Aufsätze

Organisches Wachstum und Rentabilitätsmanagement - Perspektiven und Herausforderungen für deutsche Banken

Auch wenn sich in jüngster Vergangenheit die durchschnittliche Ertragssituation der Banken in Deutschland verbessert hat, so bringt ein differenzierter Blick Verwerfungen in den Ertragsstrukturen zum Vorschein. Während beispielsweise die Großbanken im Jahr 2005 die Nettofinanzspanne deutlich verbessern konnten, bewegen sich die Zinsspannen bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken auf historische Tiefstände zu.1) Der Wettbewerb um Bestands- und Neukunden im Retail-, aber auch im Firmenkundengeschäft ist von Kampfkonditionen gezeichnet. Angesichts teilweise zersplitterter Marktverhältnisse ist die Suche nach Wachstums- und damit Ertragspotenzialen weiterhin von großer Bedeutung.

Status quo und Perspektiven

Am Beispiel des Leistungsvolumens lassen sich die Verschiebungen der Marktanteile weg von den klassischen Universalbanken und hin zu den Direktbanken plastisch aufzeigen. Das Wachstum des Leistungsvolumens (Summe aus Kundenkrediten und -einlagen) hat bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken in den letzten Jahren spürbar nachgelassen und korrespondiert mit einer abnehmenden Bruttozinsspanne (siehe Abbildung 1). Während diese bei den beiden Bankengruppen in den Jahren 2000 bis 2005 nur um insgesamt vier Prozent beziehungsweise sieben Prozent zunehmen konnte, weist beispielsweise die Direktbank ING-Diba eine Verdreifachung ihres Leistungsvolumens im gleichen Zeitraum auf.2) Gründe für die nachlassenden Bruttozinsspannen lassen sich dabei sowohl im Aktiv- als auch im Passivgeschäft festmachen. Zum einen übt der anhaltende Konditionenwettbewerb im Kreditgeschäft Druck auf die Margen aus,3) andererseits mündet der nur geringe Ausbau beziehungsweise der Verlust günstiger Kundeneinlagen in ein zusätzliches Abschmelzen der Bruttozinsspanne.

Insgesamt zeichnet sich die Fokussierung auf Produkte und/oder Preise (etwa Postbank, ING-Diba) sowie eine klare Zielgruppenfokussierung (beispielsweise Citibank) als Erfolgsfaktoren bei der Neukundengewinnung im Retailbanking ab. Kundennähe, Bekanntheit und Sympathie alleine reichen nicht mehr aus, um das Privatkundengeschäft nachhaltig erfolgreich betreiben zu können - die Kunden sprechen zunehmend auf ein differenziertes Leistungsbündel der Anbieter an.4)

Wirkungszusammenhang beachten

Am Beispiel der Direktbanken lässt sich der Wirkungszusammenhang zwischen Wachstum und Rentabilität verdeutlichen. Im März 2006 lag der Marktanteil der Direktbanken - Institute, die ihre Produkte überwiegend direkt und an ein breites Publikum vertreiben (ohne Online-Broker) - bei den Kundeneinlagen insgesamt bei 4,6 Prozent und bei den Kontokorrentkonten für Privatkunden bei zirka 14 Prozent (zum Vergleich Dezember 2000: zirka zwei Prozent beziehungsweise rund fünf Prozent).5)

Die ING-Diba konnte ihr Wachstum beim Leistungsvolumen (zirka 19 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf rund 84 Milliarden Euro im Jahr 2005) bis zum Jahr 2005 in ein Betriebsergebnis (nach Bewertung) in Höhe von 0,38 Prozent transformieren und nähert sich damit den Niveaus der Sparkassen und Genossenschaftsbanken an (0,5 Prozent beziehungsweise 0,49 Prozent). Bei der Eigenkapitalrendite (vor Steuern) hat die Direktbank die beiden Peer Groups bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 überholt und weist per Ende 2005 einen Wert von 32 Prozent aus (Sparkassen und Genossenschaftsbanken je knapp zehn Prozent).6)

Im Firmenkundengeschäft fallen die Verschiebungen in der Marktstruktur weniger gravierend aus. Dennoch ist die Wettbewerbsintensität auch hier ungebrochen hoch, insbesondere Kreditnehmer mit guten Bonitäten werden stark umworben. Insgesamt ist das Volumen der Ausreichungen in den letzten Jahren zurückgegangen. Ein - auch weiterhin - bedeutendes Wachstumsfeld stellt die Beratung zu und das Angebot von speziellen Finanzierungslösungen beispielsweise Mezzanine-Kapital, dar. Allerdings vereinen hier insbesondere die Großbanken aufgrund ihres Knowhows einen Großteil des Geschäftsvolumens auf sich; Sparkassen und Genossenschaftsbanken können ihren Kunden in der Regel nur ihre Verbundpartner empfehlen.

Hohe Veränderungsgeschwindigkeit und Komplexität

Das Wettbewerbsumfeld der Kreditinstitute lässt sich durch eine hohe Veränderungsgeschwindigkeit und eine anhaltend hohe Komplexität charakterisieren.7) Für den Umbruch im Bankgeschäft sind rechtliche, demografische, technologische und (sozio-)ökonomische Veränderungsprozessen verantwortlich:

Rechtliche Rahmenbedingungen: Die EU-Politik zum Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen, zur Stärkung der Verbrauchervorteile und zur Verbesserung der Kapitalmarkteffizienz (beispielsweise Sepa, Mi FiD) führt zu einem weiteren Abbau der Eintrittsbarrieren auf dem deutschen aber auch anderen europäischen - Bankenmärkten. Die neuen Vorschriften könnten bei einzelnen Geschäftsarten in einen zunehmenden Profitabilitätsdruck resultieren, beispielsweise beim Zahlungsverkehr.8) Insbesondere im Privatkundengeschäft zeichnet sich eine erhöhte Wettbewerbsintensität ab, wie die Diskussion im Allgemeinen und die Integration der europäischen Hypothekenmärkte im Besonderen zeigen.9)

Technologie: Die erhöhte Leistungsfähigkeit der Informationstechnologie fördert zwei Entwicklungen. Einerseits steigt die Leistungsfähigkeit auf der Produktionsseite, beispielsweise in der Abwicklung. Andererseits steigt die Affinität der Kunden zum Einsatz elektronischer Finanzdienstleistungen.

Demografie: Aufgrund der sich verändernden Altersstruktur werden sich auch die Anforderungen der Kunden, insbesondere bei der Beratung, weiter wandeln. Die Finanzdienstleister müssen ihr Angebot und vor allem die Art der Vermittlung ihrer Dienstleistungen entsprechend anpassen.10) Denkbar ist auch die Entwicklung neuer Produkttypen, beispielsweise Instrumente des Immobilienkapitalverzehrs wie Reverse Mortgages für ältere Wohneigentümer.1)

(Sozio-)Ökonomische Veränderungen: Die Bedeutung der klassischen Merkmale einer Bankleistung nimmt weiter ab, beispielsweise verringert sich die Erklärungsbedürftigkeit von Finanzprodukten, zumal gleichzeitig das Informationsangebot und die Markttransparenz zunehmen. Die Bedingungen im Firmenkundengeschäft verändern sich ebenfalls, da den Unternehmen zunehmend neue, Kapitalmarkt orientierte Finanzierungstöpfe zur Verfügung stehen.12)

Schrumpfungspotenzial im Bestand

Die Folgen der veränderten Rahmenbedingungen können - insbesondere für die klassischen Universalbanken - gravierend sein. Die Bindung der Kunden an regionale Anbieter verliert weiter an Kraft, insbesondere da überregionale Anbieter gleiche Leistungen kostengünstiger anbieten. Dieser Trend kann über die Einstiegsprodukte - allen voran das Girokonto - auch auf andere "Commodity-Produkte" übergreifen, beispielsweise bei Sparprodukten oder der Baufinanzierung. Diese Entwicklung geht einher mit einer zunehmenden Unzufriedenheit der Kunden klassischer Hausbanken. Laut dem Kundenmonitor Banken 2006 der Psychonomics AG äußern sich zirka 73 Prozent der Retailkunden unzufrieden über ihre Hauptbank.

Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Konditionen, die Gebühren und die Beratungsqualität. Die höchste Zufriedenheit äußern hingegen Kunden von Direktbanken.13) Auch wenn sich bei diesen Bankkunden ein Selektionseffekt bemerkbar macht - aufgrund ihrer relativ hohen Flexibilität suchen sich Direktbankkunden die zu ihren Bedürfnissen passende Bankverbindung -, so zeigen diese Kundenmigrationen, dass bei allen Wachstumspotenzialen im Neukundengeschäft das Schrumpfungspotenzial im Bestandsgeschäft nicht ausgeblendet werden darf. Insgesamt dürfte der Kundenzulauf bei den Direktbanken anhalten; mit entsprechenden Konsequenzen für die klassischen Universalbanken.

Der Anteil der Bankeinlagen an der Gesamtvermögensbildung ist bereits seit Jahren rückläufig; Versicherungsprodukte dominieren mittlerweile die Verteilung der privaten Geldvermögen. Zusätzlich gewinnen die Direktbanken ein immer größeres Stück dieses (in der Tendenz kaum wachsenden) Kuchens und beschneiden die klassischen Universalbanken dadurch in der günstigsten Refinanzierungsquelle (siehe Abbildung 2).

Ertragspotenziale vorhanden

Bei den Firmenkunden verzeichnet die Zufriedenheitsskala - bezüglich der Beratungsqualität und des Einfühlungsvermögens ihrer Hausbanken - zurzeit ebenfalls keine hohen Ausschläge. In einer repräsentativen Studie gaben zwei Drittel der befragten Firmenkunden an, ihre Hausbank setze sich nicht intensiv genug mit der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens auseinander. In der Konsequenz unterhält ein Großteil der Firmenkunden auch Geschäftsbeziehungen zu anderen Kreditinstituten.

Das Management der Rentabilität schließt das Management des Wachstums ein. Obgleich ein Schrumpfungsprozess theoretisch als strategische Option denkbar wäre, erweist er sich für klassische Universalbanken schon aus definitorischen Gründen als abwegig. Aufgrund der bereits vorhandenen Kunden- und Geschäftsbasis wäre eine solche Selektion für Institute, die sich dem flächendeckenden Angebot von Finanzdienstleistungen verpflichtet fühlen, nicht zu empfehlen. Organisches Wachstum, das heißt Wachstum aus "eigener Kraft", ist vor allem dort möglich, wo die Bedürfnisse der Kunden gezielt bedient werden - sowohl im Privat- als auch im Firmenkundengeschäft.

Als Potenzialindikator im Privatkundengeschäft lassen sich die im Rahmen einer Studie ermittelten Durchschnittserträge verschiedener Kundensegmente heranziehen (siehe Abbildung 3). So verdienten die Banken im Durchschnitt an einem Haushalt im Jahr 2004 zwischen 1 500 und 1 800 Euro. Ein Abgleich dieser Zahlen mit den segmentspezifischen Ausschöpfungsquoten des eigenen Bestands - hier einer klassischen Universalbank - liefert Hinweise für Erlöslücken. Die Zielgröße (Zieldeckungsbeitrag) sollte sich dabei zwischen 50 Prozent und 70 Prozent des angegebenen Gesamtpotenzials bewegen, da ein Haushalt nur selten eine einzige Bankverbindung unterhält.14) Eine eingehende Analyse der eigenen Ertragsstrukturen unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und der zwischen den Segmenten variierenden Nutzungsintensitäten von Bankleistungen - bildet den Ausgangspunkt für die Überprüfung der Wachstums- und Ertragspotenziale.

Im Firmenkundengeschäft lassen sich in einzelnen Kundensegmenten bei dem erfolgreichsten Viertel der untersuchten Banken Erlöse beobachten, die um 59 Prozent über dem Durchschnitt aller untersuchten Institute liegen (siehe Abbildung 4). Das zusätzliche Erlöspotenzial lässt sich für ein durchschnittliches Musterinstitut auf zirka 50 Prozent schätzen.15) Diese Beobachtungen zeigen, dass sich der Wachstumsmangel nicht auf das Neukundengeschäft beschränkt, sondern auch bei den Bestandskunden Wachstums- und Erlöspotenziale realisierbar sind.

Unter den klassischen Universalbanken ist der Druck für die kleineren und mittelgroßen Institute bei der Formulierung und Umsetzung der strategischen Ausrichtung besonders groß. In dem Maße, in dem Wachstumspotenziale nicht erschlossen werden können, schlagen sich Kostennachteile gegenüber den Wettbewerbern im Ertragsgefüge nieder. Verbundinstitute mit regional begrenztem Aktionskreis werden eine Verbesserung der Potenzialausschöpfung vornehmen müssen. Für das Privat- wie das Firmenkundengeschäft gilt gleichermaßen, dass die Ausrichtung des Instituts mit einer Konzentration auf Schwerpunkte ein Erfolg versprechender Weg sein dürfte.

Offenheit für neue Konzepte

Die Gemütslage im deutschen Bankenmarkt ist - trotz der verschiedentlich im letzten Jahr erzielten Rekordergebnisse weiterhin angespannt. Das Erschließen und Abschöpfen von Ertragspotenzialen muss die Hauptaufgabe sein, zumal die Direktbanken mit ihrer strategischen Positionierung einen zeitlichen Differenzierungsvorteil aufweisen. Einen Musterweg gibt es nicht - für jedes Institut lässt sich ein individuelles Bündel an strategischen Optionen formulieren. Die Methoden und das Rüstzeug zur Umsetzung dieser Optionen sind jedoch vielfach die gleichen. Voraussetzung hierfür ist das Lernen aus den Erfahrungen - aus den Erfolgen und dem Scheitern - der Wettbewerber und die Offenheit für neue Konzepte und moderne Lösungen.16)

Prof. Dr. Mike Schneider , Professur für Strategisches Bank- und Vertriebsmanagement , Hochschule für Finanzwirtschaft und Management, Bonn
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