Leitartikel

Die neue Rolle des IWF

Die Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds sind immer ein riesiges Spektakel. Tausende von Politikern, Zentralbankern und Bankern aus allen Teilen der Welt treffen sich. Die diesjährige Jahrestagung, die in Washington stattfand, wird vielleicht als eine der aufregenden, aber nicht als eine der wichtigen in die Geschichte eingehen. Das Aufregende und Spannende waren der Streit der Amerikaner über den Bundeshaushalt und die Schuldenobergrenze sowie die Bemühungen, den GAU einer Insolvenz der Vereinigten Staaten abzuwenden. Dagegen ging es in den Gremien des IWF und in seiner Umgebung eher ruhig zu. Es wurden keine weitreichenden Beschlüsse gefasst. Es gab keine Erklärungen, die über den Tag hinaus Bedeutung hätten. Es passierte nichts, was den Gang der weiteren Entwicklung der Weltwirtschaft nachhaltig beeinflussen wird. Das ist angesichts des gegenwärtigen Zustandes der Weltwirtschaft nicht überraschend. Wir leben inzwischen in einer Zeit der Fragmentarisierung der Wirtschaftsentwicklung. Seit zwei Jahren wächst der Welthandel langsamer als die Weltwirtschaft. Die Wirtschaftspolitik wird renationalisiert. Das ist eine ganz neue Erfahrung. Nur wenige hatten damit gerechnet, in jedem Fall nicht in diesem Ausmaß. In Zukunft wird es aber häufiger vorkommen. Damit ändert sich auch die Rolle der internationalen Organisationen, auch die des IWF. Er wird zunehmend zu einem Forum, in dem die Verantwortlichen für die Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik auf internationaler Ebene miteinander sprechen. Er muss dafür sorgen, dass jeder die Rückwirkungen seiner Handlungen auf den anderen kennt und - hoffentlich - auch berücksichtigt. Gehandelt wird aber national. Es gibt keine große Agenda für multinationale Themen. Ausnahme ist lediglich der Abbau der Handelsschranken. Aber das ist das Feld der WTO, nicht des IWF. Natürlich gibt es Bedarf für neue Kredite des IWF. Aber die, die das Geld am nötigsten bräuchten - vor allem Griechenland - haben ihr Konto überzogen. Die internationale Gemeinschaft ist nicht mehr bereit, weitere Mittel für die Europäer bereitzustellen. Unter diesen Umständen war das wichtigste an der diesjährigen IWF-Tagung - jedenfalls aus der Sicht der privaten Finanzmärkte - der Meinungsaustausch über anstehende Fragen. Beim Haushaltsstreit der USA, der inzwischen entschärft, aber noch nicht vorbei ist, war die Meinung klar. Der amerikanische Kongress spielt hier mit dem Feuer. Eine Insolvenz bei US-Staatsanleihen wäre eine Katastrophe. Sie wäre vergleichbar mit der Pleite von Lehman Brothers in 2008. Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Die anstehende Rückführung der Wertpapierkäufe durch die amerikanische Notenbank (das Tapering) wird ein Ritt über den Bodensee. Das gilt sowohl für die Finanzmärkte, die sich inzwischen - leider - mit der hohen Liquidität eingerichtet haben und denen es schwerfällt, sich davon zu verabschieden. Es gilt aber auch für den Rest der Welt, der noch bei Weitem nicht so weit ist, dass er eine Normalisierung der Geldpolitik vertragen könnte. Die Entwicklungs- und Schwellenländer leiden unter Kapitalabflüssen, die den notwendigen Umbau ihres Wachstumsmodells, die Durchführung von Reformen und die Verbesserung ihrer Infrastruktur noch schwerer machen. Die Europäer haben zwar die Rezession verlassen. Eine Normalisierung der Geldpolitik kommt für sie jedoch zu früh. Die Japaner haben gerade erst eine weitere Lockerung der monetären Politik beschlossen. Natürlich muss die ultralockere Geldpolitik bald zu Ende geführt werden. Sonst drohen am Ende Blasen und Inflation. Das muss aber mit Sensibilität und Kommunikationsgeschick geschehen. Manches deutete in Washington darauf hin, dass sich die Federal Reserve dabei mehr Zeit nehmen könnte als ursprünglich erwartet worden war. Die letzten Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA waren nicht mehr so gut, wie sie noch im Sommer erschienen. Der anhaltende Haushaltsstreit birgt neue Risiken, die es ratsam erscheinen lassen, in der Geldpolitik noch vorsichtiger zu sein. Hinzu kommt, dass die Realzinsen durch die nachlassende Inflation gestiegen sind. Das Wichtigste jedoch ist: Eine so grundlegende Änderung der Politik macht man nicht in einer Zeit, in der der Chefsessel der Federal Reserve neu besetzt wird. Der alte Präsident ist eine "lame duck", der es an Überzeugungskraft fehlt, die neue Präsidentin kann noch nicht sprechen. Das vielleicht Bemerkenswerteste in den Gesprächen rund um die Jahrestagung des Währungsfonds war die veränderte Haltung der Welt gegenüber den Europäern. Noch vor einem Jahr wurden ihnen nur geringe Chancen gegeben, ihre Probleme mit dem Euro und der Währungsunion zu lösen. Viele sagten, entweder zerbreche die Gemeinschaftswährung oder es müsse wenigstens das eine oder andere Land die Union verlassen. In diesem Jahr war die Stimmung ganz anders. Die Rede war von einem "Turn-around" in Europa. Die Gemeinschaft komme von einer Rezession mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um ein Prozent zu einem Wachstum von einem Prozent. So einen starken Umschwung in so kurzer Zeit für eine so große Region hat es in der Weltwirtschaft selten gegeben. Die Besserung zeigt, dass Konsolidierung der Staatsfinanzen und Reformen auf Arbeitsund Gütermärkten wirken (was vor einem Jahr zum Teil noch vielfach bezweifelt worden war). Die Vertreter der Europäer waren freilich - zu Recht - bestrebt, immer wieder auf die Risiken der Entwicklung hinzuweisen. Es ist nach wie vor ein vorsichtiger Aufschwung, verbunden mit vielen Risiken. Es ist noch keineswegs sicher, dass der Reformwille in den südeuropäischen Programmländern anhält. Die größte Gefahr ist, dass sich dort Reformmüdigkeit breit macht. Zudem fehlt es in Italien und Frankreich am notwendigen Reformwillen. Verwunderung und Fragen löst auch aus, dass die Regierungsbildung in Deutschland nach einem eindeutigen Sieg der Kanzlerin bei den Wahlen so lange dauert. Nach dem schon langen Wahlkampf lähmt das den Fortgang der Weiterentwicklung der Gemeinschaft. Da kann auch der IWF als Mahner auftreten.

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