Gespräch des Tages

Eigenkapitalquoten - Erstaunliches Wirkungsspektrum

Wenn die von den internationalen Regulatoren angedachten Eigenkapitalvorschriften für die Finanzwirtschaft wirklich eingeführt werden, stürzt allein diese Maßnahme die Weltwirtschaft in eine weitere Delle. So lautet vielleicht ein wenig überspitzt formuliert die Botschaft einer Studie des internationalen Bankenverbandes IIF aus dem Juni dieses Jahres. Gleich um gut drei Prozent, so die düstere Befürchtung, könnte die Wirtschaftsleistung in wichtigen Regionen der Welt über die kommenden fünf Jahre geschmälert werden, wenn die Mindesanforderungen an die Kernkapitalquote gegenüber dem jetzigen Stand um zwei Prozentpunkte angehoben würde. Jährlich bis zu 0,6 Prozentpunkte des BIPs könnte eine solche Maßnahme in den USA, Europa und Japan kosten. Und die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze könnte durch solche Eigenkapitalanforderungen in einer Größenordnung von bis zu zehn Millionen niedriger liegen als ohne diese Maßnahmen.

Mitte August hat die beim Financial Stability Board (FSB) angesiedelte Macroeconomic Assessment Group (MAG) nun die Relationen aus ihrer Sicht erheblich zurechtgerückt. Eine Erhöhung der Kapitalanforderungen um einen Prozentpunkt wird dieser Studie zufolge auf längere Sicht lediglich Wachstumseinbußen von 0,08 Prozent nach sich ziehen, und die neuen Liquiditätsanforderungen könnten allenfalls Auswirkungen in ähnlicher Dimension haben. In der Gesamtwirkung nach vier Jahren sei lediglich von Wachstumseinbußen in einer Größenordnung von 0,38 Prozent auszugehen. Denn zum einen sei anzunehmen, dass die Banken die Regulierungsmaßnahmen durch eine Anhebung der Zinssätze im Kundengeschäft und/oder eine Herabstufung ihrer Ansprüche an die EK-Rendite auffangen würden. Und zum anderen planten die Regulatoren ohnehin wachstumsschonende Übergangsfristen für die Einführung neuer Eigenkapitalregeln.

Trotz des bemerkenswert breiten Spektrums der möglichen Auswirkungen aus Sicht des IIF und der FSB sind solche Bewertungsunterschiede durchaus lebensnah. Gutachten verschiedener Interessengruppen zu ein und demselben Sachverhalt können manchmal erstaunlich stark voneinander abweichen. Zuweilen können sie sogar die Basis zu geradezu entgegengesetzten Folgerungen und Forderungen sein, so lehrt es die Praxis aus allen möglichen Lebensbereichen. Denn bekanntlich sind die zugrunde liegenden Prognosen in hohem Maße davon abhängig, welche maßgeblichen Parameter man einbezieht und/oder mit welchen Gewichten man sie berücksichtigt. Analysieren zwei Parteien mit unterschiedlicher Interessenlage ein und dieselbe Sachlage, darf man deshalb von vornherein annehmen, dass sie die ihnen besonders wichtig erscheinenden Einflussfaktoren in ihrem Sinne mit einem gewissen Sicherheitsspielraum einkalkulieren.

Führt die Betrachtung freilich zu solch unterschiedlichen Ergebissen wie das derzeit in der Debatte um die realwirtschaftlichen Auswirkungen der künftigen Eigenkapitalquoten für die Kreditwirtschaft der Fall ist, wirft das im regulatorischen Bereich eine höchst interessante Anschlussfrage auf. Wie stark kann man sich in der auch von der BaFin so sehr propagierten qualitativen Aufsicht auf die internen Modelle der Banken verlassen? Bei solchen Differenzen in der Einschätzung der Effekte wichtiger volkswirtschaftlicher Größen darf man als Außenstehender nur auf einen großen Sachverstand der Regulatoren hoffen. Jedenfalls verschafft es bei allen bedenklichen Tendenzen zur Bürokratisierung großer Kontrollinstanzen eine gewisse Beruhigung, wenn die Regulatoren im Zweifel die Modelle verstehen, mit denen die Banken in der eigenen Gesamtbanksteuerung und künftig auch mehr als bisher in aufsichtsrechtlichen Belangen operieren. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle tut offenbar not.

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