Anschmiegungsgefahren

Philipp Otto

Eigentlich bevorzugen Menschen den psychologischen Verhaltensmustern zufolge eine egalitäre Gruppenstruktur. Und doch bilden sich in Gruppen immer wieder Hierarchien heraus, denen sich die Mitglieder ein- und unterordnen. Dann schart sich die Masse um den vermeintlich Stärkeren, den geborenen Anführer eben. Sei es, weil die Gruppe bedroht wird. Sei es, weil der Einzelne sich davon einen Vorteil verspricht. Sei es, weil man hofft, dass ein wenig der Stärke auf einen selbst abfärbt. Ähnliche Anschmiegungsgefahren befürchten derzeit die Verantwortlichen des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken im Zuge der fortschreitenden Harmonisierung der Covered-Bond-Gesetzgebung in Europa.

Zu Recht. Denn der deutsche Pfandbrief ist zweifellos nach wie vor das Vorzeigeprodukt in der Kategorie der gedeckten Bankschuldverschreibungen. Keine Wunder also, dass die Lettres de Gage, die Cedulas, die Obligations Foncières und all die übrigen Covered Bonds ein Stück des Glanzes und des Investorenvertrauens abhaben wollen, ohne dafür nachhaltige Veränderungen an Strukturen und Qualität vorzunehmen.

"Eine der großen Gefahren erwächst Covered Bonds ausgerechnet aus ihrem Erfolg, denn Erfolg schafft bekanntermaßen Nachahmer. Und nicht alle gehen mit dem gleichen Qualitätsanspruch zu Werke. Tatsächlich ist der europäische Markt für gedeckte Schuldverschreibungen heute durch eine Vielzahl von Produkten, die auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen basieren, charakterisiert. Durch den Emissionsboom gedeckter Schuldverschreibungen und den Umstand, dass seit Beginn der Finanzkrise immer mehr Kreditinstitute in Europa am Covered-Bond-Markt debütiert haben, hat die Auseinandersetzung über einheitliche Qualitätsstandards für Covered Bonds deshalb besondere Bedeutung gewonnen." So beschrieb vdp-Hauptgeschäftsführer Jens Tolckmitt bereits 2013 die Herausforderungen für die deutschen Lobbyisten. Bis heute hat sich daran nichts geändert, allerdings hat sich das Gefahrenpotenzial im Zuge der laufenden Harmonisierungsdiskussion ein wenig verschärft. Zwar wird es nach derzeitigem Stand weder eine Maximal- noch eine Minimalharmonisierung geben, doch schon bei den Angleichungen dazwischen werden Unterschiede in Produkten und Risiken weniger sichtbar. Natürlich sind größere Vergleichbarkeit, mehr Transparenz und höhere Qualitäten im Investorensinne absolut wichtig, doch wenn alles Covered Bonds heißt, erschwert das nicht auch und gerade die vielbeschworene Übersichtlichkeit?

Ein Blick auf die Bedeutung der Covered Bonds in den einzelnen Ländern zeigt je nach Blickwinkel ein unterschiedliches Bild. Gemessen an der schieren Größe ist der deutsche Pfandbriefmarkt die Nummer eins. Per Ende 2015 standen Pfandbriefe im Volumen von rund 380 Milliarden Euro aus. Knapp dahinter rangiert der dänische Markt, gefolgt von Frankreich (323 Milliarden Euro) und Spanien (222 Milliarden Euro). Doch schon der Vergleich des ausstehenden Volumens mit dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt relativiert die Bedeutung des Pfandbriefs für Deutschland, er kommt gerade mal auf 13 Prozent des BIP. In Dänemark zeigt sich dagegen eine außergewöhnliche Bedeutung des gedeckten Segments (140 Prozent des BIP). Auch der Abstand zum Zweitplatzierten Schweden ist enorm (rund 50 Prozent des BIP). Dritte Vergleichsmöglichkeit: Die Bedeutung für die Refinanzierung der Kreditinstitute. Hier liegt Dänemark ebenfalls vorn, wo mehr als drei Viertel des Banken-Funding gedeckt platziert wird (76 Prozent). In Schweden und Norwegen liegt der Anteil an der Gesamtrefinanzierung bei rund 44 Prozent, in Spanien bei 40 Prozent. In Deutschland entfällt auf Pfandbriefe knapp ein Drittel des Banken-Funding.

Bislang ist es den Verfechtern der deutschen Pfandbriefkultur immer wieder gelungen, das Produkt gegen Vereinnahmung und vor Verallgemeinerung bestmöglich zu schützen. Insofern war es richtig, das alte Hypothekenbankgesetz 2005 zu einem reinen Produktgesetz weiterzuentwickeln - auch wenn das vielleicht zum Aussterben der Spezies "Hypothekenbank" beigetragen haben mag. Aber der Verband vdp zählt heute stolze 42 Mitglieder, Tendenz steigend, denn immer mehr Kreditinstitute müssen angesichts der Niedrigzinsphase und zur Vermeidung von erhöhten Zinsänderungsrisiken zur fristenkongruenten Refinanzierung auf langlaufenden Schuldverschreibungen wie den Pfandbrief ausweichen - auch die ersten Bausparkassen werden wohl bald die neuen Möglichkeiten ihres Gesetzes nutzen und Pfandbrieflizenzen beantragen. Wie viel Pfandbrief sich nun aber in die verschiedenen europäischen Gesetzgebungsverfahren hineinretten lässt? Möglichst viel bitte. Louis Hagen, amtierender Präsident des vdp, weiß, wie das geht.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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