankerten, unternehmerischen Wertschöpfungsketten Ausdruck findet. Informations- und Telekommunikations-Technologien sind verantwortlich für die gesteigerten Möglichkeiten der Entstehung, Nutzung und Kombination von wissenschaftlichem und erfahrungsgestütztem Wissen. Distanzunabhängige Technologien bedeuten aber mitnichten das Ende von lokalen räumlichen Qualitäten.

Vielmehr verdeutlichen empirische Arbeiten das scheinbare Paradoxon der Komplementarität von räumlicher und relationaler Nähe für die Wissensgenerierung. Wissen wird erst im Austausch zwischen Menschen geschaffen, die sich räumlich als auch in Netzwerken nahe und vertraut sowie gleichzeitig zu diesem Austausch sowohl bereit als auch in der Lage sind. Angesichts der digitalen Beschleunigung stellt sich die Frage, wie wichtig räumliche Nähe ist.

Einige zentrale Trends prägen heute simultan die räumliche Entwicklung: In der Standortwahl von Unternehmen und privaten Haushalten zeigt sich der Wunsch nach einer neuen räumlichen Nähe von Wohnen und Arbeiten - Anbindung mit öffentlichem Verkehr und gute Nahversorgung sind zentrale Entscheidungsgrundlagen; neue Technologien verschaffen Produzenten und Konsumenten in der Stadt und in der Region direktere Interaktion; in der Entwicklung neuer Ortsteile und Quartiere wird ein neues, lebendiges Mischungsverhältnis von Wohnen mit Arbeiten und anderen Nutzungen gesucht; brachfallende Gewerbeflächen in zentralen Gebieten stoßen die Suche nach neuen höherwertigen gewerblichen Perspektiven an. Zur Veranschaulichung dieser Matrix dienen die folgenden drei Lesebeispiele. Erstens haben Tätigkeiten wie personenbezogene Dienstleistungen oder das haushaltsbezogene Handwerk einen großen Bedarf an Passantenaufkommen und Kundennähe und suchen sich deshalb Standorte mit hoher Dichte und guter Erreichbarkeit - Stadträume sind dazu ideal. Zweitens beanspruchen das produzierende Gewerbe und Logistikunternehmen für ihre Lagerung große Flächen mit guter Erreichbarkeit. Sie schaffen jedoch gemessen an dieser Flächennutzung relativ wenige Arbeitsplätze und werden daher als flächenintensiv bezeichnet. Zum Dritten haben Hochtechnologiebranchen einen hohen Bedarf an Kapital und Investitionen. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Arbeitskräften ein wichtiger Standortfaktor (siehe Abbildung 1).

Mit anderen Worten: Stadt bedeutet heute weit mehr als gemütliches Wohnen. Stadt muss entwicklungsfähigen, kreativen, immissionsschwachen und wertschöpfungsstarken Tätigkeiten Raum und Entwicklungschancen bieten. Integrierte Gewerbehöfe, flexible Coworking-Spaces, attraktive Inkubatoren sind einige der Stichworte, die nicht nur die Immobilienwirtschaft anregen, sondern sämtliche Stadtakteure bewegen müssen. Stadtentwicklung heisst weitsichtig gedacht, die lange Zeit getrennten Funktionen des Daseins wieder zusammen zu denken und räumlich zu planen.

Gedanklich hilft die unternehmerische Wertschöpfungskette. Einzelne Funktionen können räumlich unterschiedliche Qualitäten benötigen, gleichzeitig auch Andockmöglichkeiten für ähnliche Aktivitäten von weiteren Stadtakteuren bieten (siehe Abbildung 2). Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Einkaufen und Erholen verbinden sich - trotz heutigem Immissionsschutz - wieder stärker und qualitativ hochwertiger als zuvor innerhalb des gebauten Stadtraumes; zahlreiche erfolgreiche Bei spiele dokumentieren diesen Megatrend.

Dieser kurze Überblick verdeutlicht, dass Stadtentwicklung eine Querschnittsaufgabe für zahlreiche Akteure in einer Stadt darstellt. Eine lebensfähige, liebenswürdige und leistungsfähige Stadt ist stets das Ergebnis eines Gebens und Nehmens der Stadtakteure. Gelungene Transformation von Stadtraum kennt viele Autoren. In Zeiten von Bürgerbeteiligung, Social Media, Digitalisierung und "Wutbürger" tun wir gut daran, die Netzwerke, die Handlungsräume und Themen der unterschiedlichen Stadtakteure besser zu kennen und zu verstehen.

Eine Studie für München zeigt das Netzwerk der Themen, welche im Zusammenspiel mit anderen Themen diskutiert werden. Wohnen, Stadtplanung und Kultur werden besonders häufig "bespielt" und werden wiederum mit anderen Themen erörtert, nämlich Freiraum, Stadtgestalt und Kultur. Ganz anders für Verkehr, Soziales oder Gewerbe. Obwohl auch diese Themen zentrale Zukunftsaufgaben der Stadtentwicklung darstellen, werden diese fachlich isoliert diskutiert (Abbildung 2). Förster und Ramisch (2016) vermuten dazu, dass "die entsprechenden Akteure hier unzureichend in Austausch stehen".

Fragen zu langfristiger Transaktion

Ein wirkungsorientiertes Konzept zur Transformation von Standorten erkennt zuerst einmal Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsfeldern und Standortbedürfnissen (Abbildung 1). Diese Trends geben der Entwicklung von gemischten und integrierten Gewerbestandorten in der Stadt und Region eine neue Dynamik. In europäischen Stadtregionen findet sich dazu eine Vielzahl vorzeigbarer Beispiele, die konstruktiv mit solchen Herausforderungen umgehen. Worin liegt das "Geheimnis" einer langfristig tragfähigen Transformation eines Standortes ins Zeitalter von "Industrie 4.0"? Im Wissen darum, dass Stadtentwicklung stets durch Geben und Nehmen der Stadtakteure zustande kommt, sind primär diese Fragen im Dialog zu beantworten:

- Unternehmen: Welche wirtschaftlichen Aktivitäten sollen innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette und allenfalls in Kombination mit anderen Unternehmen verankert beziehungsweise gestärkt werden? Welche Sichtbarkeit als Knoten in einem Wissen schaffenden und wertschöpfenden Netz kann der Standort erzielen und in welchem Zeithorizont?

- Wissenschaft und Hochschulen: Welche Wissen schaffenden Partner aus unterschiedlichen Segmenten der orientierten Forschung und Entwicklung können gewonnen werden, um dem Standort als Knoten im Netz einen befruchtenden Austausch zu gewährleisten?

- Öffentliche Hand: Welche Angebote der Einbettung des Standortes im urbanen Kontext kann und will die öffentliche Hand sowie die weitere Öffentlichkeit bereitstellen und mit welchem Kooperationsmodell?

Das Geheimnis für die zu erwartenden Wirkungen eines Standortes liegen in der Kombination von inhaltlichem Konzept, räumlichen Möglichkeiten und prozessualem Geschick, um letztlich hinreichende Qualitäten zu schaffen. Eine notwendige Voraussetzung ist es, die richtigen Entscheidungen zum geeigneten Zeitpunkt zu treffen, denn zahlreiche Standortverantwortliche verstehen ihr Geschäft und versuchen "Time to Market" richtig einzusetzen.

Daher fragen wir uns zum Schluss: Kann das gut gehen und wie kann das überhaupt gehen? Die Autoren dieses Beitrages starteten Ende 2016 das Projekt "Gewerbe & Stadt: Gemeinsam Zukunft gestalten. Projektpartner sind die Landeshauptstadt München und die Stadt Unterschleißheim, die Kommunen Haar und Neufahrn sowie die Business Campus Management GmbH. Im Fokus stehen innovative Praxisbeispiele und daraus abgeleitet Impulse und Entwicklungspotenziale für Gewerbeflächen im Kernraum der Metropolregion München.

Das Projekt untersucht neue räumliche Potenziale zwischen Gewerbe- und Stadtentwicklung im Quervergleich guter und innovativer Praxisbeispiele europäischer Stadtregionen. Im Fokus stehen insbesondere flächensparende Konzepte mit einer Verdichtung und Mischung gewerblicher Nutzungen. Die Praxisbeispiele anderer Stadtregionen werden auf ihre Übertragbarkeit auf ausgewählte Areale in der Stadt und Region München überprüft. Das Projekt bietet einen Dialog zwischen verschiedenen Akteuren in der Region München sowie den Austausch mit Expertinnen und Experten innovativer Beispiele anderer Stadtregionen. Im Ergebnis liegen konkrete Impulse und Ideen für die Stadt- und Regionalentwicklung in München sowie für einzelne Entwicklungsgebiete innerhalb der Stadt und Region vor.

Dreigliedriger Ansatz zur Entwicklung

Das Projekt entwickelt einen dreigliedrigen Ansatz. Erstens wird "Gewerbe" als "Stadtbaustein" mit einem Geben und Nehmen von produzierender Wirtschaft und Stadtentwicklung anhand gelungener und innovativer Beispiele in Deutschland und einzelnen europäischen Beispielen untersucht. Darauf aufbauend werden zweitens Lösungsansätze für die Stadt und Region München entwickelt. Für ausgewählte Areale werden konkrete Entwicklungschancen aufgezeigt. Drittens entstehen diese Lösungsansätze primär über eine Dialogplattform für Akteure in der Region München. Das Projekt bindet wichtige Akteure der Immobilien-, Wirtschafts- und Stadtentwicklung im Arbeitsprozess ein und bietet einen Erfahrungsaustausch zwischen Expertinnen und Experten anderer Stadtregionen im Dialog mit den Akteuren in der Region München.

Quellen:

Agnes Förster, Theresa Ramisch (2016): Die vielen Autoren der Stadtentwicklung. Den Netzwerken, Räumen und Themen der Münchner Akteurslandschaft auf der Spur. In: RaumPlanung 187, 5. 27-33.

Lüthi, Stefan, Alain Thierstein and Michael Bentlage (2013): The Relational Geography of the Knowledge Economy in Germany. On functional urban hierarchies and localised value chain systems. In: Urban Studies 50(2), 276-293.

Thierstein, Alain, Michael Bentlage and Fabian Wenner (2017, forthcoming): Teilstrategie Wirtschaftliche Entwicklung. Konzept einer strategischen Entwicklung von Wirtschaftsflächen im Landkreis Fürstenfeldbruck. Lehrstuhl für Raumentwicklung der Technischen Universität München. Thierstein, Alain, Robert Salkeld (2016): Digital, smart, vernetzt? Starke Standorte brauchen mehr! In: Metall Zug (2016) (Hrsg.) Digital. Wirtschaft. Gesellschaft. Chancen. Risiken. Zug/Schweiz: 114-118.

Thierstein, Alain, Gebhard Wulfhorst, Michael Bentlage, Stefan Klug, Lukas Gilliard, Chenyi Ji, Julia Kinigadner, Helene Steiner, Lena Sterzer, Fabian Wenner and Juanjuan Zhao (2016): WAM Wohnen Arbeiten Mobilität. Veränderungsdynamiken und Entwicklungsoptionen für die Metropolregion München. München: Lehrstuhl für Raumentwicklung und Fachgebiet für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der Technischen Universität München.

Die Autoren Prof. Dr. Alain Thierstein Lehrstuhl für Raumentwicklung, TU München Agnes Förster Leiterin Studio, Stadt, Region. 4architekten GbR, München

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