Aufsätze

Die neuen Banken

"Banking is necessary, banks are not" - erfüllt sich diese Prognose von Bill Gates aus dem Jahre 2000 ein gutes Jahrzehnt später? Wird damit sogar die düstere Prophezeiung Ulrich Cartellieris an Dramatik übertroffen, der den Banken schon 1990 eine Zukunft als Stahlindustrie voraussagte? Schnellere, einfachere, transparentere und preislich günstigere Leistungen - das versprechen die "neuen Banken", digitale Finanzdienstleister, die mit innovativen Geschäftsmodellen in den Wettbewerb einsteigen.

Veränderte Rahmenbedingungen

Die "alten Banken" sehen sich derweil wesentlichen Veränderungen in den gesamtwirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt, die ihre Geschäftstätigkeit nachhaltig beeinflussen und den neuen Wettbewerbern den Markteintritt ermöglichen:

1. Technologieverfügbarkeit, sowohl auf Infrastruktur- als auch auf Endgeräteebene: 82 Prozent der Haushalte in Deutschland nutzten 2013 einen schnellen Breitband-Anschluss für den Zugang zum Internet, 40 Prozent der über 14-Jährigen besaßen ein Smartphone. Das Internet wirkt als Katalysator für Veränderungen im Nutzungsverhalten.

2. Regulierungsintensität, geprägt durch die Ereignisse der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Erweiterte Anforderungen unter anderem im Zuge von Basel III erfordern hohe Aufmerksamkeit und Ressourcen von den etablierten Finanzinstituten und schränken ihre Innovationsfähigkeit ein. Die "Neuen" hingegen sind in der Lage, im Regulierungskontext agiler zu operieren, indem sie Nischen besetzen, für die sie keine Banklizenz benötigen oder indem sie Gesetzeslücken ausnutzen.

3. Kundenemanzipation, mit Blick auf Meinungen und Erwartungen der Kunden, einhergehend mit erweiterten Handlungskompetenzen. Die Jungen sind souverän im Umgang mit neuer Technologie und in der Lage, Leistungsangebote alter wie neuer Anbieter im Netz effizient zu vergleichen, zu diskutieren und ihre Erfahrungen öffentlich kundzutun. Diese neue Transparenz führt zu einer Verschiebung im Machtverhältnis zugunsten der Kunden.

Die Angebote der "Alten" und Anknüpfpunkte der "Neuen"

Finanzdienstleistungen werden heute von einer Vielzahl unterschiedlicher Marktakteure erbracht. Abbildung 1 visualisiert, in welchen Leistungsdimensionen neue Anbieter in Konkurrenz zu den etablierten Finanzinstituten treten.

Für eine systematisierende Analyse wurden vier Oberkategorien gebildet.

1. Neue Zahlungsverkehrsspezialisten: Die Anbieter dieser Kategorie bieten Alter nativen zur klassischen Banküberweisung. Schwerpunkte sind die Zahlungsabwicklung für Online-Händler (Paypal, Sofortüberweisung, Yapital), Person-to-Person-Payments, auch landes- und währungsübergreifend (Skrill, Transferwise) und auf Endgeräten basierende Mobile Payments im Nahbereich (i-Zettle, Trevica).

2. Neue Spezialisten für Kreditgeschäft: Als Alternative zu einem klassischen Bankkredit können User zum Beispiel bei Lendico oder Auxmoney auf direktem Weg Darlehen an andere Nutzer vergeben. Die Plattformbetreiber unterstützen diesen Prozess durch Bonitätsinformationen und den Vorschlag "angemessener" Zinssätze.

3. Innovative Wagnisfinanzierer: Plattformen wie Kickstarter oder Seedmatch bieten Einzelpersonen, Gruppen und Start-ups die Möglichkeit, bei der Netzgemeinschaft Kapital zur Realisierung eigener Projektideen einzuwerben, die über die Plattform vorgestellt werden. Je nach Variante kann es sich um Eigenkapitalbeteiligungen handeln, die gegebenenfalls später über die Plattform handelbar sind.

4. Neue Spezialisten für Vermittlung, Verwaltung und Beratung: Hierunter fallen Social-Trading-Plattformen wie Etoro, auf denen Nutzer die Investments erfolgreicher Anleger in der Community spiegeln können, Portfolio-Management und honorarbasierte Anlageberatung wie Nutmeg und Quirion sowie Applikationen zum persönlichen Finanzmanagement wie Mint und Finanzblick. Die Fidor Bank tritt mit dem Anspruch an, die erste vollständig digitale Universalbank zu sein und überträgt dafür Konzepte sozialer Netzwerke auf das Banking.

Blickwinkel Geschäftsmodell

Eine Analyse der "Neuen" ist aus unterschiedlichen Perspektiven möglich. Dieser Beitrag richtet den Blick auf die Kernelemente von Geschäftsmodellen. Teece, 2010, fasst den Grundgedanken eines Geschäftsmodells wie folgt zusammen: "The essence of a business model is in defining the manner by which the enterprise delivers value to customers, entices customers to pay for value, and converts those payments to profit. It thus reflects management's hypothesis about what customers want, how they want it, and how the enterprise can organize to best meet those needs, get paid for doing so, and make a profit."

Ein Geschäftsmodell leitet sich zunächst aus dem jeweiligen Selbstverständnis des Unternehmens ab. Hierfür werden in der Literatur auch die Begriffe Aufgabe, Mission, Vision oder Identität gebraucht. Aus den Rahmenbedingungen sowie der Ausstattung mit Ressourcen resultiert die Wertschöpfungsidee, also eine Antwort auf die Frage, worin überhaupt die Nutzenstiftung liegt. In Form der Wertschöpfungsarchitektur erfolgt die konkrete Umsetzung des Nutzenversprechens und führt schließlich zum Wertschöpfungsergebnis. Anhand dieser Kernelemente werden im Folgenden ausgewählte Anbieter aus den vier Kategorien "neuer Banken" portraitiert.

Die "Neuen" im Profil

Neue Zahlungsverkehrsspezialisten am Beispiel Paypal: Paypal befindet sich im Gegensatz zu anderen Start-ups bereits in der Reifephase. Das Unternehmen ist fest am Markt etabliert und erwirtschaftete 2013 für sein Mutterunternehmen Ebay 41 Prozent des Jahresumsatzes. Unter den "neuen Banken" ist Paypal 15 Jahre nach Gründung damit der "Dinosaurier". Die Wertschöpfungsidee besteht darin, Privatpersonen und Unternehmen in ihren Rollen als Käufer und/oder Verkäufer eine einfache und schnelle Möglichkeit zu bieten, Zahlungen sicher über das Internet abzuwickeln. Im Gegensatz zu klassischen Banküberweisungen, die bis zur Ausführung mindestens einen Werktag benötigen, erfolgt die Buchung via Paypal - auch für internationale Zahlungen - sofort. Die Herausgabe von Kontodaten, die vergleichsweise kompliziert sind (neuerdings durch das Sepa-Verfahren) und potenziell Missbrauch ermöglichen, entfällt. Paypal verwendet zur Identifizierung der Transaktionsbeteiligten deren E-Mail-Adressen. Die Abrechnung erfolgt über eine hinterlegte Kreditkarte, Kontoverbindung per Lastschrift oder aus vorhandenem Guthaben. Letzteres kann durch vorheriges Aufladen per Überweisung oder selber via Paypal empfangene Zahlungen gebildet werden.

Bei den Rahmenbedingungen sieht sich Paypal wie die traditionellen Banken einem zunehmenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Neben kleinen Nischenanbietern drängen auch etablierte Konzerne wie Facebook, Google und Amazon auf den Wachstumsmarkt. Die Geschäftstätigkeit von Paypal ist Gegenstand von länderspezifischer Finanzmarktregulierung. Für das Europa-Geschäft besitzt das Unternehmen seit 2007 eine Banklizenz in Luxemburg. Hierzu heißt es auf der Unternehmenshomepage: "Unser Service stellt insbesondere keine Einlagen- oder Anlagendienstleistung im Sinne des oben genannten Kreditwesengesetzes dar. Ein Guthaben auf Ihrem Paypal-Konto ist daher nicht durch das Luxemburger Einlagensicherungssystem [...] geschützt."

Eine stärkere Entwicklung hin zu einer "normalen" Bank, zum Beispiel durch Ausbau des Paypal-Accounts zu einem vollwertigen Girokonto würde unter regulatorischen Aspekten einen hohen Aufwand bedeuten. Das macht die Situation für Paypal schwierig: Einerseits erzeugt der Wettbewerb Innovationsdruck, andererseits sind die Möglichkeiten zur Sortimentsverbreiterung durch die rechtlichen Rahmenbedingungen eingeschränkt.

Systeme neutraler Anbieter bevorzugt

Die erforderliche Geschwindigkeit, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, stellt besondere Anforderungen an die Ressourcen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Transaktions- und Datensicherheit sowie Kunden- und Partnerakquise. Paypal profitiert von seiner Reputation als etablierter Marktführer und von der Finanzkraft in Kombination mit dem Mutterunternehmen Ebay. Mehr als 13 000 Mitarbeiter tragen dazu bei, die reibungslose Funktionsfähigkeit der bestehenden Dienste sicherzustellen und gleichzeitig das Leistungsangebot stetig zu erweitern.

Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bezahlung von Online-Einkäufen, ebenso sind aber Person-to-Person-Payments möglich, wie sie bei Zahlungen von Käufern an Verkäufer im Zuge von Online-Auktionen über Ebay zum Tragen kommen. Zusatzservices sind unter anderem der Währungsumtausch und der Käuferschutz für via Paypal getätigte Einkäufe. Lösungen für Mobile Payments im Nahbereich befinden sich aktuell in der Pilotierungsphase, kartenbasierte Zahlungssysteme auf Händlerseite werden ebenfalls angeboten.

Die Wertschöpfungsarchitektur ist darauf ausgerichtet, eine nahtlose Integration des Zahlungsprozesses in die Kaufabwicklung zu gewährleisten. Neue Anbieter stehen hier vor dem "Henne-Ei-Problem". Die Funktionsfähigkeit von Geschäftsmodellen im Bereich Zahlungsverkehr hängt maßgeblich von der Adaption durch eine kritische Masse von Händlern wie Käufern ab - und umgekehrt. Für die Konzerne wie Amazon und Ebay ergibt sich das Problem, dass Händler potenziell die Systeme neutraler Anbieter bevorzugen, da etwa ein Unternehmen wie Zalando Vorbehalte dagegen haben könnte, durch Einsatz von Amazon Payments oder Paypal die Konkurrenten im eigenen Kerngeschäft zu unterstützen.

Hier besteht eine Chance für die klassischen Banken, mit einem Konkurrenzsystem Marktanteile zurückzuerobern. Zu diesen besteht trotz des Wettbewerbsverhältnisses indes auch für Paypal eine Abhängigkeit, da Banküberweisungen, Lastschriften und Kreditkartentransaktionen die wichtigsten Wege zur Aufladung von Paypal-Konten darstellen. Dies ist ein typisches Merkmal der "neuen" Akteure in der Kategorie Zahlungsverkehr - ganz ohne die "Alten" geht es nicht.

Das Erlösmodell der Anbieter von Zahlungsdienstleistungen ist transaktionsbasiert und schlägt sich im Abzug einer Provision auf Seiten des Zahlungsempfängers nieder. Umsatztreiber sind die Anzahl aktiver User sowie Transaktionsvolumen und -frequenz. Paypal veranschlagt maximal 1,9 Prozent des Zahlungsbetrags plus eine Gebühr von 0,35 Euro je Transaktion. Für Spenden, Mikrotransaktionen und gewerbliche Händler gelten je nach Jahresvolumen günstigere Konditionen. Nicht zu vergessen sind auch die Kundenguthaben, die in den User-Accounts lagern und zusätzliche Zinseinnahmen für Paypal ermöglichen.

Vorbilder in den USA

Neue Spezialisten für das Kreditgeschäft am Beispiel Auxmoney: Die Wertschöpfungsidee hinter Plattformen, die Peer-to-Peer-Lending ermöglichen, besteht darin, Privatpersonen schneller und einfacher als über klassische Banken Zugang zu Krediten zu ermöglichen und gleichzeitig dem Nutzerkreis der Anleger attraktivere Renditechancen zu eröffnen. Die Kreditnehmer stellen sich selber, ihren Liquiditätsbedarf und ihre Sicherheiten über ein standardisiertes Profil auf der Plattform vor, sodass andere Nutzer entscheiden können, ob sie sich mit einem Betrag nach Wahl an der Kreditvergabe beteiligen möchten.

Da sich die großen Vorbilder Prosper und Lending Club bislang auf ihren Heimatmarkt USA konzentrieren, kann die Wettbewerbsintensität für den deutschen Marktführer Auxmoney als mittelhoch eingestuft werden. Mit Lendico und Smava existieren zwei nennenswerte Konkurrenten, von denen mit Smava ein Wettbewerber bereits vom ursprünglichen Geschäftsmodell abgerückt ist und inzwischen auch klassische Bankkredite vermittelt. Die über die Jahre gewachsene Bereitschaft der Nutzer, im Internet persönliche Details öffentlich zu machen, begünstigen die Wertschöpfungsidee.

Auxmoney beschäftigt aktuell 55 Mitarbeiter. Besondere Kompetenzen sind in den Bereichen Bonitätsprüfung und Kredit-Pricing erforderlich, da diese Aspekte Dreh- und Angelpunkt jedes vermittelten Kredites sind. Hier bildet die Erfahrung des Gründerteams aus vorherigen Tätigkeiten im Finanzbereich eine wichtige Ressource. Ende 2013 hat Auxmoney mit dem "auxmoney-Score" ein eigenes Kreditscoring eingeführt, in das nach eigener Aussage über 300 bonitätsrelevante Merkmale einfließen und das Kreditsuchende in die Klassen AAA bis X einteilt. Das Ratingergebnis wird als zentrales Element in den Profilen sowie Suchergebnislisten visuell hervorgehoben. Darüber hinaus richtet sich der von Auxmoney für das jeweilige Kreditgesuch festgelegte Zinssatz nach dieser Bonitätsnote. Aus einem mittleren Rating in der Klasse B resultiert beispielsweise ein Zinssatz zwischen 8 und 11,2 Prozent.

Eine weitere wichtige Ressource für das Unternehmen sind zwei renommierte Venture-Capital-Gesellschaften, die sich 2013 mit zwölf Millionen US-Dollar beteiligt haben und neben finanziellem Spielraum auch umfangreiches Know-how einbringen. Die Wertschöpfungsarchitektur umfasst als Kernaktivitäten die Wartung und Weiterentwicklung der Software-Plattform, den Customer Support und das Community Management, das sich sowohl um die Kreditgeber als auch -nehmer kümmern muss. Als Enabler der Kernleistung werden diverse Zusatzservices angeboten, wie die Erstellung eines proprietären Ratings der Kreditwürdigkeit, die Vermittlung an Partnerunternehmen für zusätzliche Bonitätsprüfungen oder die Wertermittlung von Kraftfahrzeugen, die von den Kreditnehmern als Sicherheiten angegeben werden können.

Ohne Partnerbank schwierig

Für die Kreditgeber werden Tools bereitgestellt, um sich automatisiert an Krediten zu beteiligen. Zwar wird explizit "das Ausschalten der Banken als Mittelsmann" als Vorteil des eigenen Angebots kommuniziert, tatsächlich wäre der Geschäftsbetrieb ohne eine Partnerbank mit entsprechender Lizenz der BaFin rein rechtlich in Deutschland schwierig. So kooperiert Auxmoney mit der SWK Bank, die sich um die Vergabe und Abwicklung der Kredite kümmert. Weitere Kooperationspartner sind externe Anbieter von Bonitätsurteilen wie Arvato Infoscore, Schufa und Creditreform, deren Bewertungen vom Kreditnehmer im Profil eingebunden werden können.

Auxmoney befindet sich in der Wachstumsphase. Im November 2013 wurde nach Unternehmensangaben mit 6,2 Millionen Euro das bis dahin größte monatliche Finanzierungsvolumen über die Plattform erreicht. Mit der Einführung des eigenen Kreditscores und der grundlegenden Umstellung des Gebührenmodells wurden zudem wesentliche Anpassungen an der Wertschöpfungsarchitektur abgeschlossen. So sah das Erlösmodell des Unternehmens ursprünglich Vorabkosten für die kreditsuchenden Personen vor, wie Gebühren für das Listing auf der Plattform und die Freischaltung einzelner Bonitätsratings. Inzwischen sind sämtliche Vorabkosten gestrichen. Stattdessen fällt bei erfolgreicher Kreditvermittlung für den Kreditnehmer eine Provision von 2,95 Prozent des Kreditbetrags an, die über die monatliche Rate beglichen wird. Nach Auszahlung des Kredits berechnet die SWK Bank zusätzlich 2,50 Euro pro Monat als Servicegebühr sowie 17,50 Euro im Jahr als Kontoauszugsgebühr. Die Anleger zahlen 1 Prozent der Anlagesumme als Gebühr, jedoch mindestens ein Euro.

Während nach dem alten Modell die Anzahl der gelisteten Projekte und der verkauften Zusatzleistungen - unabhängig vom späteren Finanzierungserfolg - die Umsatztreiber waren, kommt es nach dem neuen Erlösmodell ausschließlich auf die Anzahl und das Volumen der erfolgreich vermittelten Kredite an. Das Beispiel Auxmoney zeigt dabei, wie kritisch die Ausgestaltung der Umsatzhebel für digitale Finanzdienstleister ist und wie sensibel Nutzer hier reagieren. Während den Kunden im klassischen Bankgeschäft oft Transparenz und Vergleichsmöglichkeiten fehlen und somit schlechtere Konditionen hingenommen werden, fordert die User Community im Internet gemeinschaftlich Transparenz ein und ist auch in der Lage, Änderungen von als "unfair" wahrgenommenen Konditionen herbeizuführen.

Crowdfunding und Crowdinvesting

Innovative Wagnisfinanzierer am Beispiel Seedmatch: In die Kategorie Wagnisfinanzierung fallen Betreiber von Plattformen zum Crowdfunding und Crowdinvesting. Der Unterschied besteht im Finanzierungsobjekt und der Zielsetzung der Investoren. Typische Beispiele beim Crowdfunding sind die Finanzierung kultureller oder karitativer Projekte. Beim Crowdinvesting hingegen erwerben die teilnehmenden User Ansprüche an zukünftigen Zahlungsströmen der finanzierten Unternehmen. Dies bildet für Start-ups eine Alternative zu "traditionellem" Venture Capital. Die Wertschöpfungsidee besteht in beiden Fällen darin, Personen, Gruppen oder Unternehmen auf der Plattform eine semi-standardisierte Darstellungsmöglichkeit zu bieten, um Interesse in der User Community zu wecken, in die vorgestellten Ideen zu investieren und so deren Realisierung zu ermöglichen.

Im Bereich Crowdinvesting ist das Unternehmen Seedmatch Marktführer in Deutschland. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen profitiert Seedmatch vom regelrechten Crowdfunding-Hype, wie etwa um die Finanzierung des Stromberg-Films. Gleichzeitig ist die Anschubfinanzierung eine der größten Hürden im Gründungsprozess, gepaart mit der Herausforderung, das neue Unternehmen schnell bekanntzumachen, ohne über ein Budget für groß angelegte Marketingkampagnen zu verfügen. Hier bietet die Finanzierung über die Crowd den Zusatznutzen viraler Effekte. Eingeschränkt wird die Wettbewerbsintensität beim Crowdinvesting durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die in unterschiedlichen Ländern sehr spezifisch sind.

Rechtliche Komplexität als Herausforderung

Relevant ist außerdem die Ausgestaltung der vermittelten Unternehmensbeteiligungen. Wurden anfangs stille Beteiligungen eingesetzt, sind derzeit partiarische Nachrangdarlehn üblich. Hintergrund ist die ursprüngliche 100 000-Euro-Grenze für das Funding-Volumen, bei deren Überschreitung nach dem WpPG beziehungsweise VermAnlG eine Prospektpflicht besteht, die aufgrund der damit verbundenen Kosten für die kapitalsuchenden Start-ups nicht praktikabel ist. Durch eine geschickte Ausgestaltung des Vertragswerks ist es jedoch mittlerweile mit Hilfe partiarischer Nachrangdarlehn möglich, dieses Limit zu umgehen - solange der Gesetzgeber keine Anpassung vornimmt.

Die Beherrschung der rechtlichen Komplexität ist bei den Crowdinvesting-Anbietern eine wichtige Ressource. Kritisch ist außerdem das Personal, das sich um die Betreuung der Start-ups sowie die Community-Mitglieder kümmert. Beim Marktführer Seedmatch sind aktuell neun Personen beschäftigt. Dem jungen Team ist es möglich, die Situation der betreuten Start-ups gut nachzuvollziehen, mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren und in der gesamten Community einen "Entrepreneurial Spirit" zu schaffen. Dies ist von Relevanz, da im Rahmen der Wertschöpfungsarchitektur ein Hauptaugenmerk auf der Integration der User und Start-ups in den Leistungserstellungsprozess liegt. Den Austausch der Gründer mit den Investoren zu ermöglichen, bildet eine Kernaktivität auf der Plattform und erfordert ein professionelles Community Management sowohl während als auch nach Abschluss des Funding-Prozesses. Zum Aufbau von Vertrauen zwischen allen Beteiligten und der Minimierung der Betrugsgefahr wird ein externer Treuhänder zur Abwicklung der Zahlungen eingesetzt. So kooperiert Seedmatch mit der Secupay AG, die die Beiträge der Investoren sammelt und nach festgelegten Regeln bei erfolgreichem Funding an die Unternehmen weiterleitet.

Als ergänzenden Service bietet Seedmatch den Gründern Beratungsleistungen an, insbesondere hinsichtlich der Aufbereitung des Businessplans mit dem Ziel, die Attraktivität für Investoren zu erhöhen. Zunächst müssen die Start-ups allerdings den Auswahlprozess von Seedmatch erfolgreich durchlaufen. Die Auswahl der Start-ups ist ebenfalls als wertschöpfungskritische Kernaktivität einzustufen, denn die Erlösgenerierung erfolgt durch eine prozentuale Beteiligung am Funding-Volumen der von der Community finanzierten Projekte. Im Fall von Seedmatch sind dies fünf bis zehn Prozent.

Transparenz als Herausforderung

Die Umsatztreiber sind die Anzahl der auf der Plattform vorgestellten Projekte, deren Volumen sowie die Quote der Projekte, die das avisierte Finanzierungsziel auch erreichen - denn nur dann wird die Provision fällig. Die Herausforderung für Seedmatch besteht darin, eine Balance zu finden zwischen der Anzahl der zugelassenen Projekte, deren Qualität und einer Einschätzung des in der Community vorhandenen Finanzierungspotenzials. Stehen zu viele Projekte gleichzeitig zur Finanzierung offen, steigt die Gefahr, dass das Finanzierungsvolumen der Nutzer für ein erfolgreiches Funding aller Projekte zu niedrig ist. Selbst bei durchgehend hoher Projektqualität blieben dann die Provisionen für den Plattformbetreiber aus, der Umsatzhebel wäre zu klein. Die Transparenz über das Wertschöpfungsergebnis ist bei Seedmatch - wie bei vielen jungen Unternehmen - äußerst eingeschränkt: Das Unternehmen veröffentlicht keine GuV und ist als kleine Kapitalgesellschaft dazu auch nicht verpflichtet.

Neue Spezialisten für Vermittlung, Verwaltung und Beratung: In den ersten drei Kategorien lag das Augenmerk auf dem Zahlungsverkehr sowie fremd- beziehungsweise eigenkapitalbasierten Finanzierungen. In die vierte Kategorie fallen Angebote, deren Schwerpunkt auf der Vermittlung von Anlageprodukten, der Vermögensverwaltung und/oder der Beratung liegt. Kennzeichnend für diese Kategorie ist die Diversität der "Neuen", deren Bandbreite anhand von zwei Beispielen aufgezeigt wird.

Mehrwert durch "Nervenkitzel"

Das Unternehmen Etoro ist Marktführer beim Social Trading. 3,2 Millionen User in 200 Ländern nutzen die Plattform per Web Interface oder App zum Handel von Differenzkontrakten auf Aktien, Rohstoffen und Devisen. Die Besonderheit der Wertschöpfungsidee liegt darin, dass Etoro alle User über eine eigene Social Community nach Vorbild von Facebook miteinander vernetzt und jeder die Trades des anderen nachvollziehen kann. Somit können nicht nur selbstständig Investitionsentscheidungen getroffen werden, sondern als Kernfunktion der Plattform die Abschlüsse anderer - möglichst erfolgreicher - User gespiegelt werden. Etoro macht sich den Gamification-Trend in der digitalen Sphäre zunutze, das heißt die Einbindung spielerischer Elemente in einen eigentlich spielfremden Kontext.

Die Transparenz der Plattform setzt Anreize, beispielsweise in der Bestenliste der erfolgreichsten Trader möglichst weit aufzusteigen oder eine große Zahl von Followern um sich zu scharen. Die hochspekulativen, aber dafür potenziell extrem renditestarken Differenzkontrakte ermöglichen theoretisch auch unerfahrenen Investoren durch Nachahmung der Strategien erfolgreicher Investoren bei kleinem Einsatz hohe Gewinne. Als adäquate Beratung kann dieser Ansatz indes nicht eingestuft werden und ist kritisch zu hinterfragen. Für die entsprechende Zielgruppe, die sich etwa auch für Sportwetten und Lotterien interessiert, ergibt sich neben den Renditechancen hier ein Mehrwert durch den erfahrenen "Nervenkitzel".

Hinsichtlich des rechtlichen Rahmens ist hervorzuheben, dass das Unternehmen mit Hauptsitz in London seine Dienste in der EU über eine in Zypern lizensierte Tochter offeriert. Beim Social Trading von Etoro ist die fehlerfreie Funktionsweise der technischen Infrastruktur erfolgskritisch. Die "Etoro Open Book" betitelte Plattform bildet das Herzstück des Handels und Community-Austauschs. Es bedarf hoher Fachkompetenz des Managements mit Blick auf die Programmierung der Software, die komplexen Produkte und die Pricing-Entscheidungen.

Die Fidor Bank als Deutschlands erste Community Bank ("Banking mit Freunden") verlegt das Leistungsspektrum einer Vollbank konsequent ins Netz und erweitert es um Anbindungen zu neuen Finanzdienstleistungen wie Crowdfunding, Peer-to-peer-Lending und Zahlungsverkehr per E-Mail-Adresse oder Twitter Account. Die Vision ist, dem Kunden die Möglichkeit zu geben, Finanzangebote - sowohl eigene als auch solche von externen Partnern - selbstständig zu kombinieren. Eine Beratung durch einen klassischen Betreuer gibt es nicht. Stattdessen steht ähnlich wie bei Etoro der Austausch der Nutzer untereinander in der Netz-Community im Mittelpunkt.

Lizenz als wichtige Ressource

Damit werden explizit Kunden angesprochen, in deren Leben soziale Netzwerke wie Facebook einen hohen Stellenwert besitzen und die im Zuge der Finanzkrise das Vertrauen in klassische Banken und deren Beratung verloren haben. Die Fidor Bank ist von der BaFin lizensiert und unterliegt deren Aufsicht. Gleichzeitig bildet die Lizenz eine wichtige Ressource für das Unternehmen, da sie perspektivisch Engagements in Geschäftsfeldern ermöglicht, vor denen Anbieter digitaler Zahlungsdienste aufgrund der regulatorischen Anforderungen zurückschrecken.

Bei der Fidor Bank und Etoro sind die Vernetzung und der Austausch mit den Usern eine Kernaktivität, da elementare Bestandteile der Leistungserstellung durch die Nutzer selber erbracht werden und die Beratung durch die Unternehmen komplett ersetzen. Für Etoro ist zudem die Kooperation mit Partner-Brokern zwingend, während Fidor durch die Integration anderer Finanzdienstleister in das eigene Angebot Mehrwerte für die Kunden schaffen möchte und mit Fidor Tecs und Fidor Pays auch selber E-Commerce- und Payment-Lösungen für Dritte anbietet. Etoro setzt ausschließlich auf transaktionsbasierte Trading-Gebühren, womit die Anzahl und das Volumen der durch die Nutzer getätigten Trades die Umsatztreiber bilden.

Das Erlösmodell der Fidor Bank ist dreiteilig: Die Geschäftsbereiche Community Banking und Payment Services stellen Provisionsgeschäfte dar. Im Einlagen-/Kreditgeschäft erfolgt die Erlösgenerierung wie bei klassischen Banken über die Zins-Marge. Die Geschäftsmodelle beider Anbieter befinden sich aktuell in der Wachstumsphase. Die Fidor Bank konnte 2013 den Break Even erreichen. Etoro hält sich zu genauen Zahlen bedeckt, bezeichnet sich selber aber als ein "stark wachsendes und profitables" Unternehmen.

Gemeinsame Zukunft - Herausforderungen und Ausblick

Entlang der vier Kategorien "neuer Banken" fasst Abbildung 2 die zentralen Mehrwerte für die Nutzer und die resultierenden Gefahren für die "alten Banken" zusammen.

Der Einblick in die vielfältigen Geschäftsmodelle der "neuen Banken" zeigt: Die Digitalisierung ist in der Finanzbranche angekommen. Für die klassischen Finanzinstitute bedeutet dies Konkurrenz, aber gleichzeitig Inspiration für die eigene Weiterentwicklung. Für Privatkunden und Unternehmen entstehen neue Leistungsangebote am Markt, und die Aufsicht steht vor den Herausforderungen, die Tragweite der Geschäfte digitaler Finanzintermediäre einzuschätzen und regulatorisch greifbar zu machen. Während die "Neuen" durch ihre Innovationskraft und Agilität überzeugen, können die "Alten" in den Bereichen Datensicherheit, Kapitalbasis und Regulierungskompetenz punkten.

Die Portraits der Jungen zeigen, dass die Ressourcenintensität - typisch für digitale Geschäftsmodelle - anfangs eher gering ist, mit steigenden Anforderungen an den Aufbau von Partnerschaften und das Community Management aber stark ansteigt. Insbesondere im Kontext der Regulierung erfolgt dies klippenartig, sobald eine gewisse Aufmerksamkeitsschwelle überschritten ist. So könnte der Gesetzgeber bei steigender Popularität von Crowdinvesting die derzeitige Umgehung der Prospektpflicht durch eine Gesetzesänderung verhindern.

Insgesamt ist zu erwarten, dass es in verschiedenen Konstellationen zwischen Banken, digitalen Anbietern und branchenfremden Playern zu Partnerschaften kommen wird. Zentrales Beispiel ist hier die Implementierung einer flächendeckenden Mobile-Payment-Infrastruktur im Nahbereich, die aufgrund der Investitionsrisiken und der erforderlichen Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen von keinem Akteur im Alleingang bewältigt werden kann. Vom "Digitalisierungsschub" in der Finanzbranche werden demnach diejenigen Unternehmen am stärksten profitieren, die in der Lage und gewillt sind, erfolgreiche Partnerschaften und Kooperationsnetzwerke aufzubauen. "Alte" und "Neue" Hand in Hand - ökonomische Notwendigkeit oder illusionäre Romantik? Auch Stahlwerke gibt es heute noch, sie sehen aber anders aus als früher.

Eine ausführlichere Fassung des Textes mit Literaturhinweisen und erläuternden Abbildungen haben die Verfasser zum 40. Jubiläum des ikf in Bochum verfasst: "wissen und handeln 13, perspektiven"

Download unter www.ikf-server.de

Prof. Dr. Stephan Paul , Lehrstuhl für Finanzierung und Kreditwirtschaft , Ruhr Universität Bochum
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