Aufsätze

Corporate-Governance-Systeme auf dem Prüfstand: Das Grünbuch der EU-Kommission

Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat die Corporate-Governance-Systeme von Unternehmen des Finanzsektors auf eine harte Probe gestellt. Nach aktuellen Studien zu den Ursachen der Krise - etwa von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) und vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie - haben auch Schwachstellen in Vergütungssystemen, im Risikomanagement und in der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats zur Krise beigetragen. Vor diesem Hintergrund hat die OECD im Februar 2010 Empfehlungen vorgelegt,1) die eine bessere Um- und Durchsetzung ihrer im Jahre 1999 verabschiedeten und 2004 revidierten Prinzipien zur Unternehmensführung sicherstellen sollen. Das BCBS hat im März 2010 eine überarbeitete Fassung seiner zuletzt 2006 modifizierten "Grundsätze solider Unternehmensführung" vorgestellt.2) Nun hat sich auch die Europäische Kommission im Lichte der Krise zu Fragen der Corporate Governance zu Wort gemeldet. Viele Initiativen - ein Ziel "Die Stärkung der Corporate Governance ist das Herzstück des von der Kommission erstellten Programms zur Finanzmarktreform und Krisenverhütung", so die Europäische Kommission in ihrem Anfang Juni 2010 vorgelegten Grünbuch.3) Mit der Publikation will sie die aus ihrer Sicht erforderlichen - in erster Linie "große Finanzinstitute" adressierenden - Überlegungen zur Konsultation stellen, um die Funktion, die Zusammensetzung und die Kompetenzen des Verwaltungs- beziehungsweise Aufsichtsorgans zu verbessern. Ferner sollen die Aktionäre stärker in die Kontrolle von Finanzinstituten einbezogen und eine wirksamere Anwendung von Corporate-Governance-Grundsätzen in der Praxis erreicht werden. Im gemeinsam mit dem Grünbuch vorgelegten Arbeitsprogramm "Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum"4) kündigt die Kommission erste Vorschläge für gesetzliche Regelungen zur Corporate Governance bereits für das Frühjahr 2011 an. Die Zielsetzung von OECD, BCBS und Europäischer Kommission, die Nachhaltigkeit der Corporate Governance von Unternehmen des Finanzsektors zu stärken, ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Krise hat einige Schwächen hervortreten lassen und namentlich die Rolle des Aufsichtsrats stärker in den Vordergrund gerückt. Sie gibt Anlass, die bestehenden Regeln zu überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie dem Entstehen einer sich abzeichnenden Systemkrise frühzeitig und effektiv begegnet werden kann. Nicht übersehen werden sollte allerdings andererseits, dass die Governance in vielen sogenannten systemrelevanten Banken ihre Herausforderungen gut gemeistert hat. Zweifel bestehen auch daran, ob die in der Öffentlichkeit diskutierten - oftmals spektakulären - Fälle von Managementfehlern für die Unternehmenswirklichkeit in Deutschland und Europa wirklich repräsentativ sind. Außerdem zeigen die eingangs zitierten Studien, dass die Ursachen der Krise vielfältig sind. Auf Corporate Governance im engeren Sinne sind nur einige zurückzuführen.5) Änderungen sind folglich nur ein zusätzliches Element in dem vielfältigen Maßnahmenbündel zur Bewältigung beziehungsweise Prävention von Krisen im Finanzsektor. In der Regulierung nichts passiert? Drei Jahre Finanz- und Wirtschaftskrise - und in der Regulierung ist nichts passiert? So populär diese Einschätzung sein mag, so falsch ist sie auch. Bei den noch in der Diskussion stehenden Vorhaben, sollte nicht übersehen werden, dass grundlegende Lehren - nicht zuletzt in Deutschland schon gezogen wurden. Mit Blick auf die Corporate Governance sind insbesondere folgende Initiativen hervorzuheben: - Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat durch Anpassung des in erster Linie börsennotierte Aktiengesellschaften adressierenden Deutschen Corporate Governance Kodex zum Beispiel im Hinblick auf den Aufsichtsrat reagiert. So wurde im Sinne einer weiteren Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit die Empfehlung in den Kodex aufgenommen, dass die Unternehmen die Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Wahrnehmung der für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angemessen unterstützen sollen. Nicht unerwähnt sei, dass die Kommission mit ihrem Eintreten für mehr Vielfalt in den Aufsichtsräten durch eine verstärkte Mitwirkung von Frauen und internationalen Experten eine neues "Oberthema" der Corporate Governance aufgegriffen hat, dem sich auch das Grünbuch der Kommission verpflichtet fühlt. - Auch der deutsche Gesetzgeber war nicht untätig. Die Vergütung von Vorständen von Aktiengesellschaften wurde mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31. Juli 2009 an einer nachhaltigeren Unternehmensentwicklung ausgerichtet. Zugleich wurde die persönliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung betont. - Mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht vom 29. Juli 2009 wurden Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung für die Übernahme eines Mandats in einem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan in Finanzinstituten und Versicherungsunternehmen formuliert. - Des Weiteren hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Umsetzung von Empfehlungen des Financial Stability Board (FSB) Mitte August 2009 ihre Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Finanzinstituten (MaRisk) neu gefasst. So wurden etwa die bestehenden Pflichten der Geschäftsleitung gegenüber dem Aufsichtsorgan erweitert, um die Governance-Strukturen der Institute weiter zu stärken. Namentlich müssen die Geschäftsleitungen dem Aufsichts- oder Verwaltungsrat ein direktes Auskunftsrecht gegenüber der internen Revision einräumen. - Im Dezember 2009 hatten sich ferner acht deutsche Banken und drei Versicherungsunternehmen zur schnellstmöglichen Umsetzung der vom FSB entwickelten Grundsätze für verantwortungsvolle und nachhaltige Vergütungssysteme verpflichtet. Das von der BaFin Ende Dezember 2009 veröffentlichte Rundschreiben zur Umsetzung dieser Prinzipien und die hierauf fußende Empfehlung der Europäischen Kommission zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor wurde mit dem vom Deutschen Bundestag Ende Juni 2010 verabschiedeten Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen in gesetzliche Regelungen überführt. Aufsichtsrat - Kontrolleur, Begleiter und kompetenter Sparringspartner "Wenn man weiß, dass man von der Sache nichts versteht, sollte man die Aufgaben nicht akzeptieren oder sich anderweitig den für die Kontrolle notwendigen Sachverstand einkaufen", so zutreffend der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie in seinem Gutachten zur Reform der Bankenregulierung und Bankenaufsicht nach der Finanzkrise.6) Fachliche - an den Bedürfnissen eines Unternehmens ausgerichtete - Qualifikation von Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsratsmitgliedern stellt eine unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Überwachung und Beratung der Geschäftsführung dar. Die Verpflichtung zur sachgemäßen Aufsichtsratsarbeit umfasst auch, das erforderliche zeitliche Engagement aufzubringen. Denn eine Folge der Krise zeichnet sich bereits deutlich ab: Die Mitglieder des Aufsichtsrates werden sich künftig intensiver mit dem Unternehmensgeschehen befassen müssen, als es bislang vielfach üblich war. Deutschland ist im Hinblick auf diese Anforderungen regulatorisch bereits gut aufgestellt: Die in der letzten Legislaturperiode gesetzlich geregelte Maßgabe, Organmitglieder müssen zuverlässig sein und die zur Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion erforderliche Sachkunde besitzen, kodifiziert zwar im Grunde eine Selbstverständlichkeit; zugleich setzt sie aber internationale Vorgaben um. Und dem Thema verfügbare Zeit eines Aufsichtsratsmitglieds wird durch die neue Höchstgrenze von bis zu fünf Kontrollmandaten bei beaufsichtigten Unternehmen Rechnung getragen. Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt darüber hinausgehend eine Höchstgrenze von bis zu drei Mandaten in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften. Diese Empfehlung schließt nach der Änderung des Kodex im Mai 2010 künftig auch Mandate in Aufsichtsratsgremien von nicht-börsennotierten konzernexternen Unternehmen ein, die vergleichbare Anforderungen an deren Mitglieder stellen. Verantwortung und Haftung Etwaigen Interessenkonflikten bei börsennotierten Gesellschaften beugt die mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) in das Aktiengesetz eingefügte Bestimmung vor, der zufolge ein Wechsel ehemaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat derselben börsennotierten Gesellschaften erst nach einer zweijährigen "Cooling-off"-Periode zulässig ist. Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn die Wahl auf Vorschlag von Aktionären erfolgt, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft innehaben. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass ehemalige Vorstandsmitglieder nicht über den Aufsichtsrat sachwidrigen Einfluss auf ein Leitungsorgan ausüben. Hinzu tritt, dass bei Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform, maximal zwei ehemalige Geschäftsleiter zu Mitgliedern des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellt werden dürfen. Beim berechtigten Bestreben, die Aufsichtsratsarbeit verbessern zu wollen, sollte jedoch nicht die organisatorische und funktionale Trennung von Aufgaben und Verantwortung zwischen Aufsichtsrat (Beratung und Überwachung) und Vorstand (Unternehmensleitung) verwischt werden. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben für die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben einzustehen und nicht für Managementfehler der Geschäftsleitung. Die Europäische Kommission stellt in ihrem Grünbuch zur Diskussion, sowohl die zivilals auch die strafrechtliche Verantwortung der Mitglieder der Geschäftsleitung und des Verwaltungs- beziehungsweise Aufsichtsorgans zu verschärfen. In Deutschland sieht der Diskussionsentwurf der Bundesministerien der Finanzen und der Justiz für ein Restrukturierungsgesetz bereits die Verlängerung der Verjährungsfrist von Ersatzansprüchen gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von börsennotierten Aktiengesellschaften beziehungsweise Banken von fünf auf zehn Jahre vor. Hält man sich die geltende Rechtslage vor Augen, so scheint eine solche Verschärfung der Haftung zumindest in Deutschland nicht gerechtfertigt. Das Aktienrecht sieht bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bereits eine gesetzliche Umkehr der Beweislast vor. Das pflichtwidrige Verhalten des Organmitglieds wird danach vermutet. Zur Abwendung einer Ersatzpflicht muss das betreffende Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied nachweisen, dass es die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat (wobei dahingestellt sei, wie das in der Praxis funktionieren soll). Hinsichtlich der empirischen Grundlagen für die Forderung erstaunt, dass aus der Praxis kein Fall bekannt ist, bei dem die Durchsetzung von Ersatzansprüchen an der geltenden fünfjährigen Verjährungsfrist gescheitert wäre. Nachhaltige Vergütungssysteme Einerseits steht außer Frage, dass sich Leistung "lohnen muss". Ebenso ist andererseits aber auch klar, dass Unternehmensleitungen in schlechten Zeiten auch den Misserfolg gegen sich gelten lassen müssen. Vor allem unter Risikogesichtspunkten scheinen die vom FSB, der Europäischen Kommission und vom deutschen Gesetzgeber verfolgte Zielsetzungen sachgerecht, bei Vergütungssystemen auf eine noch stärkere Verankerung von Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung und entsprechendem Risikocharakter zu achten. Das heißt konkret: Ergebnisabhängige Vergütungen sollten das übernommene Risiko berücksichtigen. Wie die von der Europäischen Kommission durchgeführte Evaluation von zwei Empfehlungen zu Vergütungsfragen zeigt, ist Deutschland auch in diesem Bereich schon gut aufgestellt. So zählt die Bundesrepublik zu den 16 EU-Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Vergütungspolitik getroffen haben. Dass diese Thematik im Grünbuch erneut zur Diskussion gestellt wird, ist deshalb verfrüht. Die auf nationaler Ebene gerade erst eingeleiteten beziehungsweise getroffenen Vorkehrungen sollten sich erst bewähren können, bevor neue Regulierungen ins Auge gefasst werden. Vielmehr sollte zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen mit Nachdruck darauf hingewirkt werden, dass nicht nur in der EU, sondern auch darüber hinaus vergleichbare Grundsätze für Vergütungssysteme aufgestellt und auch in der Praxis gelebt werden. Selbstbewusstes Eintreten für den deutschen Status quo In der mit dem Grünbuch eingeleiteten Diskussion gilt es, selbstbewusst für den deutschen Status quo bei der Corporate Governance in Finanzinstituten einzutreten. Die auf nationaler Ebene im Gefolge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance können - gerade im Hinblick auf die Arbeit des Aufsichtsrats - eine Blaupause für den EU-Gesetzgeber darstellen. Natürlich wird es entscheidend darauf ankommen, dieses Leitbild in der Praxis mit Leben zu erfüllen. Schließlich darf nicht vergessen werden: Alle Maßnahmen zur Vermeidung systemischer Krisen - von Vorgaben für höheres Eigenkapital und Liquidität bis hin zu einem Verfahren zur Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen des Finanzsektors dürfen den Unternehmen nicht die Luft zum Atmen nehmen. Hier kommt es darauf an, aus unterschiedlichen regulatorischen Initiativen und Ansätzen ein kohärentes Regelwerk "aus einem Guss" zu formen, ohne dass Banken an der Erfüllung ihrer Kernaufgaben gehindert werden. Für diese gilt: Risikobewertung wird auch weiterhin im Zentrum des Geschäfts von Kreditinstituten stehen - und dort stehen müssen, soll die Marktwirtschaft funktionieren. Fußnoten 1)OECD, Corporate governance and the financial crisis - Conclusions and emerging good practices to enhance implementation of the Principles, Februar 2010. 2)Basel Committee on Banking Supervision, Consultative Document: Principles for enhancing corporate governance, März 2010. 3)KOM (2010) 284 endg. 4)KOM 2010 (301) endg. 5)Siehe hierzu Seibert, DB 2009, 1167, 1167ff. 6)Wissenschaftlicher Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Reform von Bankenregulierung und Bankenaufsicht nach der Finanzkrise, Juni 2010, Seite 38.

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