Aufsätze

Die fetten und die mageren Jahre - Betrachtungen zum Deficit Spending

Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Das ist eine alte Volksweisheit. In ihr genaues Gegenteil verkehrt, wird sie durch die Irrlehre der Epigonen des berühmten Nationalökonomen und Notenbankpräsidenten der Bank of England, John Maynard Keynes, unter das Volk gebracht. Ihre Heilsbotschaft lautet: Verschulde dich in der Not, dann musst du dich weder krumm legen noch "kaputtsparen". Der Occupy-Guru, David Graeber, hat einen Bestseller geschrieben. Der Titel des Buches: "Schulden - die ersten 5000 Jahre"1). Er lässt sich selbst als Anarchist bezeichnen und folgt einer Parole der Studentenbewegung von 1968: "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Allen Ernstes verbreitet Graeber die bizarre These, Darlehen, die man aufgenommen habe, müsse man nicht zurückzahlen. Denn die Wirtschaft sei grundsätzlich auf den Tauschhandel ausgerichtet. Die ganze Welt staunt und kauft das Buch, das in viele Sprachen übersetzt wurde. Und in den Talkshows wird der Autor beinahe schon als Universalgenie gefeiert.2)

Griechenland steht unterdessen vor der Frage, ob es dem Beispiel Argentiniens folgend, der Occupy-Antithese: "Pacta non sunt servanda" - Verträge müssen nicht eingehalten werden - wirklich folgen und die aufgetürmten Staatsschulden nicht mehr zurückzahlen soll, die das jährliche Bruttoinlandsprodukt bei Weitem übersteigen. In Irland ist man anderer Ansicht. Die Iren haben als einziges Land in Europa in einem Referendum - wenn auch bei schwacher Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent - den Fiskalpakt mit überzeugender Mehrheit von über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen.3)

Der Pakt zwingt dazu, die Staatsausgaben grundsätzlich durch Steuereinnahmen zu finanzieren: Das Staatsvolk soll der eigenen Verfassung wegen von Anfang an davor bewahrt werden, unter der Last aufgetürmter Schulden von den öffentlichen Händen erdrückt zu werden.

Vorratswirtschaft im alten Ägypten

Greift man so tief in die Geschichte zurück wie David Graeber, stößt man auf die Geschichte über die sieben fetten und die sieben mageren Jahre im Alten Testament, die sich in Ägypten zutrug. Joseph, der Sohn Jacobs, kam auf wunderbare Weise aus dem Gefängnis heraus und wurde zum Pharao geführt, um ihn von seinem quälenden Albtraum über den siebenjährigen Wechsel zwischen Überfluss und der Hungersnot zu befreien. Joseph tat das und gab dem Pharao den Rat, wie er im Buch Exodus, Kap. 41, Vers 33ff., überliefert ist.

"Es sehe sich der Pharao nach einem verständigen und weisen Mann um und setze ihn über das Land Ägypten! Der Pharao möge auch Aufseher über das Land einsetzen und vom Ägypterlande den fünften Teil in den sieben Jahren der Fülle erheben lassen! Diese sollen den gesamten Speisevorrat der sieben kommenden guten Jahre sammeln und das Getreide zur Verfügung des Pharao als Vorrat in den Städten aufspeichern und gut aufbewahren. Dieser Vorrat wird dann dem Lande für die sieben Hungerjahre, die über das Ägypterland kommen, als Rücklage dienen. So wird das Land die Hungersnot überstehen."

Die schlichte Vorratswirtschaft - wie sie Joseph dem Pharao vorschlug - war eigentlich ein simpler und nahe liegender Gedanke. Aber schon im alten Ägypten musste erst Joseph aus dem Gefängnis befreit und selbst auf wunderbare Weise vom Pharao als Ministerpräsident über alle Ägypter gesetzt werden, um die wirtschaftliche Vorsorge tatsächlich in Gang zu bringen und dauerhaft durchzusetzen. Genauso verhält es sich in Europa. Viele der "weisen und verständigen Männer" an der Spitze der Staaten sind nicht bibelfest und erkennen nicht, worum es geht. Die Populisten unter ihnen versprechen sogar weiter Brot und Spiele.

"Zwangssparen"

Dann aber kommt es umgekehrt. Die sieben mageren Jahre lassen nicht auf sich warten. Es entsteht Not, bittere Not sogar, die in Teilen der Bevölkerung zur Hungersnot wird. Die Kassen des Staates sind leer. Und wer könnte in einer solchen Notlage denn sparen oder sogar für noch schlechtere Zeiten vorsorgen? Alle Ökonomen auf der Welt von Krugman bis Stiglitz, von Otte bis Bofinger, sind sich über die Binsenweisheit einig, dass man in der Not nicht mehr sparen kann und in mageren Jahren das Wachstum - ohne Rücksicht auf steigende Schulden - angekurbelt werden muss. Doch wächst das Gras nicht schneller, wenn man daran zieht. Woher das Geld für das "deficit spending" kommen soll, lassen die Sachverständigen und Wirtschaftsweisen offen, phänomenblind, wie sie nun einmal sind. David Graeber würzt das unlösbare Dilemma sogar mit dem Hinweis auf den drohenden Bankrott. Weil die aufgetürmten Schulden niemand zurückzahlen könne, und weil die Geldentwertung das ohnehin erledige, könne man die bestehenden Schulden genauso gut einfach streichen. "Extra posse nemo obligatur" - Was man nicht vermag, kann niemand verlangen.

Doch zu solchen Konditionen bekommt man nirgends Kredit. Dann bleibt nichts anderes übrig als sich damit abzufinden, dass die Kassen leer sind und dass man sich in der Not alternativlos nach der Decke strecken muss, so bitter und so grausam dieses "Zwangssparen" auch sein mag.

Magie mit Worten

Die Volkswirtschaftslehre ist eine "scientia rerum politicarum". Hier geht es um die "res publica" - die öffentlichen Interessen4) und nicht um angewandte Mathematik, auch nicht um eine gleichsam naturgesetzliche Mechanik von Angebot und Nachfrage, die sich im freien Spiel der Marktkräfte entfaltet, das man nicht stören soll. Musste etwa in Kriegszeiten über die "Öffentliche Sache" besonders schnell entschieden werden, verzichtete der römische Senat in der Antike sogar auf den Parlamentsvorbehalt: "Consules videant, ut res publica detrimentum non capiat." Die beiden Konsulen mögen im täglichen Wechsel dafür sorgen, dass die öffentlichen Angelegenheiten, dass der Staat keinen Schaden nehme.

Das "deficit spending" - also die systematische Abkehr von Spartätigkeit und Vorratswirtschaft - hielt als ökonomisches Modewort zum ersten Mal 1976 in eine Regierungserklärung Einzug. Es war Helmut Schmidt, der zu seinen Amtsantritt als Bundeskanzler der 8. Legislaturperiode (1976 bis 1980) John Maynard Keynes öffentlich erwähnte, um damit seine Auffassung zu untermauern, dass man beizeiten Schulden machen müsse, dass Sparsamkeit gestrig, bieder, und altmodisch sei.5) Finanzminster Matthöfer ließ sich 1980 sogar auf dem Titelblatt der auflagenstarken Mitgliederzeitung: "metall" mit der Schlag zeile abbilden: "Ohne Schulden ist kein Staat zu machen".6)

Franz Josef Strauß - in der 5. Legislaturperiode (1964 bis 1969) selbst Finanzminister - trat Bundeskanzler Schmidt entgegen. Der starke Mann aus Bayern kannte die Versuchungen des "deficit spending" nur zu gut. Gestützt auf den magisch klingenden Namen von John Maynard Keynes wird die "schwäbische" Sparsamkeit lächerlich gemacht und herabgesetzt.

Bei der Aufstellung der Haushalte ist dann die Bahn frei, um in den fetten Jahren aus dem Vollen zu schöpfen. Mit drastischen Worten stemmt sich Strauß dem Zeitgeist entgegen: Ein Hund könne sich keinen Wurstvorrat zulegen. Hunde würden nicht beizeiten sparen, sondern alles immer und sofort auffressen. Das "deficit spending" könne daher nicht funktionieren. Man würde zwar in den mageren Jahren Schulden machen, in den fetten Jahren aber nicht sparen. Am Ende würden die Schulden durch Geldentwertung beseitigt oder gar nicht zurückgezahlt.

Reichskanzler-Brüning-Politik

Indessen war John Maynard Keynes keineswegs so töricht und dumm, wie man annehmen könnte. Er machte energisch gegen den Versailler Friedensvertrag mit seinen unerfüllbaren Reparationsforderungen Front.7) Damit kam er auf den Punkt, um den es damals wirklich ging: die unerfüllbaren Reparationsforderungen der Siegerstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg, von denen man sich, wie er forderte, verabschieden müsse.

Reichskanzler Brüning hatte gar keine andere Wahl. Noch mehr Schulden als das Deutsche Reich in Gestalt der Reparationslasten ohnehin schon hatte, konnte er nicht gar machen. Für ein solches "deficit spending" standen überhaupt keine Geldgeber zur Verfügung. Wenn heute die Nationalökonomen die Austerity-Politk von Brüning trotzdem in Grund und Boden verdammen, und das tun die meisten von ihnen, dann pflegen sie damit nur ihr offenkundiges Defizit an historischen Kenntnissen.

Wer bestellt, bezahlt!

Staaten, die wie Griechenland vor dem Bankrott stehen, befinden sich in einer ganz anderen Situation als die Weimarer Republik unter Brüning. Unerfüllbare Reparationslasten gibt es nicht. Mitten im Frieden können sie keine Geldgeber mehr finden, die bereit sind, ihre Ausgaben zu finanzieren. So einfach ist das. Übersteigen die Schulden das Bruttoinlandsprodukt, droht der Staatsbankrott. Und wer ihn riskiert, bekommt ihn am Ende auch. Wenn die Nationalökonomen zu noch mehr Schulden, zum "deficit spending" raten, weil man das Land in der Not nicht "kaputtsparen" dürfe, dann bleiben sie die Antwort schuldig, wer das bezahlen soll.

Die Sparunfähigkeit der Regierungen ist die Achillesferse der Demokratie. Deshalb muss sichergestellt werden, dass die beschlossenen Staatsausgaben immer und zeitgleich durch Steuern gegenfinanziert werden. Das muss in den Verfassungen der Eurozone verankert werden. Die Staatsverschuldung führt dazu, dass die Legislaturperiode, in denen die Ausgaben beschlossen werden, nicht mit der Legislaturperiode übereinstimmt, in der sie zu bezahlen sind. Ist Aufschub ausgeschlossen, müssen alle Wahlgeschenke zeitgleich auch bezahlt werden. Kann man niemanden darüber hinwegtäuschen, wer die Zeche "berappen" muss, will das vermeintliche "Freibier" niemand haben. Also, wer bestellt, bezahlt - und zwar sofort.

In Baden-Württemberg, wo die für ihre Sparsamkeit berühmten Schwaben sesshaft sind, will man eine Schuldenbremse in der Verfassung des Landes niederlegen.8) Rheinland-Pfalz hat das schon getan.9) Gewiss sind das gute Anzeichen für einen säkularen Wandel des Zeitgeistes. Bayern hat dagegen seine Chancen verpasst, die überwältigenden Mehrheiten im Landtag für eine Änderung der Verfassung zu nutzen und einen entsprechenden Schuldendeckel einzuführen.10) Der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber leitete stattdessen eine drakonische Sparpolitik ein, die ihn am Ende das Amt kostete. Hätte man nur die Verfassung geändert, wäre weniger viel mehr gewesen und man hätte auch die Opposition ins Obligo genommen.

Im Bund besagte Art. 115 GG in seiner ursprünglichen Fassung von 1949, dass die Staatsschulden die investiven Ausgaben nicht übersteigen dürfen. Damit konnte man leben und damit lebte man auch ganz gut. Doch dann wollte man es anders haben. In Zeiten der Wachstumsschwäche sollte niemand auf das moderne Instrument des "deficit spending" verzichten. Dem Zeitgeist folgend wurde die Schuldenbremse in der Verfassung verwässert. Ein fataler Fehler, der erst viele Jahre später durch die Wiedereinführung einer neuen und rigoroseren Schuldenbremse rückgängig gemacht wurde.11)

Dieses im Ansatz sehr erfreuliche Umdenken, das sich jedenfalls anfangsweise abzeichnet, findet im europäischen Fiskalpakt seine Fortsetzung. Der Pakt wird wahrscheinlich verabschiedet werden. Irland hat das in einem Referendum bereits getan.12) Das ist gut so. Doch wer weiß es? Wird der Pakt auch eingehalten? Oder bleibt er ein Stück Papier wie die Verträge von Maastricht?

Die Fabel von der Grille und der Ameise

Der Bestseller, den David Graeber geschrieben hat, ist in aller Munde. Lange vor ihm hat Jean de La Fontaine ein kleines Buch verfasst. Anders als Graeber kommt La Fontaine in seinen Tierfabeln mit wenigen Sätzen aus, die von leuchtender Schönheit sind. Daraus ist die Fabel von der Grille und der Ameise die bekannteste:

Die Grille, nachdem sie den ganzen Sommer lang gesungen hatte, fand sich ohne jegliche Nahrung, als der Nordwind kam. Nicht ein einziges Stück zu essen. Nichts, keine Fliege und kein Würmchen. Sie ging hungrig zu ihrer Nachbarin, der Ameise, und bettelte darum, ihr einige Krümel zu leihen, um bis zum Frühjahr zu überleben. "Ich zahle Dir alles zurück", sagte sie. "Noch vor August! Mein Ehrenwort! Mit Zinsen und Kapital". Doch die Ameise war kein Kreditgeber. Und dies war noch der geringste ihrer Fehler. "Was hast Du denn an den warmen Tagen gemacht?" fragte sie den Bittsteller. "Tag und Nacht, habe ich doch für alle anderen gesungen ... wenn Du es genau wissen willst." "Schau einer an, Du hast gesungen? Das amüsiert mich nun wirklich sehr. Aber sei's drum! Dann kannst Du ja jetzt tanzen!"

Anmerkungen

1) Vgl. dazu: www.klett-cotta.de/schulden.

2) So im ZDF bei Maybrit Illner in ihrer Talkshow vom 24. Mai 2012.

3) Vgl. die Medien-Berichterstattung des Tages über das Abstimmungsergebnis vom 1. Juni 2012.

4) Stattdessen gilt die Gewinnmaximierung nach wie vor als Dreh- und Angelpunkt der Betriebs- wie der Volkswirtschaftslehre, die ja unmittelbar in das Desaster der Finanzkrise von 2008 geführt hat. Doch haben die Mikro- und die Makroökonomen "nichts vergessen und nichts dazu gelernt".

5) Vgl. Regierungserklärung von 1976, amtliche Druckschrift des Bundespresseamtes.

6) Vgl. "metall" vom 20. August 1980.

7) Vgl. The Economic Consequences of the Paece, London 1919. (Deutsch: Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages, Duncker & Humblot, München 1920.)

8) Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 1. Juni 2012: "Neue Schuldenbremse". Das strukturell bedingte Defizit des Landes von 2,5 Milliarden Euro soll bis 2020 getilgt werden.

9) Vgl. Art. 117 der rheinland-pfälzischen Landesverfassung.

10) Vgl. den zukunftweisenden Antrag des Kreisverbandes Freising auf dem 72. Parteitag der CSU vom 29. September 2007, der darauf abzielte, in die Verfassung Bayerns einen Schuldendeckel nach Art des Art. 115 GG von 1949 aufzunehmen. Er wurde auf Vorschlag der Antragskommission an die zuständigen Parteigremien verwiesen und geriet dort in Vergessenheit.

11) Vgl. dazu BGBL 2009/I, S. 2248. Ferner FAZ vom 12. Juni 2009.

12) Für den Sozialpakt wurden 60,3 Prozent Ja-Stimmen abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent der 3,1 Millionen Wahlberechtigten. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni 2012: "Iren wählen Jahre des Sparens".

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