Lieber kein Spreehattan

Daniel Rohrig

Vorbei die Zeiten, als Büroinvestoren geradezu angewidert reagierten, als sie den Namen Berlins auch nur von weitem sahen oder hörten. Hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Mieten, ein hoher Leerstand und die um die Jahrtausendwende zusammengebrochene New Economy hatten lange Jahre dafür gesorgt, dass der Berliner Büromarkt in Deutschland ein Schattendasein fristete. Niemand glaubte wirklich an einen Aufschwung. Und nun ist er einfach da. Und das mit voller Wucht! Das zeigt eine Studie, die die TLG Immobilien AG bei der Bulwiengesa AG in Auftrag gegeben hat. Daraus geht unter anderem ein zusätzlicher Bürobedarf von bis zu 1,6 Millionen Quadratmetern bis zum Jahr 2020 hervor.

Die Zahl der Bürobeschäftigten werde sich - so die Schätzungen - um 62 000 Personen beziehungsweise 8,7 Prozent auf rund 775 000 erhöhen. Schon seit 2005 geht es in der Hauptstadt steil aufwärts. Die Zahl der Beschäftigten ist mit 24 Prozent stärker gestiegen als in London Central.

Als Folge müsse man über höhere Gebäude nachdenken, sagt Bulwiengesa-Vorstand Andreas Schulten. Wen drängen sich da nicht sofort die Bilder des Reichstagsgebäudes mit einer Skyline in unmittelbarer Nähe auf? TLG-Vorstand Niclas Karoff setzte jüngst bei einem Round-Table in der Spreemetropole mit der Forderung nach innerstädtischer Verdichtung noch einen drauf. Als langjährigem Einwohner der ultradichten Stadt Frankfurt am Main wird einem da ehrlich gesagt ein wenig flau im Magen. Mir fallen sofort die hiesigen gedrängten Häuserschluchten und die Enge ein, die die A-Lagen der Bankenmetropole prägen. Und selbst hier drängen viele Planer noch auf weitere Nachverdichtungen.

"Das ist die Berliner Luft", heißt es in einem alten mehr als hundertjährigen Operettenlied. Die Luft im Zentrum könnte aber bald dünn werden. Ist es nicht eine der großen Stärken der Hauptstadt, dass sie eben nicht so verdichtet gebaut ist wie manch andere vor allem westdeutsche Nachkriegsgroßstadt? Das Bundesland Berlin hat eine stolze Fläche von 891,68 Quadratkilometern. Es gibt unendlich viele Brach- und erschließbare Flächen, eine Reihe von ungenutzten teils baufälligen Gebäuden gerade im Ostteil der Stadt. Eine Verdichtung und mehr Hochbau in den bevorzugten Stadtteilen Mitte (33 Prozent), Kreuzberg und Charlottenburg (je 15 Prozent) ist langfristig kontraproduktiv. Die Preise würden noch schneller als aktuell in die Höhe schießen - in den vergangenen drei Quartalen ist die Spitzenmiete von 22 Euro im Monat auf 25,50 Euro im Monat gestiegen. Auch die Durchschnittsmieten kletterten um rund sieben Prozent auf 15,60 Euro pro Quadratmeter und Monat.

Sehr bald würden bei einem "weiter so" die Unternehmen der digitalen Start-up-Szene, die bislang für gut ein Drittel dieses Bürobooms verantwortlich sind, an ihre finanziellen Grenzen stoßen. Denn gerade diese jungen und innovativen Unternehmen waren und sind auf der Suche nach günstigen (!) Büroräumen. Denn kostet die Arbeits fläche viel Geld, kann weniger ins Personal und in die Entwicklung neuer Geschäfte gesteckt werden. Denn welche anderen Büronachfrager als junge kleine Unternehmen und mehr oder weniger staatliche Institutionen sollen sich für die Hauptstadt erwärmen? Die großen Player bevorzugen andere deutsche Regionen - allein schon wegen der besseren Infrastruktur. Ein möglicherweise auf lange Zeit betriebsunfähiger Großflughafen und ein immens störanfälliges marodes S-Bahnnetz sind sicherlich nicht die idealsten Bedingungen für die großen kapitalstarken Unternehmen am Markt. Der Aufschwung der einstigen "Arm-aber-sexy-Stadt" ist also möglicherweise kein Selbstläufer, sondern ein unter sehr spezifischen Bedingungen entstandener und sensibler.

Ein Bürobau in die Breite der vorhandenen Fläche könnte den Immobilienmarkt daher längerfristig als günstigen Standort sichern. Auch wenn die jungen Unternehmen heute noch sehr stark gen Zentrum streben, wird diese Euphorie schnell unter dem Kostendruck nachlassen. Hier schlummert ein Blasenpotenzial, das nicht unterschätzt werden darf. Das sollten die fleißigen, vor allem spekulativen Bürobauer im Hinterkopf haben. Denn wie heißt es gleich zu Beginn in dem bereits erwähnten Lied von 1904: "Berlin! Hör ich den Namen bloß, da muss vergnügt ich lachen! Wie kann man da für wenig Moos den Dicken Wilhelm machen!" Berliner Traditionen sollte man nicht mit Standardrezepten begegnen, weil Berlin noch nie Standard war.

Daniel Rohrig , Redaktion Immobilien und Finanzierung , Verlag Helmut Richardi
Noch keine Bewertungen vorhanden


X