Aufsätze

Corporate Governance in Deutschland aus der Sicht der DWS

Die Corporate Governance in Deutschland hat sich verbessert. Dank des Deutschen Corporate Governance Kodex steht das Thema stärker im Fokus. Inländische und ausländische Anteilseigner, Unternehmensvertreter, Aktienrechtler und Journalisten diskutieren kritisch die Governance von Unternehmen in Deutschland.

"Bedeutsame" Entscheidungen im Blick

Die DWS versteht unter Corporate Governance das System der Führung und Kontrolle von Unternehmen. Es umfasst insbesondere die Verteilung der Rechte und Pflichten zwischen den Organen der Unternehmen. Besonderes Augenmerk wird auf solche Regeln und Verfahren gelegt, mit denen für das Unternehmen bedeutsame Entscheidungen herbeigeführt werden.

Die DWS hat in Deutschland von den Anteilsinhabern ihrer Fonds Kapital im Wert von gut 120 Milliarden Euro entgegengenommen. Davon sind etwa 43 Prozent in Aktien angelegt. Aus dem Besitz der Aktien ergibt sich die Aufgabe, die damit einhergehenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Basis der Corporate Governance Arbeit ist eine klare Stimmrechtsrichtlinie. Sie ist sachlich und personenunabhängig. Die DWS hat gegenüber den Unternehmen Erwartungen hinsichtlich guter Unternehmensführung mit den Schwerpunkten Transparenz und Kapitalverwendung sowie das Zusammenspiel von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung.

Die DWS ist aufgrund ihres langjährigen und in Deutschland führenden Engagements für Corporate Governance in der Lage, die tatsächlich gelebte Governance in den Unternehmen zu beurteilen. Wir sind die erste Investmentgesellschaft, die den Kontakt mit den Unternehmen gesucht und unser Anliegen auf Hauptversammlungen geäußert hat.

Anzeichen für bessere Governance

In den letzten Jahren stellen wir eine deutlich gesteigerte Bereitschaft der Vorstände der Unternehmen fest, mit uns in einen Dialog über gute Governance zu treten. Zeigten sich noch vor mehr als zehn Jahren die meisten Vorstände für das Thema unzugänglich, kommen einige heute aktiv auf uns zu, um ihre Corporate Governance mit uns zu diskutieren. Gleichwohl betreiben die Unternehmen Governance unterschiedlich. Die Spannbreite reicht vom reinen Abhaken der Kodex-Anforderungen bis zum aktiven Umgang mit Corporate Governance. Hierbei kann man aber kein Größenphänomen feststellen. Sowohl große wie auch kleine Unternehmen üben eine gute Corporate Governance aus.

Ein gutes Zeugnis der formalen Governance in Deutschland legt der Bericht des Berliner Centers of Corporate Governance zur Umsetzung der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ab. 2005 unterstützten die deutschen Unternehmen und hier insbesondere die Dax-Unternehmen die 82 Empfehlungen und 19 Anregungen der Kommission auf breiter Front. Kritisch gesehen werden lediglich die Einzelveröffentlichung der Aufsichtsratsvergütung, die Beteiligung der Vorstände an den Directors & Officers Versicherungen, die Einzelabstimmung über die Aufsichtsratsmitglieder und die Wahl von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat.

Ein weiteres Indiz besserer Governance in Deutschland ist auch die Entflechtung der "Deutschland AG". Die Boston Consulting Group hat in einer 2006 veröffentlichten Untersuchung die Verflechtung deutscher Unternehmen in den Jahren 1995 und 2005 untersucht. Es zeigt sich eine deutliche Reduzierung gegenseitiger Beteiligungen und damit auch, aber zeitverzögert, der gegenseitigen Vertretung im Aufsichtsrat.

Streitpunkt VW-Gesetz

Zufrieden sind wir auch mit der Entwicklung hinsichtlich einer unserer Kernforderungen guter Governance: "One Share - One Vote". Jede Stimme zählt gleich. Nach dem kürzlich veröffentlichten Gutachten des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofes zum VW-Gesetz dürfte bald ein diesbezügliches Urteil erfolgen und damit wird diese Forderung in den meisten großen deutschen Unternehmen umgesetzt sein.

Leider ging diese Initiative nicht von Volkswagen aus, wie wir dies zuletzt 2003 öffentlich auf der Hauptversammlung und auch danach in Einzelgesprächen mit Vorständen und Aufsichtsräten und hier insbesondere mit Ministerpräsident Wulff als Vertreter des Landes Niedersachsen gefordert haben. Wir verlangten eine gemeinsame Initiative vom Land Niedersachsen und VW, an deren Ende die Abschaffung des VW-Gesetzes stehen sollte und erwarten bereits damals die nun erfolgte Veranlassung durch die EU.

Auf unserer Agenda sind in diesem Zusammenhang noch Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) wie Merck oder Henkel. Bei Firmen in dieser Rechtsform ist das Prinzip noch nicht umgesetzt.

Debatte um den Aufsichtsrat

Im Mittelpunkt der aktuellen Auseinandersetzung in Deutschland steht aus unserer Sicht der Aufsichtsrat und hier mehrere Betrachtungsebenen: Mitbestimmung und Aufsichtsratsarbeit, die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie das Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Anteilseigner. Der Aufsichtsrat soll die Interessen der Anteilseigner sowie durch das Mitbestimmungsgesetz, die der Arbeitnehmer vertreten.

Die Mitbestimmung ist ein typisch deutsches Corporate Governance Merkmal. Sie bewirkt, dass die Hälfte des Aufsichtsrates nicht von den Anteilseignern, sondern von anderen Stakeholdern bestimmt wird. Allerdings repräsentieren die Arbeitnehmervertreter lediglich die deutschen Arbeitnehmer. Dies ist angesichts der globalen Ausrichtung deutscher Unternehmen kurios. Adidas beispielsweise generiert 90 Prozent ihrer Umsätze außerhalb Deutschlands. Leider hat die Kommission zur Reform der Unternehmensmitbestimmung unter der Leitung von Professor Biedenkopf keine neuen Impulse zur Weiterentwicklung der deutschen Mitbestimmung gegeben.

Das paritätische Mitbestimmungsmodell von 1976 ist einmalig in der Welt. Aus ihm den relativen Frieden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern abzuleiten ist gewagt. Auch in Ländern mit einer Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat, wie Österreich, herrschen harmonische Arbeitsbedingungen. Gerade durch die Parität vermuten wir in der Praxis einen Missbrauch der Mitbestimmung. Manchmal werden im Aufsichtsrat politische Entscheidungen getroffen, die langfristig nicht zum Wohle des Unternehmens sind.

Ein von uns auf der Volkswagen-Hauptversammlung 2005 kommentierter Vorgang könnte so interpretiert werden. Damals wurde Horst Neumann, dessen fachliche Qualifikation wir nicht in Frage stellen, gegen den Willen der anderen Vertreter der Anteilseigner, im Aufsichtsrat von Ferdinand K. Piëch zusammen mit den Arbeitnehmervertretern durchgesetzt. Dass dieses Vorgehen zu großer Verstimmung bei anderen Aufsichtsratsmitgliedern geführt hat, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass Gerhard Cromme sein Aufsichtsratsmandat im Anschluss an die Sitzung niederlegte.

Die Mitbestimmungsgesetze wirken auch auf die Größe des Aufsichtsrats. Deutsche Aufsichtsräte sind im internationalen Vergleich sehr groß. Mehr als 20 Personen umfassende Aufsichtsräte sind die Regel. Dies erschwert nicht nur eine sinnvolle und effiziente Entscheidungsfindung, sondern auch die Auswahl geeigneter Aufsichtsräte. Gute Aufsichtsratstätigkeit ist heutzutage nicht eine kurzweilige Nebenbeschäftigung, sondern aktive Mitarbeit und die Übernahme von Verantwortung in Ausschüssen. Darüber hinaus vom Unternehmen unabhängige Aufsichtsräte zu finden ist nicht leicht.

Intransparenter Auswahlprozess

Der Auswahlprozess an sich ist intransparent. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Vorstandsvorsitzende sich ihre Aufsichtsräte aussuchen. Die Unabhängigkeit vom Unternehmen ist hinsichtlich dieses Kandidaten dann zwar eine notwendige, aber keine wesentliche Eigenschaft. Von Seiten der Anteilseigner kann von einer Wahl eines Aufsichtsrates nicht wirklich gesprochen werden. Es handelt sich um eine Abstimmung über einen Vorschlag. Wir wünschen uns stattdessen eine Kandidatenliste mit der Möglichkeit, zwischen mehreren Bewerbern wählen zu können.

Als große Anteilseigner erachten wir es als unser Recht und unsere Pflicht, Aufsichtsratsmitglieder selbst vorzuschlagen. Hier wollen wir zukünftig eine aktivere Rolle spielen. Das heißt allerdings nicht, dass wir selbst in Aufsichtsräte einziehen wollen. Das würde uns zu Insidern machen und den Erwerb und Verkauf von Aktien dieser Branche für unsere Fonds behindern, wenn nicht unmöglich machen.

Besonders kritisch sehen wir den Wechsel vom Vorstandsvorsitz zum Aufsichtsratsvorsitz. Es ist aus Unternehmenssicht legitim, das weit reichende Wissen eines Vorstandsvorsitzenden für die Aufsichtsratstätigkeit zu nutzen. Allerdings hat sich in der Vergangenheit dieser Übergang häufig nicht als optimal für das Unternehmen herausgestellt. Meist ist eine menschliche Schwäche das Problem: Es fällt schwer, sein eigenes Werk sich verändern zu sehen. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende greift zu sehr in die Strategie seines Nachfolgers als Vorstandsvorsitzender ein. Wir meinen: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende könnte ein reguläres Aufsichtsratsmandat erhalten oder sein Wissen über einen Beratervertrag dem Unternehmen zur Verfügung stellen.

Zu wenig Kontakte zwischen Aufsichtsräten und Aktionären

Wir wollen künftig stärker mit Aufsichtsräten ins Gespräch kommen. Aufsichtsräte allerdings sehen selten Notwendigkeit zum Gespräch. Aufmerksamkeit errang der damalige Aufsichtsratsvorsitzende von Daimler-Chrysler, als er den von uns mit angestoßenen kritischen Dialog über die besorgniserregenden Zustände des Unternehmens sogar als neues Kreuzrittertum bezeichnete. Dieser Versuch, Kritiker zu diskreditieren, behindert nicht nur ein gutes Gesprächsklima, sondern deckt auch eine bedenkliche Einstellung Aktionären gegenüber auf.

Es gibt zu wenig Kontakte zwischen Aufsichtsräten und Aktionären. Deshalb kennen die meisten Aufsichtsräte die Anteilseigner nicht und ihnen sind die Gedankengänge der Aktionäre fremd. Dies zeigt die öffentlich geäußerte Überraschung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutsche Börse AG angesichts des Vorstoßes des englischen Hedgefonds TCI zum Einstieg in das Unternehmen. Aktuell finden wir die Reaktion des Aufsichtsrats von TUI auf unsere Anregungen zur Verbesserung der schwierigen Lage des Unternehmens unbefriedigend, obwohl hier erfreulicherweise die Bereitschaft zum Gespräch zu erkennen ist.

Zudem gibt es meist keinen etablierten Zugang zu Aufsichtsräten. Die Mitarbeiter von Investor Relations sind für Aufsichtsräte in den seltensten Fällen zuständig. Wir finden eine Vorschrift aus England erwägenswert. Dort ist es gesetzliche Pflicht, eine dem Board zugeordnete Person einzustellen, den so genannten Company Secretary. Der Company Secretary kümmert sich um alle organisatorischen Belange des Board und ist für Externe Ansprechpartner. England hat mit dem one-tier-board ein anderes Governancesystem, und wir sind kein Verfechter gesetzlicher Lösungen, aber es lohnt sich, dieses englische Modell in Deutschland zu diskutieren.

Regelmäßig stimmen wir gegen Kapitalveränderungen, die unsere Position unverhältnismäßig schwächen, oder die das Gesellschaftskapital unnötig aufblähen.

Beispiele sind die leider sehr häufigen Vorratsbeschlüsse, Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht, die das Grundkapital um mehr als 20 Prozent erhöhen, oder sonstige Sonderrechte, die das Prinzip "One Share - One Vote" tangieren. Auch die Formulierung der diesbezüglichen Hauptversammlungsagenden lassen häufig jedwede Transparenz vermissen.

Es ist unsere Praxis, Unternehmen im Vorfeld einer Hauptversammlung anzusprechen, bei denen wir beschlossen haben, gegen Punkte zu stimmen. Die Bereitschaft der Unternehmen, vorher mit uns zu diskutieren, ist allerdings sehr gering ausgeprägt. Wenn Abstimmungspunkte dann bei der Hauptversammlung scheitern, reagieren Unternehmen gar verstimmt.

Gewissenhafte und umfassende Stimmrechtsausübungen

Wir stellen fest, dass sich dies in den vergangenen Jahren kaum geändert hat. Beispielsweise äußerte sich letztes Jahr Hypo Real Estate, mit denen wir vorher das Gespräch gesucht haben, nach der Hauptversammlung überrascht und enttäuscht über die erlittene Abstimmungsniederlage bei der vorgesehenen Kapitalerhöhung. Lediglich wenn Unternehmen bangen, dass bestimmte Punkte bei der Abstimmung scheitern könnten, sind sie gesprächsbereit und kommen aktiv auf uns zu.

Als hilfreich für die Weiterentwicklung der Corporate Governance in Deutschland nehmen wir die zunehmende Tendenz ausländischer Investmentgesellschaften wahr, ihre Stimmrechte in Deutschland auszuüben. Sie stimmen zunehmend nicht nur ab, sondern treten auch mit den Unternehmen in Dialog.

Stärkere Einbindung aller Mitwirkenden in den Meinungsaustausch

Gleichermaßen positiv bewerten wir auch das Engagement des BVI Bundesverband Investment und Asset Management e. V. zur Analyse der Hauptversammlungsagenden. Hierfür wurde ein Kooperationsabkommen mit IVOX [einem Aktionärsdienstleister - Red.] geschlossen. Die dem Verband angeschlossenen Investmentgesellschaften erhalten so eine Analyse der zur Abstimmung stehenden Agenden und können sich somit leichter ein klares Bild machen.

Über Corporate Governance wird in Deutschland intensiv und sachlich diskutiert. Wir wünschen uns, dass dieser Meinungsaustausch sich fortsetzt und stärker als bisher alle Mitwirkenden einbindet. Bei aller Kritik und vereinzelt schlechten Beispielen: Die Corporate Governance ist in Deutschland auf einem guten Weg. Wir bei der DWS werden auch künftig dazu beitragen, dass das so bleibt.

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