Aufsätze

Herausforderungen für die Genossenschaftsbanken in Europa

Ebenso wie der deutsche Mittelstand profitieren die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken nachhaltig von dem starken wirtschaftlichen Umfeld und dem Wachstum, das die EU gerade auch in den Regionen generiert. Bei aller Einigkeit zum Ziel, einen europäischen Binnenmarkt zu schaffen, bleiben die deutschen Genossenschaftsbanken der Vision eines Europas der Vielfalt verpflichtet. Dem widerspricht eine bisweilen bei europäischen Institutionen zu beobachtende Hingabe an das Prinzip der Vereinheitlichung. Definieren diese Institutionen ihren Erfolg mit der Zahl der von ihnen auf den Weg gebrachten Richtlinien und Vorschriften, ist der Marsch in den Bürokratismus vorprogrammiert.

Ergebnisoffene Konsultation der Rechtsetzung

Die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken verfolgen eine kreativere Strategie zur Realisierung des gemeinsamen Marktes. Ausgehend von den Prinzipien der Subsidiarität und Selbstregulierung setzen sie auf die Stärkung ihrer marktkonformen, historisch gewachsenen Struktur.

Das von der Europäischen Kommission im Dezember 2005 vorgelegte Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005 bis 2010 eröffnet Erfolg versprechende Ansätze. Wesentliche Bestandteile dieses Weißbuchs sind zum einen das Bekenntnis der Europäischen Kommission zu einer dynamischen Konsolidierung der Fortschritte und der Umsetzung geltender Vorschriften, zum Zweiten die Übertragung der Grundsätze der sogenannten guten Rechtsetzungspraxis mit dem Ziel der "Better Regulation" auf alle Politikbereiche und zum Dritten die Verbesserung der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden in der Europäischen Union.

Zur "Better Regulation" gehört eine umfassende und ergebnisoffene Konsultation aller Marktteilnehmer in laufenden Rechtsetzungsvorhaben, aber auch bei der Überprüfung und Bewertung von bestehendem Recht. Seit 1957 wurden in der Europäischen Union 997 Richtlinien und 2 605 Verordnungen erlassen. Der europarechtliche Normbestand, der "acquis communautaire" beläuft sich auf weit über 80 000 Seiten.

Dem im Oktober von der Europäischen Kommission gefassten Beschluss, im Verlauf der nächsten drei Jahre über 200 grundlegende Vorschriften aufzuheben, zu kodifizieren, neu zu fassen oder zu ändern, kann man nur zustimmen. Es sollte sogar noch mehr Fleiß in diese Richtung aufgewendet werden, denn der Finanzdienstleistungssektor ist von dieser Initiative, die vornehmlich die Abfallwirtschaft oder das Baugewerbe entlasten soll, trotz seiner unerträglich hohen Regulierungsdichte nicht betroffen. Eine Entlastung der Kreditwirtschaft und hier insbesondere der aufgrund ihrer mittelständischen Struktur besonders betroffenen Genossenschaftsbanken sollte höchste Priorität haben.

Nachhaltige Belebung des Wettbewerbs

Der von den europäischen Institutionen geschaffene integrierte europäische Finanzmarkt hat bereits in seinem gegenwärtigen Stand der Implementierung den Wettbewerb nachhaltig belebt. So hat sich in den vergangenen Jahren die Zahl der in Deutschland tätigen ausländischen Banken ständig erhöht. Schlanke Strukturen und innovative Produkte werden als maßgebliche Grundlage für Zuwachsraten gesehen.

Immer größere Banken werden nach Deutschland, Europas attraktivstem Privatkundenmarkt, drängen. Es ist eine Herausforderung, die Qualität des genossenschaftlichen Geschäftsmodells, das dezentrales Unternehmertum mit gebündelter Produktkompetenz verbindet, unter Beweis zu stellen. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind zum einen herausgefordert, mit standardisierten Produkten und schlanken Produktions- und Abwicklungsprozessen preisgünstige Angebote zu liefern. Dabei setzen sie auf Arbeitsteilung, um Leistungen durch die Nutzung von Skaleneffekten effizienter zu erbringen.

Zum anderen lautet das Gebot der Stunde, auf unterschiedlichen Kanälen den Vertrieb zu stärken. Wichtig ist dabei eine kritische Analyse der eigenen Dienstleistungen, denn die Erfolge ausländischer Wettbewerber sind nicht unbedingt allein durch externe Faktoren begründet. Der genossenschaftliche Finanzverbund sorgt auf breiter Ebene sowohl im Vertrieb als auch in der Produktentwicklung für Strukturen, die ein bestmögliches Eingehen auf die Bedarfe und Wünsche der Bevölkerung an Finanzdienstleistungen gewährleistet. Mit diesen Voraussetzungen kommt die wahre Stärke - dezentrale Strukturen und unternehmerische Entscheidungen unter Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort - zu voller Schlagkraft.

Bedürfnisse regionaler Banken berücksichtigen

Bei der Bewältigung dieser unternehmerischen Aufgaben kommt es ganz entscheidend darauf an, dass der von Gesetzgebung und Regulierung vorgegebene Rahmen der genossenschaftlichen Bankengruppe mit ihrem Geschäftsmodell des dezentralen Unternehmertums Rechnung trägt. Das gilt insbesondere für die Vorgaben auf Brüsseler Ebene: Zum einen muss der Rahmen für den europäischen Finanzbinnenmarkt wie jede Regulierung effizient sein und auf das Nötigste beschränkt bleiben. Vor allem aber muss die Architektur des einheitlichen europäischen Finanzmarktes den Bedürfnissen regionaler Banken Rechnung tragen, die allein auf einem nationalen Markt tätig sind.

Zum anderen muss für die Volksbanken und Raiffeisenbanken als Gruppe dezentraler privater Banken hinreichend Raum für eine Zusammenarbeit bleiben, damit sie sich auf den Finanzbinnenmarkt mit einem verschärften Wettbewerb international tätiger Banken einstellen können.

Und schließlich muss der nationale Gesetzgeber jede Überregulierung und Verschärfung europäischer Normen durch "Goldplating" vermeiden, um jeder "Regulierungsarbitrage" die Grundlage zu entziehen. Das hatte sich etwa in Bayern gezeigt, wo ausländische Institute weniger strenge Offenlegungspflichten bei Krediten als Wettbewerbsvorteil nutzen konnten. Diese Ansprüche des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) an die Finanzmarktregulierung setzen voraus, dass Initiativen, die in Brüssel oder auf globaler Ebene (Baseler Ausschuss, IASB) eingeleitet werden, frühzeitig erkannt und auf deren Relevanz für die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken durchleuchtet werden.

Mehrstufigkeit der Gesetzgebungstätigkeit

Konkret müssen daher die Entwicklungen in vielen verschiedenen Kernbereichen (Bank- und Wertpapieraufsicht, Verbraucherschutz, Zahlungsverkehr, Wettbewerb oder Rechnungslegung) ständig begleitet werden. Die neue Mehrstufigkeit der Gesetzgebungstätigkeit auf europäischer Ebene (Lamfalussy-Verfahren), die Ausschüssen von Aufsehern (CEBS im Bankaufsichtsrecht - London; CESR im Wertpapierrecht - Paris) eine Schlüsselrolle zumisst, macht diese Aufgabe noch komplexer. Wenn festgestellt wird, dass die in Entstehung befindliche Gesetzgebung das Geschäftsmodell des dezentralen Unternehmertums zu diskriminieren droht, sind konkrete Maßnahmen der Interessenvertretung erforderlich.

Der BVR agiert dabei in vielfältiger Weise. Zum einen ist der BVR mit einem eigenen Vertreter in Brüssel vor Ort, um die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den europäischen Institutionen zu vertreten. Nicht selten wirbt der BVR gemeinsam mit den anderen Vereinigungen der deutschen Kreditwirtschaft im ZKA auch in Brüssel für seine Vorschläge in gezielten gemeinsamen Aktionen. Eine weitere wesentliche Plattform ist die Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken (European Association of Cooperative Banks - EACB). Die EACB ist anerkannter Gesprächspartner der europäischen Institutionen und CEBS, sie steht auch im Kontakt mit dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und dem International Accounting Standards Board in London. Über die EACB ist der BVR auch in EBIC (European Banking Industry Committee) vertreten, einem europäischen ZKA. Auf diese Weise verfügt er über vielfältige Sensoren und Kanäle, um Entwicklungen früh zu erkennen und zu beeinflussen.

Better Regulation

Der BVR macht sich dafür stark, dass das bereits in einigen europäischen Staaten erfolgreich eingesetzte Standardkostenmodell zur Bürokratiekostenmessung sowie die Einrichtung eines unabhängigen Normenkontrollrates zur Überprüfung der kostenmäßigen bürokratischen Auswirkungen von Rechtsetzungsvorhaben und geltenden Vorschriften auch auf EU-Ebene Anwendung finden. Diese Modelle könnten an die begrüßenswerte Initiative der Europäischen Kommission anknüpfen, die europäische Gesetzgebung kohärenter zu gestalten und die hohen Kosten ihrer Implementierung zu senken.

Die Agenda der Europäischen Kommission zur besseren Rechtsetzung "Better Regulation" muss konsequent angewendet und weiter entwickelt werden. Hierzu gehören unter anderem eine umfassende und ergebnisoffene Konsultation der Marktteilnehmer und sorgfältige und frühzeitige wirtschaftliche Folgenabschätzungen. Im Vorfeld sind auch Möglichkeiten einer effektiven Regulierung mittels Marktlösungen oder Selbstverpflichtungen zu prüfen.

Weitere Hauptforderungen sind: Beschränkung des Detaillierungsgrades der Regelungen, Verbesserung der Verfahrenstransparenz und Berücksichtigung der besonderen Eigenschaften nationaler Märkte. EBIC, die gemeinsame Plattform der Europäischen Verbände der Kreditwirtschaft, hat in diesem Frühjahr eine internationale Konferenz zum Thema "Better Regulation" organisiert, um weitere Impulse zu geben, und wird dieses Thema auch mit Nachdruck weiter verfolgen.

Aufsichtsrecht

Die für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken wohl bedeutendsten Rahmenvorgaben erfolgen im Bereich des Aufsichtsrechts: Bankaufsicht und Wertpapieraufsicht. Hier hat es in den vergangenen Jahren erhebliche Entwicklungen gegeben und mit Basel II und der Mi FID wurden hier neue Maßstäbe gesetzt, die als "State of the Art" gelten, aber einen hohen Komplexitätsgrad besitzen.

Gerade im Bereich des Aufsichtsrechts geht es darum sicherzustellen, dass Regeln sich nicht allein am Maßstab großer internationaler Banken orientieren, sondern auch von regionalen Banken angewendet werden können. Der Leitgedanke lautet hier Proportionalität - also Verhältnismäßigkeit: Kleinere Banken mit überschaubaren
Strukturen, einem wenig komplexen Geschäft und einem relativ überschaubaren Volumen benötigen auch einen weitaus weniger komplexen Rechtsrahmen als ein Finanzkonglomerat, das auf mehreren Kontinenten tätig ist. Der BVR arbeitet konsequent am Proportionalitätsgedanken und hat bereits dazu beigetragen, ihn in der Basel-II-Richtlinie zu verankern. Im Frühjahr dieses Jahres hat die Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken federführend mit anderen Verbänden einen ganztätigen Gedankenaustausch mit dem CEBS-Präsidium zu diesem Thema organisiert.

Diese Bemühungen zeigen immer mehr Resultate: Bei den jetzt beginnenden Überlegungen zu den Großkreditregeln werden auch von offizieller Seite verschiedene Standards für größere und kleine Banken angedacht. Es wurde auch erreicht, das Ebic in einem Schreiben an die Kommission diesen Weg ausdrücklich unterstützt.

Wegweisend: Null-Gewichtung gruppeninterner Forderungen

Wegweisend für die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken war sicherlich die Verankerung einer Null-Gewichtung gruppeninterner Forderungen in der Basel II-Richtlinie, die nachhaltig betrieben wurde. Auf diese Weise ist es möglich, das gute Rating der Banken und die Möglichkeiten der Sicherungseinrichtung endlich auch bankaufsichtsrechtlich zu nutzen. Mit der Validierung des Modells durch die Ba Fin wurde nun auch die letzte maßgebliche Schwelle überwunden und eine neue Perspektive für die Bankengruppe geschaffen.

Die Umsetzung der Mi FID stellt insbesondere wegen der sehr kurzen, ja wohl zu kurzen Umsetzungsfrist, die ganz zu Lasten der Institute geht, eine besondere Herausforderung dar. Der BVR unterstützt mit dem Projekt "Umsetzung Mi FID im Finanzverbund" die Mitgliedsbanken und hierbei insbesondere die Primärbanken. Dies bedeutet, dass die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen nach Möglichkeit zentral im Rahmen des Projektes vorbereitet werden, sodass der eigene Umsetzungsaufwand für jedes Institut möglichst gering ist.

Durch die Vermeidung von Doppelarbeiten sollen für die Mitgliedsbanken Synergien geschaffen und letztlich Kostenersparnisse erzielt werden. Mit diesem Projekt wird es insbesondere kleineren und mittelgroßen Häusern ermöglicht, trotz zusätzlicher regulatorischer Anforderungen weiterhin das Wertpapier- und Derivategeschäft zu wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten zu können.

Wert des genossenschaftlichen Unternehmertums verdeutlichen

Einige Vertreter auf dem europäischen Parkett betrachten die genossenschaftlichen Prinzipien der Volksbanken und Raiffeisenbanken, wie Kopfstimmrecht, Erwerbsbeschränkungen und Förderauftrag kritisch. Eine wesentliche Aufgabe seiner Arbeit sieht der BVR daher darin, den Wert des genossenschaftlichen Unternehmertums immer wieder zu verdeutlichen und auf der anderen Seite sicherzustellen, dass Genossenschaften nicht durch ungeeignete Regelungen eingeengt werden. Mit der Europäischen Vereinigung der Genossenschaftsbanken wird daher jährlich ein Kongress der Genossenschaftsbanken durchgeführt, um die besondere Ausrichtung zu erläutern.

Darüber hinaus werden sehr genau die Arbeiten der Kommission im Bereich des Gesellschaftsrechts verfolgt, um zu verhindern, dass der Bewegungsspielraum von Genossenschaften eingeschränkt und die Aktiengesellschaft zum universalen Leitbild im Gesellschaftsrecht wird. Wettbewerbsrecht

Die Mitteilung der Kommission im Anschluss an die Sektor-Untersuchung im Retail-Bankgeschäft vom Januar dieses Jahres hat doch einige Überraschung bei den genossenschaftlichen Banken hervorgerufen und wurde daher mitunter leidenschaftlich kommentiert. Das beruht sicher auch auf den vagen und gleichzeitig pauschalen Aussagen und Andeutungen der Mitteilungen zu der kartellrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit der Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Europa, die natürlich Befürchtungen hervorrufen. Das schadet einem an sich durchaus gerechtfertigten Anliegen.

Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken sich an die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts halten. In der Gruppe werden alle Schritte der Zusammenarbeit gerade auch unter dem Aspekt des Wettbewerbsrechts geprüft, bevor sie überhaupt umgesetzt werden.

Gerade für die Verbraucher ergeben sich viele Vorteile der Zusammenarbeit im Verbund. Erfreulich ist insoweit das zu Anfang dieses Jahres ergangene Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs, zu der Zusammenarbeit zwischen den österreichischen Sparkassen, auch wenn diese in vielen Elementen keinen Vorbildcharakter für den BVR hat. In dieser Entscheidung, die sich auf das Wettbewerbsrecht stützt, wird die durch Verträge begründete Produk-tions-, Vertriebs-, Werbungs-, Spezialisierungs- und Garantiegemeinschaft als für den Verbraucher vorteilhaft angesehen im Sinne einer Verbreiterung und Modernisierung des Angebots, die vor allem kleine Institute sonst nicht finanzieren könnten, als auch für den technischen Fortschritt, der dadurch auf breiterer Basis erzielt werden kann. Auch würden bereits durch den bestehenden Wettbewerb die erzielten Preisvorteile an Kunden weitergegeben werden. Vor diesem Hintergrund bejaht der Oberste Gerichtshof ausdrücklich, dass die Zusammenarbeit dem europäischen Wettbewerbsrecht entspricht. Diese Entscheidung bewertet Verbundsysteme richtig und schafft in dieser Hinsicht die erforderliche Klarheit.

Sachwalter der Dezentralität

Die Beispiele zeigen: Die deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken spielen in Europa aktiv mit. Sie sehen sich als Sachwalter der Dezentralität und der Stärkung der Regionen in Europa. Auf der Grundlage ihrer marktkonformen und wettbewerbsorientierten Struktur stellen sie sich auf die zunehmende Integration der Finanzmärkte in Europa mit einer konsequenten Weiterentwicklung ihres Geschäftsmodells und großer Zuversicht ein.

Dr. Christopher Pleister , Vorsitzender, Appeal Panel, Single Resolution Board, Brüssel
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