Stadtumbau-Offensive

Rüdiger Wiechers

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Menschen in Deutschland kräftig die Ärmel aufgekrempelt: Große Flüchtlingsströme, die zerstörten Städte und die Erneuerung und der Umbau der Infrastruktur machten diese gewaltigen Anstrengungen unausweichlich. Und sie wurden mit gemeinschaftlichem Engagement gestemmt! Nun stehen nach mehr als einem halben Jahrhundert wiederum vergleichbar große Herausforderungen an.

Wir haben eine immer längere Lebenserwartung vor uns. Das ist doch erst einmal eine rundum frohe Botschaft. Andererseits fehlt uns hinreichender Nachwuchs. Frauen, die in den vergangenen Jahren nicht geboren wurden, können auch keine Kinder bekommen. Es wird sich zeigen, ob und wie wir Familienfreundlichkeit in Deutschland künftig deutlich stärker in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns rücken und welche fördernden Effekte eine intelligente Einwanderung bringen kann. Doch zurück zu der wachsenden Anzahl älterer Menschen: Stellen Sie sich einmal mit Rollator vor ein x-beliebiges Haus. Sie werden in 99 von 100 Fällen kaum barrierearm ins Haus gelangen beziehungsweise sich in der Wohnung angemessen bewegen können. Aber in den nächsten Jahren werden bei uns in rund 20 Prozent der Haushalte Menschen mit über 70 Jahren wohnen. Und diese wollen ganz überwiegend möglichst in ihrer selbstbestimmten Umgebung wohnen bleiben. Der Neubau von entsprechend ausgestatteten Wohnungen und Häusern wird notwendig, ist aber keinesfalls hinreichend. Ein Umbau des Bestandes in großem Stil ist dringend angesagt. Das gleiche gilt übrigens für die Verhältnisse auf Stadtquartiersebene. Dabei ist derzeit eher die gegenteilige Entwicklung zu beobachten: Immer mehr Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe schließen und fernab der Fußläufigkeit schießen die Einkaufszentren aus dem Boden.

Nehmen wir das nächste Megathema ins Visier: den energetischen Stadtumbau. Außer Ankündigungsrhetorik ist hier wenig Aufbruchsstimmung zu spüren. Dabei müssten mindestens 30 Prozent der über 40 Millionen Wohnungen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren umgerüstet werden, um die angestrebten Energie-Einspar-Ziele zu erreichen. Die große Zahl der selbstnutzenden Eigentümer ziert sich aber zu Recht angesichts der zu erwartenden Umbaukosten. Und bei den privaten Vermietern, die die ganz überwiegende Zahl der Mietwohnungen besitzen, hält sich die Bereitschaft zu kostspieligen Investitionen angesichts der eher problematischen restriktiven Mietgesetzgebung sehr in Grenzen. Schon jetzt rentiert sich bekanntlich nicht einmal die Hälfte der Mietwohnungen oder ist sogar defizitär. Das gilt insbesondere für weite Teile Deutschlands, die als künftige Schrumpfungsregionen mit deutlich fallenden Immobilien-Vermögenswerten einzustufen sind. Damit sind wir bei einer weiteren zentralen Wohn- und Stadtumbauthematik.

Da die Bevölkerung in Deutschland schrumpft, allerdings nicht flächendeckend gleichmäßig, werden in Zukunft boomende Wachstumsregionen mit Gebieten mit drastischen Bevölkerungsverlusten und Überalterung einhergehen. Dabei hat Deutschland im Gegensatz zu manchen anderen Europäischen Ländern - so lebt in Frankreich zum Beispiel nahezu jeder fünfte Einwohner in der Pariser Metropolregion - den Vorzug einer attraktiven polyzentrischen Struktur mit elf mittelgroßen Metropolregionen. In der Vergangenheit wurde freilich die Dezentralisierung bei uns mit dem Anspruch "allseits gleicher Lebensverhältnisse" völlig überzogen. Diese Entwicklung kehrt sich nun um, mit der Folge komplizierter und schwer zu bewältigender, aber unausweichlicher Stadtumbauprozesse. In den zahlreichen Schrumpfungsregionen müssen schmerzhafte Rückbaumaßnahmen (bis zur "Wüstung") aktiv eingeleitet werden und in Wachstumsgebieten müssen die Wohnungsbauleistungen, einhergehend mit einem offensiven Ausbau der Infrastrukturen, deutlich gesteigert werden. Einem Aspekt kommt dabei ganz wesentliche Bedeutung zu: Der großflächigen Aktivierung und zusätzlichen Bereitstellung von Bauland, um den unterschiedlichen Zielgruppen in den Zuzugsgebieten bezahlbares Wohnen zu ermöglichen. Übrigens, ein weiteres Thema darf keinesfalls aus den Augen verloren werden: Der komplexe, vernetzte Umbau von Quartieren, Städten und Regionen zu "Smart Cities" und "Smart Regions".

Gehen wir in Stadt und Land mutig in die Offensive. Unsere Kinder und Enkelkinder werden es uns danken!

Rüdiger Wiechers , Vorsitzender, Stiftung "Städte für Menschen"
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