Wohnungswesen

Zwischen Kooperation und Konkurrenz - die Rolle der Wohnungsunternehmen in der Quartiersentwicklung

Michael Zahn

Welches Interesse hat eine große, private Wohnungsgesellschaft, in die Entwicklung eines Quartiers zu investieren? Ist Quartiersentwicklung nicht eher lästiges Ärgernis als wirtschaftliche Notwendigkeit? Diese Fragen sind für den Autor leicht zu beantworten: Als Immobilienbestandshalter sollten Wohnungsgesellschaften langfristig denken und Verantwortung für ihre Mieter und Bestände übernehmen. Soziale Probleme in einem Quartier können aber von den Wohnungsgesellschaft nicht alleine gelöst werden, dafür sind diese zumeist zu komplex. Dementsprechend wird Hand in Hand mit allen maßgeblichen Akteuren der Quartiersentwicklung gearbeitet. Erfolgsvoraussetzung sei allerdings, dass die Rollen dabei klar definiert sind und die Kompetenzen der Beteiligten intelligent vernetzt werden. Red.

Ein großer Teil der heute 150 000 Wohneinheiten der Deutsche Wohnen sind große, in sich zusammenhängende Wohnungsbestände - per Definition also Quartiere - egal ob man sie sonst "Siedlung", "Kiez" oder wie in der Wohnungswirtschaft häufig "Bestand" nennen möchte. Diese Quartiere bilden eigene, zusammengehörige Nachbarschaften und prägen den Bestand in unseren Kernregionen im Großraum Berlin, im Rhein-Main-Gebiet, im Rheinland, in Mitteldeutschland sowie in mittelgroßen deutschen Städten wie Hannover, Braunschweig, Magdeburg. In diesem Bestand sind Siedlungstypen aus fast allen Jahrzenten des letzten Jahrhunderts und damit eine breite Vielfalt von Wohnquartieren vereint. Gemein ist diesen Siedlungen, dass sie als Heimat für mehrere tausend Menschen konzipiert und errichtet wurden.

Vier der sechs Unesco Weltkulturerbe-Siedlungen in Berlin sind heute im Eigentum der Deutsche Wohnen - Siedlungen, die in den zwanziger Jahren gebaut wurden, aber aufgrund ihrer hohen architektonischen Qualität auch heute noch funktionieren und die Ansprüche der Mieter an modernes Wohnen erfüllen. Daneben werden auch Großwohnsiedlungen, zum Beispiel aus den siebziger und achtziger Jahren bewirtschaftet - darunter viele Plattenbauten im Ostteil Berlins. Entgegen noch oftmals zu vernehmender Vorurteile funktionieren diese Siedlungen und sind bei Mietern gefragt.

Auch beim Neubau muss "im Quartier" gedacht werden. Bei unseren derzeit zwei Neubauprojekten in Berlin und Potsdam wird ganzheitlich und nachhaltig geplant - ganz in der Tradition des Gehag-Hausarchitekten Bruno Taut. Neben einer architektonisch intelligenten Planung der Wohnungen gehört dazu auch, eine soziale Infrastruktur für die zukünftigen Mieter zu schaffen, das heißt Grün- und Erholungsflächen, Kitas, Ärzte und Nahversorgungseinrichtungen.

Nachhaltige Bewirtschaftungsstrategie

Ziel muss es auch sein, die Bestände nachhaltig zu bewirtschaften. Von der Qualität und Effizienz von Prozessen Wertsteigerung der Bestände profitieren sowohl Mieter als auch Shareholder. Es wäre zu kurz gedacht, "nur" die Vermietung und Verwaltung der Wohnungen im Kopf zu haben. Die Bewirtschaftungsstrategie sollte auf eine langfristige Weiterentwicklung abzielen. Auch bei der Quartiersentwicklung reicht eine reine Bestandssicht nicht aus, sondern es sollte neben einer städtebaulichen auch eine soziale Komponente bedacht werden. Kurz gesagt: Grundsätzlich haben wir - dort wo sie nachhaltig Sinn macht - ein großes Interesse an einer kooperativen Quartiersentwicklung, da sie in der Regel unsere Bewirtschaftungsstrategie unterstützt.

Gleichzeitig kann eine große Wohnungsgesellschaft - als oftmals größter Eigentümer - starken Einfluss auf die weitere Entwicklung dieses Quartiers nehmen. Ein enges Zusammenwirken der in der Quartiersentwicklung tätigen Akteure liegt also auf der Hand. Voraussetzung ist aber, dass dabei von Beginn an die Rollen der Beteiligten und auch die Grenzen des Leistbaren klar definiert werden.

Dabei dürfen Ursache und Wirkung von sozialen Konflikten in Quartieren nicht verkehrt und Wohnungsunternehmen nicht als Sündenböcke für gesellschaftliche und politische Versäumnisse herangezogen werden. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann Quartiersentwicklung erfolgreich gelingen - wie die Entwicklung unserer Bestände in Berlin-Hellersdorf beweist.

Ein Bezirk im Wandel

Anfang 2013 wurden die ersten Bestände im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf erworben und bereits im April 2013 in die eigene Bewirtschaftung übernommen. Mittlerweile zählen 8 700 Wohneinheiten im Bezirk zum Bestand, der größte Teil davon im Stadtteil Hellersdorf. Bei einem Großteil dieser Wohnungen handelt es sich um Großwohnanlagen im Plattenbau aus den siebziger und achtziger Jahren.

Das schlechte Image vergangener Jahre haben diese Siedlungen längst abgeschüttelt. Heute erfreuen sich die Wohnungen einer großen Nachfrage - insbesondere bei Familien aus innerstädtischen Bezirken. Lag die Leerstandquote in Hellersdorf vor zehn Jahren noch bei bis zu 15 Prozent, beträgt sie im heute im Bestand der Deutsche Wohnen nur 2,8 Prozent.

Gleichzeitig ist die soziale Situation dieser Mieter oft unterdurchschnittlich. Im Sozialstrukturatlas Berlin 2013 nehmen insbesondere die Planungsräume Hellersdorfer Promenade, Kastanienboulevard und Alte Hellersdorfer Straße bei Sozialindikatoren wie Arbeitslosigkeit, Bildung und Gesundheit die letzten Rangplätze ein. In allen drei Gebieten ist die Deutsche Wohnen das dominierende Wohnungsunternehmen.

Als Folge der schwachen Sozialstruktur hat man mit einem vermehrten Auftreten von Problemen, wie Vandalismus, Vernachlässigung von Kindern, Konflikte unter den Mietern und Mietschulden zu kämpfen. Um diese Quartiere weiter zu entwickeln und Lösungen für diese Herausforderungen zu finden ist ein Schulterschluss der beteiligten Akteure sinnvoll - bei gleichzeitig klarer Rollenverteilung. Dazu wurden in Marzahn-Hellersdorf frühzeitig Kontakt zu Bezirksverantwortlichen und wichtigen sozialen Organisationen aufgebaut.

Eine städtebauliche Entwicklung solcher Quartiere geht nur mit einer langjährige Erfahrung. Die hauseigene Technikabteilung besitzt Kompetenz und Knowhow in der laufenden Instandhaltung, bei großen Sanierungsmaßnahmen und sogar bei Neubauprojekten. Diese Erfahrung kommt auch bei der Sanierung der Hellersdorfer Promenade zum Tragen. Um die Wohnqualität des Stadtquartiers mit seinen rund 1 300 Wohn- und Gewerbeeinheiten zu erhöhen und die Identifikation der Mieter mit ihrer Wohnumgebung zu verbessern, müssen etwa 20 Millionen Euro in die Sanierung investiert werden.

Neben einer energetischen Sanierung der Fassaden, werden Balkone angebaut und die Außenanlagen familiengerecht gestaltet. Die Vertragsmiete wird dadurch um rund einen Euro pro Quadratmeter steigen und trotzdem immer noch unter dem Berliner Mietspiegel liegen. Die Sanierung wird dazu beitragen, das Quartier weiterzuentwickeln, es attraktiv für neue Mieter zu machen und nimmt gleichzeitig Rücksicht auf die Möglichkeiten unserer Bestandsmieter.

Für ein solch großes Sanierungsprojekt ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Bezirk notwendig. Der Bezirk kann dabei zur städtebaulichen Entwicklung von Quartieren entscheidend beitragen, indem Genehmigungsverfahren unkompliziert und lösungsorientiert gestaltet und den Wohnungsunternehmen keine zusätzlichen Steine in den Weg gelegt werden. In Marzahn-Hellersdorf funktioniert dieses Zusammenspiel sehr erfolgreich.

Unterstützung der sozialen Quartiersentwicklung

Die Gesellschaft differenziert sich immer stärker, soziale Konflikte nehmen partiell zu und die Gefahr, dass Zusammenhalt in Quartieren verloren geht, steigt. Hier steht der Staat vor wachsenden Herausforderungen. Anders als bei der städtebaulichen Entwicklung, muss bei der sozialen Entwicklung eines Quartiers der Bezirk vorangehen.

Private Wohnungsgesellschaften können die positive soziale Entwicklung eines Quartiers mit den ihnen eigenen Kompetenzen unterstützen und damit einen wichtigen Beitrag für die Lösung solcher Probleme leisten. Die Bewältigung dieser sozialen Herausforderungen im Quartier ist aber eine vorrangig öffentliche Aufgabe und liegt in der Verantwortung des Staates - und dies sollte auch zukünftig so bleiben. Der Trend, solche ureigen öffentliche Aufgaben mehr und mehr auf private Unternehmen abzuwälzen, ist sehr kritisch zu sehen.

Das Beispiel Marzahn-Hellersdorf zeigt, wie vielfältige Wohnungsunternehmen die soziale Entwicklung eines Quartiers unterstützen können. So ist die Vergabe von Gewerberäumen eine wichtige Stellschraube für die Entwicklung. Dabei ist streng darauf zu achten, Gewerbemieter zu finden, die einen positiven Einfluss auf das Quartier haben. Dies können sozialen Einrichtungen sein, denen mietermäßigte Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, oder Einrichtungen zur Nahversorgung, an die bevorzugt vermietet wird. Darüber hinaus können punktuell auch Projekte mit lokalem Mehrwert berücksichtigt werden - so wird die Identifikation der Mieter mit ihrem Quartier erhöht.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist der kontinuierliche Austausch mit den Akteuren vor Ort, wie den Bezirkseinrichtungen und sozialen Organisationen. Die lokalen Service Points der Deutsche Wohnen sind nah am Mieter - und erfahren so von Sorgen und Problemen. Dadurch können Mieter auf Hilfsangebote von sozialen oder bezirklichen Einrichtungen oder die Akteure auf Fehlentwicklungen im Quartier hingewiesen werden.

Das wichtigste, von Wohnungsgesellschaften aber gelegentlich vernachlässigte Instrument zur Aufwertung eines Quartiers ist die bewusste Auswahl der Mieter. Werden Wohnanlagen im Sinne kurzfristiger Vermietungserfolge falsch belegt, dauert es oft Jahre, das Quartier wieder zu stabilisieren. Jung und alt, Singles und Familien, Erwerbstätige, Selbstständige und Arbeitslose - wichtig ist die richtige Mischung, die aber in der Praxis viel Fingerspitzengefühl verlangt.

Hier spielen die dezentralen Strukturen, die Service Points, eine entscheidende Rolle. Die Vermieter und die Mitarbeiter aus dem technischen und kaufmännischen Quartiersservice arbeiten vor Ort eng zusammen, sie kennen ihren Bestand und entscheiden gemeinsam, welche Neu- und Altmieter zusammenpassen. Dieses Vorgehen setzt nicht auf kurzfristige Vermietungserfolge, sondern erfordert einen langen Atem. Eine funktionierende Nachbarschaft vermeidet Reibungen zwischen den Mietern sowie zwischen Mietern und Vermieter und sichert so den nachhaltigen Bewirtschaftungserfolg.

Kooperation trotz Konkurrenz

Bei der Quartiersentwicklung ist auch eine Zusammenarbeit verschiedener Wohnungsgesellschaften denkbar und sinnvoll. Nicht immer ist nur die Deutsche Wohnen Bestandshalter in einem Quartier und oft enden negative soziale Entwicklungen nicht an Quartiersgrenzen. Trotz Wettbewerbssituation kann ein regelmäßiger Austausch helfen, gemeinsamen Herausforderungen im Quartier oder Bezirk zu begegnen und Interessen zum Beispiel gegenüber der Politik zu bündeln.

In Marzahn-Hellersdorf befinden wir uns sowohl mit privaten als auch mit genossenschaftlichen sowie städtischen Wohnungsgesellschaften in einem kontinuierlichen Austausch zu den lokal wichtigen Themen. Grundsätzlich ist es für eine erfolgreiche Quartiersentwicklung erforderlich, dass die beteiligten Akteure ein gemeinsames Ziel verfolgen, sich dabei auf ihre Kompetenzen und Stärken konzentrieren und eine enge Vernetzung sicherstellen.

Der Autor Michael Zahn Vorsitzender des Vorstands, Deutsche Wohnen AG, Frankfurt am Main
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